VfGH vom 21.09.2012, U1032/12

VfGH vom 21.09.2012, U1032/12

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Entscheidung des Asylgerichtshofes; Unterlassung der Ermittlungstätigkeit in entscheidungswesentlichen Punkten; willkürliches Verhalten des Asylgerichtshofes

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

Der Beschwerdeführer stellte am einen Asylantrag. Im Verfahren vor dem Bundesasylamt gab er zu Protokoll, nigerianischer Staatsangehöriger und seit 2006 - also seit seinem 13. Lebensjahr - Mitglied einer militanten Gruppe rund um T P gewesen zu sei. Im Zuge einer von dieser Gruppe zu verantwortenden Entführung im Jahr 2009 sei das Entführungsopfer getötet worden. In der Folge wäre es zu Feuergefechten zwischen den Militanten und Soldaten gekommen, im Zuge derer der Beschwerdeführer geflüchtet sei und das Land verlassen habe.

Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag und den Antrag auf Zuerkennung subsidiären Schutzes ab und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Staatsgebiet nach Nigeria aus. Gegen diese Entscheidungen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Asylgerichtshof. Dieser hielt das Vorbringen des Beschwerdeführers für nicht glaubwürdig, verwies hinsichtlich der Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers auf die Feststellungen des Bundesasylamtes und wies die Anträge des Beschwerdeführers auf Zuerkennung von internationalem Schutz - ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit Entscheidung vom ab und den Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet nach Nigeria aus.

Gegen diese Entscheidung des Asylgerichtshofs richtet sich die auf Art 144a B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der der Beschwerdeführer die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungsakten vor, sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab und beantragte die Beschwerde abzuweisen.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit.

gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Asylgerichtshof hier vorzuwerfen:

Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers führt der Asylgerichtshof aus:

"Bezüglich der Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wird auf die Feststellungen im Bescheid des Bundesasylamtes verwiesen und werden diese zum Inhalt gegenständlichen Erkenntnisses erklärt, zumal sich in Nigeria seit Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides keine maßgeblichen Änderungen in politischer oder auch in allgemeiner Hinsicht ergeben haben".

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in VfSlg. 18.614/2008 festgestellt, dass es "grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstinstanzlich entscheidenden) Gerichts [widerspricht], wenn sich der Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung der Bescheide ergibt. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den VfGH möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006)."

Der Asylgerichtshof bediente sich damit aber nicht nur einer den rechtsstaatlichen Anforderungen nicht entsprechenden Begründungsform, er erklärt überdies jene Länderfeststellungen zum Inhalt seiner Entscheidung, die dem bereits über zwei Jahre alten Bescheid des Bundesasylamtes zugrunde gelegt waren. Diese waren zum Zeitpunkt der Entscheidung des Asylgerichtshofs etwa drei bis sechs Jahre alt.

Dadurch, dass der Asylgerichtshof in diesem

wesentlichen Punkt jede Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wurde der Beschwerdeführer durch die Entscheidung des Asylgerichtshofs in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit von Fremden untereinander verletzt (siehe auch ).

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-

enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.