VfGH vom 22.11.2012, U1150/12
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Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Entscheidung des Asylgerichtshofes;
keine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen, kein ausreichendes Ermittlungsverfahren; willkürliches Verhalten des Asylgerichtshofes
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Pakistans, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund brachte er im Wesentlichen vor, eine Liebesbeziehung mit einem Mädchen gehabt zu haben, dessen mächtige und politisch sehr einflussreiche Familie dieses jedoch mit einem anderen Mann habe verheiraten wollen; die Brüder des Mädchens hätten den Beschwerdeführer daher mit dem Umbringen bedroht; nachdem das Mädchen Selbstmord begangen habe, wolle sich dessen Familie am Beschwerdeführer rächen.
In seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am wurden dem Beschwerdeführer (vorwiegend aus 2009 stammende) Länderberichte zu Pakistan zur Stellungnahme vorgehalten. Der Beschwerdeführer verzichtete auf die Erstattung einer Stellungnahme.
1.2. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge: AsylG 2005) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan aus.
In der Begründung dieses Bescheids wird u.a. ausgeführt, dass die Behörde zur Entscheidungsfindung die Zusammenstellung der Staatendokumentation zur Lage im Herkunftsland des Beschwerdeführers herangezogen habe. Unter der Überschrift "Feststellungen" heißt es im Bescheid u.a.:
"Der Entscheidung werden folgende Feststellungen
zugrunde gelegt:
[...]
- zur Lage in ihrem Herkunftsland:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Pakistan" (weitere Ausführungen dazu fehlen) |
In weiterer Folge wird angeführt, dass die Feststellungen zum Herkunftsland auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation des Bundesasylamtes basierten.
1.3. In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen
Beschwerde an den Asylgerichtshof bringt der Beschwerdeführer unter Hinweis auf von ihm näher zitierte Länderberichte aus 2009 und 2010 u.a. vor, sich nicht an die pakistanische Polizei gewandt zu haben, weil diese "landesweit von Korruption durchzogen" sei; die pakistanischen Behörden böten keinen Schutz gegen Verfolger, die - wie jene des Beschwerdeführers - politisch einflussreich seien; die Exekutive nütze außerdem die Notlage verfolgter Personen oft aus, um Bestechungsgelder zu verlangen; auf Grund der Korruption der pakistanischen Polizei sei es dem Beschwerdeführer nicht möglich, in einem anderen Landesteil Schutz vor Verfolgung zu finden.
1.4. Der Asylgerichtshof wies die Beschwerde des Beschwerdeführers mit Entscheidung vom gemäß § 3, § 8 Abs 1 Z 1 und § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 ab.
Begründend wird u.a. ausgeführt, das Bundesasylamt habe zur Lage in Pakistan "ausführliche Feststellungen" getroffen, "[d]eren wesentliche[n] Teile" in der Entscheidung des Asylgerichtshofes wiedergegeben würden. Es folgt die Wiedergabe von (vorwiegend aus 2009 stammenden) Länderberichten zu Pakistan, wobei unter der Überschrift "Korruption" u.a. ausgeführt wird, dass Korruption in der Regierung und in der Polizei weit verbreitet sei, Beamte, die in Korruption verwickelt seien, oft straffrei ausgingen und die Annahme von Bestechungsgeldern zur Vermeidung einer Anklage weit verbreitet sei. Der Asylgerichtshof verweist in weiterer Folge zur Lage in Pakistan "auf die Feststellungen der belangten Behörde", beweiswürdigt die vom Bundesasylamt herangezogenen Quellen und hält fest, dass "sich diese auch mit den aktuelleren Quellen des AsylGH (vgl etwa den der Akte beiliegenden Bericht [...], Stand Juni 2011 sowie Feststellungen des BAA zu Pakistan, Stand Februar 2012) decken"; der Beschwerdeführer sei "den Quellen und deren Kernaussagen nicht konkret und substantiiert entgegen[getreten]". Es wird weiters festgestellt, dass "im Herkunftsstaat der bP Behörden [existieren,] welche zur Strafrechtspflege [...] berufen und auch effektiv tätig sind. Die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Behörden ist somit gegeben". Der Beschwerdeführer habe "weder behauptet noch bescheinigt, dass [...] die Polizei oder auch andere für den Rechtsschutz eingerichtete Institutionen grds. nicht einschreiten würden [...]. Darauf weisen auch die den Feststellungen des BAA bzw. des AsylGH zu Grunde liegenden Quellen nicht hin, wenngleich die Berichte zu erkennen geben, dass durchaus auch noch erhebliche Defizite bestehen, ergibt sich [...] aus den vom Bundesasylamt bzw. vom AsylGH herangezogenen Quellen, dass im Herkunftsstaat der bP kein genereller Unwille bzw. die Unfähigkeit der Behörden herrscht, Schutz zu gewähren". Der Beschwerdeführer habe "nicht konkret und substantiiert den Unwillen und die Unfähigkeit des Staates, gerade in [seinem] Fall Schutz zu gewähren[,] bescheinigt".
2. Gegen diese Entscheidung richtet sich die
vorliegende, auf Art 144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung "einer gemeinschaftsrechtswidrigen bzw verfassungswidrigen generellen Norm (§40 AsylG, § 41 Abs 7 AsylG)" behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.
Der Beschwerdeführer bringt dazu u.a. vor, der Asylgerichtshof leite aus den von ihm angeführten Länderfeststellungen zu Pakistan ab, dass für den Beschwerdeführer die Möglichkeit bestehe, in einem anderen Landesteil gefahrlos zu leben; die vom Asylgerichtshof zitierten Länderberichte enthielten kritische Angaben über die Effektivität der pakistanischen Sicherheitsverwaltung in Bezug auf den Schutz von Einzelpersonen vor Verfolgung durch Dritte; der Asylgerichtshof habe keine Ermittlungen dazu angestellt, ob der Beschwerdeführer im konkreten Fall von den pakistanischen Sicherheitsbehörden vor Übergriffen durch die Familie der verstorbenen Freundin geschützt werden könne.
Der Beschwerdeführer erachtet § 40 AsylG 2005 und § 41 Abs 7 leg.cit. als "im Widerspruch zu den gemeinschaftsrechtlichen Garantien der Verfahrensrichtlinie [...] und der Rückführungsrichtlinie [...] im Zusammenhalt mit Art 47 GRC" stehend. Die behauptete Unionsrechts- bzw. Verfassungswidrigkeit wird dabei nur hinsichtlich der Bestimmung des § 41 Abs 7 AsylG 2005 näher begründet.
3. Der belangte Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II. Erwägungen
1. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen § 41 Abs 7
AsylG 2005 keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. , U1836/11). Gegen § 40 leg.cit. sind vor dem Hintergrund des vorliegenden Beschwerdefalls ebenfalls keine Bedenken entstanden; auch der Beschwerdeführer bringt zu der von ihm behaupteten Rechtswidrigkeit dieser Bestimmung nichts Substantiiertes vor.
2.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden,
nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit.
gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Schließlich ist von einem willkürlichen Verhalten auch auszugehen, wenn die Behörde die Rechtslage gröblich bzw. in besonderem Maße verkennt (zB ; VfSlg. 18.091/2007, 19.283/2010 mwN).
2.2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem
belangten Asylgerichtshof hier vorzuwerfen:
Die dem Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am vorgehaltenen Länderberichte zu Pakistan decken sich ersichtlich nicht mit jenen, die der Asylgerichtshof in seiner Entscheidung wiedergibt und auf die er sich ausdrücklich stützt. Die vom Asylgerichtshof zur Entscheidungsfindung herangezogenen Länderberichte sind nämlich umfangreicher als jene, die dem Beschwerdeführer in seiner erstinstanzlichen Einvernahme vorgehaltenen wurden. So fehlen den dem Beschwerdeführer vorgehaltenen Länderberichten die in der asylgerichtlichen Entscheidung wiedergegebenen Ausführungen zu "Politik/Wahlen", "Regionalen Problemzonen", "Sicherheitsbehörden", "Korruption", "Menschenrechtsorganisationen", "Meinungs- und Pressefreiheit", "Opposition", "Religion", "Minderheiten", "Binnenflüchtlingen", "Medizinischer Versorgung", "Medizinischer Infrastruktur", "Staatsbürgerschaft".
Der Beschwerdeführer hat in seiner Beschwerde an den Asylgerichtshof Länderberichte zitiert, um die seiner Meinung nach in Pakistan herrschende Korruption der Polizei nachzuweisen; der Beschwerdeführer bringt in seiner Beschwerde insbesondere vor, die pakistanischen Behörden böten keinen Schutz gegen Verfolger, die - wie jene des Beschwerdeführers - politisch einflussreich seien, und nütze die Exekutive die Notlage verfolgter Personen aus, um Bestechungsgelder zu verlangen. Obwohl dem Beschwerdeführer Berichte zum Thema "Korruption" im Verfahren vor dem Bundesasylamt nicht vorgehalten wurden und sich auch im Bescheid des Bundesasylamts überhaupt keine Feststellungen zur Lage in Pakistan finden (es ist im Bescheid nur die Überschrift "Pakistan" abgedruckt), führt der Asylgerichtshof aus, das Bundesasylamt habe zur Lage in Pakistan "ausführliche Feststellungen" getroffen, auf die der Asylgerichtshof verweise und die sich mit den "aktuelleren" Quellen des Asylgerichtshofes deckten. Ohne dem Beschwerdeführer die vom Asylgerichtshof herangezogenen Berichte zumindest zum Thema "Korruption" in Pakistan vorzuhalten, stellt der Asylgerichtshof die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der pakistanischen Behörden fest.
2.3. Dadurch, dass der Asylgerichtshof dem Beschwerdeführer wesentliche Teile der Länderfeststellungen nicht zur Stellungnahme vorgehalten hat, obwohl dieser in seiner Beschwerde Länderberichte zum Thema Korruption zitiert hat, hat der Asylgerichtshof in einem entscheidenden Punkt das notwendige Parteiengehör unterlassen und somit kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt; es ist ihm daher ein willkürliches Vorgehen anzulasten. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die angefochtene Entscheidung war daher
aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a iVm § 88
VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.