VfGH vom 22.02.2013, U1306/12

VfGH vom 22.02.2013, U1306/12

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine willkürlich abweisende Entscheidung des Asylgerichtshofes hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzes und der damit verbundenen Ausweisung nach Afghanistan; offenkundiger Widerspruch der Ausführungen des Asylgerichtshofes zur medizinischen Versorgungslage in Afghanistan zu den Länderfeststellungen des Bundesasylamtes

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Ent scheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages bezüglich der Zuerkennung subsidiären Schutzes und gegen seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden. Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben. 2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerde führer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,– bestimmten Prozess kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet am einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er begründend vorbrachte, dass ein namentlich bezeichneter Mann (F.) – der eine wichtige Person in der Provinz Ghazni gewesen sei und für den er gearbeitet habe – seinen Vater umgebracht und den Beschwerdeführer bedroht habe, weshalb er im Falle der Rückkehr Angst um sein Leben habe. Er habe mit seinem Vater einen Karton, den sie im Auftrag des F. aus Kandahar abgeholt und nach Ghazni bzw. in der Folge nach Kabul gebracht hätten, geöffnet und gesehen, dass sich darin US-Dollar und pakistanisches Geld befunden hätten; später sei der Beschwerdeführer zu F. gerufen worden, wo auch sein Vater und sein Bruder anwesend gewesen seien, und befragt worden, was er mit dem Karton gemacht habe und ob er der Regierung etwas über diesen Karton erzählt habe, was er verneint habe. Der Beschwerdeführer und sein Vater seien geschlagen worden, F. habe seinen Vater schließlich erschossen und der Beschwerdeführer und sein Bruder seien an einen anderen Ort gebracht worden, wo sie etwa einen Monat lang festgehalten worden seien, bis ein Schwager des Beschwerdeführers – der Neffe des F. – dem Beschwerdeführer zur Flucht verholfen habe. Seit der Erschießung seines Vaters leide der Beschwerdeführer an Herzschmerzen.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde des Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Asylstatus abgewiesen, ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgesprochen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom gemäß § 3 Abs 1, § 8 Abs 1 Z 1 und § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 abgewiesen.

2. In seiner gegen diese Entscheidung gerichteten, auf Art 144a B VG gestützten Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

3. Der im verfassungsgerichtlichen Verfahren belangte Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Erwägungen

A. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages bezüglich der Zuerkennung subsidiären Schutzes und die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan richtet, erwogen:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sach lichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkenn bar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. ge währleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Dis kriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Ver fassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Er mittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unter lassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivor bringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:

2.1. Der Asylgerichtshof trifft in der angefochtenen Entscheidung keine eigenen Länderfeststellungen, sondern begnügt sich damit, auszuführen, dass das Bundes asylamt seine Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat auf Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen stütze, welche sich mit dem Amtswissen des Asylgerichtshofes deckten. Insoweit das Bundesasylamt seinen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums (datierend bis 2009) zugrunde gelegt habe, sei auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Asylgerichtshof von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert hätten. Der Beschwerdeführer sei den Länderfeststellungen in seiner Beschwerde auch nicht substantiiert entgegengetreten. Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung gibt der Asylgerichtshof einen Länderbericht zur Sicherheitslage in Kabul (Stand: 2012) wieder, aus dem sich ergibt, dass die Sicherheitslage dort "unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren" ist. In der Folge bejaht der Asylgerichtshof die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat, wobei er in Hinblick auf die Erkrankung des Beschwerdeführers (emotional-stressbedingte Herzmuskelschwäche) u.a. ausführt, dass dieser nicht behauptet habe, dass es in Afghanistan, vor allem in der Hauptstadt Kabul, an entsprechenden medizinischen Einrichtungen mangeln würde, um im Bedarfsfall eine Behandlung vorzufinden.

2.2. Zwischen der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides und der Entscheidung des Asylgerichtshofes sind zwei Jahre vergangen. Der Asylgerichtshof hat keine mündliche Verhandlung durchgeführt und dem Beschwerdeführer auch keine aktuellen Länderberichte oder -feststellungen zur Kenntnis gebracht oder ihm Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. In der angefochtenen Entscheidung ist der Asylgerichtshof lediglich auf die allgemeine Sicherheitslage in Kabul ausdrücklich eingegangen (Bericht zur Sicherheitslage in Kabul aus dem Jahr 2012); er hat es aber unterlassen, sich mit der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung in Kabul zu befassen bzw. Feststellungen dazu zu treffen. In diesem Zusammenhang ist es auch nicht nachvollziehbar, wenn der Asylgerichtshof ausführt, dass der Beschwerdeführer nicht behauptet hätte, dass es in Afghanistan und Kabul an medizinischen Einrichtungen mangeln würde, zumal der Asylgerichtshof in der angefochtenen Entscheidung das Vorliegen einer Erkrankung festgestellt hat und in der Folge die Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung, ob hinsichtlich dieser Erkrankung Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat vorhanden sind, unabhängig davon besteht, ob der Beschwerdeführer deren Fehlen behauptet hat. Im Übrigen geht aus den Länderfeststellungen des Bundesasylamtes ausdrücklich hervor, dass "[d]ie medizinische Versorgung […] – trotz mancher Verbesserungen – aufgrund fehlender Medikamente, Geräte, Ärztinnen und Ärzte sowie mangels gut qualifizierten Assistenzpersonals immer noch unzureichend [ist]" und "[a]uch in Kabul, wo es mehr Krankenhäuser als im übrigen Land gibt, […] für die Bevölkerung noch keine hinreichende medizinische Versorgung gewährleistet [ist]" (vgl. VfSlg 19.369/2011).

3. Da die – nicht näher begründeten – Ausführungen des Asylgerichtshofes zur medizinischen Versorgungslage in Afghanistan somit in offenkundigem Widerspruch zu den Länderfeststellungen des Bundesasylamtes stehen, hat der Asylgerichtshof die angefochtene Entscheidung in Bezug auf die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes willkürlich begründet und den Beschwerdeführer dadurch in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

B. Soweit die Beschwerde sich im Übrigen gegen die Abweisung des Antrages bezüglich der Zuerkennung des Asylstatus richtet, wird ihre Behandlung aus folgendem Grund abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Be schwerde gemäß Art 144a B VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrecht liche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Be schwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages bezüglich der Zuerkennung des Asylstatus richtet, abzusehen.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages bezüglich der Zuerkennung subsidiären Schutzes und gegen seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung ist daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen ist die Behandlung der Beschwerde abzulehnen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a iVm § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,– enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz iVm § 31 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.