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VfGH vom 20.02.2014, U1403/2013

VfGH vom 20.02.2014, U1403/2013

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung des Beschwerdeführers nach Afghanistan mangels Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage in der Provinz Logar und ausreichender Begründung für die Annahme eines familiären Anschlusses in Logar

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Ent scheidung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden unter ein ander verletzt worden (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973). Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein am geborener Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass sein Vater nach dem Tod der Mutter eine andere Frau geheiratet habe. Die Stiefmutter des Beschwerdeführers habe die Schwester des Beschwerdeführers mit einem alten Mann verheiraten wollen. Der Beschwerdeführer habe dies verhindern wollen und sei mit seiner Ehefrau, seinen zwei Schwestern und seinem Bruder nach Logar und später nach Jalalabad geflüchtet. Die Brüder der Stiefmutter, die Taliban seien, hätten den Beschwerdeführer verfolgt; aus diesem Grund sei das Leben des Beschwerdeführers in Gefahr. Die Ehefrau des Beschwerdeführers und seine beiden Söhne würden sich seit Juli oder August 2011 bei seiner Schwester in Logar aufhalten.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und der Beschwerdeführer nach Afghanistan ausgewiesen.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde. Mit Verfahrensanordnung vom übermittelte der Asylgerichtshof dem Beschwerdeführer einen Bericht des ANSO (Afghanistan NGO Safety Office) zur aktuellen Situation im 3. Quartal 2012 in Afghanistan. Im Begleitschreiben führte der Asylgerichtshof aus, dass es in der Provinz Logar im 3. Quartal 2012 zu keinem Anstieg sicherheitsrelevanter Vorfälle im Vergleich zum 3. Quartal 2011 gekommen sei und die Sicherheitslage in der Provinz Logar grundsätzlich als stabil anzusehen sei. In seiner Stellungnahme vom trat der Beschwerdeführer diesen Ausführungen unter Vorlage diverser Berichte zur Sicherheitslage in Afghanistan entgegen und führte weiters aus, dass er seit drei Monaten keinen Kontakt zu seiner Ehefrau, seinen Kindern, seiner Schwester, Halbschwester und seinem Bruder habe; er wisse nicht, wo sich seine Verwandten aufhielten. Die Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom abgewiesen.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet sowie die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.

5. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen der angefochtenen Entscheidung werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles auch nicht entstanden.

Der Beschwerdeführer ist daher nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.1. Derartige, in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Asylgerichtshof unterlaufen.

2.1.1. Im Rahmen der Prüfung des subsidiären Schutzes trifft der Asylgerichtshof auf Seite 31 der angefochtenen Entscheidung Feststellungen zur Sicherheitslage in Kabul , führt dann aber weiters aus, dass es dem Beschwerdeführer zumutbar sei, in die Provinz Logar zurückzukehren, wo die Ehefrau, zwei Söhne, der Bruder, zwei Schwestern sowie der Schwager des Beschwerdeführers aufhältig seien. Zur Provinz Logar trifft der Asylgerichtshof hingegen keine eigenen Feststellungen, sondern bezieht sich auf den dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung vom übermittelten Bericht zur aktuellen Situation im 3. Quartal 2012 in Afghanistan. Entgegen der Annahme des Asylgerichtshofes kann aus diesem Bericht, der fast ausschließlich statistische Angaben über sicherheitsrelevante Zwischenfälle in Afghanistan enthält, nicht in der erforderlichen Klarheit abgeleitet werden, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in die Provinz Logar zumutbar sei. Zwar ist die Aussage des Asylgerichtshofes zutreffend, dass es in Logar im 3. Quartal 2012 zu keinem Anstieg sicherheitsrelevanter Vorfälle im Vergleich zum 3. Quartal 2011 gekommen ist und die Sicherheitslage insofern als "stabil" bezeichnet werden kann. Diese Information enthält aber noch keine Aussage darüber, wie gefährlich das Leben in Logar nun tatsächlich ist. Weiters hat auch der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom Länderberichte vorgelegt, aus denen zB hervorgeht, dass Logar zu den am stärksten kontrollierten Gebieten der Taliban zählt. Diese Berichte hält der Asylgerichtshof für nicht maßgeblich, weil sie in keinem konkreten Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers stehen (Seite 17 der angefochtenen Entscheidung).

Da der vom Asylgerichtshof herangezogene Bericht zur aktuellen Situation im 3. Quartal 2012 in Afghanistan ein zu unklares Bild über die Provinz Logar zeichnet, wäre es Aufgabe des Asylgerichtshofs gewesen, weitere Quellen, etwa auch solche, die Aufschluss über die Versorgungslage in Logar zulassen, zu berücksichtigen. Dass der Asylgerichtshof den konkreten Sachverhalt außer Acht gelassen hat, zeigen auch seine Ausführungen zur Sicherheitslage im Raum Kabul, obwohl zuvor keinerlei Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers dorthin festgestellt wurden (vgl. ).

2.1.2. Weiters mangelt es an einer ausreichenden Begründung dafür, weshalb der Asylgerichtshof davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer über familiäre Anknüpfungspunkte in der Provinz Logar verfügt: Der Beschwerdeführer hat in seiner Stellungnahme vom darauf hingewiesen, dass der Kontakt zu seinen Verwandten, die sich zuvor in Logar aufgehalten haben, abge brochen sei und er nicht wisse, wo sich diese nun aufhielten. Zu diesem Vorbringen führt der Asylgerichtshof auf Seite 14 der angefochtenen Entscheidung lediglich aus, dass aus dem fehlenden Kontakt zu den Angehörigen über einen Zeitraum von lediglich drei Monaten nicht darauf geschlossen werden könne, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan kein familiäres Netzwerk zur Verfügung stehe. Diese Ausführungen stellen aber keine Begründung für die Annahme des Asylgerichtshofes dar, dass der Beschwerdeführer über familiären Anschluss in Logar verfüge. Um diese Annahme zu unterstützen, hätte der Asylgerichtshof individuelle Ermittlungen durchführen müssen (vgl. ).

3. Durch das Außerachtlassen des konkreten Sachverhalts und das Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in wesentlichen Punkten hat der Asylgerichtshof die Entscheidung mit Willkür belastet und den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden unter ein ander verletzt worden.

2. Die Entscheidung ist daher aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne münd liche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– enthalten.