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VfGH vom 13.03.2013, U1416/12

VfGH vom 13.03.2013, U1416/12

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung des Beschwerdeführers nach Afghanistan; keine ausreichenden Ermittlungen, insbesondere zur Lage in der Herkunftsregion

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Ent scheidung, soweit ihm damit der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und der Beschwerdeführer nach Afghanistan ausgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden. Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerde führer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,– bestimmten Prozess kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein 1992 alias 1995 geborener Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste am in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, sein Vater habe für einen reichen Grundbesitzer gearbeitet und die Familie habe im Personalhaus gewohnt. Der Vater des Beschwerdeführers habe dem Grundbesitzer die Schwester des Beschwerdeführers zur Frau gegeben, doch habe dieser sie schlecht behandelt, weshalb sie zu ihrer Familie geflohen sei. Die Söhne des Ehemannes haben sie aber wieder zurückgeholt. Der Vater des Beschwerdeführers sei aus Kummer gestorben. Der Beschwerdeführer, seine Mutter, seine Schwester und sein Bruder seien schließlich zunächst nach Kandahar und weiter in den Iran geflüchtet. Zwei Söhne des Schwagers haben sie dorthin verfolgt. Später habe der Beschwerdeführer erfahren, dass zwei der Söhne seines Schwagers getötet worden seien und sein Schwager ihn dafür verantwortlich mache.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

2.1. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom gemäß §§3 Abs 1, 8 Abs 1 und 10 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

2.2. Begründend führt der Asylgerichtshof aus, der Beschwerdeführer konnte keine Verfolgung in Afghanistan glaubhaft machen. Sein Vorbringen sei widersprüchlich, und der Beschwerdeführer könne keinerlei Zeit- oder Altersangaben konsistent aufrecht erhalten. Zur Frage, ob dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei, führt der Asylgerichtshof aus, dass "keinerlei seriöse Veranlassung [bestehe], seinen Angaben hinsichtlich seiner örtlichen Herkunft oder seiner (angeblich nicht bestehenden) familiären Bindungen in Afghanistan Glauben zu schenken". Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten seien daher nicht gegeben. Die Ausweisung des Beschwerdeführers sei zulässig.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die auf Art 144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, gemäß Art 2 und 3 EMRK sowie auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art 47 Abs 2 GRC geltend gemacht wird.

4. Der Asylgerichtshof hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, aber keine Gegenschrift erstattet.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskrimi nierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleich behandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. ge währleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Dis kriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Ver fassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Er mittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unter lassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivor bringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Solche in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Asylgerichtshof unterlaufen:

2.1. Gemäß § 8 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

2.2. Der Asylgerichtshof stützt seine Entscheidung auf die vom Bundesasylamt seinem Bescheid zugrunde gelegten Länderberichte, "ohne dass weitere Ergänzungen vonnöten wären". Er führt weiters aus, dass die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Herkunftsregion und seiner familiären Situation nicht glaubhaft seien und es dem Beschwerdeführer möglich sein werde, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass ihm im Rahmen seines Familienverbandes Unterstützung zuteil werde.

2.3. Die angefochtene Entscheidung enthält keine nähere Begründung, weshalb der Asylgerichtshof im Hinblick auf die Herkunftsregion des Beschwerdeführers von der Unglaubwürdigkeit seiner Angaben ausgeht. Weiters ergibt sich aus der Entscheidung nicht, weshalb das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe in Afghanistan keine Verwandten mehr, nicht zutreffen sollte. Ebensowenig prüft der Asylgerichtshof die Möglichkeit der Rückkehr des Beschwerdeführers in Bezug auf eine bestimmte Region Afghanistans.

Angesichts der Sicherheitssituation in Afghanistan – diese ergibt sich im Übrigen auch aus den vom Bundesasylamt herangezogenen Länderfeststellungen – genügt es aber nicht, auf die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Herkunftsregion und pauschal auf die festgestellte Lage in Afghanistan abzustellen, sondern wäre es erforderlich gewesen, für den konkreten Einzelfall zu begründen, inwiefern es dem Beschwerdeführer möglich ist, in Afghanistan bzw. in welchem Teil Afghanistans zu überleben. Daran ändern auch die Ausführungen zur relativ stabilen Lage in Kabul nichts, weil die Entscheidung keinerlei Hinweise darauf enthält, dass der Beschwerdeführer über Bezugspunkte in Kabul verfügt. Soweit der Asylgerichtshof ausführt, die vom Beschwerdeführer als Herkunftsregion angegebene Region Daykundi gelte ohnehin als eine der sichersten Afghanistans, enthält die angefochtene Entscheidung keine nähere Begründung für diese Annahme. Auch die vom Asylgerichtshof zum Inhalt seiner Entscheidung erhobenen Länderberichte des Bundesasylamtes können diese Aussage nicht tragen, weil sie nur einen Satz zur Zahl der zivilen Todesopfer in der Provinz Daykundi im Jahr 2010 enthalten. Darüber hinaus ergibt sich aus diesen Länderberichten, dass die Versorgung der Menschen im zentralen Hochland schwierig, insbesondere im Winter oft unmöglich ist.

2.4. Zusammengefasst ist festzuhalten, dass es der Asylgerichtshof unterlassen hat, zur Abweisung der Beschwerde im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ausreichende Ermittlungen durchzuführen und die Abweisung der Beschwerde in diesem Punkt ausreichend zu begründen. Durch dieses willkürliche Verhalten hat der Asylgerichtshof den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

3. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

4. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten bekämpft wird, abzusehen.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit ihm damit der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt wird und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden. Die angefochtene Entscheidung wird daher insoweit aufgehoben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 iVm § 88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– enthalten.

3. Im Übrigen ist die Behandlung der Beschwerde abzulehnen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG sowie § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.