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VfGH vom 30.11.2010, U1469/10

VfGH vom 30.11.2010, U1469/10

19235

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung des Asylantrags und Abschiebung eines Staatsangehörigen von Burkina Faso nach Griechenland

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein am geborener

Staatsangehöriger von Burkina Faso, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Antrag gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück, weil für die Prüfung des Antrages Griechenland zuständig sei (Spruchpunkt I.), wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 nach Griechenland aus und stellte die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Griechenland gemäß § 10 Abs 4 AsylG 2005 fest (Spruchpunkt II.).

2.1. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Entscheidung vom gemäß §§5 und 10 AsylG 2005 mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass Spruchpunkt I. zu lauten habe:

"Der Antrag auf internationalen Schutz vom wird ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, als unzulässig zurückgewiesen. Für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz ist gemäß Artikel 20 Abs 1 litc iVm Art 16 Abs 1 litc der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 Griechenland zuständig."

2.2. Der Asylgerichtshof führte keine mündliche Verhandlung durch.

2.3. Die Entscheidungsbegründung des Asylgerichtshofes beginnt mit dem Punkt I.1. "Verfahrensgang und Sachverhalt", wo zunächst festgestellt wird, dass sich der Verfahrensgang vor dem Bundesasylamt aus dem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes ergibt. Dann werden der Spruch des angefochtenen Bescheides und die Eingangsdaten der Beschwerde, des Verwaltungsaktes und einer Beschwerdeergänzung angegeben und schließlich wird zur fristgerecht erhobenen Beschwerde ausgeführt:

"Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (Judikaturzitat) verwiesen. In der Beschwerde wurde jedoch kein hinreichend substantiiertes Vorbringen erstattet welches geeignet wäre zu einem anderen Verfahrensausgang zu gelangen."

Daran schließen unter Punkt II. die rechtlichen Erwägungen des Asylgerichtshofes an, die gleichermaßen mit dem Hinweis eingeleitet werden, dass sich Verfahrensgang und Sachverhalt aus dem vorliegenden Verwaltungsakt ergeben. Nach Darstellung der Rechtslage führt der Asylgerichtshof zu Spruchpunkt I. im Punkt 2.2.2. aus (vgl. Seiten 4 bis 6 der angefochtenen Entscheidung):

"Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art5 Abs 1 Dublin II-VO) Kriterien der Art 6-12 bzw 14 und Art 15 Dublin II-VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art 13 Dublin II-VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

Wie aus dem Eurodac-Treffer mit der Zahl 'GR1...' hervorgeht, stellte der Beschwerdeführer in Griechenland am einen Asylantrag (vgl. Art 2 Abs 3 der Verordnung (EG) Nr. 407/2002 des Rates vom [Eurodac-Durchführungsverordnung]) und begab sich in der Folge unerlaubt nach Österreich. Aus diesem Grund hat das Bundesasylamt zu Recht ein Wiederaufnahmeersuchen an Griechenland gemäß Art 16 Abs 1 litc Dublin II-VO gestellt.

Dieses wurde allerdings von Griechenland (welches im Wesentlichen das Vorliegen von Endigungstatbeständen zu prüfen gehabt hätte - vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin II VO, K4. zu Art 20 Dublin II VO) nicht binnen der zweiwöchigen Frist des Art 20 Abs 1 litb Dublin IlVO - das Ersuchen stütze sich ja auf Angaben aus dem Eurodac-System - beantwortet, weshalb gemäß der in litc leg cit normierten Zuständigkeitsfiktion davon auszugehen war, dass Griechenland die Wiederaufnahme des nunmehrigen Beschwerdeführers akzeptiere.

Nachdem auch weder Umstände ersichtlich sind noch glaubwürdig behauptet wurden, welche für das Eintreten von Erlöschenstatbeständen (vgl. Art 16 Abs 2-4 Dublin II-VO) hinsichtlich der Zuständigkeit Griechenlands sprechen würden, liegt hier der bei Zuständigkeit durch Verfristung grundsätzlich mögliche Fall, dass ein an sich unzuständiger Staat das materielle Asylverfahren zu prüfen hat, weil er die ansonsten rechtsrichtige Ablehnung nicht rechtzeitig versandt hat (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin II VO, K15. zu Art 18 Dublin II VO), jedenfalls nicht vor.

Der Umstand, dass im vorliegenden Fall die Zustimmung Griechenlands nicht ausdrücklich, sondern durch Verfristung erfolgte, gibt keinen Grund zu der Annahme, dass Griechenland dem Beschwerdeführer rechtswidrigerweise den Zugang zum Asylverfahren verweigern könnte, zumal es einer zusätzlichen 'ausdrücklichen Zustimmungserklärung' Griechenlands im Falle einer - wie fallbezogen - durch Verfristung eingetretenen Zuständigkeit für die Aufnahmeverpflichtung nicht bedarf. Die Möglichkeit der Einholung einer Bestätigung des zuständigen Mitgliedsstaates iSv Art 10 Abs 2 Durchführungsverordnung, wonach die sich aus der Überschreitung der Antwortfrist ergebende Verantwortung anerkannt wird, besteht zusätzlich und fakultativ und ändert nichts an der bereits eingetretenen Zuständigkeit und Aufnahmeverpflichtung.

Festzuhalten bleibt, dass sich aus dem Akteninhalt keine Zweifel ergeben, dass der Beschwerdeführer einen Asylantrag in Griechenland gestellt hat und dass Griechenland folglich für die Prüfung seines Asylverfahrens zuständig ist.

Der Beschwerdeführer bringt zwar vor, dass er das Gebiet der Dublin-Staaten nach seinem Aufenthalt in Griechenland wieder verlassen habe, jedoch konnte er dies nicht glaubhaft machen und wird hiezu auf sämtliche Ausführungen im Bescheid des Bundesasylamtes verwiesen, welche auch zum Inhalt gegenständlichen Erkenntnisses erhoben werden. Dem Beschwerdeführer ist es folglich nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass er nach seiner Asylantragstellung in Griechenland das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mehr als drei Monate verlassen habe (vgl. Art 16 Abs 2 Dublin II-VO).

Es sind aus der Aktenlage auch keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser/Sprung, Dublin II-VO, 3. Auflage, K23 zu Art 16; Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im 'Dublin-Verfahren', ).

Das Konsultationsverfahren erfolgte nach Ansicht des Asylgerichtshofes ohne relevante Mängel. Das Bundesasylamt hat die griechischen Behörden über das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er nämlich Griechenland im Juli 2009 verlassen habe und in sein Heimatland zurückgekehrt sei, unterrichtet und wurde auch angeführt, dass diesem Vorbringen kein Glauben geschenkt werde. Das Bundesasylamt hat somit den griechischen Behörden nicht wissentlich Informationen vorenthalten. Wäre Griechenland der Ansicht, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich des Verlassens des Hoheitsgebietes der Mitgliedstaaten Glauben zu schenken sei, so hätte die Möglichkeit der Ablehnung des Wiederaufnahmesuchens bestanden. Da dies nicht der Fall ist, ist von einem korrekten Zuständigkeitsprüfungsverfahren und sohin der Zuständigkeit Griechenlands auszugehen.

Im Lichte des Art 7 VO 1560/2003 ergibt sich auch keine Verpflichtung seitens der beteiligten Mitgliedstaaten oder seitens der Regelungen der Dublin II-VO, dass die Überstellung in einer Weise durchgeführt wird, die potentiell belastenden Zwangscharakter aufweist.

Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben. Allerdings war - aufgrund der Zuständigkeitstatbestände - mit der im Spruch genannten Maßgabe vorzugehen."

Es folgen Erwägungen zur Frage, ob Österreich vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch hätte machen müssen, Abwägungen gemäß Art 8 und Art 3 EMRK und schließlich der Begründungsteil zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides. Eine den Sachverhalt betreffende Aussage des Asylgerichtshofes findet sich darin lediglich im Punkt 2.2.3.2.8:

"Hinweise, dass der Beschwerdeführer eine besonders vulnerable Person wäre (wodurch allenfalls auf Grund der Umstände des Einzelfalles das Selbsteintrittsrecht dennoch auszuüben wäre) sind (...) nicht hervorgekommen."

3. Gegen diese Entscheidung des Asylgerichtshofes richtet sich die vorliegende, auf Art 144a Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.

4. Der Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor, erstattete unter Hinweis auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung jedoch keine Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des AsylGH gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen (vgl. VfSlg. 18.614/2008, 18.632/2008, 18.741/2009; ; , U431/08 ua.):

An keiner Stelle der Entscheidungsbegründung findet sich die für eine nachprüfende Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes in der Sache notwendige Schilderung des Sachverhalts und nirgendwo - weder inhaltlich zusammengefasst noch in direkter oder indirekter Rede wiedergegeben - das vom Beschwerdeführer im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren erstattete Vorbringen. Der Asylgerichtshof begründet insbesondere mit keinem Wort, warum er das vom Beschwerdeführer schon im Antrag vom und schließlich in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid erstattete Vorbringen, er habe sich nach Stellung seines ersten Asylantrages am noch ca. ein Jahr in Griechenland aufgehalten, Griechenland jedoch wieder verlassen und sich im Jahr 2009 in seinem Heimatland aufgehalten, als nicht glaubhaft erachtete. Der Asylgerichtshof hat es auch unterlassen, die vom Beschwerdeführer im Verfahren vorgelegten Beweismittel anzuführen und die Gründe darzulegen, weshalb sie zur Glaubhaftmachung des Vorbringens nicht geeignet seien. Den Ausführungen auf Seite 5 letzter Absatz der angefochtenen Entscheidung (vgl. oben Punkt I.2.3), "Der Beschwerdeführer bringt zwar vor, dass er das Gebiet der Dublin-Staaten nach seinem Aufenthalt in Griechenland wieder verlassen habe, jedoch konnte er dies nicht glaubhaft machen und wird hiezu auf sämtliche Ausführungen im Bescheid des Bundesasylamtes verwiesen, welche auch zum Inhalt gegenständlichen Erkenntnisses erhoben werden. Dem Beschwerdeführer ist es folglich nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass er nach seiner Asylantragstellung in Griechenland das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mehr als drei Monate verlassen habe", fehlt es jedenfalls an jeglichem Begründungswert. Die Entscheidung als Ganzes entspricht daher nicht den Anforderungen des § 60 AVG iVm § 23 AsylGHG.

Damit ist dem Verfassungsgerichtshof aber eine nachprüfende Kontrolle in der Sache unmöglich. Der Asylgerichtshof hat dabei nicht nur gegen das Willkürverbot des Gebots der Gleichbehandlung von Fremden untereinander, sondern auch gegen das Rechtsstaatsprinzip in Gestalt des rechtsstaatlichen Gebots der Begründung gerichtlicher Entscheidungen verstoßen.

Die Entscheidung ist daher aufzuheben.

III. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 88a iVm § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Fundstelle(n):
BAAAE-28486