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VfGH vom 11.06.2004, KR3/00

VfGH vom 11.06.2004, KR3/00

Sammlungsnummer

17209

Leitsatz

Feststellung der Befugnis des Rechnungshofes zur Einsichtnahme in Unterlagen betreffend Bezüge und Ruhebezüge im Bereich des ORF, der Wirtschaftskammer Steiermark und des Landes Niederösterreich zum Zweck der allgemeinen Gebarungsprüfung; keine Befugnis zur Einsichtnahme in sämtliche Unterlagen zum Zweck der namentlichen Einkommensberichterstattung gemäß dem BVG-Bezügebegrenzung 1997; Veröffentlichung der Bezüge unter Namensnennung nicht notwendig und angemessen im Sinne der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes im Vorabentscheidungsverfahren; Vorrang der unmittelbar anzuwendenden Datenschutz-Richtlinie

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Rechnungshof stellte am gemäß Art 126a B-VG den (hg. zZ KR3/00 protokollierten) Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge

"feststellen, dass der RH [= Rechnungshof] zum Zwecke der namentlichen Einkommensberichterstattung gem § 8 Abs 1 bis 3 BezBegrBVG befugt ist, in sämtliche Unterlagen der Marktgemeinde Kaltenleutgeben betreffend die von ihr in den Jahren 1998 und 1999 ausbezahlten Bezüge und Ruhebezüge Einschau zu halten".

1. Dem Antrag des Rechnungshofes liegt folgender - außer Streit stehender - Sachverhalt zugrunde:

Im April 2000 machte der Rechnungshof unter anderem die Gemeinde Kaltenleutgeben auf ihre "Meldepflichten" gemäß § 8 Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Begrenzung von Bezügen öffentlicher Funktionäre, BGBl. I 64/1997, (im Folgenden: BezBegrBVG) aufmerksam.

Mit Schreiben vom teilte die Gemeinde Kaltenleutgeben dem Rechnungshof die Bruttobezüge von zehn (1998) bzw. neun (1999) Personen unter Berufung auf Art 8 EMRK in anonymisierter Form mit.

Mit Schreiben vom teilte der Rechnungshof der Gemeinde Kaltenleutgeben mit, dass das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst die datenschutzrechtlichen Bedenken gegen § 8 BezBegrBVG als nicht überzeugend beurteilt habe, und ersuchte neuerlich um eine vollständige, den Erfordernissen des Einkommensberichtes entsprechende Meldung.

Mit Schreiben vom teilte die Gemeinde Kaltenleutgeben mit, dass sie keine personenbezogenen Daten gemäß § 8 BezBegrBVG an den Rechnungshof übermitteln werde.

Mit Schreiben vom informierte der Rechnungshof die Gemeinde Kaltenleutgeben davon, dass er voraussichtlich ab in die für die Erstellung des Berichtes des Rechnungshofes für die Jahre 1998 und 1999 gemäß § 8 Abs 1 bis 3 BezBegrBVG bedeutsamen Unterlagen (Rechnungsbücher, Belege, Personalakten, sonstige Behelfe) Einschau halten werde (§8 Abs 1 letzter Satz BezBegrBVG).

Am begannen die Beauftragten des Rechnungshofes mit den Einschauhandlungen; sie ersuchten die beauftragten Vertreter der Gemeinde, ihnen die Einschau in sämtliche für die Erstellung des Berichtes des Rechnungshofes gemäß § 8 Abs 1 bis 3 BezBegrBVG bedeutsamen Unterlagen zu ermöglichen. Die Vertreter der Gemeinde Kaltenleutgeben ließen die Einschau in die angeführten Unterlagen nicht zu und begründeten dies damit, dass Kaltenleutgeben eine Gemeinde mit weniger als 20.000 Einwohnern sei und daher nicht der Mitteilungspflicht gemäß § 8 Abs 1 BezBegrBVG unterliege. Weiters beriefen sich die Vertreter der Gemeinde Kaltenleutgeben auf Art 8

EMRK.

Die Prüforgane des Rechnungshofes erklärten, dass eine Behinderung des Rechnungshofes an der Vornahme von Einschauhandlungen vorliege, und setzten die Vertreter der Gemeinde Kaltenleutgeben darüber in Kenntnis, dass der Rechnungshof an den Verfassungsgerichtshof herantreten werde, um die von der Gemeinde Kaltenleutgeben bestrittene Zuständigkeit des Rechnungshofes zur Einschau in die angeforderten Unterlagen überprüfen zu lassen. Die Vertreter der Gemeinde Kaltenleutgeben nahmen dies zur Kenntnis. Darüber wurde eine Niederschrift aufgenommen und von den anwesenden Vertretern der Gemeinde und des Rechnungshofes unterfertigt.

2. Seinen Antrag begründet der Rechnungshof wie folgt:

"Gemäß § 8 Abs 1 BezBegrBVG haben Rechtsträger, die der Kontrolle des RH unterliegen, innerhalb der ersten drei Monate jeden zweiten Kalenderjahres dem RH die (Ruhe)Bezüge von Personen mitzuteilen, die in einem der beiden vorangegangenen Kalenderjahre entweder höher als 14 mal 80 % des monatlichen Ausgangsbetrages waren oder einen solchen neben einem weiteren (Ruhe)Bezug von einem der RH-Kontrolle unterliegenden Rechtsträger erhalten haben.

Zu den Rechtsträgern im Sinne des § 8 BezBegrBVG zählen alle Gemeinden, und zwar unabhängig von ihrer Einwohnerzahl. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes vom , GZ 600.270/3-V/1/99, ... in dem zu dieser Frage unter anderem folgendes ausgeführt wird:

'Nach der klaren Absicht des Gesetzgebers sollten die Regelungen des BezBegrBVG auf alle Gebietskörperschaften (und sonstigen der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegenden Rechtsträger) bzw auf alle Bezüge (und Ruhebezüge), die aus 'öffentlichen Kassen' bezogen werden, Anwendung finden. In diesem Sinne ist im Ausschussbericht und in den Wortmeldungen in der Debatte des Nationalrates wiederholt allgemein von Bund, Ländern und Gemeinden die Rede; eben diese Wortwahl ist es auch, die deutlich macht, dass sich der Gesetzgeber nicht an Art 127a Abs 1 B-VG, sondern an Art 121 Abs 1 B-VG orientiert und unter 'Rechtsträgern, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen', alle in Art 121 Abs 1 B-VG genannten Rechtsträger verstanden hat' ...

Abschließend heißt es in diesem Gutachten:

'Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst kommt daher zusammenfassend zum Ergebnis, dass auch Gemeinden mit weniger als 20 000 Einwohnern 'Rechtsträger' sind, die im Sinne des BezBegrBVG 'der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen'. Der Anwendungsbereich der Bestimmungen des BezBegrBVG, in denen dieser Begriff verwendet wird, erfasst daher auch solche Gemeinden' ...

Im Sinne des BezBegrBVG sind somit auch Kleingemeinden als Rechtsträger anzusehen, die der Kontrolle des RH unterliegen. Demgemäß waren auch Kleingemeinden verhalten, bis spätestens Ende März 2000 (dies ergibt sich aus § 11 Abs 8 BezBegrBVG) dem RH die in § 8 Abs 1 erster und zweiter Satz BezBegrBVG vorgesehenen Mitteilungen über Bezugszahlungen in den Jahren 1998 und 1999 zu erstatten. Gemäß § 8 Abs 3 BezBegrBVG hat der RH diese Meldungen nach Jahreswerten getrennt zusammenzufassen und letztlich einen Bericht zu erstellen, in dem alle Personen aufzunehmen sind, deren jährliche Bezüge aus 'öffentlichen Kassen' insgesamt den Grenzwert von 1 120 000 S im Jahr 1998 bzw 1 127 486 S im Jahr 1999 übersteigen.

In diesem Bericht sind die betroffenen Einkommensbezieher namentlich zu nennen. Dies ergibt sich aus dem Ausschussbericht (AB 687 BlgNR 20.GP, Seite 2), in dem zur gegenständlichen Bestimmung folgendes ausgeführt wird:

'Umfassende Information der Österreicherinnen und Österreicher über Bezüge aus öffentlichen Kassen; wer immer Bezüge aus öffentlichen Kassen (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungsträger, Kammern, rechnungshofgeprüfte Unternehmungen) bezieht - nicht nur Politiker - wird in einem Einkommensbericht des Rechnungshofes namentlich mit der Höhe des Jahreseinkommens veröffentlicht, wenn dieses die doppelte Sozialversicherungshöchst[beitrags]grundlage überschreitet'.

Aus der Pflicht des RH, die Bezieher von höheren Einkommen aus öffentlichen Kassen namentlich zu nennen, ergibt sich zwingend, dass auch die im Sinne des BezBegrBVG der RH-Kontrolle unterliegenden Rechtsträger zur namentlichen Nennung der Bezugsbezieher verhalten sind.

Laut Angabe im Amtskalender 1999/2000, Seite 1370, ist der Bürgermeister der Marktgemeinde Kaltenleutgeben im Hauptberuf Beamter ... Es besteht daher Grund zur Annahme, dass der Bürgermeister dieser Gemeinde zwei Bezüge von Rechtsträgern erhält, die der Kontrolle des RH unterliegen, nämlich den einen als Bürgermeister von Kaltenleutgeben und den anderen als Beamter einer Gebietskörperschaft. Dies lässt in weiterer Folge den Schluss zu, dass die Marktgemeinde Kaltenleutgeben gem § 8 Abs 1 zweiter Satz BezBegrBVG jedenfalls verpflichtet gewesen wäre, den Bezug ihres Bürgermeisters mit Namen dem RH mitzuteilen.

Die Marktgemeinde Kaltenleutgeben hat - trotz Mahnschreiben des RH - ihre Pflicht zur namentlichen Bezugsmeldung nicht eingehalten, weshalb der RH zur Einschau in die betreffenden Unterlagen verpflichtet war (§8 Abs 1 letzter Satz BezBegrBVG). Wie bereits ... ausgeführt, hat die Marktgemeinde Kaltenleutgeben diese Einschau nicht zugelassen."

Gegenstand der Meinungsverschiedenheit sei sohin die Zuständigkeit des Rechnungshofes zur Einschau in jene Unterlagen einer "Kleingemeinde", die der Rechnungshof benötige, um den Einkommensbericht gemäß § 8 Abs 1 bis 3 BezBegrBVG zu erstellen. Der Umfang dieser Unterlagen sei vor allem vom Bezugsbegriff abhängig, der § 8 leg.cit. zugrunde liegt:

"In Übereinstimmung mit dem BMF geht der RH dabei davon aus, dass hinsichtlich der Bezüge aus nicht selbstständiger Arbeit die am Lohnzettel unter der Kennzahl 210 ausgewiesenen Bezüge dem Bezugsbegriff im Sinne des BezBegrBVG entsprechen (siehe , GZ 07 0101/22-IV/7/99 ...). Weiters fallen auch Einnahmen aus sonstiger selbstständiger Arbeit im Sinne des § 22 Z 2 EStG (vermögensverwaltende Tätigkeit, insbesondere alle Kontrolltätigkeiten im Sinne des § 6 Abs 1 Z 9 litb UStG wie Vergütungen jeder Art, die an Mitglieder des Aufsichtsrates, Verwaltungsrates oder anderer mit der Überwachung einer Geschäftsführung beauftragte Personen für diese Funktion gewährt werden) und Bezüge, die unter sonstige Einkünfte im Sinne des § 29 EStG 1988 fallen (insbesondere 'wiederkehrende Bezüge' und Funktionsgebühren), unter den Begriff 'Bezüge' im Sinne des § 8 Abs 1 bis 3 BezBegrBVG (siehe , GZ 07 0101/7-IV/7/98 ...).

Gemäß § 8 Abs 2 letzter Satz BezBegrBVG sind, wenn eine Person mehrere Bezüge oder Ruhebezüge aus öffentlichen Kassen erhält, diese Bezüge (Ruhebezüge) zusammenzurechnen. Da diese Aufgabe dem RH zufällt, zählt auch die Sozialversicherungsnummer, die eine Person eindeutig identifiziert, zu den Unterlagen, die der RH zur Erstellung des Einkommensberichtes benötigt.

Letztlich zählen auch alle Dokumente, aus denen auf die Tatsache eines Mehrfachbezuges geschlossen werden kann, zu solchen Unterlagen."

3. Die Gemeinde Kaltenleutgeben als Antragsgegnerin vertrat in ihrer Äußerung indes die Auffassung, dass sich der Gesetzesauftrag des § 8 Abs 1 BezBegrBVG nur an Rechtsträger, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen, richte und Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern nicht ohne weiteres (vgl. Art 127a Abs 1 und 7 B-VG) zu diesem Kreis zählten. Sie führte dazu näher aus:

"Wie Mayer in seinem Kurzkommentar zum Österr. Bundesverfassungsrecht, Seite 347 ausführt, ist der Rechnungshof nur zuständig, Gemeinden mit mindestens 20.000 Einwohnern zu überprüfen. Auf begründetes Ersuchen der Landesregierung hat der Rechnungshof auch kleinere Gemeinden zu überprüfen; diesfalls gründet sich seine Zuständigkeit auf das Ersuchen der Landesregierung. Diese Gemeinden unterliegen daher nicht automatisch der Kontrolle des Rechnungshofes. Diese Auffassung wird auch von Hengstschläger in 'Wesen und staatspolitische Funktion der öffentlichen Kontrolle' (Kommunale Forschung in Österreich, Herausgeber Friedrich Klub, Seite 72 f) vertreten. Auch der Rechnungshof selbst vertrat in einem Antwortschreiben vom , Zl. 4041-IV/1/97 aufgrund einer Anfrage des NÖ Gemeindevertreterverbandes der ÖVP (einer Interessensvertretung der niederösterreichischen Gemeinden gemäß § 119 NÖGO 1973) die Auffassung, daß Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern nicht der Rechnungshofkontrolle unterliegen. Daher handle es sich bei den Bezügen von diesen Gemeinden nicht um Bezüge von einem Rechtsträger, der der Kontrolle des Rechnungshofes unterliege. Demnach sei § 4 Abs 1 des BezBegrBVG nicht anwendbar ... Zur Frage der Zuständigkeit der dem Rechnungshof unterliegenden Rechtsträger vergleiche auch Schreiben des Rechnungshofes an das Amt der NÖ Landesregierung vom , Zl. 2802-Pr/1/98 ... sowie Schreiben der NÖ Landesregierung vom an den Verband NÖ Gemeindevertreter der ÖVP ...

Aufgrund dieser ursprünglich sehr eindeutigen Darlegungen des Rechnungshofes, die nicht zuletzt auf übereinstimmenden Meinungen der Lehre beruht, erachtet sich die Marktgemeinde Kaltenleutgeben, die aufgrund der letzten Volkszählung eine Einwohnerzahl von 2699 besitzt, nicht als Rechtsträger, der der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegt, und hatte der Rechnungshof daher im vorliegenden Fall kein Recht auf Einschau der betreffenden Unterlagen gemäß § 8 Abs 1 des BezBegrBVG. Nach Auffassung der Antragsgegnerin wurde ihm die Einschau daher zurecht verwehrt."

Unter Hinweis auf die Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (im Folgenden: Datenschutz-Richtlinie), ABl. 1995 L 281, S. 31, vertrat die Gemeinde die Auffassung, dass der Eingriff in das gemeinschaftliche Grundrecht auf Datenschutz eine Interessenabwägung im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung verlange. Da jede Behörde verpflichtet sei, soweit wie möglich innerstaatliches Recht im Einklang mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechtes zu interpretieren, habe die Gemeinde Kaltenleutgeben im Schreiben vom an den Rechnungshof ihren Einkommensbericht zu Recht in anonymisierter Form abgegeben. Die Gemeinde Kaltenleutgeben stellte daher abschließend den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, dass die Gemeinde Kaltenleutgeben kein Rechtsträger sei, der der Kontrolle des Rechnungshofes unterliege, in eventu dass sie zwar ein Rechtsträger sei, der im Sinne des BezBegrBVG der Kontrolle des Rechnungshofes unterliege, dass es aber genüge, die im § 8 Abs 1 BezBegrBVG genannten Daten dem Rechnungshof anonymisiert zu übermitteln, der Rechnungshof daher kein Recht habe, in sämtliche Unterlagen der Gemeinde Kaltenleutgeben betreffend die von ihr in den Jahren 1998 und 1999 ausbezahlten Bezüge und Ruhebezüge Einschau zu halten.

4. Auch die Niederösterreichische Landesregierung vertrat in ihrer Äußerung die Auffassung, dass ("Klein-")Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern iSd Art 127a Abs 7 B-VG keine der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegende Rechtsträger iSd § 8 BezBegrBVG seien:

"Mit Adamovich/Funk/Holzinger (Österreichisches Staatsrecht, Band 2; Staatliche Organisation, RNr. 36.011) wird man davon ausgehen können, dass im Falle des Art 127a Abs 7 B-VG das Ersuchen der Landesregierung für den Rechnungshof eine zuständigkeitsbegründende Wirkung hat und somit eine generelle Kontrollzuständigkeit des Rechnungshofes für derartige Kleingemeinden nicht besteht. (So geht auch Mayer in: Das österreichische Bundesverfassungsrecht, Anm. zu Art 127a auf S. 348 davon aus, dass sich diesfalls die Zuständigkeit des Rechnungshofes auf das Ersuchen der Landesregierung gründet.)

Die entscheidende Frage für die Beurteilung der vorliegenden Bestimmung ist also jene, ob man einer verbalen-grammatikalischen Interpretation (wie sie auch von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes bevorzugt wird) den Vorzug geben will und an die vom B-VG bereits geprägte Reichweite der Kontrolle des Rechnungshofes anknüpft oder ob man im Wege der historischen Interpretation davon ausgeht, dass der Gesetzgeber - obwohl er es nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht hat - im Bezüge-BVG von diesem herkömmlichen Begriffsverständnis abgewichen ist.

Gerade der letzte Aspekt wird vom Rechnungshof im ... Schreiben vom insofern betont, als eine solche Absicht des Gesetzgebers (eine vom Ersuchen der zuständigen Landesregierung unabhängige Einschaubefugnis gegenüber Kleingemeinden begründen zu wollen) nach Meinung des Rechnungshofes wohl klarer zum Ausdruck gebracht hätte werden müssen.

Für die Beibehaltung der Rechtsansicht des Rechnungshofes vom spricht aber auch ein grundsätzliches verfassungsrechtliches Argument:

Mit Art 126a B-VG wurde ein Instrumentarium geschaffen, mit dem Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Rechnungshof und einem Rechtsträger über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, die die Zuständigkeit des Rechnungshofes regeln, durch den Verfassungsgerichtshof geklärt werden können. Gerade dieser Umstand spricht aber dafür, dass zur Auslegung des strittigen Begriffes die Rechtsmeinung des Rechnungshofes herangezogen werden sollte, bis eine entsprechende Klarstellung durch den Verfassungsgerichtshof gemäß Art 126a B-VG vorliegt.

Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst hat mit Gutachten vom , GZ. 600.270/3-V/1/99, die Ansicht vertreten, dass auch Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern Rechtsträger sind, die im Sinne des BezügebegrenzungsBVG der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen.

Dieser Rechtsansicht wurde seitens der Abteilung Gemeinden als Gemeindeaufsichtsbehörde in einem Rundschreiben an alle Gemeinden vom , IVW3-BG-8090001/035-00, gefolgt und in einem weiteren Rundschreiben vom , IVW3-BG-8090001/039-00, bestätigt. ...

In der Literatur hat Hengstschläger (Rechnungshofkontrolle [2000], Art 121 B-VG, Rz. 18) im Wege einer teleologischen Interpretation die Meinung vertreten, dass Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern als der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegende Rechtsträger im Sinne des BezügebegrenzungsBVG einzustufen sind.

An anderer Stelle stellt Hengstschläger jedoch fest:

'Gemeinden, die weniger als 20.000 Einwohner haben, unterliegen nicht der Kontrolle durch den RH ... Der Umfang der Kontrollkompetenz des RH wird durch das begründete Prüfungsersuchen determiniert.' (Hengstschläger, Rechnungshofkontrolle [2000], Art 127a Abs 2 und 5 bis 8, Rz. 4). Daher kann nach Hengstschläger eine Kleingemeinde mangels Zuständigkeit des Rechnungshofes auch solange in das Kompetenzfeststellungsverfahren nicht einbezogen werden, solange ein diesbezügliches Ersuchen nicht gestellt wurde (Hengstschläger, Rechnungshofkontrolle [2000], Art 126a, Rz. 9 auf Seite 92).

Dies zeigt deutlich, dass die Absicht des Gesetzgebers, Kleingemeinden unter 20.000 Einwohnern iR des § 8 BezügebegrenzungsBVG zu erfassen, nur aus den Materialien und nicht aus dem Wortlaut der Bestimmung geschlossen werden kann."

5. a) Unter anderem aus Anlass dieses Verfahrens richtete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , ONr. 14 (= VfSlg. 16.050/2000), folgende Fragen an den Europäischen Gerichtshof:

"1. Sind die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, insbesondere jene über den Datenschutz so auszulegen, daß sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die ein staatliches Organ zur Erhebung und Weiterleitung von Einkommensdaten zum Zweck der Veröffentlichung der Namen und Einkommen der Dienstnehmer

a) einer Gebietskörperschaft

...

verpflichten?

2. Für den Fall, daß der Europäische Gerichtshof die gestellte Frage zumindest teilweise bejaht:

Sind jene Bestimmungen, die einer nationalen Regelung des geschilderten Inhalts entgegenstehen, in dem Sinn unmittelbar anwendbar, daß sich die zur Offenlegung verpflichteten Personen auf sie berufen können, um eine Anwendung entgegenstehender nationaler Vorschriften zu verhindern?"

b) Mit Urteil vom , Rs. C-465/00 ua., Rechnungshof gegen ORF ua., erkannte der Europäische Gerichtshof für Recht, dass

"1. [d]ie Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c und 7 Buchstaben c und e der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ... einer nationalen Regelung wie der den Ausgangsverfahren zugrunde liegenden nicht entgegen[stehen], sofern erwiesen ist, dass die Offenlegung, die nicht nur die Höhe der Jahreseinkommen der Beschäftigten von der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegenden Rechtsträgern betrifft, wenn diese Einkommen einen bestimmten Betrag überschreiten, sondern auch die Namen der Bezieher dieser Einkommen umfasst, im Hinblick auf das vom Verfassungsgesetzgeber verfolgte Ziel der ordnungsgemäßen Verwaltung der öffentlichen Mittel notwendig und angemessen ist, was die vorlegenden Gerichte zu prüfen haben" und

"2. [d]ie Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c und 7 Buchstaben c und e der Richtlinie 95/46 ... in dem Sinne unmittelbar anwendbar [sind], dass sich ein Einzelner vor den nationalen Gerichten auf sie berufen kann, um die Anwendung entgegenstehender Vorschriften des innerstaatlichen Rechts zu verhindern".

(Die Begründung des Europäischen Gerichtshofes ist in der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom , KR1/00, in extenso wiedergegeben.)

6. In der Folge stellte es der Verfassungsgerichtshof den Parteien des verfassungsgerichtlichen Verfahrens frei, zu den Auswirkungen dieses Urteils auf das verfassungsgerichtliche Verfahren Stellung zu nehmen. Hievon machten sowohl die Gemeinde Kaltenleutgeben als auch die Niederösterreichische Landesregierung, nicht jedoch der antragstellende Rechnungshof Gebrauch.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über den - zulässigen (siehe VfSlg. 16.050/2000, Pkt. II.) - Antrag erwogen:

1. Die für die Beurteilung der Meinungsverschiedenheit maßgebliche Bestimmung des § 8 Abs 1 bis 3 BezBegrBVG lautet wie folgt:

"(1) Rechtsträger, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen, haben innerhalb der ersten drei Monate jedes zweiten Kalenderjahres dem Rechnungshof die Bezüge oder Ruhebezüge von Personen mitzuteilen, die zumindest in einem der beiden vorangegangenen Kalenderjahre Bezüge oder Ruhebezüge bezogen haben, die jährlich höher als 14mal 80% des monatlichen Ausgangsbetrages nach § 1 waren. Die Rechtsträger haben auch die Bezüge und Ruhebezüge von Personen mitzuteilen, die einen weiteren Bezug oder Ruhebezug von einem Rechtsträger beziehen, der der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegt. Personen, die einen Bezug oder Ruhebezug von zwei oder mehreren Rechtsträgern beziehen, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen, haben dies diesen Rechtsträgern mitzuteilen. Wird diese Mitteilungspflicht vom Rechtsträger nicht eingehalten, so hat der Rechnungshof in die betreffenden Unterlagen Einschau zu halten und daraus seinen Bericht zu erstellen.

(2) Bei Anwendung des Abs 1 sind auch Sozial- und Sachleistungen zu berücksichtigen, soweit sie nicht Leistungen aus der Kranken- oder Unfallversicherung oder auf Grund von vergleichbaren landesrechtlichen Regelungen sind. Mehrere Bezüge oder Ruhebezüge von Rechtsträgern, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen, sind zusammenzurechnen.

(3) Der Rechnungshof hat diese Mitteilungen - nach Jahreswerten getrennt - in einem Bericht zusammenzufassen. In den Bericht sind alle Personen aufzunehmen, deren jährliche Bezüge und Ruhebezüge von Rechtsträgern, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen, insgesamt den im Abs 1 genannten Betrag übersteigen. Der Bericht ist dem Nationalrat, dem Bundesrat und den Landtagen zu übermitteln."

Sie hat folgenden Regelungsgehalt:

Personen, die einen Bezug oder Ruhegenuss von zwei oder mehreren der Gebarungskontrolle des Rechnungshofes unterliegenden Rechtsträgern beziehen, haben dies diesen Rechtsträgern zu melden. Alle Rechtsträger, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen, haben Bezüge, die eine bestimmte Höhe überschreiten, oder Bezüge von Personen, die noch einen weiteren Bezug (gleichgültig in welcher Höhe) von einem anderen rechnungshofkontrollpflichtigen Rechtsträger beziehen, dem Rechnungshof mitzuteilen.

Kommt ein Rechtsträger dieser Verpflichtung nicht nach, so hat sich der Rechnungshof die notwendigen Informationen durch Einschau in die betreffenden Unterlagen der rechnungshofkontrollpflichtigen Einrichtungen zu beschaffen.

Der Rechnungshof hat sodann die Mitteilungen und die durch Einschau gewonnenen Informationen in einem "Einkommensbericht" zusammenzufassen; in diesen Bericht sind "alle Personen aufzunehmen", deren jährliche Bezüge das genannte Ausmaß überschreiten; dies ist - wie in der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom , KR1/00, unter Heranziehung historischer, systematischer und teleologischer Argumente näher dargelegt wurde - als Verpflichtung zu verstehen, die Namen und diesen zugeordnet die Höhe der Jahreseinkommen der betroffenen Personen aufzunehmen.

Der Einkommensbericht ist vom Rechnungshof den Parlamenten des Bundes und der Länder zu übermitteln und soll der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

2. a) Eine Befugnis zur (namentlichen Einkommens-)Berichterstattung iSd § 8 Abs 1 bis 3 BezBegrBVG kommt dem Rechnungshof nach dieser Bestimmung unter der Voraussetzung zu, dass


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
der Rechtsträger, bei dem Einschau gehalten werden soll, auf Grund einer anderen (verfassungs-)gesetzlichen Bestimmung der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegt und


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
dieser Rechtsträger seiner Mitteilungspflicht nicht (fristgerecht und vollständig) nachgekommen ist.

Weiters muss - wie sich aus den einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ergibt - eine auch die Namen der Einkommensbezieher umfassende Offenlegung im Hinblick auf das vom Verfassungsgesetzgeber verfolgte Ziel der ordnungsgemäßen Verwaltung der öffentlichen Mittel notwendig und angemessen sein; andernfalls steht der Anwendung des § 8 (Abs1 bis 3) BezBegrBVG nach der vom Verfassungsgerichtshof eingeholten, oben (vgl. Pkt. I.5.) referierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes Gemeinschaftsrecht entgegen.

b) Ob - wie der Rechnungshof im Anschluss an ein Gutachten des Bundeskanzleramt-Verfassungsdienstes meint - auch eine Gemeinde mit weniger als 20.000 Einwohnern zu den durch § 8 Abs 1 BezBegrBVG verpflichteten Rechtsträgern gehört oder nicht - so die Antragsgegnerin und die Niederösterreichische Landesregierung -, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, da es an der weiteren Voraussetzung, nämlich der Notwendigkeit und Angemessenheit einer derartigen Regelung, mangelt:

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , KR1/00, (unter Pkt. II.4.) mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass und warum es im Sinne der oben genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom , Rs. C-465/00 ua., Rechnungshof gegen ORF ua., nicht notwendig ist, die Namen von Personen und ihre Bezüge zu veröffentlichen, um die ordnungsgemäße Verwendung öffentlicher Mittel sicherzustellen. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann auf die Begründung dieser Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes verwiesen werden. In ihr hat der Verfassungsgerichtshof - zusammengefasst - die Auffassung vertreten, dass die differenziert ausgestalteten Berichtspflichten über die Ergebnisse der Gebarungsprüfung ausreichend sind, um eine ordnungsgemäße und effiziente Mittelverwendung sicherzustellen, und dass eine darüber hinausgehende namentliche Offenlegung der Bezüge für das vom Europäischen Gerichtshof anerkannte Ziel nicht notwendig und angemessen ist. Die unmittelbar anwendbaren (vgl. Pkt. 2 des - hier unter Pkt. I.5. wiedergegebenen - Spruches des Europäischen Gerichtshofes) Bestimmungen der Datenschutz-Richtlinie stehen daher der Anwendung jener Bestimmungen des § 8 BezBegrBVG entgegen, die eine namentliche Offenlegung der Bezüge und der Beschaffung von Daten zu diesem Zweck ermöglichen. Diesen Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts hat auch der Verfassungsgerichtshof wahrzunehmen, weshalb das Begehren des Rechnungshofes, eine Einschau zum Zweck der namentlichen Einkommensberichterstattung gemäß § 8 Abs 1 bis 3 BezBegrBVG zu erreichen, mangels (anwendbarer) gesetzlicher Grundlage abzuweisen war.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.