VfGH vom 06.06.2014, U1258/2013 ua

VfGH vom 06.06.2014, U1258/2013 ua

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Abweisung der Asylanträge und Ausweisung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation mangels ausreichender Ermittlungen zum Fluchtvorbringen betreffend die Verfolgung des Erstbeschwerdeführers als Zeuge russischer Kriegsverbrechen in Tschetschenien

Spruch

. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Entscheidungen in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art 47 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.

Die Entscheidungen werden aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.270,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer reisten am illegal nach Österreich ein und stellten am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz. Begründend führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass er als wichtiger Zeuge eines Kriegsverbrechens gelten würde, das am von russischen Truppen in Nowyje Aldy (eine Siedlung der Stadt Grozny / Tschetschenien) verübt worden sei. Er hätte die dabei Ermordeten beerdigen müssen und sei später diesbezüglich mehrmals von Menschenrechtsorganisationen (zB "Memorial") befragt und auch ins Ausland eingeladen worden. Nachdem im September 2012 Gerüchte kursiert seien, dass die russische Regierung – auf Grund von Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – den Hinterbliebenen der Opfer der russischen Militäraktion Entschädigungszahlungen leisten würde, hätten mehrere – vom Erstbeschwerdeführer namentlich genannte – Betroffene diesen aufgesucht. Daraufhin habe der Erstbeschwerdeführer "Bestätigungen" über jene Personen ausgestellt, die er im fraglichen Zeitraum zu beerdigen gehabt habe. Deshalb sei er Mitte Oktober 2012 von maskierten Männern aus seinem Haus verschleppt, mehrere Stunden festgehalten und dabei misshandelt worden. Bis zu seiner Ausreise habe sich der Erstbeschwerdeführer sodann bei seinem Bruder versteckt. Im Fall seiner Rückkehr in die Russische Föderation fürchtet der Erstbeschwerdeführer getötet zu werden. Die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer brachten keine eigenen Fluchtgründe vor, jedoch wurde angegeben, dass der Fünftbeschwerdeführer an "Trisomie 21" leide.

2. Mit Bescheiden vom jeweils wies das Bundesasylamt die Anträge aller Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ab und wies selbige aus dem österreichischen Staatsgebiet in die Russische Föderation aus. Begründend wurde hiezu – im Wesentlichen – ausgeführt, dass das Fluchtvorbringen auf Grund von Widersprüchen in den Aussagen des Erstbeschwerdeführers bzw. zwischen jenen und den Aussagen der Zweitbeschwerdeführerin nicht glaubhaft sei. Die Beschwerdeführer würden sich zur Begründung ihrer Asylanträge eines "reinen Konstrukts" bedienen.

3. In der gegen die abweisenden Bescheide des Bundesasylamtes eingebrachten gemeinsamen Beschwerde führten die Beschwerdeführer insbesondere aus, dass das erstinstanzliche Verfahren mangelhaft geführt und vorgelegte Beweise nicht berücksichtigt worden seien. Sie beantragten die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof und die Aufhebung der erstinstanzlichen Bescheide durch diesen.

4. Mit den vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen Entscheidungen vom jeweils wies der Asylgerichtshof – ohne eine mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben – die Beschwerden aller Beschwerdeführer gemäß §§3, 8 und 10 AsylG 2005 als unbegründet ab.

4.1. Auf den Erstbeschwerdeführer Bezug nehmend führte der Asylgerichtshof – zusammengefasst – wie folgt aus:

"Das Bundesasylamt hat im o.a. Bescheid vom bereits in seiner Beweiswürdigung dargelegt, dass die vom Beschwerdeführer präsentierte Fluchtgeschichte bzw. Bedrohungssituation aufgrund zahlreicher Ungereimtheiten und aufgrund der Widersprüche zwischen den Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau nicht glaubhaft sei und somit als nicht den Tatsachen entsprechend gewertet werden muss. Auch der erkennende Senat des Asylgerichtshofes kommt in einer Gesamtbetrachtung des Vorbringens des Beschwerdeführers zu der Überzeugung, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat nicht asylrelevant verfolgt wurde.

Der Beschwerdeführer hat kurz zusammengefasst vorgebracht, dass es im Jahr 2000 in seinem Dorf Säuberungsaktionen gegeben habe, dabei viele Menschen getötet worden seien und der Beschwerdeführer die Leichen beerdigt und Listen mit jenen Leuten, deren Begräbnisse er durchgeführt habe, erstellt habe. Außerdem habe er Menschenrechtsorganisationen Interviews gegeben und über die Vorfälle berichtet. Im Jahr 2012 habe der Beschwerdeführer Probleme mit den russischen Behörden bekommen, weil er Angehörigen von im Jahr 2000 getöteten Personen, deren Begräbnisse er organisiert habe, Bestätigungen ausgestellt habe, damit diese Entschädigungszahlungen von den russischen Behörden erhalten. Er sei einmal mitgenommen und misshandelt worden und habe sich daher zur Ausreise entschlossen.

Wie die belangte Behörde zu Recht festgestellt hat, muss dem Beschwerdeführer vorgehalten werden, dass er im Rahmen der Einvernahme beim Bundesasylamt die Vorfälle im Jahr 2000 wesentlich detailgetreuer wiedergegeben hat, als die angeblichen Ereignisse im Jahr 2012. Hinsichtlich der aktuellen Fluchtgründe ist zu bemängeln, dass er von sich aus weder Details vorgebracht hat, noch sind aus seinen Schilderungen Ausführungen hervorgegangen, die von einer Erzählung sprechen lassen, die sich auf wahre Begebenheiten beziehen. Auch für den erkennenden Senat entsteht daher der Eindruck, dass der Beschwerdeführer die aktuellen Ausreisegründe – aufbauend auf tatsächlichen Geschehnissen im Jahr 2000 – lediglich konstruiert hat, um seine Ausreise zu rechtfertigen. Darauf deuten nicht nur die vagen Schilderungen, sondern vor allem die in weiterer Folge aufzuzeigenden Widersprüche in den Angaben des Beschwerdeführers, auch im Verhältnis zu den Aussagen seiner Ehefrau, hin.

So haben sich die Angaben des Beschwerdeführers – wie die belangte Behörde richtigerweise bemängelt – bereits zu Beginn der Einvernahme am grob zu seinen Angaben in der Erstbefragung widersprochen. In der Erstbefragung sagte der Beschwerdeführer nämlich, dass er im Oktober 2012 von vier maskierten Männer entführt und mit dem Umbringen bedroht worden sei, wenn er weitere Interviews gebe. Im Rahmen der Einvernahme beim Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer aber an, dass ihm bezüglich der Ausstellung von Bestätigungen von Opfern des Tschetschenienkrieges des Jahres 2000 gedroht worden sei. Ein weiterer Widerspruch ist, dass der Beschwerdeführer in der Erstbefragung noch behauptet hat, seine Ehefrau habe nach seiner Entführung Anzeige bei der Polizei erstattet. Im Zuge der Einvernahme beim Bundesasylamt hat der Beschwerdeführer angegeben, die Ehefrau hätte ein Schreiben an die Staatsanwaltschaft und Bezirkspolizeistation mit der Bitte aufgesetzt, den Beschwerdeführer nicht zu verfolgen. Auch der Beschwerdeführer habe einen Brief geschrieben. Weggeschickt haben sie die Briefe aber nie, da der Beschwerdeführer Angst gehabt habe. Auf Vorhalt, der Beschwerdeführer habe bei der Erstbefragung angegeben, dass seine Ehefrau eine Anzeige bei der Polizei erstattet habe, sagte der Beschwerdeführer in der Einvernahme lediglich, das habe sie nicht gemacht. Sie habe dieses Schreiben wegschicken wollen, habe es aber nicht getan. Dies ist auch aus Sicht des erkennenden Senates allerdings keine überzeugende Erklärung für die unterschiedlichen Aussagen.

Weiters ist zu bemängeln, dass der Beschwerdeführer die angebliche Entführung im Jahr 2012 vage und widersprüchlich – insbesondere im Verhältnis zu den Aussagen seiner Ehefrau – dargestellt hat. Beispielsweise gibt es gänzlich unterschiedliche Angaben über die angeblichen Entführer. So gab der Beschwerdeführer zu Beginn der Einvernahme am an, dass Mitte Oktober 2012 in der Nacht zwei maskierte Männer in den Hof gekommen seien. Weitere zwei unmaskierte Männer seien in der Dunkelheit gestanden. Im Zuge der Einvernahme wurde der Beschwerdeführer erneut zum Vorfall Mitte Oktober befragt und gab plötzlich an, dass vier Männer in Tarnanzügen gekommen seien. Drei davon seien in den Hof gegangen. Sie seien maskiert gewesen. Einer sei auf der Straße gestanden. Eine weitere Version erzählte die Ehefrau des Beschwerdeführers. Ihren Schilderungen nach habe sie vier Männer gesehen, die um ihren Mann herum gestanden seien und ihn gepackt haben. Eine Erklärung dieser offensichtlichen Widersprüche lieferten der Beschwerdeführer und seine Ehefrau aber nicht, auch nicht im Rahmen der Beschwerdeschrift.

Hinsichtlich der angeblichen Entführung des Beschwerdeführers gibt es aber noch weitere Widersprüche zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau. Der Beschwerdeführer gab an, dass er gehört habe, dass seine Familie geweint und geschrien habe, als er von den Entführern brutal gepackt und in ein Auto gezerrt worden sei. Die Ehefrau sagte zwar auch, dass sie geschrien und geweint habe, das der Beschwerdeführer dies aber nicht hätte hören können, da ihr Mann zu weit weg gewesen sei.

Ähnlich widersprüchlich sind auch die Angaben betreffend die vermeintlichen Bestätigungen, welche der Beschwerdeführer Angehörigen von im Jahr 2000 getöteten Personen ausgestellt haben will, insbesondere was die Reaktion der Ehefrau betrifft. Während der Beschwerdeführer aussagte, dass die Ehefrau, nachdem er ihr von den Bestätigungen erzählt habe, verlangt habe, dass er damit aufhöre und es deshalb Streit zwischen den Eheleuten gegeben habe, klingen die Aussagen der Ehefrau ganz anders. Sie sagt nämlich, dass es mit ihrem Mann wegen der Bestätigungen keinen Streit gegeben habe. Sie begrüßte viel mehr die Tätigkeit ihres Mannes und sagte, dass man helfen soll, wenn man kann. Dieser und sämtliche zuvor angeführten Widersprüche und unterschiedlichen Schilderungen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau zeigen, dass die aktuelle Fluchtgeschichte nicht den Tatsachen entspricht, sondern lediglich ein gedankliches Konstrukt darstellt. Die Widersprüche betreffend Details der angeblichen Vorfälle deuten somit auch aus Sicht des erkennenden Senates darauf hin, dass das Vorbringen nicht der Wahrheit entspricht.

Nicht nachvollziehbar ist auch, dass Personen vom Beschwerdeführer die Ausstellung der erwähnten Bestätigungen erbeten haben, zumal der Beschwerdeführer – wie bereits vom Bundesasylamt angemerkt – kein Sachverständiger ist und es daher nicht glaubwürdig ist, dass die betroffenen Personen lediglich aufgrund der Ausstellung dieser Bestätigungen durch den Beschwerdeführer staatlichen Anspruch auf Entschädigungen oder Schmerzensgeldzahlungen hätten. In der Beschwerde bemängelt der Beschwerdeführer lediglich, dass ihm die belangte Behörde zu Unrecht vorgehalten habe, kein Sachverständiger zu sein und kritisiert, das Bundesasylamt hätte sich besser erkundigen sollen, wie es damals im tschetschenischen Krieg zugegangen sei. Eine geeignete Erklärung, welche die Asylbehörden davon überzeugen, dass er eine wichtige Person sei, deren Bestätigungen für die russischen Behörden relevant wären, konnte der Beschwerdeführer aber nicht liefern.

[…]

Der Beschwerdeführer moniert weiters, auf Seite 11 Punkt B) des angefochtenen Bescheides seien alle Beweismittel aufgezählt worden, jedoch seien die Beweise des Asylwerbers, die er den Erstbehörden angeboten habe, ohne Begründung abgelehnt und nicht einmal im besagten Bescheid erwähnt worden. Dies seien ein Stick mit der Videoaufnahme, ein Antrag über die Befragung von zwei Zeugen (******** ****** und ******** ****, jeweils mit Telefonnummern), das Buch 'Säuberungs[ak]tion in ALDU', ein Antrag, dass die Erstbehörde eine Anfrage an die Menschenrechtsorganisation 'MEMORIAL' erstattet solle. Die Erstbehörde habe infolge vorgreifender Beweiswürdigung über folgende, vom Beschwerdeführer in Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht offengelegte Umstände keinerlei Erhebungen durchgeführt und auch die beantragten Beweismittel nicht aufgenommen. Dazu ist anzuführen, dass sich im Akt keinerlei Hinweise auf einen Stick mit einer Videoaufnahme, noch ein Antrag, dass die Erstbehörde eine Anfrage an die Menschenrechtsorganisation 'MEMORIAL' stellen solle, findet. Den Antrag über die Befragung der zwei genannten Zeugen mit Telefonnummern legte der Beschwerdeführer erst im Rahmen der Beschwerde […] vor. Insoweit kann dem Bundesasylamt kein Vorwurf gemacht werden, dass auf diese Beweismittel nicht Bezug genommen wurde. Soweit auf das Buch 'Säuberungs[ak]tion in ALDU' hingewiesen wird, ist zu sagen, dass die Hintergründe dieses Buches, nämlich die Vorfälle im Jahr 2000 auch vom erkennenden Senat nicht in Zweifel gezogen werden und dem Beschwerdeführer auch geglaubt wird, dass er die damaligen Ereignisse selbst miterlebt hat. Die mehr als 12 Jahre zurückliegenden Vorfälle sind aber insofern unbeachtlich, als nur eine aktuelle Verfolgung relevant ist und der Sachverhalt aus dem Jahr 2012 – wie bereits ausgeführt – vage und widersprüchlich und daher unglaubwürdig ist.

[…]

Abschließend ist noch zu erwähnen, dass der Beschwerdeführer in der Beschwerde geltend gemacht hat, im Jahr 2007 habe der Europäische Gerichtshof in Straßburg acht Tschetschenen Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 273.000 Euro zugesprochen, weil ihre Angehörigen im Februar und August 2000 bei Militäreinsätzen durch die russische Armee getötet worden seien. In seinen Einvernahmen habe der Beschwerdeführer konkrete Namen von Zivilisten genannt, die im Februar 2000 ermordet worden seien und deren Verwandte haben vom Beschwerdeführer verlangt, dass er darüber Aussagen als Zeuge vor den russische Behörden mache, was er auch getan habe. Ohne auf Einzelheiten und konkrete Namen einzugehen, ist es nicht nachvollziehbar, dass Personen, denen bereits 2007 vom Europäischen Gerichtshof Schmerzensgeld zugesprochen wurde, erst im Jahr 2012 zum Beschwerdeführer kommen und um Bestätigungen bitten."

4.2. Betreffend die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer stellte der Asylgerichtshof – im Wesentlichen – fest, dass sich die mangelnde Asylrelevanz von deren Vorbringen aus der Unglaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers ergebe. Hinsichtlich der Erkrankung des Fünftbeschwerdeführers stellte der Asylgerichtshof fest, dass diese einer Rückführung nicht entgegenstehe und dass die Versorgung von Patienten mit "Trisomie 21" in der Russischen Föderation gewährleistet sei.

5. Gegen die o.a. angeführten Entscheidungen des Asylgerichtshofes richtet sich die vorliegende gemeinsame Beschwerde der fünf Beschwerdeführer, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, u.a. gemäß ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen beantragt wird.

5.1. Begründend wird dazu – zusammengefasst – Folgendes ausgeführt:

"Im Ergebnis sind […] die Feststellungen sowie die Beweiswürdigung des Asylgerichtshofes mit jenen/jener des Bundesasylamtes ident. Der Asylgerichtshof folgt in seiner Feststellung, die Angaben der Beschwerdeführer seien nicht glaubwürdig, zu 100% den Ausführungen des Bundesasylamtes. Tatsächlich hätte sich der Asylgerichthof selbst ein Bild über die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführer sowie der Fluchtgeschichte machen können und auch sollen.

[…]

Im Rahmen einer ordnungsgemäßen amtswegigen Ermittlungstätigkeit, z.B. im Rahmen einer mündlichen Verhandlung, in welcher er die Beschwerdeführer vernehmen hätte könne[n], hätte der Asylgerichtshof sich selbst ein Bild von der Glaubwürdigkeit der Angaben der Beschwerdeführer machen können und sollen und zwar unter Bedachtnahme auf folgende berücksichtigungswürdige Umstände:

[…]

- Die Beschwerdeführer sind im Rahmen des ihnen Möglichen ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen. Sie haben alle ihnen zur Verfügung stehenden Unterlagen und Beweismittel vorgelegt und im Rahmen ihrer Vernehmungen wahrheitsgemäße und detaillierte Angaben gemacht;

[…]

- Dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin wird vorgeworfen, ihre Angaben seien widersprüchlich und ergäben sich daraus zahlreiche Ungereimtheiten. Die Fluchtgeschichte sei lediglich konstruiert. Sämtliche Widersprüche und Ungereimtheiten wurden den Beschwerdeführern vom Asylgerichtshof negativ angelastet, und zwar ohne jeglichen Versuch diese im Rahmen weiterer Ermittlungen aufzuklären. Gerade die scheinbar widersprüchlichen Angaben der Beschwerdeführer lassen jedoch darauf schließen, dass die Fluchtgeschichte nicht frei erfunden ist. Wäre diese nämlich lediglich erfunden, so wären die Angaben des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin mit Sicherheit ident. Diese hatten schließlich lange genug Zeit um sich eine Geschichte zusammenzureimen.

[…] Ordnungsgemäße amtswegige Ermittlungen, etwa im Rahmen einer an die Beschwerdeführer gerichteten Aufforderung zur Stellungnahme, mediale Recherchen usw., hätten es dem Asylgerichtshof zudem erlaubt, die vom Bundesasylamt besonders negativ hervorgehobenen und zu Lasten der Beschwerdeführer[…] gewerteten Widersprüche und Ungereimtheiten in Bezug auf einige für seine Entscheidung wesentliche[…] Punkte, welche wesentlich zur Unglaubwürdigkeit beigetragen haben, aufzuklären, und zwar:

- Der Asylgerichthof führt in seiner Entscheidung aus, es sei nicht nachvollziehbar, dass Personen, [die] bereits 2007 vom Europäischen Gerichtshof Schmerzengeld erhalten hätten, erst im Jahr 2012 zum Erstbeschwerdeführer gekommen wären, um sich Bestätigungen zu holen.

Tatsächlich sind jene Personen, welche im Jahr 2007 vom Europäischen Gerichtshof Schmerzengeld erhalten haben, nicht mit jenen Personen ident, welche sich im Jahr 2012 zwecks der Bestätigungen an den Erstbeschwerdeführer gewandt hatten.

- Der Asylgerichtshof zweifelte an dem Vorbringen, dass im September 2012 darüber gesprochen worden wäre, dass die Angehörigen der im Rahmen der Säuberungsaktionen getöteten Personen Schmerzengeldzahlungen von der Russischen Föderation erhalten sollten und sich daher an den Erstbeschwerdeführer gewandt hatten.

Die Zweifel des Asylgerichtshofes an diesem Vorbringen sind unbegründet und hätte[…] der Asylgerichtshof im Rahmen zusätzlicher Ermittlungen festgestellt, dass diese Angaben der Realität entsprechen. Da er diesbezüglich nicht auf die Angaben der Beschwerdeführer vertraut, hätte er z.B. mediale Recherchen durchführen können.

- Der Erstbeschwerdeführer sei kein Sachverständiger und sei es daher nicht nachvollziehbar, dass sich Angehörige der Getöteten an ihn gewendet hätten um Bestätigungen zu erhalten.

Dem ist Folgendes [e]ntgegenzuhalten. Der Erstbeschwerdeführer weiß genau[,] wer, wann, wo getötet und begraben wurde und gilt daher als wichtige Informationsquelle. Das Buch 'Säuberungsaktion in Aldy' enthält ebenfalls diese für die Hinterbliebenen wichtigen Informationen. Dieses Buch wurde jedoch aus dem Verkehr gezogen, um die Weitergabe dieser Informationen und in weiterer Folge die Geltendmachung der Schadenersatzansprüche gegenüber der Russischen Föderation zu verhindern. Dass der Erstbeschwerdeführer kein Sachverständiger ist, kann ihm nicht vorgeworfen werden. Durch die Verwendung des Wortes 'Bestätigung' in einer nicht vom Beschwerdeführer beabsichtigten Weise, wird zu Unrecht der Anschein erweckt, es handle sich um ein amtliches Schriftstück, welches eine besondere Beweiskraft entfalte. Tatsächlich gilt der Erstbeschwerdeführer lediglich als Zeuge und ist, in Anbetracht der sehr beschränkten Informationsquellen, Lieferant unabdingbarer Informationen für potentielle schadenersatzrechtliche Verfahren gegen die Russische Föderation. Seinen 'Bestätigungen' kommt jedoch keine besondere, über die eines normalen frei zu würdigenden Beweismittels, Beweiskraft zu. Dass den Beschwerdeführer[n] zudem ihre Wortwahl ('Bestätigungen') nicht angelastet werden kann und darf, wurde bereits oben erörtert. Hätte der Asylgerichtshof weitere Ermittlungen angestellt und sich insbesondere mit de[n] Verfahrensbestimmungen der Russischen Föderation auseinandergesetzt, hätte er festgestellt, dass die Angaben der Beschwerdeführer der Wahrheit entsprechen und glaubwürdig sind.

- Der Erstbeschwerdeführer gab detailgetreu an, dass sich im September und Oktober 2012 die Familien *******, *********, *********, ********* und ****** an ihn gewandt hatten. Gerade der Umstand, dass der Erstbeschwerdeführer diese detaillierten Angaben nicht auf Anhieb sekundenschnell wiedergegeben hat, untermauert, wie bereits oben ausgeführt, die Glaubwürdigkeit seines Vorbringens. Da der Asylgerichtshof an der Glaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers zweifelte, hätte er wiederum auf der Grundlage des Beweisangebotes der Beschwerdeführer im Rahmen weiterer Ermittlungen, z.B. durch eine schriftliche Aufforderung an die genannten Familien eine Stellungnahme zu den Vorbringen abzugeben, diese Angaben des Erstbeschwerdeführers überprüfen können und hätte sich herausgestellt, dass diese der Wahrheit entsprechen.

- Der Erstbeschwerdeführer hat tatsächlich im Rahmen seiner ersten Vernehmung angegeben, die Entführer hätten ih[m] gedroht, sie werden ihn umbringen, sollte er weitere Interviews geben. Tatsächlich wurde das Wort 'Interview' nicht von den Entführern verwendet, sondern fälschlicherweise vom Erstbeschwerdeführer 'gewählt' bzw. verwendet. Die Entführer hatten nämlich ihre Drohung sehr allgemein formuliert. Sie meinten u.a., er solle aufhören so viel zu sprechen. Im Rahmen seiner Vernehmung am hat der Erstbeschwerdeführer sodann angegeben, die Männer haben ihn u.a. gefragt, ob 'er selber aufhören möchte, oder ob sie dabei nachhelfen sollten'. Tatsächlich handelt es sich daher bei diesen Aussagen […] um keinen Widerspruch und hätte sich dies im Rahmen einer Vernehmung des Erstbeschwerdeführers durch den Asylgerichtshof aufklären lassen.

- Einer der den Beschwerdeführern angelasteten Widersprüche ist/war, dass die Zweitbeschwerdeführerin zunächst von einer 'Anzeige'[,] sodann jedoch von einem 'Petitionsschreiben' gesprochen habe. In beiden Fällen handelt es sich um Schriftstücke und wurden diese lediglich unterschiedlich bezeichnet.

- Der Erstbeschwerdeführer hätte nicht hören können, dass die übrigen Beschwerdeführer geweint und geschrien haben, als er brutal gepackt und ins Auto gezerrt wurde, da er zu weit weg gewesen sei. Auch in diesem Punkt widersprächen sich die Angaben des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin. Tatsächlich hat der Erstbeschwerdeführer im Rahmen seiner Vernehmung am lediglich angegeben, seine Familie hätte geschrien und geweint, nicht aber, dass er das Weinen und Schreien seiner Familie gehört hätte. Die Angaben der Beschwerdeführer sind daher nicht widersprüchlich.

Hätte sich der Asylgerichtshof ein eigenes Bild über die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführer gemacht und weitere Ermittlungen geführt, so hätte er festgestellt, dass

- im September 2012 tatsächlich davon gesprochen wurde, dass die Angehörige[n] der im Rahmen der Säuberungsaktionen getöteten Personen, und zwar jene, welche[…] noch keine Schmerzengeldzahlungen im Rahmen des Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof im Jahr 2007 erhalten haben, nunmehr Schmerzengeldzahlungen von der Russischen Föderation erhalten sollten;

- Das Buch 'Säuberungsaktion in Aldy' aus dem Verkehr gezogen und dessen Autorin ermordet wurde;

- Der Erstbeschwerdeführer einer der wenigen verbliebenen Informationsquellen bzw. zur Auskunft bereiten Augenzeugen der Säuberungsaktionen im Jahr 2000 ist;

- sich die vom Erstbeschwerdeführer genannten Familien tatsächlich an den Erstbeschwerdeführer, als einer der wenigen Augenzeugen, gewendet hatten, um 'Bestätigungen' zu erhalten;

- der Erstbeschwerdeführer im Oktober des Jahres 2012 entführt, misshandelt und bedroht wurde und

- der Erstbeschwerdeführer daher tatsächlich einer aktuellen und konkreten Bedrohung und Verfolgung in der Russischen Föderation ausgesetzt war und ist und

- der Erstbeschwerdeführer daher die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten [g]emäß § 3 Abs 1 AsylG erfüllt." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

5.2. Weiters wird in der gemeinsamen Beschwerde vorgebracht, dass sich der Asylgerichtshof nicht hinreichend mit dem schlechten Gesundheitszustand des an Trisomie 21 leidenden Fünftbeschwerdeführers und dessen Behandlungsmöglichkeiten in der Russischen Föderation auseinandergesetzt habe.

6. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- bzw. Gerichtsakten vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragte im Übrigen die Beschwerde abzuweisen.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl I 100, lauten in der im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidungen geltenden Fassung wie folgt:

"Status des Asylberechtigten

§3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§2 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11) offen steht oder

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§6) gesetzt hat.

(4) Einem Fremden ist von Amts wegen und ohne weiteres Verfahren der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn sich die Republik Österreich völkerrechtlich dazu verpflichtet hat.

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

[…]

Status des subsidiär Schutzberechtigten

§8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11) offen steht.

(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs 1 oder aus den Gründen des Abs 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist von der zuerkennenden Behörde gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesasylamt für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

(5) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs 1 Z 2 gilt Abs 4 mit der Maßgabe, dass die zu erteilende Aufenthaltsberechtigung gleichzeitig mit der des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, endet.

(6) Kann der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden, ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen. Diesfalls ist eine Ausweisung aus dem Bundesgebiet zu verfügen, wenn diese gemäß § 10 Abs 2 nicht unzulässig ist. § 10 Abs 3 gilt.

(7) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten erlischt, wenn dem Fremden der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird.

[…]

Verbindung mit der Ausweisung

§10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird;

2. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird;

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der §§8 Abs 3a oder 9 Abs 2 vorliegt.

(2) Ausweisungen nach Abs 1 sind unzulässig, wenn

1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder

2. diese eine Verletzung von Art 8 EMRK darstellen würden. Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen:

a) die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

b) das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

c) die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

d) der Grad der Integration;

e) die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden;

f) die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

g) Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

h) die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

i) die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs 1 Z 1 verbunden ist, gilt stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

(5) Über die Zulässigkeit der Ausweisung ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß § 10 Abs 2 Z 2 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§45 und 48 oder §§51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

(6) Ausweisungen nach Abs 1 bleiben binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht.

(7) Wird eine Ausweisung durchsetzbar, gilt sie als durchsetzbare Rückkehrentscheidung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl I Nr 100, und hat der Fremde binnen einer Frist von 14 Tagen freiwillig auszureisen. Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht, wenn gegen den Fremden ein Rückkehrverbot erlassen wurde und für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 oder § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 38 durchführbar wird; in diesen Fällen hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

(8) Mit Erlassung der Ausweisung ist der Fremde über seine Pflicht zur unverzüglichen oder fristgerechten Ausreise und gegebenenfalls über die Möglichkeit eines Antrages auf Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise bei der örtlich zuständigen Fremdenpolizeibehörde (§55a FPG) zu informieren, insbesondere auf Rückkehrhilfe, sowie auf mögliche fremdenpolizeiliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung (§46 FPG) hinzuweisen."

III. Erwägungen

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Beschwerde ist auch begründet:

2.1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

2.2. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2.3. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Asylgerichtshof hier unterlaufen:

3.1. Der Asylgerichtshof stützt die hier angefochtenen Entscheidungen weitestgehend auf die erstinstanzlichen Bescheide und gelangt – wie zuvor das Bundesasylamt – zum Schluss, dass auf Grund der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens des Erstbeschwerdeführers eine Asylrelevanz weder in seinem Fall noch im Fall der übrigen Beschwerdeführer gegeben sei.

3.2. Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt festgehalten hat, entbindet auch eine Schilderung, die kaum glaubwürdig oder sogar irreal erscheint, die Asylbehörden nicht von ihrer Pflicht, die notwendigen Ermittlungen zu tätigen (vgl. u.a. VfSlg 16.297/2001, 19.273/2010). Dies muss freilich umso eher gelten, als – wie im vorliegenden Fall – von den Beschwerdeführern Beweise vorgelegt wurden, die für ihre Glaubwürdigkeit sprechen könnten.

3.3. So hat der Erstbeschwerdeführer – wie dem beigeschafften Verwaltungsakt zu entnehmen ist – bereits im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt detaillierte Angaben über die hier fraglichen Kriegsverbrechen und über jene Hinterbliebenen machen können, die an ihn herangetreten wären, um von ihm eine Bestätigung des Todes ihrer Angehörigen zu erhalten. Weiters gaben die Beschwerdeführer anlässlich ihrer Beschwerde gegen die erstinstanzlichen Bescheide zwei Zeugen an, die die Angaben des Erstbeschwerdeführers bestätigen könnten. Daneben wurde auf Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation "Memorial" verwiesen, denen der Erstbeschwerdeführer als Auskunftsperson gedient habe. Schließlich wurde betont, dass es durchaus einen Zusammenhang zwischen den Vorfällen im Februar 2000 und der Entführung des Erstbeschwerdeführers im Oktober 2012 gebe. So habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Hinterbliebenen der Opfer russischer Militäreinsätze finanzielle Entschädigungen zugesprochen (vgl. EGMR , Fall Estamirov ua., Appl. 60.272/00; , Fall Musayev ua., Appl. 57.941/00 ua.) und könne der Erstbeschwerdeführer als Zeuge für weitere Beschwerden gegen den russischen Staat dienen, weswegen man auch an ihn herangetreten sei.

3.4. In den hier angefochtenen Entscheidungen wurden weder die angebotenen Beweise angemessen gewürdigt noch wurde der entscheidungsrelevante Sachverhalt hinreichend geklärt. Zwischen der Asylantragstellung der Beschwerdeführer und dem Erlass der erstinstanzlichen Bescheide verging weniger als eine Woche, ohne dass die in russischer Sprache verfassten Beweismittel (Urkunden, ärztliche Atteste, Berichte über die hier relevanten Ereignisse ua.) übersetzt oder weitere Recherchen angestellt wurden. Der Asylgerichtshof ließ danach jene Beweismittel zwar übersetzen, führte aber – soweit dem beigeschafften Gerichtsakt zu entnehmen ist – keine darüber hinausgehenden Ermittlungen durch, sondern stützte die angefochtenen Entscheidungen – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – inhaltlich auf die Beweiswürdigung der Erstinstanz.

3.5. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach festgehalten hat, bewirkt das Absehen von einer – hier im Lichte des § 41 Abs 7 AsylG 2005 gebotenen – mündlichen Verhandlung durch den Asylgerichtshof eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 47 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (zB ua.; , U1257/2012; , U2600/2013).

3.6. Der Asylgerichtshof begründet seine abweisenden Entscheidungen insbesondere mit Widersprüchen in den Aussagen des Erstbeschwerdeführers bzw. zwischen seinen Aussagen und jenen der Zweitbeschwerdeführerin und leitet daraus die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens ab (vgl. die unter I.4.1. wiedergegebenen Auszüge aus der den Erstbeschwerdeführer betreffenden Entscheidung). Für diese Sachlage genügt es auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom , U1175/12 ua.; , U1257/2012 sowie , U2600/2013, zu verweisen.

3.7. Auch sind die Überlegungen und Schlussfolgerungen des Asylgerichtshofes hinsichtlich der zeitlichen Abfolge der Menschenrechtsverletzungen nicht nachvollziehbar, geht es doch gerade darum, dass der Erstbeschwerdeführer auch in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Zeuge vorgeladen werden könnte.

3.8. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die hier angefochtenen Entscheidungen nicht nachvollziehbar sind, der Asylgerichtshof wesentliche Parteivorbringen ignoriert und insgesamt kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren und keine mündliche Verhandlung durchgeführt hat.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtenen Entscheidungen in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art 47 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.

2. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 545,– enthalten.

Da im gegenständlichen Beschwerdeverfahren die Beschwerdeführer eine gemeinsame Beschwerde eingebracht haben, war bloß der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen (vgl. VfSlg 14.788/1997; ua.; , B1798/00 ua.).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2014:U1258.2013