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VfGH vom 21.11.2013, U1155/2013

VfGH vom 21.11.2013, U1155/2013

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags eines somalischen Staatsangehörigen auf internationalen Schutz mangels ausreichender Begründung der Entscheidung, insbesondere hinsichtlich der Identität des Beschwerdeführers sowie hinsichtlich der Frage nach der Minderheit des Clans der Sheikhal

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973). Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinem Fluchtvorbringen befragt brachte er vor, sein Vater habe für die Übergangsregierung gearbeitet und sei deswegen getötet worden. Auch sein Bruder sei getötet worden. Dem Beschwerdeführer selbst sei es gerade noch gelungen zu entkommen. Der Beschwerdeführer gehöre dem Stamm der Sheikal an. Ein stärkerer Stamm, die Hawiye bzw. deren Unterclan, die Habargidir, haben seinen Vater und seinen Bruder getötet und das Haus der Familie in Mogadischu enteignet. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Antrag im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl I 100/2005 idgF, abgewiesen. Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum erteilt.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 abgewiesen. Begründend führt der Asylgerichtshof aus, der Beschwerdeführer habe in der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem Bundesasylamt widersprüchliche Angaben gemacht. Sein Vorbringen sei vage geblieben, und auch auf Nachfrage habe er keine detaillierten Angaben gemacht. Auch aus der angegebenen Zugehörigkeit zum Stamm der Sheikhal ergebe sich keine Verfolgung, weil die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers nicht mit den Feststellungen übereinstimmen. Die Festnahme und Entführung durch die Al Shabaab habe der Beschwerdeführer selbst nicht als fluchtauslösendes Ereignis angegeben.

2. Gegen diese Entscheidung richtet sich die auf Art 144a B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art 47 GRC geltend gemacht wird.

3. Der Asylgerichtshof hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, aber keine Gegenschrift erstattet.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm wird weder in der Beschwerde behauptet noch sind im vorliegenden Fall Bedenken gegen die der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Bestimmungen entstanden.

Der Beschwerdeführer ist daher nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hierfür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Der Asylgerichtshof ist – ungeachtet der sinngemäßen Anwendung des AVG – nicht als Berufungsbehörde eingerichtet. Anders als die unabhängigen Verwaltungssenate und insbesondere noch der unabhängige Bundesasylsenat ist der Asylgerichtshof nicht eine Verwaltungsbehörde, sondern ein Gericht; anders als die Bescheide jener Behörden unterliegen seine Entscheidungen nicht der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes.

Bereits in der Entscheidung VfSlg 18.614/2008 hat der Verfassungsgerichtshof klargestellt, dass die rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an die Begründung einer gerichtlichen Entscheidung erfordern, dass sich Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung aus der Gerichtsentscheidung selbst ergeben; die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (vgl. VfSlg 17.901/2006, 18.000/2006).

3. Diesen Anforderungen hat der Asylgerichtshof mit der angefochtenen Entscheidung nicht entsprochen:

Der Beschwerdeführer hat im Verfahren einen Aufenthaltstitel für Flüchtlinge im Jemen vorgelegt sowie Zeugnisse aus dem Jemen und aus Somalia. Das Bundes asylamt erachtete die vorgelegten Unterlagen nicht als geeignet, das Vorbringen des Beschwerdeführers zu untermauern, weil Dokumente aus Somalia keinen Beweiswert (mehr) haben. Der Asylgerichtshof stellt in seiner Entscheidung fest, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe. Er setzt sich dabei aber ohne nähere Begründung mit der vom Beschwerdeführer vorgelegten Identitätskarte aus dem Jemen nicht auseinander (auch das Bundesasylamt ist auf diese Identitätskarte nicht eingegangen). Insbesondere enthält die angefochtene Entscheidung keine Begründung dafür, weshalb die Feststellungen zu Dokumenten aus Somalia auch für die Identitätskarte aus dem Jemen zutreffen und die Identität des Beschwerdeführers trotz eines vorgelegten Identitätsdokumentes nicht feststeht. Auch die übrigen vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen unterzieht der Asylgerichtshof keiner Beurteilung.

Weiters führt der Asylgerichtshof in seiner Beweiswürdigung aus, der Beschwerdeführer habe sich betreffend seine Ausreisemotive nur vage geäußert. Der Asylgerichtshof gehe in diesem Zusammenhang auch davon aus, dass der Beschwerdeführer trotz Nachfrage keine detaillierten Auskünfte zum angeblichen Todestag seines Bruders, an dem auch er selbst bedroht worden sein soll, zu tätigen vermochte. Weder begründet der Asylgerichtshof näher, weshalb er die Angaben des Beschwerdeführers für vage erachtet, noch gibt er zumindest die wesentlichen Passagen der Einvernahme des Beschwerdeführers wieder, sodass eine Überprüfung dieser Überlegungen nur in Zusammenschau mit dem Bescheid des Bundesasylamtes bzw. mit dem Verwaltungsakt möglich ist.

Dem Beschwerdeführer wird vorgehalten, sich in einen Widerspruch verstrickt zu haben, weil er einmal angeführt habe, sein Bruder sei in Mogadischu getötet worden, ein anderes Mal aber angegeben habe, sein Bruder sei in Garasbaalay ermordet worden. Zu diesem vermeintlichen Widerspruch ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt (auch) Folgendes angegeben hat: "Danach im Jahre 2008 haben wir jene Adresse verlassen und flüchteten wir in ein Dorf in Somali, namens Garasbaalay, das zwar noch zu Mogadischu Stadt gehört." Daraus ergibt sich, dass Garasbaalay – jedenfalls aus Sicht des Beschwerdeführers – zu Mogadischu gehört. Angesichts dieser Angaben stellt es keinen Widerspruch dar, wenn der Beschwerdeführer einmal sagt, sein Bruder sei in Mogadischu und ein anderes Mal, sein Bruder sei in Garasbaalay ermordet worden.

Schließlich führt der Asylgerichtshof aus, aus den Feststellungen ergebe sich, dass der Clan der Sheikhal, denen der Beschwerdeführer zugehört, kein Minderheitenclan sei. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer die Subclans der Sheikhal nicht mit den Feststellungen übereinstimmend angegeben und auch verneint, dass die Sheikhal aufgrund ihrer Religion einen privilegierten Status haben.

Wiederum bezieht sich der Asylgerichtshof auf die Feststellungen im Bescheid des Bundesasylamtes, ohne diese in den wesentlichen Punkten wiederzugeben, sodass auch hier eine Überprüfung nur in Zusammenschau mit dem Bescheid des Bundesasylamtes möglich ist. Weiters geht aus den im Bescheid des Bundesasylamtes getroffenen Feststellungen zur ethnischen Zugehörigkeit bzw. Clanzuge hörigkeit hervor, dass alle Gruppen oder Clans, die dort, wo sie leben, zahlenmäßig in der Minderheit sind und denen es an militärischer Stärke mangelt, als Minderheit bezeichnet werden können. Zum Clan der Sheikhal gibt es nach den Feststellungen des Bundesasylamtes Quellen, die sie als Minderheitengruppe erachten und solche, die das nicht tun. Aus der Entscheidung des Asylgerichtshofes geht aber nicht hervor, aufgrund welcher Überlegungen die Sheikal trotz dieser Ermittlungsergebnisse kein Minderheitenclan sind bzw. der Beschwerdeführer keiner Bedrohung durch einen stärkeren Clan ausgesetzt sei.

Der Asylgerichtshof hat es daher unterlassen, seine Entscheidung ausreichend und in der rechtsstaatlich gebotenen Weise zu begründen, insbesondere im Hinblick auf die von ihm aus den Feststellungen des Bundesasylamtes gezogenen Schlüsse. Darüber hinaus ist die Begründung zum Teil aktenwidrig.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a iVm § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.