VfGH vom 05.06.2014, U1083/2013

VfGH vom 05.06.2014, U1083/2013

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung des Beschwerdeführers nach Afghanistan; keine ausreichenden Ermittlungen, insbesondere zur Lage in der Heimatprovinz Daykundi

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan und seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan abgewiesen wird, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein im Zeitpunkt der Entscheidung des Asylgerichtshofes mündiger minderjähriger Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste am in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 38/2011 (im Folgenden: AsylG 2005) (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 leg. cit. (Spruchpunkt II.) abgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – gemäß §§3, 8 und 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Begründend führte der Asylgerichtshof zusammengefasst aus:

2.1. Der Beschwerdeführer sei afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, bekenne sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam und spreche neben Dari auch Farsi. Er sei mit zwei Frauen verheiratet und Vater dreier Kinder; seine Familie lebe zur Gänze in Afghanistan. Der Beschwerdeführer sei nicht politisch aktiv gewesen, nicht vorbestraft und habe auch sonst keine über das Antragsvorbringen hinausgehenden Probleme im Herkunftsstaat.

Als fluchtauslösendes Ereignis habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen vorgebracht, er habe Afghanistan verlassen, da er mit drei Cousins und einer weiteren Person einen Mullah ermordet hätte, nachdem dieser zuvor drei Brüder des Beschwerdeführers getötet hätte; zudem würde ihm der Bruder seiner ersten Frau nach dem Leben trachten, da dieser gegen die Heirat des Beschwerdeführers mit dessen zweiter Frau gewesen sei.

Die Angaben des Beschwerdeführers seien widersprüchlich und in Folge dessen das Fluchtvorbringen nicht glaubwürdig. Die Angaben des Beschwerdeführers in den behördlichen Einvernahmen (Erstbefragung und zwei Einvernahmen vor dem Bundesasylamt) seien in wesentlichen Details (insbesondere hinsichtlich der konkreten Umstände des behaupteten Mordes, bezüglich der Todeszeitpunkte und Todesumstände der Geschwister, des Zeitpunkts der Eheschließung mit seiner ersten Frau) eklatant voneinander abgewichen. Der Beschwerdeführer habe daher kein ihn persönlich betreffendes, zusammenhängendes und einigermaßen konsistentes Vorbringen erstatten können, so dass es ihm nicht gelungen sei, eine an asylrelevante Merkmale im Sinne der GFK anknüpfende Verfolgung in Afghanistan glaubhaft zu machen. Vor diesem Hintergrund sei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht notwendig gewesen (§41 Abs 7 AsylG 2005).

2.2. Gleichfalls habe kein Risiko einer Verletzung der Art 2 oder 3 EMRK festgestellt werden können. Hierzu führt der Asylgerichtshof aus:

"Aus den im Verfahren herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergibt sich zwar, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil ist, doch variiert dabei die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt.

Was die Sicherheitslage im Raum Kabul betrifft, ist festzuhalten, dass seit August 2008 die Sicherheitsverantwortung für den städtischen Bereich der Provinz Kabul nicht länger in den Händen von ISAF, sondern der afghanischen Armee und Polizei liegt. Diesen ist es nach anfänglichen Schwierigkeiten 2010 gelungen, Zahl und Schwere umgesetzter sicherheitsrelevanter Zwischenfälle deutlich zu reduzieren. Die positive Entwicklung der Sicherheitslage in Kabul erlaubt es mittlerweile sogar, in Abstimmung zwischen der Stadtverwaltung, nationalen und internationalen Sicherheitskräften mit dem Rückbau von Betonbarrieren und Verkehrsbeschränkungen zu beginnen. Die für die Bevölkerung deutlich spürbare Verbesserung der Sicherheitslage im Stadtbereich Kabuls geht weniger zurück auf eine Verminderung der Bedrohung (Anschlagsversuche, Eindringen von Aufständischen usw.), als vielmehr auf die Verbesserung vorbeugender Sicherheitsmaßnahmen. Medienwirksame Anschläge auf Einrichtungen mit Symbolcharakter sind dennoch auch künftig nicht auszuschließen (siehe deutsches Auswärtiges Amt, 'Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan' vom , Seite 14).

Beim BF handelt es sich um einen arbeitsfähigen und gesunden Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Es ist daher anzunehmen […], dass er im Herkunftsstaat in der Lage sein wird, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes Auskommen zu sichern und somit nicht in eine hoffnungslose Lage zu kommen. Der BF verfügt ferner über eine mehrjährige Berufserfahrung als Landwirt und Schweißer, sowie über im Familienbesitz befindliche Grundstücke.

Darüber hinaus verfügt der BF seinen eigenen Angaben nach in seiner Heimatprovinz nach wie vor über enge familiäre Anknüpfungspunkte. So sind sein Vater, seine (Stief-)Mutter, zwei Ehefrauen, drei Söhne, ein Neffe sowie mehrere weitere Verwandte dort aufhältig. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass dem BF im Fall der Rückkehr im Rahmen seines Familienverbandes jedenfalls eine wirtschaftliche und soziale Unterstützung (zunächst vor allem mit Wohnraum und Nahrung) zuteil wird. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der BF den Großteil seiner bisherigen Lebenszeit in seiner Heimatprovinz verbracht hat und somit mit den dortigen örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten vertraut ist.

Im gegenständlichen Fall haben sich in einer Gesamtschau der Angaben des BF und unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in Afghanistan herangezogenen Erkenntnisquellen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, wonach die unmittelbar nach erfolgter Rückkehr allenfalls drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus bei objektiver Gesamtbetrachtung für den BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben würde, die im Lichte der oben angeführten Rechtsprechung einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art 3 EMRK darstellen und somit einer Rückführung nach Afghanistan entgegenstehen würde. Die bloße Möglichkeit einer allenfalls drohenden extremen (allgemeinen) Gefahrenlage reicht nicht aus, sondern es müssen vielmehr konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde ( Zahl 98/21/0427; , Zahl 2002/18/0028; vgl. dazu auch Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom , Zahl BVerwG 10 C10.09). Wie der EGMR in seinem Urteil vom , N. vs. Schweden, Zahl 23505/09, Rz 52, ausgeführt hat, stellt sich die Lage in Afghanistan trotz der verfügbaren Berichte über ernste Menschenrechtsverletzungen jedenfalls nicht so dar, dass gleichsam jede Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung der EMRK bedeuten würde, sondern es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob auf Grund der persönlichen Situation des Betroffenen die Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung des Art 3 EMRK darstellen würde.

Auch wenn in Afghanistan die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist, kann im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass es dem BF unter Berücksichtigung seiner oben dargelegten persönlichen Verhältnisse im Fall der Rückkehr nach Afghanistan durchaus möglich und zumutbar ist, von der Hauptstadt Kabul aus in seinen Heimatort in der Provinz Daykundi zu gelangen, wo er nach wie vor über ein soziales bzw. familiäres Netz verfügt. Letztlich steht dem BF ergänzend auch die Möglichkeit offen, sich unmittelbar nach erfolgter Ankunft an in Kabul ansäßige staatliche, nicht-staatliche oder internationale Hilfseinrichtungen, im Speziellen solche für Rückkehrer aus dem Ausland, zu wenden, wenngleich nicht verkannt wird, dass von diesen Einrichtungen individuelle Unterstützungsleistungen meist nur in sehr eingeschränktem Ausmaß gewährt werden können."

2.3. Eine Verletzung des Rechts auf Privat- und Familienleben durch die Ausweisung sei nicht zu erkennen: Der unbescholtene Beschwerdeführer sei illegal nach Österreich eingereist, er habe keine Verwandten im Bundesgebiet und sei allfällige freundschaftliche Beziehungen – die mit Blick auf die zeitlichen Aspekte des Falles noch nicht weit entwickelt sein könnten – zu einem Zeitpunkt eingegangen, zu dem er sich seiner unsicheren aufenthaltsrechtlichen Position bewusst sein musste. Da der Beschwerdeführer keiner regelmäßigen erlaubten Erwerbstätigkeit nachgehe und über keine ausreichenden Deutschkenntnisse verfüge, erscheine seine Selbsterhaltungsfähigkeit auf Dauer nicht gesichert; zudem sei eine soziale Integration schon aufgrund des zeitlichen Aspekts nicht zu erkennen, zumal der Beschwerdeführer auch keine Bildungseinrichtungen besuche. Demgegenüber bestehe nach wie vor eine starke familiäre, kulturelle und sprachliche Bindung zum Heimatstaat, sodass der Beschwerdeführer jederzeit in der Lage sei, in Afghanistan wieder Fuß zu fassen.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die auf Art 144a B VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art 47 GRC und Art 3 EMRK sowie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) gerügt wird. Begründend führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass die Entscheidung des Asylgerichtshofes willkürlich ergangen sei, da sich dieser mit dem vorgebrachten Fluchtgrund des Beschwerdeführers in keiner Weise inhaltlich auseinandergesetzt, sondern bloß allgemein die Unglaubwürdigkeit seiner Angaben angenommen habe. Tatsächlich seien jedoch die vom Asylgerichtshof als Widersprüche gewerteten inhaltlichen Abweichungen in den Aussagen des Beschwerdeführers auf sprachliche Missverständnisse, das Fehlen jeglicher Schulbildung beim Beschwerdeführer, die abweichende Zeitrechnung nach dem islamischen Kalender, sowie auf durch die Flucht bedingte seelische und psychische Belastungen des Beschwerdeführers zurückzuführen. Des Weiteren habe es der Asylgerichtshof verabsäumt, die Sicherheitslage in Daykundi – der Heimatregion des Beschwerdeführers – bzw. in Keity – dem Heimatdistrikt des Beschwerdeführers – zu erheben. Auf dieser Grundlage hätte der Asylgerichtshof prüfen müssen, ob dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in seine Heimatregion in Afghanistan zumutbar ist. Schließlich habe es der Asylgerichtshof unzulässiger Weise offen gelassen, inwiefern sich der Beschwerdeführer auf seinem – vom Asylgerichtshof als zumutbar bezeichneten – Weg von Kabul in seinen Heimatort tatsächlich bestehender Unterstützungsmöglichkeiten hätte bedienen können.

4. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, nahm aber von einer Stellungnahme in der Sache Abstand.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan sowie die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan richtet, begründet:

1.1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken (zB VfSlg 18.614/2008, 18.741/2009, 18.986/2010, 19.455/2011).

1.2. Ein solch willkürliches Verhalten ist dem Asylgerichtshof bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten aus folgendem Grund vorzuwerfen:

1.2.1. Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Das Vorhandensein einer Unterkunft und die Möglichkeit der Versorgung im Zielstaat können unter dem Gesichtspunkt des Art 3 EMRK relevant sein (VfSlg 19.602/2011 mwN).

1.2.2. Der Asylgerichtshof stellt im Einklang mit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. etwa ; vgl. ferner und ) und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (s. etwa EGMR , Fall N. , Appl. 23.505/09 [Rz. 52], , Fall J.H. , Appl. 48.839/09 [Rz. 55 f.] sowie ferner EGMR , Fall H. und B. , Appl. 70.073/10 ua [Rz. 100 f.]) fest, die aktuelle Lage in Afghanistan sei nicht so, dass sie für den Beschwerdeführer als Zivilperson in jedem Fall eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringe. Nicht jede Rückkehr nach Afghanistan stelle eine Verletzung der EMRK dar. Es sei vielmehr in jedem Einzelfall zu prüfen, ob auf Grund der persönlichen Situation des Betroffenen die Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung des Art 3 EMRK darstelle.

Auch wenn in Afghanistan die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, könne im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass es dem Beschwerdeführer unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse im Fall der Rückkehr nach Afghanistan durchaus möglich und zumutbar sei, von der Hauptstadt Kabul aus in seinen Heimatort in der Provinz Daykundi zu gelangen, wo er nach wie vor über ein soziales bzw. familiäres Netz verfüge. Letztlich stehe es dem Beschwerdeführer auch offen, sich an in Kabul ansäßige staatliche, nicht-staatliche oder internationale Hilfseinrichtungen, im Speziellen solche für Rückkehrer aus dem Ausland, zu wenden, wenngleich nicht verkannt werde, dass von diesen Einrichtungen individuelle Unterstützungsleistungen meist nur in sehr eingeschränktem Ausmaß gewährt werden könnten.

1.2.3. Für die zur Prüfung der Notwendigkeit subsidiären Schutzes erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt (vgl. § 8 Abs 1 AsylG 2005) auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr abzustellen. Kommt die Herkunftsregion des Beschwerdeführers als Zielort wegen der dem Beschwerdeführer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes verwiesen werden (vgl. zuletzt mit Verweis auf bzw. ).

Der Asylgerichtshof geht zwar davon aus, dass der Beschwerdeführer in seiner Heimatprovinz Daykundi leben könne, wobei er für diese Annahme maßgeblich auf das dort bestehende soziale und familiäre Netz sowie ferner auf die – zumindest dem Grunde nach bestehende – Möglichkeit des Beschwerdeführers abstellt, sich unmittelbar nach erfolgter Ankunft an in Kabul ansässige staatliche, nicht-staatliche oder internationale Hilfseinrichtungen zu wenden. Mit der in Daykundi bestehenden Sicherheitslage setzt sich der Asylgerichtshof jedoch nicht auseinander, sondern verweist im Wesentlichen auf die vom Bundesasylamt zu dessen Entscheidungsfindung herangezogenen Länderberichte, welche jedoch nur Angaben zur Situation in Kabul enthalten. Nun variiert jedoch die Sicherheitslage in Afghanistan – wie auch der Asylgerichtshof selbst festgestellt hat – von Provinz zu Provinz. Aufgrund im Entscheidungszeitpunkt aktueller Länderberichte ist davon auszugehen, dass die Sicherheitslage im Süden Afghanistans – wo auch die Heimatprovinz des Beschwerdeführers Daykundi liegt – schlecht ist und sich dort die militärischen Operationen der ISAF konzentrieren (s. ). Da der Asylgerichtshof davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer nach Daykundi zurückkehren kann, hätte er sich aber mit Länderberichten betreffend die dortige Situation auseinandersetzen müssen (vgl. zu einem ganz ähnlich gelagerten Fall jüngst sowie und die dort zitierte Judikatur).

1.2.4. Überdies hat der Asylgerichtshof bloß in pauschaler Weise ausgeführt, dass es dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar sei, von Kabul aus in die Heimatprovinz Daykundi zu gelangen, ohne jedoch Feststellungen zum konkreten Reiseweg zu treffen (vgl. dazu etwa sowie abermals und die dort zitierte hg. Judikatur).

1.2.5. Auch wenn man die Ausführungen des Asylgerichtshofes zur Sicherheitslage in Kabul und zur Möglichkeit, sich in Kabul an Hilfseinrichtungen zu wenden, so versteht, dass der Asylgerichtshof von Kabul als alternativem Zielort ausgeht, hätte er die Entscheidung mit einem Begründungsmangel belastet: Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht gestützt auf die Afghanistan-Richtlinien des UNHCR davon aus, dass die Übersiedlung in einen anderen Teil Afghanistans zumutbar sei, wenn Schutz durch die eigene Großfamilie, Gemeinschaft oder Stamm am Zielort verfügbar ist; alleinstehenden Männern und Kleinfamilien sei es unter bestimmten Umständen auch möglich, ohne Unterstützung durch Familie und Gemeinschaft in städtischen oder halbstädtischen Gebieten mit existenter Infrastruktur und unter effektiver staatlicher Kontrolle zu überleben. Wegen des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Zusammenhalts in Afghanistan, der durch jahrzehntelange Kriege, massive Flüchtlingsströme und Landflucht verursacht worden sei, sei aber eine Prüfung jedes einzelnen Falles notwendig (EGMR, , Fall Husseini , Appl. 10.611/09, Rz. 96; , Fall H. und B. , Appl. 70.073/10 und 44.539/11, Rz. 45 und 114). Eine derartige Einzelfallprüfung bezogen auf Kabul hat der Asylgerichtshof jedoch unterlassen (vgl. ; , U1006/12). Ob der Beschwerdeführer etwa vor seiner Flucht in Kabul gelebt habe oder dort über sonstige soziale oder familiäre Anknüpfungspunkte verfüge, hat der Asylgerichtshof nicht geprüft (vgl. ). Auch im Hinblick auf die Möglichkeit, sich in Kabul an Hilfseinrichtungen zu wenden, lässt der Asylgerichtshof die, angesichts seiner eigenen Feststellung, dass diesen nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten zukämen, notwendige Prüfung, inwieweit der Beschwerdeführer wirklich von ihnen unterstützt werden könne, vermissen (vgl. zuletzt mit Verweis auf und , U1325/12).

1.2.6. Der Asylgerichtshof belastet zusammengefasst seine Entscheidung mit Willkür, weil er sich nicht mit der Sicherheit des Beschwerdeführers in seiner Heimatprovinz und der Möglichkeit, dorthin zu gelangen, bzw. der Frage auseinandersetzt, ob der Beschwerdeführer über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte in Kabul verfügt, die es ihm ermöglichen, seinen Lebensunterhalt zu sichern, oder ob der Beschwerdeführer auch ohne solche Anknüpfungspunkte seinen Lebensunterhalt derart sichern kann, dass er nicht in eine Art 3 EMRK widersprechende, aussichtslose Lage gelangt. Er unterlässt sohin jegliche Ermittlungstätigkeit in entscheidenden Punkten. Die angefochtene Entscheidung ist daher, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, aufzuheben.

2. Da die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 voraussetzt, dass der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, ist die bekämpfte Entscheidung, soweit der Beschwerdeführer damit aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen wird, ebenfalls aufzuheben.

3. Soweit die Beschwerde die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten bekämpft, wird ihre Behandlung aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichthof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen. Insbesondere konnte der Asylgerichtshof in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgehen, dass das einschlägige Vorbringen des Beschwerdeführers unglaubwürdig ist.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit damit die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten bekämpft wird, abzusehen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973).

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und die Ausweisung nach Afghanistan abgewiesen wird, aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz bzw. § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2014:U1083.2013