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VfGH vom 19.09.2011, U1131/11

VfGH vom 19.09.2011, U1131/11

19467

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren bzw keine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die Abweisung seiner Berufung (nunmehr: Beschwerde) gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Georgien und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der am geborene Beschwerdeführer, ein georgischer Staatsbürger, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, von bewaffneten Leuten "der Regierung" an seinem Arbeitsplatz bedroht worden zu sein, die auf der Suche nach Videomaterial seines Vaters gewesen seien und sich nach dem Aufenthaltsort seiner Mutter erkundigt hätten. Sein Vater sei Filmregisseur gewesen und hätte in Südossetien und Abchasien "Probleme des Staates", wahrscheinlich Mordtaten, gefilmt. Er sei daraufhin verfolgt worden und ein Jahr vermisst gewesen. Während dieser Zeit sei sein Vater gefoltert worden, um das Videomaterial herauszugeben. Da auch die Mutter des Beschwerdeführers bedroht worden wäre, sei sie nach Österreich geflüchtet, wo ihr Asyl gewährt worden sei. Nach dem Vorfall an seinem Arbeitspatz sei schließlich auch der Beschwerdeführer geflüchtet.

2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Asylantrag mit Bescheid vom gem. § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I 100, ab, erkannte dem nunmehrigen Beschwerdeführer gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Georgien nicht zu und wies ihn gem. § 10 Abs 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien aus.

3. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom hat der Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Abhaltung einer mündlichen Verhandlung in allen drei Spruchpunkten als unbegründet abgewiesen. Begründend führte der AsylGH u.a. aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer seinen Heimatstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hätte oder er nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte. Weiters lägen keine stichhaltigen Gründe vor, dass er konkret Gefahr liefe, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. Todesstrafe unterworfen zu werden. Angesichts eines offenbar losen bis gar nicht bestehenden Kontaktes des Beschwerdeführers zu seinem Vater erscheine es höchst unplausibel, dass allfällige staatliche Verfolger ein tatsächliches Interesse am Beschwerdeführer gezeigt hätten, wenn diese bereits zuvor den Vater selbst in ihrer Gewalt gehabt und keine Informationen über die begehrten Filmaufnahmen erlangt hätten.

4. Gegen diese Entscheidung des AsylGH richtet sich die auf Art 144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom . Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

5. Der AsylGH hat als belangtes Gericht von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen, auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung verwiesen und die Verfahrensakten übermittelt.

II. Rechtslage

1. Gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I 100, ist einem/einer Fremden, der/die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des/der Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm/ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

2. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz "in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen", so ist einem/einer Fremden gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG der Status des/der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, "wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des/der Fremden in seinen/ihren Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn/sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde".

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Berufung (nunmehr: Beschwerde) gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien richtet, begründet.

1. In der Sache

1.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

1.2. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

1.3. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

1.4. Ein solches Verhalten ist dem belangten AsylGH vorzuwerfen: Betreffend die Gefährdungssituation des Beschwerdeführers im Hinblick auf eine mögliche unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (Art3 EMRK) lässt das Erkenntnis eine hinreichende Auseinandersetzung vermissen.

1.4.1. Der AsylGH hat insoweit Ermittlungstätigkeiten in einem entscheidungswesentlichen Punkt unterlassen, als er sich nicht mit der Frage befasst hat, ob der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, um den Aufenthaltsort seiner Mutter preiszugeben. In diesem Zusammenhang wäre eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Mutter des Beschwerdeführers erforderlich gewesen. Im Gegensatz zum Beschwerdeführer wurde ihr Asyl gewährt und wurde ihr Vorbringen offenbar für glaubwürdig befunden. Ihr Vorbringen gleicht dem Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Verfolgung seines Vaters, dessen Verschwindens und der Bedrohungssituation insgesamt und sie hat bei ihrer Einvernahme nachweislich darauf hingewiesen, dass ganz besonders der Beschwerdeführer bedroht worden wäre.

1.4.2. Das Fluchtvorbringen der Mutter des Beschwerdeführers steht also in Zusammenhang mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers. Dieser hat bei seiner Einvernahme erklärt, keine Kenntnis vom Inhalt der Filmaufnahmen seines Vaters gehabt zu haben und erst von seiner Mutter erfahren zu haben, dass die bewaffneten Personen, die ihn in ziviler Kleidung an seinem Arbeitsplatz aufgesucht und bedroht hätten, "Leute der Regierung" gewesen wären. Weiters hat er betont, dass diese auf der Suche nach seiner Mutter gewesen wären, weil sie gewusst oder gedacht hätten, dass sich das gesuchte Videomaterial bei ihr befände. Deswegen kann das Bestehen eines realen Risikos, dass der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr nach Georgien Gefahr liefe, nunmehr wegen seiner Mutter (und nicht mehr nur wegen seinem Vater), in unmenschlicher oder erniedrigender Weise behandelt zu werden, ohne weitere Ermittlungstätigkeiten nicht ausgeschlossen werden.

1.4.3. Der AsylGH hat daher Ermittlungstätigkeiten in einem entscheidungswesentlichen Punkt unterlassen und den Beschwerdeführer dadurch in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

2. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

2.1. Das Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem entscheidungswesentlichen Punkt führt dazu, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist (vgl. ). Die angefochtene Entscheidung ist daher, soweit sie die Abweisung der Berufung (nunmehr: Beschwerde) gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien betrifft, aufzuheben. Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Vorbringen zu diesem Punkt nicht mehr einzugehen.

2.2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88 iVm 88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.

2.3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 3 Z 1 und Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

B. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit damit die Abweisung der Berufung (nunmehr: Beschwerde) an den AsylGH gegen die Abweisung des Asylantrages bekämpft wird, abgelehnt.

1.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

1.2. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der dazu aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

1.3. Deswegen wurde beschlossen, von der Behandlung der Beschwerde abzusehen, soweit darin die Abweisung der Berufung (nunmehr: Beschwerde) an den AsylGH gegen die Abweisung des Asylantrages bekämpft wird (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).