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VfGH vom 14.06.1999, g99/98

VfGH vom 14.06.1999, g99/98

Sammlungsnummer

15523

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf Aufhebung einer Bestimmung der Gewerbeordnung betreffend das Erlöschen der Gewerbeberechtigung für das Rauchfangkehrergewerbe mangels rechtlicher Betroffenheit; keine Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses juristischer Personen von der Ausübung des Rauchfangkehrergewerbes; keine Bedenken hinsichtlich des Erlöschens noch vor dem erteilter Konzessionen

Spruch

Der Antrag wird, soweit er die Aufhebung des ersten Satzes und des Wortes "weiters" im zweiten Satz des § 102 Abs 1 GewO 1994 idF BGBl. I 63/1997 sowie die Aufhebung des letzten Satzes des § 376 Z 28 Abs 4 GewO 1994 begehrt, abgewiesen.

Im übrigen (§102 Abs 4 GewO 1994 idF BGBl. I 63/1997) wird er zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Die antragstellende Gesellschaft mit beschränkter Haftung war seit dem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom im Besitz einer Konzession für das Rauchfangkehrergewerbe.

Ein auf Art 140 Abs 1 letzter Satz B-VG gestützter Antrag der Gesellschaft, näher bezeichnete Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994 betreffend die Beschränkung des Rauchfangkehrergewerbes auf natürliche Personen oder Personengesellschaften aufzuheben, zwar mit Beschluß VfSlg. 15021/1997 im wesentlichen unter Hinweis auf das Außerkrafttreten der bekämpften Fassung zurückgewiesen worden. Mit dem vorliegenden Antrag begehrt sie nunmehr, im § 102 GewO 1994 idF BGBl. I 63/1997 den ersten Satz des Abs 1, das Wort "weiters" im zweiten Satz des Abs 1 und Abs 4 sowie § 376 Z 28 Abs 4 letzter Satz leg.cit. wegen Verstoßes gegen die Erwerbsfreiheit, den Gleichheitsgrundsatz und das Eigentumsrecht als verfassungswidrig aufzuheben.

1. Nach § 101 Abs 1 GewO 1994 bedarf es für das Reinigen, Kehren und Überprüfen von Rauch- und Abgasfängen, von Rauch- und Abgasleitungen sowie von den dazugehörigen Feuerstätten einer Gewerbeberechtigung für das Handwerk der Rauchfangkehrer; insoweit Rauchfangkehrer durch landesrechtliche Vorschriften zu bestimmten Tätigkeiten verpflichtet werden, nehmen sie öffentliche Aufgaben wahr.

Der unter der Überschrift "Besondere Voraussetzungen" stehende § 102 GewO 1994 idF BGBl. I 63/1997 lautet (angefochtene Bestimmungen hervorgehoben):

"§102. (1) Das Handwerk der Rauchfangkehrer darf nur von natürlichen Personen ausgeübt werden. Die Ausübung des Handwerks der Rauchfangkehrer erfordert weiters

1. daß der Anmelder nicht schon im selben oder in zwei verschiedenen Kehrgebieten das Rauchfangkehrergewerbe als Gewerbeinhaber oder Pächter ausübt oder als Geschäftsführer oder Filialgeschäftsführer im Rauchfangkehrerhandwerk tätig ist,

2. die österreichische Staatsbürgerschaft und den Wohnsitz im Inland und

3. das Vorliegen eines Bedarfes nach der beabsichtigten Ausübung des Handwerks.

(2) Bei der Feststellung des Bedarfes ist vom gegenwärtigen und dem zu erwartenden Bedarf auszugehen.

(3) Den im Abs 1 Z 1 und 2 bezeichneten Voraussetzungen haben die Gewerbetreibenden auch während der gesamten Dauer der Ausübung des Handwerks zu entsprechen. Die Gewerbeberechtigung ist von der Behörde (§361 Abs 1) zu entziehen, wenn diese Voraussetzungen nicht mehr zur Gänze erfüllt werden.

(4) Personengesellschaften des Handelsrechtes, deren persönlich haftende Gesellschafter natürliche Personen sind, dürfen noch bis zum das Rauchfangkehrerhandwerk ausüben. Mit Ablauf des erlischt die Gewerbeberechtigung."

§ 376 Z 28 Abs 4 enthält in bezug auf die bis zur Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. 399, bestandene Möglichkeit der Ausübung des Rauchfangkehrergewerbes durch juristische Personen folgende Übergangsbestimmung (der angefochtene, durch die Novelle BGBl. 29/1993 angefügte Satz ist hervorgehoben):

"(4) Bei juristischen Personen, denen vor dem die Konzession für das Rauchfangkehrergewerbe erteilt wurde, müssen Personen, die nach diesem Zeitpunkt in das zur gesetzlichen Vertretung berufene Organ der juristischen Person berufen werden, ihren Wohnsitz im Inland haben und österreichische Staatsbürger sein, widrigenfalls die Gewerbeberechtigung durch die Behörde (§361 Abs 1) zu entziehen ist. Gewerbeberechtigungen von juristischen Personen im Sinne des ersten Satzes erlöschen mit Ablauf von fünf Jahren ab dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 29/1993."

Die Gewerberechtsnovelle BGBl. 29/1993 ist mit in Kraft getreten. Die im letzten Satz bestimmte Frist ist daher mit abgelaufen.

2. Ihre Antragslegitimation begründet die antragstellende Gesellschaft mbH in dem am eingelangten Schriftsatz damit, daß sie durch die Beschränkung der Ausübung des Rauchfangkehrerhandwerks auf natürliche Personen und durch die Verfügung des Erlöschens der Gewerbeberechtigung juristischer Personen mit unmittelbar betroffen sei.

In der Sache hält die antragstellende Gesellschaft dem Erkenntnis VfSlg. 12296/1990, worin der Verfassungsgerichtshof gegen die Beschränkung der Ausübung des (damals noch konzessionierten) Gewerbes der Rauchfangkehrer auf natürliche Personen und auf Personengesellschaften des Handelsrechts geäußerte verfassungsrechtlichen Bedenken nicht teilte, entgegen, daß der Gesetzgeber inzwischen für die Berufsgruppe der Ziviltechniker, die gemäß § 4 Abs 1 ZTG "auf dem gesamten von ihrer Befugnis umfaßten Fachgebiet zur Erbringung von planenden, prüfenden, überwachenden, beratenden, koordinierenden und treuhänderischen Leistungen, insbesondere zur Vornahme von Messungen, zur Erstellung von Gutachten, zur berufsmäßigen Vertretung von Behörden und Körperschaften öffentlichen Rechts, ferner zur Übernahme von Gesamtplanungsaufträgen, sofern wichtige Teile der Arbeiten dem Fachgebiet des Ziviltechnikers zukommen, berechtigt" und überdies mit öffentlichem Glauben versehene Personen gemäß § 292 ZPO seien, die Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung eröffnet habe. Eine unterschiedliche Behandlung der hinsichtlich des Verantwortungsbereiches durchaus vergleichbaren Berufsgruppe der Ziviltechniker einerseits und der Rauchfangkehrer andererseits sei nicht mit Unterschieden im Tatsächlichen zu rechtfertigen. Die in den Gesetzesmaterialien (sowohl zur Novelle BGBl. 399/1988 als auch zu den Novellen BGBl. 29/1993 und BGBl. I 63/1997) für die Beschränkung des Zugangs zum Rauchfangkehrerhandwerk auf natürliche Personen ins Treffen geführten Gründe, nämlich die Funktion des Rauchfangkehrers als Hilfsorgan der Gemeinde, sei eine bloße Scheinbegründung, weil auch juristische Personen, etwa Ziviltechnikergesellschaften oder Buchprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften "Hilfsorgan der Gemeinde" sein könnten. Hinzu komme, daß vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Schutz wohlerworbener Rechte (Hinweis auf VfSlg. 11665/1988) eine Aufhebung von zunächst vom Gesetzgeber eingeräumten Rechten sachlich begründbar sein müsse; habe doch der Normunterworfene im Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage seine Rechtsposition gestaltet (nämlich eine bestimmte Rechtsform für seine Berufsausübung gewählt).

Die bekämpften Regelungen stellten aber auch einen Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung dar. Es sei zwar nicht zu bezweifeln, daß die Einhaltung von bau- und feuerpolizeilichen Vorschriften im öffentlichen Interesse liege. Gerade beim Rauchfangkehrerhandwerk aber aus diesem Grund die Ausübung auf physische Personen zu beschränken und es damit gegenüber dem Baumeistergewerbe, den Technischen Büros, dem Gewerbe der Gas- und Wasserleitungsinstallateure und der Berufsgruppe der Ziviltechniker zu benachteiligen, sei nicht sachlich.

Der durch die Novelle 1997 bewirkte "Zwang", sich von ihrem Gewerbe zu trennen und dieses auf eine physische Person zu übertragen, stelle auch einen Eingriff in das Eigentumsrecht dar, der im Hinblick auf die Unsachlichkeit der Regelung nicht mit öffentlichen Interessen gerechtfertigt werden könne.

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den Antrag insgesamt für unzulässig hält und die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen verteidigt.

II. Der Antrag ist teilweise zulässig:

Gemäß Art 140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art 140 Abs 1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10353/1985, 11730/1988).

Es ist nun freilich ausgeschlossen, daß eine Bestimmung, die das Erlöschen der Gewerbeberechtigung von Personengesellschaften zum Gegenstand hat, in die Rechtssphäre der antragstellenden Gesellschaft mit beschränkter Haftung eingreift. Daß auch sie (vor Inkrafttreten der Novelle 1997) von der bis dahin bestehenden Möglichkeit, sich in eine Personengesellschaft umzuwandeln, Gebrauch hätte machen können, reicht nicht aus, um einen unmittelbaren, aktuellen Eingriff durch § 102 Abs 4 GewO 1994 darzutun.

Der Antrag ist daher insoweit mangels Legitimation zurückzuweisen (§19 Abs 3 Z 2 lite VerfGG).

Anderes gilt für § 102 Abs 1 erster Satz und § 376 Z 28 Abs 4 letzter Satz. Diese beiden Bestimmungen bewirken, daß der antragstellenden Gesellschaft die Ausübung des Rauchfangkehrergewerbes über den hinaus verwehrt wird, ohne daß es eines weiteren (individuellen) Rechtsaktes bedürfte. Entgegen der Auffassung der Bundesregierung regelt § 102 Abs 1 nicht bloß die Voraussetzungen für den Erwerb einer Gewerbeberechtigung, sondern - vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen - die Erlaubtheit der Gewerbeausübung als solche.

Der Antrag ist daher in Ansehung des § 102 Abs 1 erster Satz, des - nach gedachtem Wegfall des ersten Satzes irreführenden - Wortes "weiters" im zweiten Satz dieser Bestimmung und des § 376 Z 28 Abs 4 letzter Satz zulässig.

III. Er ist aber nicht

begründet:

Der Gerichtshof hat in VfSlg. 12296/1990 den Ausschluß juristischer Personen von der Ausübung des Rauchfangkehrergewerbes für unbedenklich befunden, weil eine derartige Abweichung vom Grundsatz der Gewerberechtsfähigkeit für juristische Personen angesichts der öffentlichen Aufgaben des Rauchfangkehrers (wie der Mitwirkung an verwaltungspolizeilichen Agenden insbesondere in den Bereichen des vorbeugenden Brandschutzes und der Luftreinhaltung) durch das Bedürfnis gerechtfertigt sei, diese Rauchfangkehrerarbeiten unmittelbar physischen Personen als Gewerbeinhaber zurechnen zu können. An dieser Einschätzung hält der Verfassungsgerichtshof fest. Der Hinweis der antragstellenden Gesellschaft, daß bei anderen Berufen (mit anderen Aufgaben) eine gegenteilige Entwicklung im Gang sei, vermag an der Sachlichkeit des Ausschlusses nichts zu ändern, da es sich insofern um eine Frage handelt, die im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegt und daher in unterschiedlichen Sachbereichen unterschiedlich beantwortet werden kann.

Auch das Erlöschen noch vor dem erteilter Konzessionen begegnet im Hinblick auf diese Zielsetzung keinen Bedenken. Es ist der Bundesregierung zuzustimmen, daß das Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der gegebenen Rechtslage als solches keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Vielmehr steht es dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, die Rechtslage für die Zukunft anders und auch ungünstiger zu gestalten. Zwar muß unter besonderen Umständen zur Vermeidung unsachlicher Ergebnisse Gelegenheit gegeben werden, sich auf die neue Rechtslage einzustellen (vgl. etwa VfSlg. 11368/1987, 13461/1993, 13657/1993, 14842/1997 und 14868/1998). Solches ist hier aber jedenfalls geschehen: Mit der fünfjährigen Übergangsfrist wurde den Betroffenen ausreichend Zeit eingeräumt, sich auf die geänderte Rechtslage einzustellen (vgl. auch VfSlg. 13177/1992).

Da sohin die behaupteten Verfassungswidrigkeiten nicht vorliegen, war der Antrag im zulässigen Umfang als unbegründet abzuweisen.

Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VerfGG).