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VfGH vom 29.06.2011, U1430/10

VfGH vom 29.06.2011, U1430/10

19439

Leitsatz

Entzug des gesetzlichen Richters durch Abweisung eines Asylantrags und Ausweisung durch eine Einzelrichterin und nicht einen Senat des Asylgerichtshofes; keine Anwendbarkeit der Übergangsbestimmung des Asylgesetzes 2005 mangels Vorliegens einer entscheidungsreifen Rechtssache

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.620,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein am geborener armenischer Staatsangehöriger, reiste als Minderjähriger mit seinen Eltern am nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG 1997) abgewiesen, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Armenien gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 für zulässig erklärt; unter einem wurde der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 nach Armenien ausgewiesen.

3. Die gegen diesen Bescheid (im Familienverfahren) erhobene Beschwerde des nunmehrigen Beschwerdeführers wurde vom Asylgerichtshof mit Entscheidung vom durch eine Einzelrichterin - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am , am , am und am - gemäß §§7 und 8 Abs 1 AsylG 1997 und § 10 Abs 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) abgewiesen. Die Erwägungen des Asylgerichtshofes in Bezug auf die Einzelrichterzuständigkeit lauten wie folgt:

"Gegenständliches Verfahren war am bzw. beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig und ist daher vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Es handelt sich um ein Beschwerdeverfahren gegen einen abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes, in dem eine mündliche Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat stattgefunden hat. Das ursprünglich zur Entscheidung berufene Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates wurde zur Richterin des Asylgerichtshofes ernannt, nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes wurde das Beschwerdeverfahren ihrer Gerichtsabteilung zugeteilt und sie hat daher dieses Verfahren gemäß § 75 Abs 7 Z 1 AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008, als Einzelrichter weiterzuführen."

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung Fremder untereinander geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.

5. Der Asylgerichtshof legte die bezughabenden Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und beantragte, die Beschwerde abzuweisen. Von der Erstattung einer Gegenschrift wurde abgesehen.

II. Rechtslage

Die für das Verfahren maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. Die maßgebliche Bestimmung des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof (Asylgerichtshofgesetz-AsylGHG), BGBl. I 4/2008 idgF, lautet:

"Senate und Kammersenate

§9. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.

..."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I 100 idgF, (im Folgenden: AsylG 2005) lauten:

"Asylgerichtshof

§61. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs 3 oder 3a vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

(2) ...

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

1. zurückweisende Bescheide


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a)
wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;
b)
wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5;
c)
wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG, und


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2.
die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.


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...

...

Übergangsbestimmungen

§75. (1) bis (6) ...

(7) Am beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

1. Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

2. Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

3. ...

..."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 10.022/1984, 14.731/1997, 15.588/1999, 15.668/1999, 15.731/2000, 16.572/2002 und 18.644/2008). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken. Dies bedeutet, dass das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dann verletzt wird, wenn statt eines Senates ein Einzelrichter entscheidet oder umgekehrt.

2. Ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:

1.1. Neben der Einzelrichterzuständigkeit in den Fällen des § 61 Abs 3 AsylG 2005 sieht die Übergangsbestimmung des § 75 Abs 7 Z 1 AsylG 2005 vor, dass am beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach der Maßgabe weiterzuführen sind, dass die Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen haben. Dazu hat der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 18.610/2008 Folgendes ausgesprochen:

"§75 Abs 7 Z 1 AsylG 2005 soll ermöglichen, dass Asylverfahren, in denen vor dem eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, möglichst rasch durch das vormals zuständige Mitglied des UBAS, das zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, erledigt werden können. Für diese überschaubare Zahl von Übergangsfällen ist festzustellen, dass der Gesetzgeber an ein Verfahrensstadium anknüpft, in dem bereits - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - eine entscheidungsreife Rechtssache vorliegt. Eine Übergangsbestimmung dieser Art, die - wie erwähnt - auf das fortgeschrittene Verfahrensstadium und die Identität des zur Entscheidung berufenen Organwalters abstellt, ist verfassungsrechtlich noch unbedenklich."

1.2. Im vorliegenden Fall fand am , am und am - also vor dem - vor dem zuständigen Mitglied des unabhängigen Bundesasylsenates eine mündliche Verhandlung statt. Die Verhandlung am wurde - ohne inhaltliche Befragung - wegen nicht ordnungsgemäßer Ladung des Vertreters des Vaters des Beschwerdeführers auf unbestimmte Zeit vertagt (siehe Seite 2 der Verhandlungsniederschrift). Die Verhandlung wurde am fortgesetzt. Diese wurde abermals - ohne inhaltliche Befragung - wegen "ungeklärten psychischen Zustandes" des Vaters des Beschwerdeführers und zur Einholung eines diesbezüglichen Sachverständigengutachtens auf unbestimmte Zeit vertagt (siehe Seite 3 der Verhandlungsniederschrift). In der am fortgeführten Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu den Fluchtgründen befragt. Am wurde "zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes" (siehe Seite 4 der Entscheidung des Asylgerichtshofes) eine weitere mündliche Verhandlung durchgeführt. Am wies der Asylgerichtshof durch eine Einzelrichterin die Beschwerde ab.

Demnach hat zwar bereits vor dem eine mündliche Verhandlung vor der später entscheidenden Richterin des Asylgerichtshofes stattgefunden. Daraus alleine kann jedoch nicht auf eine Einzelrichterzuständigkeit geschlossen werden.

Wie der Verfassungsgerichtshof nämlich schon in VfSlg. 18.610/2008 festgestellt hat, soll die Übergangsbestimmung des § 75 Abs 7 Z 1 AsylG 2005 ermöglichen, dass Asylverfahren, in denen vor dem eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, möglichst rasch durch das vormals zuständige Mitglied des unabhängigen Bundesasylsenates, das zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, erledigt werden können. In Fällen, welche unter die Übergangsbestimmung des § 75 Abs 7 Z 1 AsylG 2005 fallen, muss daher - bei verfassungskonformer Interpretation der Bestimmung - bereits eine "entscheidungsreife Rechtssache" vorliegen.

Diese Voraussetzung war im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Dies ergibt sich aus der Notwendigkeit der neuerlichen Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dem , nämlich am . Daraus geht hervor, dass der erkennenden Einzelrichterin nach dem nicht eine bereits "entscheidungsreife Rechtssache" vorlag, weshalb der Asylgerichtshof nicht durch eine Einzelrichterin, sondern in einem Senat zu entscheiden gehabt hätte (vgl. etwa , und , U1489/10).

Der belangte Asylgerichtshof hat demnach durch die Entscheidung durch eine Einzelrichterin den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

IV. Zurückweisung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe

Mit der vorliegenden Beschwerde beantragt der Beschwerdeführer unter einem die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr.

Mit Verfügung vom - zugestellt der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers am - wurde der Einschreiter gemäß §§66, 84, 85 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG unter Hinweis auf die Säumnisfolgen aufgefordert, innerhalb von drei Wochen ein Vermögensbekenntnis abzugeben.

Da diese Frist ungenützt verstrichen ist, ist der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wegen Nichterfüllung des Verbesserungsauftrages zurückzuweisen (VfSlg. 12.907/1991, 16.063/2000).

V. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist durch die Entscheidung des Asylgerichtshofes im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Entscheidung war daher aufzuheben.

2. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr war zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88a iVm § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-

sowie der Ersatz der Eingabengebühr in der Höhe von € 220,- gemäß § 17a VfGG enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG und § 72 Abs 1 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.