VfGH vom 27.09.2010, U1407/10

VfGH vom 27.09.2010, U1407/10

19171

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch die verfügte Ausweisung; Unterlassung der Ermittlungstätigkeit hinsichtlich eines allenfalls in Österreich bestehenden Familien- und Privatlebens

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. Nr. 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine am geborene

Staatsbürgerin Nigerias, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz mit der Begründung, ein Freund ihres Vaters, der wie dieser Mitglied einer Geheimgesellschaft gewesen sei, habe sie heiraten wollen. Nach dem Tod des Vaters habe dessen Freund auf eine Heirat gedrängt. Die Beschwerdeführerin sei jedoch nach Lagos geflüchtet, weil sie erfahren habe, dass alle bisherigen Frauen dieses Mannes gestorben seien. Eines Tages habe die Beschwerdeführerin den Mann in einem Supermarkt wieder gesehen. Daraufhin habe sie das Land verlassen, weil sie befürchtet habe, dass der Mann sie töten wolle.

2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Antrag mit Bescheid vom gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005), ab, erkannte gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu und wies die nunmehrige Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria aus.

3. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom wies der Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) mit der angefochtenen Entscheidung vom gemäß §§3 Abs 1, 8 Abs 1 Z 1 und 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 ab. In der Entscheidung führte der AsylGH u. a. aus, dass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin auf Grund von Widersprüchen unglaubwürdig sei und vor dem Hintergrund ihrer Arbeitsfähigkeit sowie des im Herkunftsstaat vorhandenen familiären Rückhaltes keine außergewöhnlichen Umstände ersichtlich seien, die ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art 3 EMRK darstellen könnten.

Hinsichtlich der Ausweisungsentscheidung hält der AsylGH fest, dass die Beschwerdeführerin keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich habe. Sie sei erst seit März 2006 in Österreich aufhältig, sei unbescholten und übe das Gewerbe der Prostitution aus. Die Beschwerdeführerin habe keine Verfestigungs- oder Integrationstatbestände verwirklicht. Sie sei nur auf Grund der letztlich ungerechtfertigten Asylantragstellung lediglich zum vorläufigen Aufenthalt in Österreich berechtigt gewesen. Der durch die verfügte Ausweisung erfolgende Eingriff in das Privatleben sei "unter Berücksichtigung der in § 10 Abs 2 Z 2 lita - h AsylG 2005 genannten Aspekte" verhältnismäßig. Es lägen daher keine Gründe im Sinne des § 10 Abs 2 AsylG 2005 vor, die einer Ausweisung entgegenstünden. Eine mündliche Verhandlung oder eine Aufforderung zur Stellungnahme zum Familien- und Privatleben der Beschwerdeführerin fand nicht statt.

4. Gegen die Entscheidung des AsylGH richtet sich die vorliegende auf Art 144[a] B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art 2, 3 und 8 EMRK sowie ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der Entscheidung beantragt wird. Die Beschwerdeführerin führte u.a. aus, dass sie am einen österreichischen Staatsbürger geheiratet habe und schwanger sei.

5. Der belangte AsylGH legte die Verwaltungsakten vor und nahm Abstand von der Erstattung einer Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

1. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen der angefochtenen Entscheidung werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles auch nicht entstanden.

Die Beschwerdeführerin ist daher nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtwidrigen generellen Norm verletzt.

2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie ).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

3. Dem belangten AsylGH ist ein willkürliches Verhalten vorzuwerfen:

Zwischen Erlassung des Bescheides des BAA und der Entscheidung des AsylGH sind etwas mehr als drei Jahre vergangen. In diesem Zeitraum haben weder der Unabhängige Bundesasylsenat noch der AsylGH irgendwelche Ermittlungen durchgeführt (vgl. ; , B158/08; , U668/10). Es wären jedoch Ermittlungsschritte betreffend eines allenfalls in Österreich bestehenden Familien- und Privatlebens der Beschwerdeführerin zu treffen gewesen. Aus der bekämpften Entscheidung geht nicht hervor, worauf der AsylGH seine Feststellungen, dass "keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich" bestünden und die Beschwerdeführerin "keine Verfestigungs- oder Integrationstatbestände verwirklicht" habe, gründet. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, wie eine "Berücksichtigung der in § 10 Abs 2 Z 2 lita - h AsylG 2005 genannten Aspekte" stattgefunden haben soll, wenn die Beschwerdeführerin nicht zumindest zu einer Stellungnahme zu ihren persönlichen Lebensumständen in Österreich aufgefordert wurde. Das Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit wiegt vor dem Hintergrund, dass sich im Verwaltungsakt ein E-Mail eines Standesbeamten vom an das BAA befindet, in dem die voraussichtliche Eheschließung der Beschwerdeführerin mitgeteilt und um die Übermittlung des Stammdatenblattes ersucht wird, um die gesamten erforderlichen Unterlagen der Rechtsabteilung vorlegen zu können, umso schwerer. Insofern lag im Akt sogar ein Hinweis darauf vor, dass im Privatleben der Beschwerdeführerin eine Veränderung stattgefunden haben könnte.

4. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt führt dazu, dass die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

5. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

III. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer von € 400,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.