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VfGH vom 15.12.2010, U1471/10

VfGH vom 15.12.2010, U1471/10

19276

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch die verfügte Ausweisung; Unterlassung der Ermittlungstätigkeit hinsichtlich eines allenfalls in Österreich bestehenden Familien- und Privatlebens

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit sie die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Liberia anordnet, in dem durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die bekämpfte Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. Die Behandlung der Beschwerde wird abgelehnt, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte I und II der bekämpften Entscheidung richtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Beschwerdeführer reiste am in das

Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Im Zuge seines Asylverfahrens gab er an, aus Liberia zu stammen und dort unter Druck geraten zu sein, sich entweder der Armee oder den Rebellen anzuschließen. Da er aber an Kampfhandlungen nicht teilnehmen habe wollen, habe er seinen Herkunftsstaat verlassen. Sein Bruder sei indes von den Rebellen getötet worden.

Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG 1997) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Liberia gemäß § 8 leg.cit. für zulässig.

Der dagegen erhobenen Berufung gab der Unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom Folge, hob den bekämpften Bescheid wegen mangelnder Sachverhaltsermittlung auf und verwies die Rechtssache gemäß § 66 Abs 2 AVG zur Verfahrensergänzung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück.

1.2. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers erneut gemäß § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I), erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Liberia gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 für zulässig (Spruchpunkt II) und verfügte - aufgrund der mittlerweile anzuwendenden Rechtslage - gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 erstmals eine Ausweisung des Beschwerdeführers nach Liberia (Spruchpunkt III).

1.3. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß §§7, 8 Abs 1 AsylG 1997 und 10 Abs 1 Z 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I 122/2009 (im Folgenden: AsylG 2005), abgewiesen. Im Erkenntnis führte der AsylGH u.a. aus, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers aufgrund äußerst unkonkreter sowie zum Teil widersprüchlicher Angaben unglaubwürdig sei. Zudem sei nach einem vom Bundesasylamt eingeholten Sprachgutachten seine liberianische Herkunft höchst unwahrscheinlich. Vor dem Hintergrund des Alters und der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers seien keine außergewöhnlichen Umstände ersichtlich, die ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art 3 EMRK darstellen könnten. Da der Beschwerdeführer "während seines mehrjährigen Aufenthaltes in Österreich keine besonderen Verfestigungs- oder Integrationstatbestände verwirklicht und solche auch gar nicht behauptet" habe, sei dem Bundesasylamt darin zu folgen, dass die Voraussetzungen für eine Ausweisung vorlägen.

1.4. Gegen dieses Erkenntnis des Asylgerichtshofes richtet sich die auf Art 144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom . Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie nach Art 6 EMRK geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

1.5. Der Asylgerichtshof hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und die gesammelten Verfahrensakten übermittelt.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie ).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2.2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:

So wird zur Begründung des Spruchpunktes III der angefochtenen Entscheidung lediglich Folgendes festgehalten:

"Der belangten Behörde ist darin zu folgen, dass die Voraussetzungen für eine Ausweisung gemäß § 10 Abs 1 Z. 2 AsylG vorliegen. Der Genannte hat während seines mehrjährigen Aufenthaltes in Österreich keine besonderen Verfestigungs- oder Integrationstatbestände verwirklicht und solche auch gar nicht behauptet."

Worauf die Feststellung mangelnder Verfestigungs- und Integrationstatbestände fußt, bleibt aus dem angefochtenen Erkenntnis jedoch nicht nachvollziehbar. Wie sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten ergibt, hat der Asylgerichtshof keinerlei Ermittlungsschritte betreffend eines allenfalls in Österreich bestehenden Familien- und Privatlebens des Beschwerdeführers gesetzt. Weder wurden ihm in der durchgeführten Verhandlung darauf bezogene Fragen gestellt, noch wurde er auf eine andere Weise zu einer diesbezüglichen Stellungnahme aufgefordert.

In der äußerst knappen Begründung der verfügten Ausweisung stützt sich der Asylgerichtshof auf den Bescheid des Bundesasylamtes aus dem Jahr 2006. Nicht nur hätte allerdings in dem annähernd vierjährigen Zeitraum bis zur Entscheidung des Asylgerichtshofes durchaus ein zu berücksichtigendes Familien- oder Privatleben des Beschwerdeführers entstehen können (vgl. ; , U2801/09), es fällt auch auf, dass die Ausweisungsentscheidung des Bundesasylamtes selbst ohne entsprechende Ermittlungen zu diesbezüglich relevanten Aspekten erging.

2.3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt führt dazu, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

2.4. Die angefochtene Entscheidung ist daher, soweit damit die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird, aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer von € 400,-- enthalten.

II. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer

Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde behauptet - soweit sie sich gegen die Spruchpunkte I und II der bekämpften Entscheidung richtet - die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art 6 EMRK sowie ArtI Abs 1 des BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973.

Das Asylverfahren ist jedoch nicht von Art 6 EMRK erfasst (vgl. VfSlg. 13.831/1994).

Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte I und II des bekämpften Erkenntnisses des Asylgerichtshofes richtet (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.