VfGH vom 05.03.2012, KI-5/11
Sammlungsnummer
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Leitsatz
Zulässigkeit des Antrags auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes; Feststellung der Zuständigkeit des VwGH zur Entscheidung über Beschwerden gegen einen Genehmigungsbescheid der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie nach dem UVP-G 2000
Spruch
I. Der Verwaltungsgerichtshof ist zur Entscheidung über die Beschwerde der Bürgerinitiative Lebenswertes Gastein ua. sowie über die Beschwerde der Landesumweltanwaltschaft Salzburg gegen den Bescheid der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie vom , Z BMVIT-820.295/0002-IV/SCH2/2010, zuständig.
II. Der entgegenstehende Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Z 2010/03/0051, 2010/03/0055, wird aufgehoben.
III. Der Bund (Verwaltungsgerichtshof) ist schuldig, den zu KI-5/11 antragstellenden Parteien sowie der zu KI-6/11 antragstellenden Partei zu Handen ihrer Rechtsvertreter jeweils die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.
1. Mit den auf Art 138 Abs 1 Z 1 B-VG und § 46 Abs 1 VfGG gestützten Anträgen wird die Entscheidung eines negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und dem Unabhängigen Umweltsenat begehrt. Diesem Begehren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Mit Bescheid vom erteilte die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die von der mitbeteiligten Partei beantragte Genehmigung nach den Bestimmungen des UVP-G 2000, des HochleistungsstreckenG, des EisenbahnG und des ForstG für das Vorhaben "ÖBB-Strecke Schwarzach/St. Veit - Villach Hbf., Steinbach - Angertal, Abschnitt Schlossbachgraben - Angertal" mit Nebenbestimmungen erteilt. In der Rechtsmittelbelehrung wurde festgehalten, dass gegen diesen Bescheid kein ordentliches Rechtsmittel zulässig sei, und auf die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und den Verwaltungsgerichtshof hingewiesen.
1.2. Die dagegen erhobenen Beschwerden der antragstellenden Parteien an den Verwaltungsgerichtshof wurden von diesem mit Beschluss vom , 2010/03/0051, 2010/03/0055, mit der Begründung zurückgewiesen, dass gegen den bekämpften Bescheid noch das Rechtsmittel der Berufung an den Unabhängigen Umweltsenat zulässig sei. Dabei führte der Verwaltungsgerichtshof Näheres zur Frage der unionsrechtlichen Anforderungen an den Rechtsschutz in Genehmigungsverfahren nach dem UVP-G aus. Weiters wies der Verwaltungsgerichtshof auf die Möglichkeit der Einbringung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung an den Unabhängigen Umweltsenat hin.
1.3. Den daraufhin von den antragstellenden Parteien gestellten, mit der Einbringung der Berufung gegen den Genehmigungsbescheid vom verbundenen Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde jeweils mit Bescheid der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie vom stattgegeben. Gleichzeitig übermittelte diese Behörde die Berufungen und die damit in Zusammenhang stehenden Verwaltungsakten an den Unabhängigen Umweltsenat.
1.4. Mit den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes vom , B741/11 und B742/11, wurde den gegen diese Bescheide erhobenen, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerden der mitbeteiligten Partei stattgegeben und wurden die Bescheide der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie vom auf Grund der Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aufgehoben.
1.5. In der Folge wies der Unabhängige Umweltsenat mit Bescheid vom die Berufungen der antragstellenden Parteien gegen den Genehmigungsbescheid der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie vom mit der Begründung als unzulässig zurück, dass eine Berufung gegen einen Genehmigungsbescheid in Angelegenheiten des dritten Abschnitts des UVP-G 2000 überhaupt nicht möglich sei. Dazu führt der Unabhängige Umweltsenat Folgendes aus:
"Bei dieser besonderen Konstellation, bei der nicht nur die Berufungswerber auf der Zuständigkeit des Umweltsenates bestehen, sondern auch die BMVIT und der Verwaltungsgerichtshof den Umweltsenat als zuständige Behörde ansehen, sieht sich der Umweltsenat gemäß § 73 Abs 1 AVG gefordert, durch bescheidmäßige Erledigung klar zu stellen, dass er zur sachlichen Erledigung der Rechtsmittel nicht zuständig ist (vgl. US vom , Zl. US 3A/2011/1A-5, Brenner Basistunnel)."
2. Die antragstellenden Parteien stützen die vorliegenden Anträge auf den Umstand, dass einerseits der Verwaltungsgerichtshof seine Zuständigkeit abgelehnt und andererseits der Unabhängige Umweltsenat in derselben Sache die Berufung mangels Zuständigkeit zurückgewiesen habe. Es wird beantragt, festzustellen, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über die Beschwerden der antragstellenden Parteien zuständig sei, und den entgegenstehenden Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2010/03/0051, 2010/03/0055, aufzuheben.
3. Der Unabhängige Umweltsenat sowie der Verwaltungsgerichtshof übermittelten jeweils die Bezug habenden Verwaltungs- bzw. Beschwerdeakten, sahen aber von der Erstattung einer Äußerung zum vorliegenden Antrag ab.
II.
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen (vgl. dazu KI-1/11) - in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:
1. Gemäß Art 138 Abs 1 Z 1 B-VG iVm § 46 Abs 1 VfGG
besteht ein vom Verfassungsgerichtshof zu entscheidender verneinender Kompetenzkonflikt u.a. dann, wenn ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde ihre Zuständigkeit in derselben Sache verneint haben, obwohl eine der beiden Behörden zuständig gewesen wäre.
2. Zu klären ist, ob der Verwaltungsgerichtshof oder der Unabhängige Umweltsenat seine Zuständigkeit in der Sache zu Unrecht verneint hat. Maßgeblich für die Beurteilung dieser Frage ist, ob der Anwendung der in § 40 Abs 1 UVP-G 2000 und § 5 USG vorgesehenen Beschränkung der Zuständigkeit des Unabhängigen Umweltsenates auf Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnitts des UVP-G 2000 der Vorrang des Unionsrechts entgegensteht, wie es der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom , 2010/03/0051, 2010/03/0055, angenommen hat.
3. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mit näherer Begründung in seinen Erkenntnissen vom , B254/11, sowie vom , B741/11 und B742/11, ausgesprochen hat, erfüllt der Verwaltungsgerichtshof bei verfassungs- und konventionskonformer Wahrnehmung seiner gesetzlichen Befugnisse zur Sachverhaltskontrolle die Anforderungen an ein Gericht mit hinreichender Kontrollbefugnis in Tatsachenfragen iSd Art 6 Abs 1 EMRK und iSd Art 47 Abs 2 Grundrechtecharta (vgl. EGMR ,
Fall Zumtobel, Appl. 12.235/86, ÖJZ 1993, 782, uvam., jüngst EGMR , Fall Koottummel, Appl. 49.616/06; vgl. VfSlg. 15.427/1999, 18.309/2007, 18.446/2008, 18.927/2009; vgl. auch , Upjohn Ltd., Slg. 1999 I-00223, und , Rs. C-462/99, Connect Austria, Slg. 2003 I-05197).
Insbesondere verwehrt § 41 Abs 1 VwGG dem Verwaltungsgerichtshof in Verfahren nach Art 131 Abs 1 Z 1 B-VG die Überprüfung von Tatsachenfeststellungen und -annahmen der Behörde nicht. Die Vorschriften des § 41 Abs 1 iVm § 42 Abs 3 VwGG ermöglichen es dem Verwaltungsgerichtshof, in einer mit dem gerichtlichen Verfahren vergleichbaren und wirksamen Weise ausreichende Tatsachengrundlagen zu erarbeiten, um die maßgebliche Rechtsfrage beurteilen zu können ().
4. Zur Erfüllung des Gebots wirksamen Rechtsschutzes ist im vorliegenden Zusammenhang daher keine Vorschrift des Unionsrechts unmittelbar anzuwenden, welche die Zuständigkeit einer unabhängigen Verwaltungsbehörde herbeiführen und jene des Verwaltungsgerichtshofes zur Entscheidung über die Beschwerden gegen den Genehmigungsbescheid im Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren beseitigen würde.
Angesichts dessen hätte der Verwaltungsgerichtshof über die Beschwerden der antragstellenden Parteien gegen den Genehmigungsbescheid der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie vom eine Sachentscheidung treffen müssen.
III.
1. Der Verwaltungsgerichtshof hat dadurch, dass er die Beschwerden der antragstellenden Parteien gegen den Genehmigungsbescheid vom zurückgewiesen hat, seine Zuständigkeit in der Sache zu Unrecht abgelehnt.
2. Es ist daher auszusprechen, dass die Entscheidung über die gegen den Genehmigungsbescheid der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie gerichteten Beschwerden in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes fällt. Der entgegenstehende Beschluss dieses Gerichtshofes ist aufzuheben.
3. Der Kostenausspruch gründet sich auf § 52 VfGG. Im zugesprochenen Betrag von insgesamt € 5.240,-- ist jeweils Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- und die Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.
4. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.