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VfGH vom 01.07.2009, U1104/08

VfGH vom 01.07.2009, U1104/08

Sammlungsnummer

18832

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Ausweisung eines Asylwerbers infolge fehlerhafter bzw unzureichender Interessenabwägung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Die Entscheidung wird im Umfang ihres Spruchpunktes III. aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist ein am geborener

Staatsbürger Nigerias und stellte am einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Diesen Antrag begründete er damit, dass ihm in Nigeria die Todesstrafe drohen würde.

Seit ist der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet.

2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Asylantrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idgF (im Folgenden: AsylG 1997) ab, erklärte gemäß § 8 Abs 1 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach Nigeria für zulässig und wies den nunmehrigen Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

3. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom hat der Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) mit dem angefochtenen Erkenntnis gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I 101/2003 abgewiesen sowie festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 iVm § 50 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I 100/2005, zulässig ist und den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen. Im Erkenntnis führt der AsylGH u.a. aus, dass der Beschwerdeführer unglaubwürdig sei, da er sein Geburtsjahr falsch angegeben habe. Daraus resultiere eine absolute Unglaubwürdigkeit und sei dem Vorbringen die Asylrelevanz zu versagen.

Zum Familien- und Privatleben legte der AsylGH zunächst die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) und des Verwaltungsgerichtshofes dar und führt dann dazu aus:

"Beim Beschwerdeführer liegt weiters keine Selbsterhaltungsfähigkeit vor, er wird vielmehr von seiner Ehefrau erhalten, es kann daher außer seiner Eheschließung nicht von einer darüber hinausgehenden beruflichen oder sozialen Verfestigung, die eine 'gelungene Integration' erkennen lassen würde, gesprochen werden.

Wie oben erwähnt ist dem Asylwerber auch eine Reintegration im Heimatstaat auch unter Fortsetzung seines Familienlebens in Nigeria durchaus zumutbar und möglich. Die Frage, inwieweit in Österreich sesshaften Familienangehörigen des Ausländers, diesen in die Heimat begleiten können, um das Familienleben fortzusetzen, stellt nach der Judikatur des EGMR und des VwGH einen wichtigen Aspekt dar. Dieser betrifft nicht nur die Möglichkeit einer gemeinsamen Niederlassung im Heimatstaat, sondern auch die Zumutbarkeit einer 'Begleitung' des Asylwerbers durch seine Angehörigen.

In Nigeria wird Englisch gesprochen, die Bevölkerung in Nigeria gehört zu einem nicht unbeträchtlichen Anteil der christlichen Religion an, welche auch die Ehegattin des Beschwerdeführers hat, es gibt von der Verfassung her garantierte Grundrechte, große Städte, wo Frauen in keinster Weise mit einer Diskriminierung rechnen müssen und auch gute Chancen am Arbeitsmarkt vorfinden, sodass davon ausgegangen werden kann, dass eine Übersiedlung der Ehegattin, welche zum Zeitpunkt der Eheschließung ja ebenfalls damit rechnen musste, dass der Aufenthalt ihres Ehegatten in Österreich zeitlich begrenzt ist, mit dem Beschwerdeführer nach Nigeria durchaus möglich und zumutbar ist."

4. Gegen diese Entscheidung des AsylGH richtet sich die auf Art 144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom . Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie der in Art 3 und 8 EMRK gewährleisteten Rechte geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Der AsylGH habe willkürlich gehandelt, die tatsächlichen Gegebenheiten in Bezug auf die Anwendung der Scharia verkannt und jegliche Feststellung und Interessenabwägung im Hinblick auf das aufrechte Eheleben unter Einbeziehung der Gattin des Beschwerdeführers unterlassen.

5. Der AsylGH hat als belangtes Gericht von einer Gegenschrift abgesehen, auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung verwiesen und die Verfahrensakten übermittelt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die vom BAA verfügte Ausweisung wendet, begründet:

1. Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

2.1. Dem AsylGH ist ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen:

2.2. Wie bereits in der zur fremdenrechtlichen Ausweisung ergangenen Judikatur ausgeführt (vgl. VfGH, , B328/07, VfSlg. 18.223/2007 ua.) bezweifelt der Verfassungsgerichtshof nicht, dass die Schaffung eines Ordnungssystems, mit dem die Einreise und der Aufenthalt von Fremden geregelt wird, auch im Lichte der Entwicklungen auf europäischer Ebene notwendig ist. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art8 Abs 2 EMRK) daher ein hoher Stellenwert zu. Nichts anderes gilt auch für den Fall einer mit einer Abweisung oder Zurückweisung eines Asylantrags ausgesprochenen Ausweisung eines Asylwerbers.

Wie die zuständige Fremdenpolizeibehörde ist aber auch der eine Ausweisung aussprechende AsylGH bzw. das BAA stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art 8 EMRK abzuwägen.

2.3. Der EGMR hat fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

Er hat etwa die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR , Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; , Fall Ghiban, Appl. 11.103/03, NVwZ 2005, 1046), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR , Fall Abdulaziz ua., Appl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; , Fall Al-Nashif, Appl. 50.963/99, ÖJZ 2003, 344; , Fall X, Y und Z, Appl. 21.830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR , Fall Boultif, Appl. 54.273/00), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR , Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; , Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; , Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch ; , 2002/21/0124), die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR , Fall Mitchell, Appl. 40.447/98; , Fall Useinov, Appl. 61.292/00) für maßgeblich erachtet.

Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (EGMR , Fall Mitchell, Appl. 40.447/98; , Fall Solomon, Appl. 44.328/98; , Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562).

2.4. Der AsylGH erwähnt zwar jene Kriterien, die sich aus dem Urteil Boultif des EGMR für die Zumutbarkeit des Familiennachzugs von österreichischen Staatsbürgern in das Herkunftsland des Beschwerdeführers ergeben, begnügt sich dann aber mit einigen allgemeinen Sätzen ohne aber die konkrete persönliche Situation der österreichischen Staatsbürgerin zu ermitteln und in der Begründung darauf einzugehen.

Dabei sind aber sämtliche Kriterien zu beachten, die sich aus dem Urteil ergeben.

2.5. Auch aus der jüngsten Rechtsprechung des EGMR (so etwa EGMR , Fall Darren Omoregie and others vs. Norway, Appl. 265/07) kann nicht abgeleitet werden, dass der EGMR von den im Fall Boultif entwickelten Kriterien abgehen wollte und diese bei Heirat eines Asylwerbers nicht zu beachten wären. Das Bestehen eines unsicheren Aufenthaltes des Asylwerbers bei Eheschließung ist aber nur eines der bei der Interessenabwägung zu beachtenden Kriterien.

Der Unterschied des Falles Darren Omoregie and others vs. Norway zum vorliegenden Beschwerdefall besteht auch darin, dass im erstgenannten Fall bereits eine rechtskräftige Ausweisung vorlag, während im vorliegenden Fall das Asyl- und Ausweisungsverfahren zum Zeitpunkt der Heirat nicht abgeschlossen war, sodass auch die näheren persönlichen Umstände der Zumutbarkeit der Übersiedlung der österreichischen Ehegattin in das Heimatland des Beschwerdeführers zu untersuchen gewesen wären.

3. Der Beschwerdeführer ist somit durch den Spruchpunkt III. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Der Spruchpunkt III. der angefochtenen Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

B. Die Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde an den AsylGH sowie gegen die Zulässigkeitsentscheidung hinsichtlich der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung richtet, wird aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde behauptet weiters die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie der in Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte.

Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem EGMR [s. etwa EGMR , Fall Soering, EuGRZ 1989, 314 (319); , Fall Vilvarajah ua., ÖJZ 1992, 309 (309); , Fall Hilal, ÖJZ 2002, 436 (436 f.)] davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuweisen - oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen -, unter dem Blickwinkel des Art 3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl. VfSlg. 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).

Der AsylGH hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl. VfSlg. 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005 sowie ). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, insoweit sie die Abweisung des Asylantrages und die Entscheidung über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung betrifft, abzusehen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten (vgl. ).

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 3 Z 1 und Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.