VfGH vom 07.10.2011, U1060/10

VfGH vom 07.10.2011, U1060/10

******

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren bzw keine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass sein Leben aufgrund von Problemen mit dem obersten Priester eines Schreinkultes, dem er seine Dienste verweigert habe, in Gefahr sei.

2. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 105/2003 (im Folgenden: AsylG 1997) ab, stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 zulässig sei und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) an den Asylgerichtshof wies dieser mit Erkenntnis vom gemäß §§7, 8 Abs 1 AsylG 1997 und § 10 Abs 1 Z 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 122/2009 (im Folgenden: AsylG 2005) ab.

Begründend führt der Asylgerichtshof - unter Erwähnung der Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung - darin aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers aufgrund von Widersprüchen unglaubwürdig sei, weshalb die Flüchtlingseigenschaft nicht festgestellt werden könne. Weiters seien keine Umstände amtsbekannt, dass in Nigeria eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Es gebe derzeit keinen Konflikt, der sich auf das gesamte Staatsgebiet von Nigeria beziehe; die bestehenden Konflikte seien vielmehr lokal begrenzt. Bei dem Beschwerdeführer handle es sich um einen volljährigen, jungen Mann, dem es zumutbar sei, in Nigeria für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Hinsichtlich der Ausweisungsentscheidung hält der Asylgerichtshof fest, dass der Beschwerdeführer zwar seit über drei Jahren ein Familienleben mit seiner österreichischen Ehefrau führe, die Ehe sei jedoch zu einem Zeitpunkt geschlossen worden, in dem bereits die negative erstinstanzliche Entscheidung ergangen gewesen sei und dem Beschwerdeführer sein unsicherer Aufenthaltsstatus somit habe bewusst sein müssen. Zwar verkenne der Asylgerichtshof nicht, dass der Ehefrau des Beschwerdeführers eine Übersiedlung nach Nigeria nicht zumutbar sei, es sei ihr jedoch zumutbar, durch regelmäßige Besuche das gemeinsame Familienleben aufrecht zu erhalten. Im Hinblick auf den erfolgenden Eingriff in das Privatleben sei zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer zwar seit fünfeinhalb Jahren im österreichischen Bundesgebiet aufhalte, jedoch aufgrund einer letztlich unberechtigten Asylantragstellung lediglich zum bloß vorübergehenden Aufenthalt berechtigt gewesen sei. Das Vorliegen einer besonderen Integration sei nicht erkennbar. Nach Ansicht des Asylgerichtshofs überwögen daher die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet.

4. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die "Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte" sowie die Verletzung in Rechten "wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm" behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch die von ihm bekämpfte Entscheidung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt. Er bringt dazu u.a. vor, dass die Interessenabwägung im Sinne von Art 8 EMRK zu seinen Gunsten hätte ausfallen müssen und ihm darüber hinaus ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht zustehe.

5. Der belangte Asylgerichtshof hat die Verwaltungsakten des Bundesasylamtes sowie die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen und beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Beschwerdeführer behauptet, durch die "Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm" in seinen Rechten verletzt zu sein. Dabei unterlässt er es jedoch, konkrete Normen zu bezeichnen. Gegen die angewendeten Bestimmungen hegt der Verfassungsgerichtshof keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Der Beschwerdeführer ist daher durch die angefochtene Entscheidung nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.

2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Für Entscheidungen des AsylGH gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2.1. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:

Zwischen Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides und der Entscheidung des Asylgerichtshofes sind mehr als fünfeinhalb Jahre vergangen. Die im Bescheid des Bundesasylamtes enthaltenen - knappen - Ausführungen zur Lage in Nigeria sind also nicht mehr aktuell. Der Asylgerichtshof hat in der bekämpften Entscheidung zur Lage in Nigeria im Wesentlichen lediglich festgehalten, "dass keine Umstände amtsbekannt [sind], dass in Nigeria eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre, und besteht auf dem Gebiet Nigerias auch kein landesweiter internationaler oder innerstaatlicher Konflikt". Es ist nicht ersichtlich, auf Grundlage welcher aktuellen Länderberichte der Asylgerichtshof zum Ergebnis gelangt, dass eine Gefährdung von Rechten nach Art 2 und 3 EMRK - im Falle einer Abschiebung - nicht vorliegt. Ermittlungen zu entscheidungsrelevanten Sachverhalten hinsichtlich der Refoulementprüfung fehlen damit zur Gänze (vgl. VfSlg. 18.646/2008 sowie ; , U1286/10).

2.2. Der Asylgerichtshof hat dem Beschwerdeführer auch weder im Vorfeld noch bei der mündlichen Verhandlung selbst aktuelle Länderberichte zur Kenntnis gebracht; auch sonst wurde dem Beschwerdeführer keine Möglichkeit zur schriftlichen oder mündlichen Stellungnahme zu den Länderberichten gegeben.

2.3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt in Verbindung mit der mangelnden Einräumung von Parteiengehör führt dazu, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

Die Entscheidung ist daher aufzuheben. Damit war auf das weitere Beschwerdevorbringen hinsichtlich einer Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts nach Art 8 EMRK nicht mehr einzugehen.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,-

enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.