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VfGH vom 02.07.2016, G95/2016

VfGH vom 02.07.2016, G95/2016

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der im VfGG normierten Beschränkung der Antragsbefugnis für einen Parteiantrag auf Gesetzesprüfung auf die ein Rechtsmittel ergreifende Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht

Spruch

I. Die Wortfolge "rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und" sowie das Wort "gleichzeitig" in § 62a Abs 1 erster Satz, die Wortfolge ", gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt," in § 62a Abs 3 Z 1 und die Wortfolge ", gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt," in § 62a Abs 4 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 – VfGG, BGBl Nr 85 in der Fassung BGBl I Nr 92/2014, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

III. Die aufgehobenen Bestimmungen sind nicht mehr anzuwenden.

IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

V. Im Übrigen wird das Verfahren eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl G235/2015 ein auf Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG gestützter Parteiantrag anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Der Antragsteller ist Staatsangehöriger von Guatemala; seit 2008 genießt er in Österreich den Status eines Konventionsflüchtlings. Ab Mitte 2011 wurde er wegen des Verdachts des mehrfachen Mordes vorerst auf Grund eines Auslieferungsersuchens der Republik Guatemala, in der Folge nach Übernahme der Strafverfolgung durch Österreich insgesamt rund zweieinhalb Jahre, zunächst (während rund fünf Monaten) in Auslieferungs- und anschließend (ab bis ) in Untersuchungshaft, angehalten. Mit (rechtskräftigem) Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom wurde er von der seitens der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis wegen des Verbrechens des Mordes als Beitragstäter nach §§12 3. Alternative und 75 StGB sowie anderer Vorwürfe erhobenen Anklage zur Gänze freigesprochen und enthaftet.

In der Folge begehrte der Antragsteller für die Dauer der über ihn verhängten (Auslieferungs- und Untersuchungs-)Haft im Ausmaß von insgesamt 847 Tagen von der Republik Österreich (vertreten durch die Finanzprokuratur) im Klagsweg Ersatz nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz 2005 (StEG 2005) in Höhe von € 50,– pro Tag, sohin insgesamt € 42.350,– s.A.

Das (gemäß § 12 Abs 1 StEG 2005 iVm § 9 Abs 4 AHG vom Obersten Gerichtshof als zuständig bestimmte) Landesgericht Krems an der Donau sprach dem Kläger mit Urteil vom für die in Untersuchungshaft verbrachten 675 Tage (nach Einschränkung des Klagebegehrens auf € 29.350,– s.A. zufolge Zahlung eines [Teil-]Betrages von € 20,– pro Tag, mithin von € 13.570,– samt Kosten durch die beklagte Partei) Ersatz in angesprochener Höhe (à € 50,–), sohin restliche € 20.250,– s.A., zu. Das Mehrbegehren in Höhe von € 9.100,– für die in Auslieferungshaft zugebrachte Zeit wurde mangels Vorliegens der Voraussetzungen für eine Entschädigung nach dem StEG 2005 abgewiesen.

Dagegen erhoben sowohl der Kläger und nunmehrige Antragsteller (in Bezug auf € 2.450,– für die Anhaltung von 18. Oktober bis ) als auch die beklagte Partei Berufung.

Mit (Teil-)Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom wurde die Berufung des Klägers abgewiesen; hingegen wurde der Berufung der beklagten Partei Republik Österreich Folge gegeben: Das erstinstanzliche Urteil (das hinsichtlich der Abweisung von € 6.650,– s.A. unbekämpft in Rechtskraft erwachsen ist) wurde aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Mit – den Verfahrensparteien jeweils am zugestelltem – (End-) Urteil vom sprach das Landesgericht Krems an der Donau dem Antragsteller (neuerlich) den begehrten Betrag von € 20.250,– s.A. (also insgesamt € 50,– pro Tag Untersuchungshaft) zu.

Gegen dieses Urteil erhob (nur) die beklagte Partei am Berufung, in der sie die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung begehrt, dass der Zuspruch des Mindestbetrages von € 20,– pro Tag ausreichend sei.

1.2. Am (innerhalb der grundsätzlich normierten vierwöchigen Berufungsfrist des § 464 ZPO) langte beim Verfassungsgerichtshof ein – zu G235/2015 protokollierter – Parteiantrag des Klägers ein, der sich nach "der Gesetzeslage [...] durch das Urteil des Landesgerichtes Krems nicht", wohl aber durch die verfassungswidrige Bestimmung des § 5 Abs 2 zweiter Satz StEG 2005 für beschwert erachtet. "Wäre das Budget[begleit]gesetz 2011 nicht in Kraft getreten, wäre es bei der alten Rechtslage geblieben und hätte das Landesgericht Krems wohl eine Entschädigung in Höhe von € 100 bis € 120 pro Tag des Freiheitsentzuges zugesprochen." Der Parteiantrag erfolge (daher) aus Anlass der Berufung der Finanzprokuratur, die ihm am zugekommen sei. Durch die Anwendung der verfassungswidrigen Norm werde der Antragsteller in seinem Recht darauf verletzt, für den Freiheitsentzug nach einem Freispruch durch das Strafgericht angemessen entschädigt zu werden. Die in § 5 Abs 2 zweiter Satz StEG 2005 normierte Begrenzung widerspreche dem Sachlichkeitsgebot.

1.3. Die Bundesregierung erstattete im zu G235/2015 protokollierten Verfahren eine Äußerung, in der sie unter anderem die Zulässigkeit des Antrages bestreitet, weil der Parteiantrag nach Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG die Erhebung eines Rechtsmittels seitens der antragstellenden Partei voraussetze und nicht – wie hier – aus Anlass der Berufung der gegnerischen Partei eingebracht werden könne. Im Übrigen trat die Bundesregierung den geltend gemachten Bedenken mit näherer Begründung entgegen.

1.4. Die Finanzprokuratur erachtet in ihrer Äußerung den Antrag mangels Beschwer für nicht zulässig; zudem sei der Verfassung ein subjektives Recht auf angemessene Entschädigung für eine rechtmäßig verhängte, nachträglich – zufolge späteren Freispruchs – als ungerechtfertigt erkannte Haft fremd. Die angefochtenen Bestimmungen würden daher in keine verfassungsrechtlich geschützte Position des Antragstellers eingreifen.

2. Bei der Behandlung dieses Parteiantrages sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und" sowie des Wortes "gleichzeitig" in § 62a Abs 1 erster Satz sowie des § 62a Abs 3 und 4 sowie des § 62a Abs 5 zweiter Satz Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 – VfGG, BGBl 85 idF BGBl I 92/2014, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am beschlossen, diese Gesetzesbestimmungen von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3. Die Bundesregierung hat in ihrer Äußerung die Präjudizialität der vom Verfassungsgerichtshof in Prüfung gezogenen Bestimmungen eingeräumt, bezweifelt aber, dass sämtliche vom Verfassungsgerichtshof in Prüfung gezogenen Teile des § 62a VfGG den Sitz der vom Verfassungsgerichtshof angenommenen Verfassungswidrigkeit bildeten. In der Sache beantragt sie mit näherer Begründung, die in Prüfung gezogenen Teile des § 62a VfGG nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Für den Fall der Aufhebung stellt die Bundesregierung den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art 140 Abs 5 B VG für das Außerkraft-treten eine Frist von einem Jahr bestimmen.

II. Rechtslage

1. § 62a VfGG – bei der folgenden Wiedergabe der Bestimmung wird die Kundmachung des Bundeskanzlers über die Aufhebung einer Wortfolge in § 62a Abs 1 Z 4 VfGG, BGBl I 124/2015, bzw. über die Aufhebung der Z 5 des § 62a Abs 1, BGBl I 15/2016, berücksichtigt – hat folgenden Wortlaut (die in Prüfung gezogenen Wortfolgen bzw. Absätze stehen idF BGBl I 92/2014 in Geltung und sind hervorgehoben):

"§62a. (1) Eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, kann gleichzeitig einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben (Art140 Abs 1 Z 1 litd B VG). Die Stellung eines solchen Antrages ist unzulässig:

1. im Verfahren zur Anordnung oder Durchsetzung der Rückstellung widerrecht-lich verbrachter oder zurückgehaltener Kinder (§111a AußStrG);

2. im Besitzstörungsverfahren (§§454 bis 459 ZPO);

3. im Beweissicherungsverfahren (§§384 bis 389 ZPO);

4. im Verfahren gemäß § 52 Abs 1 WEG 2002 und § 22 Abs 1 WGG;

6. im Verfahren betreffend mittlerweilige Vorkehrungen gemäß § 180 NO;

7. im Verfahren gemäß den Bestimmungen des UVG;

8. im Insolvenzverfahren;

9. im Exekutionsverfahren und im Verfahren betreffend einstweilige Verfügun-gen gemäß den Bestimmungen der EO, einschließlich des Verfahrens über die Vollstreckbarerklärung;

10. im Verfahren der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, insbesondere Auslieferung, Übergabe, Rechtshilfe, gegenseitige Anerkennung und Vollstre-ckung.

(2) Der gesetzliche Vertreter eines jugendlichen Beschuldigten (§38 JGG) hat das Recht, auch gegen den Willen des Beschuldigten zu dessen Gunsten einen Antrag zu stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

(3) Der Antrag hat über die Erfordernisse des § 62 hinaus zu enthalten:

1. die Bezeichnung der Entscheidung, gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt, und des ordentlichen Gerichtes, das sie erlassen hat;

2. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob der Antrag rechtzeitig eingebracht ist.

(4) Dem Antrag sind eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie der Entscheidung, gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt, sowie eine Abschrift oder Kopie dieses Rechtsmittels anzuschließen.

(5) Der Verfassungsgerichtshof hat das ordentliche Gericht erster Instanz von der Stellung eines Antrages gemäß Abs 1 unverzüglich zu verständigen. Dieses hat dem Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung über die Rechtzeitigkeit und Zulässigkeit des Rechtsmittels mitzuteilen.

(6) In dem beim Rechtsmittelgericht anhängigen Verfahren dürfen bis zur Ver-kündung bzw. Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten."

2. Diese Bestimmung bildet eine Ausführungsvorschrift zu Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG, der folgendermaßen lautet:

"Artikel 140. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Verfassungswidrigkeit

1. von Gesetzen

[…]

d) auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfas-sungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels;

[…]"

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit

Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen zweifeln ließe. Da diese Bestimmungen vom Verfassungsgerichtshof bereits im Rahmen der Prüfung der Prozessvoraussetzungen anzuwenden sind, ist es dem Verfassungsgerichtshof nicht möglich – anders als in sonstigen Prüfungsverfahren (s. ; VfSlg 3511/1959) –, eine endgültige Prüfung der Zulässigkeit des Anlassverfahrens vorzunehmen; diese wird auf Grund der bereinigten Rechtslage vorzunehmen sein.

2. Bedenken

Der Verfassungsgerichtshof hegte gegen die in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen das Bedenken, dass sie Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG widersprächen, dessen Ausführung sie dienen. Er legte seine Bedenken im Einzelnen wie folgt dar:

"2.1. Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG besagt, dass eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, 'aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels' den Antrag auf Prüfung eines Gesetzes stellen könne. Der Wort-laut dieser Vorschrift dürfte es zumindest nicht ausschließen, dass auch die gegnerische oder eine sonst am Verfahren beteiligte Partei aus Anlass eines Rechtsmittelverfahrens einen solchen Antrag stellt.

2.2. Auch die Entstehungsgeschichte dürfte für diese Interpretation sprechen: Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG geht – nach einer längeren Vorgeschichte – auf mehrere Initiativanträge zurück, die der Verfassungsausschuss des Nationalrates entsprechend dessen Bericht (s. AB 2380 BlgNR 24. GP) beraten und geändert hat. Diese Initiativanträge ähnelten einander im Wesentlichen; als Ergebnis seiner Beratungen stellte der Verfassungsausschuss auf Grund eines gemeinsa-men Abänderungsantrages einen einzigen Gesetzesantrag an den Nationalrat. Nach dessen Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG sollte die Partei einer von einem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache in zwei Fällen einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung eines behaupteterweise verfas-sungswidrigen Gesetzes stellen können: Einerseits aus Anlass der Erhebung eines den Parteien gegen die Entscheidung eines in erster Instanz zuständigen or-dentlichen Gerichtes zustehenden Rechtsmittels (sublitaa des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG), andererseits nach Erlassung der Entscheidung eines in zweiter Instanz zuständigen ordentlichen Gerichtes, wenn der Partei die Stellung eines solchen Antrages gemäß sublitaa nicht zumutbar war (sublitbb leg.cit.).

Im Wege eines vom Nationalrat angenommenen Abänderungsantrages in zwei-ter Lesung wurde Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG schließlich so umgestaltet, wie diese Verfassungsänderung dann kundgemacht wurde (BGBl I [114/2013]). Die Zweiteilung der litd entfiel, stattdessen wurde allgemein die Möglichkeit der Stellung eines Parteiantrages 'aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels' vorgesehen; die in der früheren sublitaa (welcher die endgültige Textierung folgt) enthaltene Wendung 'aus Anlass der Erhebung eines der Partei […] zustehenden Rechtsmittels' wurde fallen gelassen, ebenso entfiel die sublitbb. Schon dies dürfte darauf schließen lassen, dass die früher in zwei verschiedene sublitera geregelten Fälle in einem zusammengefasst werden sollten, sodass mit der Wendung 'aus Anlass […] eines Rechtsmittels' anscheinend bedeuten sollte, dass von jeder Partei der Antrag gestellt werden könnte, sofern ein Rechtsmittel erhoben wird.

2.3. Diese Interpretation dürfte durch den explizit zum Ausdruck gebrachten Willen des historischen Gesetzgebers unterstützt werden:

Zur Begründung dieser Änderung des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG in der Fassung des Ausschussberichts, AB 2380 BlgNR 24. GP, wird zunächst ausgeführt, dass die Gründe, aus denen ein Parteiantrag gestellt werden könne, zusammengefasst werden sollten: Einen solchen Antrag könne die Partei eines gerichtlichen Verfahrens aus Anlass eines Rechtsmittels gegen eine in der Sache ergangene Entscheidung des ordentlichen Gerichts erster Instanz stellen; in solchen Fällen könne die betroffene Partei unter anderem die von ihr behauptete Verfassungs-widrigkeit einer auch verfahrensrechtlichen Regelung mit einem Parteiantrag im Rechtsmittelverfahren gegen die Sachentscheidung relevieren (s. AA-336 24. GP). Daran anschließend führen die Materialien aus (AA-336 24. GP): 'Der Parteiantrag kann aus Anlass eines – ordentlichen – Rechtsmittels gestellt werden, sei es, dass die betreffende Partei selbst ein Rechtsmittel eingebracht hat, sei es, dass sie das als Gegner im Rechtsmittelverfahren tut, wobei aber nicht auf die Zumut-barkeit oder Unzumutbarkeit einer rechtzeitigen Antragstellung abgestellt wird.' (Letzteres bezieht sich auf die ursprüngliche sublitbb des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG in der Fassung des Ausschussberichts, AB 2380 BlgNR 24. GP). Fortsetzend wird klargestellt, dass die Formulierung 'aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels' nicht bedeute, dass der Parteiantrag gleichzeitig mit dem Rechtsmittel oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem erhoben werden müsse; sie bedeute bloß, 'dass überhaupt ein Rechtsmittel erhoben worden sein muss'. Daran schließt der Verfassungsgesetzgeber ausdrücklich folgenden Hinweis:

'Es wird dadurch klargestellt, dass nicht bloß jene Partei antragsbefugt ist, die das Rechtsmittel erhoben hat, sondern alle Parteien des Verfahrens, insb. auch jene, die auf Grund einer möglichen abweichenden zweitinstanzlichen Entschei-dung auf Grund des Rechtsmittels negativ betroffen sein kann.'

Anscheinend um den einfachen Gesetzgeber an diesen Willen des Verfassungs-gesetzgebers zu binden, wird in der Folge noch festgehalten:

'Die Regelung dieses Parteiantrags ist für den einfachen Gesetzgeber nicht disponibel, er kann nur – im Sinne der Effizienz – Zeitpunkt und Frist für den Antrag bestimmen; und zwar entweder im Rechtsmittelverfahren selbst oder auch binnen angemessener Frist nach dessen Abschluss, wenn eine Antragstel-lung im Verfahren selbst das Rechtsschutzbedürfnis der Partei nicht erfüllen kann.'

2.4. Angesichts dieser Entstehungsgeschichte und des so geäußerten Willens des Verfassungsgesetzgebers, dem der von ihm beschlossene Wortlaut der Verfas-sung nicht entgegenstehen dürfte, geht der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass der später vom einfachen Gesetzgeber erlassene § 62a VfGG – in dem in Prüfung gezogenen Umfang – der Verfassungsvorschrift des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG, deren Ausführung er dient, widerspricht. Diese Gesetzesbe-stimmung scheint nämlich ausdrücklich eine Beschränkung der Antragsbefugnis auf jene Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht zu enthalten, die das Rechtsmittel ergreift."

3. Inhaltliche Erwägungen

3.1. Die Bundesregierung schließt sich zwar der vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss einleitend vertretenen Auffassung an, dass der Wortlaut des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG den Gesetzesprüfungsantrag eines Rechtsmittelgegners nach der Entscheidung eines ordentlichen Gerichts in erster Instanz nicht ausschließe. Sie meint aber zunächst, aus einer solchen Auslegung könnten aus folgenden Gründen keine weiteren Schlüsse gezogen werden:

"1.1. […] Dass der Gesetzeswortlaut für sich allein eine solche Auslegung nicht ausschließt, ist zutreffend, nur können daraus keine weiteren Schlüsse gezogen werden. Die gegenständliche Auslegung des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG etwa könnte nur dann richtig sein, wenn die gegnerische Partei im Rechtsmittelverfahren durch die in der Rechtssache ergangene Entscheidung in irgendeiner Weise 'beschwert' ist. Da eine in ein und derselben Sache ergehende Entscheidung zwei einander als Prozessgegner gegenüberstehende Parteien logischerweise nicht gleichzeitig begünstigen kann, erscheint eine Auslegung des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG dahin, dass diese Bestimmung nicht bloß dem Rechtsmittelwerber, sondern auch dem Rechtsmittelgegner ein Antragsrecht einräumt, jedoch kaum plausibel, im Gegenteil: Eine Auslegung des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG, die ein Antragsrecht auch des Rechtsmittelgegners bejaht, hätte zunächst zu begründen, warum das B VG auch einer Partei ein Antragsrecht einräumen sollte, die durch die erstinstanzliche Entscheidung überhaupt nicht 'beschwert' ist. Eine solche Begründung kann nach Ansicht der Bundesregierung jedoch letztlich nicht gefunden werden.

Hinzu kommt, dass eine Auslegung des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG, die ein Antragsrecht auch des Rechtsmittelgegners bejaht, einen unlösbaren Wertungswiderspruch in Kauf nehmen muss. Was nämlich im Einleitungsbeschluss übersehen worden sein dürfte, ist, dass die im Verfahren vor dem ordentlichen Gericht in erster Instanz unterlegene Partei von der Erhebung eines Rechtsmittels gegen die erstinstanzliche Entscheidung, aus welchen Gründen immer, auch absehen (bzw. darauf verzichten) kann. In solchen Fällen kommt es also erst gar nicht zur Erhebung jenes Rechtsmittels, die Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Stellung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle statuiert. Träfe daher die im Einleitungsbeschluss vorgenommene Auslegung des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG zu, dann hätte es die unterlegene Partei in der Hand, es der obsiegenden Partei durch Nichterhebung eines Rechtsmittels zu verunmöglichen, die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Gesetzes an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen (was sie etwa dann in Erwägung ziehen wird, wenn mit einer Gesetzesaufhebung für sie noch nachteiligere Folgen verbunden wären als mit dem erstinstanzlichen Urteil). Dass Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG die Antragslegitimation einer Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht von einem von ihr nicht beinflussbaren, willkürlichen Verhalten der gegnerischen Partei – nämlich der freien Entscheidung dieser Partei, ein Rechtsmittel zu erheben oder aber von dessen Erhebung abzusehen – abhängig macht, kann dieser Verfassungsbestimmung freilich vernünftigerweise nicht unterstellt werden. Unter dieser Prämisse erscheint eine Auslegung des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG dahin, dass nach dem Konzept dieser Verfassungsbestimmung ausschließlich die in erster Instanz unterlegene, zur Erhebung eines Rechtsmittel[s] gegen die erstinstanzliche Entscheidung berechtigte Partei zur Stellung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle legitimiert ist (und nicht auch eine obsiegende Partei bzw. der Rechtsmittelgegner), jedoch im Umkehrschluss geradezu zwingend." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

Vorausgeschickt wird, dass die Bundesregierung ihre Überlegungen insbesondere im Hinblick auf den Zivilprozess darlegt. Diese Überlegungen seien, wie die Bundesregierung betont, auch auf jene in Strafrechtssachen übertragbar: Auch ein in einem Strafverfahren erster Instanz zur Gänze Freigesprochener oder ein Privatbeteiligter, dem privatrechtliche Ansprüche in vollem Umfang zu-gesprochen worden seien, sei demnach zur Stellung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle nicht legitimiert.

Die Bundesregierung setzt mit ihrem Argument eine Prämisse voraus, die so dem Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG nicht entnommen werden kann: Ob es für die Zulässigkeit eines Gesetzesprüfungsantrages nach der erstinstanzlichen Entscheidung eines ordentlichen Gerichts darauf ankommt, ob die zur Antragstellung berechtigte Partei von der erstinstanzlichen Entscheidung beschwert, also möglicher Weise in ihrer subjektiven Rechtssphäre verletzt ist, ist auf Grund des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG und damit erst auf Grund dessen Auslegung zu beantworten. Von der Interpretation des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG hängt es also ab, inwieweit es auf eine Beschwer in einem vor den ordentlichen Gerichten anhängigen Anlassverfahren als Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Gesetzesprüfungsantrages überhaupt ankommt.

Art140 Abs 1 Z 1 litd B VG besagt, dass ein solcher Gesetzesprüfungsantrag von einer Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache "aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels" gestellt werden könne. Daraus ist zunächst nur entnehmbar, dass Voraussetzung eines Gesetzesprüfungsantrages die Erhebung eines Rechtsmittels gegen die erstinstanzliche Entscheidung ist, diese somit nicht rechtskräftig wird. Daraus kann nicht geschlossen werden, welche der Parteien des erst-instanzlichen Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht im Falle der Erhebung eines Rechtsmittels ("aus Anlass") zur Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG legitimiert ist. Für beide Prozessparteien gilt jeweils als Voraussetzung für die Einbringung eines Antrages auf Gesetzesprüfung, dass überhaupt ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung erster Instanz ergriffen worden ist. Der von der Bundesregierung behauptete Wertungswiderspruch besteht daher nicht.

3.2. Der Verfassungsgerichtshof stützte seine Bedenken in erster Linie auf die Absicht des Gesetzgebers, wie sie in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommt. Auch die Bundesregierung stützt sich auf diese und gibt sie in gleicher Weise wieder, zieht daraus aber andere Schlussfolgerungen.

Ausschlaggebend ist die Passage in der Begründung jenes Abänderungsantrages, der die nunmehr geltende Fassung des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG herbeiführte (s. Pkt. 2.3. des unter Pkt. III.2. wiedergegebenen Prüfungsbeschlusses), wonach die Formulierung "aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels" nicht bedeute, dass der Parteiantrag gleichzeitig mit dem Rechtsmittel oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem erhoben werden müsse; sie bedeute bloß, dass überhaupt ein Rechtsmittel erhoben worden sein müsse. Die Begründung fährt fort: "Es wird dadurch klargestellt, dass nicht bloß jene Partei antragsbefugt ist, die das Rechtsmittel erhoben hat, sondern alle Parteien des Verfahrens, insb. auch jene, die aufgrund einer möglichen abweichenden zweitinstanzlichen Entscheidung aufgrund des Rechtsmittels negativ betroffen sein kann." (AA-336, 24. GP, 3).

3.2.1. Die Bundesregierung räumt ein, dass dieser Satz die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes unterstützt, meint aber, er sei unbeachtlich, weil sein Inhalt im Wortlaut der erläuterten Verfassungsbestimmung keine Deckung finde. Dies begründet sie zunächst folgendermaßen:

"1.3.2. Bereits ein Vergleich zwischen den unterschiedlichen Fassungen des Art 140 Abs 1 B VG, die in den beiden Initiativanträgen, im AB und im AA-336 vorgeschlagen werden, legt ein solches Verständnis nahe. Während nach den Initiativanträgen der Parteiantrag auf Normenkontrolle dann hätte gestellt werden sollen, nachdem das letztinstanzliche ordentliche Gericht entschieden hatte, wurde im Verfassungsausschuss ein anderes Modell gewählt: Um das Gleichgewicht der drei Höchstgerichte nicht zu stören, sollte der Parteiantrag schon nach der erstinstanzlichen Entscheidung des ordentlichen Gerichts gestellt werden können. Diese zeitliche Beschränkung der Möglichkeit der Stellung des Parteiantrages hat zur Folge, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über den Parteiantrag vor der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts ergeht. Und während Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG in der Fassung des AB noch die Möglichkeit vorsah, dass der Parteiantrag nach Erlassung der Entscheidung eines in zweiter Instanz zuständigen ordentlichen Gerichtes zulässig sein sollte (nämlich dann, wenn die Stellung des Parteiantrages aus Anlass der Erhebung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung eines erstinstanzlichen ordentlichen Gerichts unzumutbar war, etwa weil das ordentliche Gericht dem Begehren des Antragstellers vollinhaltlich Rechnung getragen hat), sieht die beschlossene Fassung eine solche Antragstellung gerade nicht mehr vor (siehe auch Bußjäger , 'Aus Anlass eines Rechtsmittels' – Ausgewählte Rechtsfragen zur 'Gesetzesbeschwerde', JBl 2015, 149 [152]; Schoditsch , Der Parteiantrag auf Normen-kontrolle, ecolex 2015, 338 [339])." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

Der Verfassungsgerichtshof teilt diese Schlussfolgerung der Bundesregierung nicht: Die Möglichkeit, generell auch nach der Entscheidung des ordentlichen Gerichts zweiter Instanz einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, wurde in der endgültigen Fassung des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG nachvollziehbarer Weise deswegen beseitigt, weil in dieser schließlich vorgesehen wurde, dass auch der Rechtsmittelgegner "aus Anlass eines Rechtsmittels" einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof stellen kann. Dies lässt auf die Intention des Verfassungsgesetzgebers schließen, dass der Wortlaut der Verfassung zum Ausdruck bringen soll, dass im Hinblick auf mögliche Ergebnisse des Rechtsmittelverfahrens Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher Bestimmungen auch durch den Rechtsmittelgegner an den Verfassungsgerichtshof herangetragen werden können. Dies legen auch die Erläuterungen dar.

3.2.2. In ihrer weiteren Argumentation legt die Bundesregierung der Wendung "wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet" in Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG ein spezifisches Verständnis zugrunde und schließt daraus, der Wortlaut dieser Verfassungsbestimmung beschränke die Anfechtungsbefugnis notwendigerweise auf den Rechtsmittelwerber:

"1.3.3. Art 140 Abs 1 B VG regelt die Gesetzesprüfung durch den Verfassungsgerichtshof und bestimmt, wer legitimiert ist, die Prüfung von Gesetzen beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen. Die Legitimation zur Stellung des Parteiantrages auf Normenkontrolle kommt Personen zu, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behaupten, und zwar aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Demnach muss es zumindest möglich sein, dass der Antragsteller durch die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden ist.

Der Parteiantrag auf Normenkontrolle ist außerdem aus Anlass eines Rechtsmittels zu stellen, das gegen eine erstinstanzliche (und nicht auch gegen eine zweitinstanzliche) Entscheidung erhoben wird. Der Antragsteller muss daher wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes durch die Entscheidung des erstinstanzlichen ordentlichen Gerichts in seinen Rechten verletzt sein können. In der Begründung des AA-336 wird zwar die Ansicht vertreten, dass auch eine Partei, die 'aufgrund einer möglichen abweichenden zweitinstanzlichen Entscheidung aufgrund des Rechtsmittels negativ betroffen sein kann', gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG antragslegitimiert ist. Der AA-336 hat hier offenbar Fälle vor Augen, in denen eine Partei in erster Instanz (voll) obsiegt hat und das Berufungsgericht auf Grund einer von der gegnerischen Partei erhobenen Berufung zum gegenteiligen Ergebnis kommt (das Urteil 'umdreht'). Die im AA-336 getroffene Aussage widerspricht jedoch dem klaren und eindeutigen Wortlaut des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG, welcher ausdrücklich verlangt, dass die Rechte der Partei dadurch verletzt worden sein müssen, dass das erstinstanzliche Gericht ein verfassungswidriges Gesetz angewendet hat. Auf eine hypothetische negative Betroffenheit durch die zweitinstanzliche Entscheidung kommt es also – entgegen der Begründung des AA-336, die offenbar infolge eines Redaktionsversehens noch Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG in der Fassung des AB vor Augen hat – nach der geänderten und schließlich Gesetz gewordenen Fassung dieser Bestimmung überhaupt nicht mehr an (siehe in diesem Zusammenhang auch Grabenwarter/Musger , Praxisfragen der Gesetzesbeschwerde im Zivilverfahren, ÖJZ 2015, 551 [557]).

1.3.4. Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG hat allerdings nicht den Regelfall einer verfassungskonformen Rechtslage vor Auge[n], sondern Fälle, in denen die Verletzung in Rechten (ausschließlich) durch die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verursacht wird. Im Ausgangsverfahren etwa hat der Antragsteller zwar im Prozess voll obsiegt, er erachtet jedoch die ihm zugesprochene – der geltenden Gesetzeslage entsprechende – Entschädigungssumme für zu gering und ficht das Gesetz aus diesem Grund als verfassungswidrig an.

Dem Einleitungsbeschluss liegt nun offenbar unausgesprochen die Prämisse zugrunde, Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG müsse – ungeachtet der Änderung, die der Wortlaut dieser Bestimmung im Verlauf der parlamentarischen Beratungen erfahren hat – 'extensiv' so auslegt werden, dass auch in solchen Fällen die Verfassungswidrigkeit des vom erstinstanzlichen Gericht angewendeten Gesetzes von der – nur durch die Rechtsverletzung wegen Anwendung dieses Gesetzes 'beschwerten' – obsiegenden Partei an den Verfassungsgerichtshof herangetragen werden kann. Zu diesem Zweck braucht das sich aus Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG ergebende Erfordernis, dass der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt worden sein muss, dass das erstinstanzliche Gericht ein verfassungswidriges Gesetz zu seinem Nachteil angewendet hat, nach Ansicht der Bundesregierung jedoch nicht 'weginterpretiert' zu werden. In einem Verfahren wie dem Ausgangsverfahren beispielsweise bräuchte der Kläger nur eine Entschädigungssumme in jener Höhe einzuklagen, wie sie ihm seiner Auffassung nach auf Grund einer verfassungskonformen Gesetzeslage zustünde. Mit diesem Klagebegehren könnte er auf Grund der geltenden Gesetzeslage voraussetzungsgemäß nur teilweise durchdringen; in Bezug auf die Abweisung des Mehrbegehrens wäre er als teilweise unterlegene Partei damit auch 'beschwert'. Dass es dem Kläger möglich und zumutbar ist, sein Klagebegehren entsprechend zu formulieren, zeigt schon die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur 'Umwegszumutbarkeit' bei Individualanträgen gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litc B VG, die vom Antragsteller ein ebensolches Vorgehen verlangt.

1.3.5. Es ist daher auch nicht verfassungswidrig, wenn § 62a Abs 1 VfGG auf die Antragstellung durch bestimmte Parteien nicht Bezug nimmt, wenn diese schon von Verfassung wegen nicht legitimiert sind, einen solchen Antrag zu stellen (ebenso Grabenwarter/Musger , ÖJZ 2015, 557; Kneihs , Der Subsidiarantrag auf Verordnungs- und Gesetzeskontrolle, ZfV 2015, 35 [44]; Reiter , Der Parteiantrag auf Normenkontrolle im zivilgerichtlichen Verfahren, RZ2015, 55 [57]; Stefula , Der Parteiantrag auf Normenkontrolle an den VfGH in Zivilverfahren, Zak 2015, 5 [6]; siehe auch Klicka , Der Antrag auf Normenkontrolle durch die Verfahrenspartei im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten, wobl 2015, 10 [11]; aA wohl Bußjäger , JBl 2015, 152, und Rohregger , Der Parteiantrag auf Normenkontrolle ('Gesetzesbeschwerde'), AnwBl 2015, 188 [196]; aA etwa Khakzadeh-Leiler , Der Parteiantrag auf Normenkontrolle, ÖJZ 2015, 543 [545], ohne jedoch auf die Voraussetzung der Antragslegitimation einzugehen)." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

Die Bundesregierung versteht die Wendung "von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet" letztlich dahin, dass die als verfassungswidrig behauptete Gesetzesbestimmung jene sein müsse, die die Rechtsverletzung des Antragstellers bewirke. Gleichzeitig beschränkt sie den Begriff der "Rechtssache" in Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG ausschließlich auf die Entscheidung des Gerichts erster Instanz; sie geht anscheinend davon aus, dass die Rechtssache im Rechtsmittelverfahren vor dem Rechtsmittelgericht eine andere sei. Dementsprechend kommt sie zu dem Ergebnis, dass eine Partei, die in erster Instanz vollständig obsiegt hat, von vornherein nicht in ihren Rechten verletzt sein könne, und es deswegen unerheblich sei, wenn diese Entscheidung auf Grund verfassungswidriger Gesetze ergangen ist.

Die Bundesregierung zieht daraus die prozessuale Schlussfolgerung, dass Voraussetzung der Stellung eines Antrages gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG die einfachgesetzliche Zulässigkeit der Erhebung eines Rechtsmittels durch die von der gerichtlichen Entscheidung negativ betroffenen Partei ist, wie dies § 62a Abs 1 VfGG vorsehe, weil eine andere Partei des erstinstanzlichen Verfahrens gar nicht in ihren Rechten verletzt sein könne.

3.2.3. Entscheidend ist nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes, dass der Verfassungsgesetzgeber in der Textierung des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG auf den Wortlaut des Art 144 B VG zurückgegriffen hat. Auch dieser spricht sowohl in seiner Fassung vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51, (zu welcher die im Folgenden herangezogene Judikatur ergangen ist) als auch in der Fassung danach davon, dass der Beschwerdeführer durch die von ihm bekämpfte Entscheidung "wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrages), eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechts-widrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet". Diese Fassung erhielt Art 144 B VG erstmals durch die B VG Novelle BGBl 302/1975, die ihrerseits auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur früheren Fassung (die nur auf die Verletzung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten abstellte) aufbaute, wobei auch der Verfassungsgerichtshof auf diese Rechtsprechung zurückgriff.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bezieht sich die Wendung "in seinen Rechten verletzt" lediglich auf die Beschwerdelegitimation im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und damit darauf, dass die An-wendung der behaupteterweise rechtswidrigen generellen Normen in einem Bescheid mündete, der die subjektive Rechtssphäre des Beschwerdeführers tangiert:

Bereits vor der Einführung des Tatbestandes "wegen Anwendung einer [generellen Norm] in seinen Rechten verletzt" in Art 144 B VG betonte der Verfassungsgerichtshof, dass die Beschwerdeberechtigung gemäß Art 144 B VG bereits dann gegeben ist, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Beschwerdeführer durch den Bescheid in irgendeinem subjektiven Recht verletzt wird (VfSlg 3172/1957, 3304/1958, 3555/1959). Dabei ist es gleichgültig, ob die mögliche Rechtsverletzung verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte betrifft oder eine einfache Rechtswidrigkeit darstellt (VfSlg 3084/1956). Wie der Verfassungsgerichtshof später dazu präzisierte, richtet sich die Beurteilung, ob ein solches subjektives Recht einer bestimmten Person besteht, nach dem Gesamtbereich der Rechtsordnung (VfSlg 8232/1978).

An dieser Rechtsprechung hielt der Verfassungsgerichtshof nach Aufnahme des Tatbestandes der Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm fest. Er führte aus: "[…] Mit dieser Novelle sollte offenkundig der individuelle Rechtsschutz nur insofern erweitert werden, als die Beschwerdebehauptung genügt, dem angefochtenen Bescheid liege eine rechtswidrige generelle Norm zugrunde, ohne daß die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes behauptet werden müßte […]". Ungeachtet der Aufhebung einer rechtswidrigen generellen Norm aus Anlass eines solchen Verfahrens soll eine Bescheidaufhebung "nur dann zulässig sein, wenn nach der bereinigten Rechtslage eine Rechtsverletzung, im Ergebnis also eine Rechtswidrigkeit, vorliegt" (VfSlg 8690/1979).

An dieser Rechtsprechung hielt der Verfassungsgerichtshof insgesamt bis heute fest (zur Berührung der subjektiven Rechtssphäre s. zB VfSlg 15.044/1997, 19.595/2011, zur bloßen Möglichkeit der behaupteten Rechtsverletzung vgl. VfSlg 15.455/1999, 15.498/1999, 17.548/2005; s. auch VfSlg 18.171/2007 und die jeweils in diesen Entscheidungen zitierte Vorjudikatur; zur Anlegung eines objektiven Maßstabes zur Beurteilung des Eingriffs in die Rechtssphäre s. VfSlg 19.192/2010, 19.595/2011 und die darin zitierte Vorjudikatur).

3.2.4. Wesentlich ist nun, dass nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Art 144 B VG die behaupteterweise rechtswidrige generelle Norm in keinem Bezug zur möglichen Verletzung der subjektiven Rechtssphäre des Beschwerdeführers zu stehen braucht. Die Norm muss lediglich irgendeine normative Grundlage des Bescheides (bzw. der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung) bieten. Sobald die Anwendbarkeit einer generellen Norm in diesem Sinn gegeben ist, ist es "gleichgültig, ob die Verfassungswidrigkeit einer Norm im Anlassverfahren überhaupt zum Tragen kommt" (VfSlg 9336/1982). Eine präjudizielle Bestimmung ist vom Verfassungsgerichtshof in jeder Hinsicht (losgelöst von den Aspekten des Anlassfalles) auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen (VfSlg 9901/1983; s. weiters zB VfSlg 11.190/1986, 13.015/1992, 15.271/1998).

Soweit die als verfassungswidrig geltend gemachte generelle Norm gleichzeitig die subjektive Rechtssphäre berührt, indem sie etwa einen Anspruch vermittelt, kann schon darin die Beschwer (also eine mögliche Rechtsverletzung) liegen, und führt eine Aufhebung dieser Norm wegen Wegfalls dieses Anspruchs dann zur Abweisung der Beschwerde (vgl. zB VfSlg 10.689/1985).

Nicht entscheidend ist es also nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (entgegen zahlreicher Stimmen in der Literatur zur Zeit der Ein-führung dieses Tatbestandes durch die B VG Novelle BGBl 302/1975 – vgl. zB Walter , Die Neuregelung der Verordnungs- und Gesetzesprüfung, in: Mayer/Rill/Funk/Walter, Neuerungen im Verfassungsrecht, 1976, 97; Ermacora , Verfassungsänderungen 1975, JBl. 1976, 79 (83); Ringhofer , Gedanken über einen Entwurf zur Abänderung und Ergänzung des Bundes-Verfassungsgesetzes, FS Hellbling, 607; Aichlreiter , Österreichisches Verordnungsrecht, Band 2, 1988, 1290 f.), dass die mögliche Rechtsverletzung durch die bekämpfte Entscheidung eine Folge jener generellen Norm ist, deren Rechtswidrigkeit vor dem Verfassungsgerichtshof behauptet wird.

Die Prüfung jeglicher in einem Verfahren anwendbaren Norm, und zwar von den Umständen des Anlassfalles losgelöst, kann auch zur Folge haben, dass die mögliche Rechtsverletzung durch die Aufhebung von Rechtsvorschriften durch den Verfassungsgerichtshof wegfällt, sodass die Beschwerde im fortgesetzten Verfahren – "auf Grund der bereinigten Rechtslage" – letzten Endes keinen Erfolg hat; sofern gemessen an der bereinigten Rechtslage der Wegfall der Rechtsverletzung für den Beschwerdeführer im Anlassverfahren offenkundig ist, weist der Verfassungsgerichtshof solche Beschwerden aus Gründen der Verfahrensökonomie – im fortgesetzten Verfahren müsste auch die belangte Behörde zu einer abweisenden (oder gar zurückweisenden) Entscheidung kommen – ab oder macht von der Möglichkeit der Ablehnung Gebrauch (vgl. zB VfSlg 10.689/1985, 17.680/2005; ).

3.2.5. Für die Interpretation des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG, der den Tatbestand des Art 144 B VG übernimmt, sind nun zwei wesentliche Unterschiede zu beachten:

Zum einen ist die Rechtsverletzungsmöglichkeit nicht Prozessvoraussetzung des verfassungsgerichtlichen Verfahrens selbst, sondern jene des Rechtsmittelverfahrens vor dem ordentlichen Gericht, wobei dieses Rechtsmittelverfahren erst – wie es Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG zum Ausdruck bringt – Anlass eines Antrages auf Normprüfung beim Verfassungsgerichtshof sein kann. Zum anderen steht zum Zeitpunkt der Möglichkeit der Stellung eines Parteiantrages an den Verfassungsgerichtshof – nach der Entscheidung des Erstgerichts – noch keineswegs fest, ob es zu einer Rechtsverletzung der in erster Instanz obsiegenden Partei kommen kann, dies steht erst mit der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts fest, durch welche sich die Prozesssituation der Parteien noch ändern kann.

Damit kann aber die Möglichkeit einer Rechtsverletzung allein durch die Entscheidung erster Instanz nicht Prozessvoraussetzung für die Stellung eines Parteiantrages an den Verfassungsgerichtshof sein, wenn Voraussetzung eines solchen ein Rechtsmittelverfahren ist, sodass diese Frage noch in Schwebe ist.

Genau dies bringt Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG inhaltlich mit der Bedingung zum Ausdruck, dass überhaupt gegen die Entscheidung des Erstgerichts ein Rechtsmittel erhoben werden muss. Nur dies ist die Voraussetzung dafür, dass es den Parteien, soweit sie Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit genereller Normen haben, die die ordentlichen Gerichte nicht teilen, im Wege von Parteianträgen an den Verfassungsgerichtshof ermöglicht wird, eine verfassungsrechtlich einwandfreie Rechtsgrundlage für die Entscheidung ihrer Rechtssache herbeizuführen. Ebenso wie im Verfahren nach Art 144 B VG können dabei die Parteien des Verfahrens im Rahmen des § 62a Abs 1 VfGG jede Rechtsvorschrift vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpfen, die Voraussetzung der Entscheidung der ordentlichen Gerichte ist.

Unter "Rechtssache" im Sinne des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG ist somit nicht nur der Gegenstand der Entscheidung des Gerichts erster Instanz zu verstehen, sondern die Rechtssache, die Gegenstand des Rechtsstreits im Instanzenzug der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist. Voraussetzung für die Erhebung eines Parteiantrages ist aber gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG, dass dieser Instanzenzug überhaupt beschritten wird.

3.2.6. In diesem Zusammenhang ist für die Prozesskonstellationen im Zivilprozess, auf die die Bundesregierung ausschließlich abstellt, auf das Argument der Bundesregierung einzugehen, die in erster Instanz obsiegende Prozesspartei im Anlassverfahren hätte auch mehr als den ihr gesetzlich zustehenden Anspruch einklagen können, sodass ihr Mehrbegehren abgewiesen worden wäre und sie so eine Situation hätte herbeiführen können, in der sie bei jedem Prozessausgang in erster Instanz beschwert gewesen wäre. Zunächst stellt sich die Frage, ob dies aus Kostengründen (in allen Fällen) einem Rechtsschutzsuchenden zumutbar wäre, vor allem angesichts des mit der Schaffung des Parteiantrages gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG verfolgten Interesses der Verbesserung des Rechtsschutzes. Gerade vor diesem Hintergrund zeigt aber dieses Beispiel eines in erster Instanz nur teilweise obsiegenden Prozessgegners, dass diese Interpretation zu Wertungswidersprüchen führt: Bei der Frage der Rechtmäßigkeit der generellen Normen geht es nicht nur um jene, die den Anspruch vermitteln, der Gegenstand der Rechtssache ist. Eine "Waffengleichheit" im Rechtsmittelverfahren zwischen den beiden Prozessparteien besteht nur dann, wenn beide aus Anlass des Rechtsmittelverfahrens in gleicher Weise die verfassungsmäßige Grundlage der anzuwendenden Rechtsvorschriften vor den Verfassungsgerichtshof bringen können. Was aber für den teilweise obsiegenden Rechtsmittelwerber gilt, muss auch für jene Partei gelten, die in erster Instanz mit ihrem Anspruch zur Gänze durchdringt.

Diese Überlegungen sind auf den Strafprozess grundsätzlich insoweit übertragbar, als auch dem vom Strafverfahren Betroffenen der Parteiantrag offenstehen soll, wenn die Anklagebehörde ein Rechtsmittel ergreift.

3.2.7. Dass der Verfassungsgesetzgeber auch die Konstellation im Rechtsmittelverfahren im Blick hatte, zeigen die folgenden Sätze der Begründung des Abänderungsantrages (AA-336, 24. GP, 3), auf die der Verfassungsgerichtshof seine Bedenken im Prüfungsbeschluss maßgeblich stützte: "Die Formulierung 'aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels' bedeutet nicht, dass der Parteienantrag gleichzeitig mit dem Rechtsmittel oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem erhoben werden muss; sie bedeutet bloß, dass überhaupt ein Rechtsmittel erhoben worden sein muss." (Hervorhebungen nicht im Original)

Dies entspricht der Textierung des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG mit dem oben dargestellten Verständnis des Begriffs "Rechtssache". Die Begründung des Verfassungsgesetzgebers präzisiert noch weiter (Hervorhebungen nicht im Original): "Es wird dadurch klargestellt, dass nicht bloß jene Partei antragsbefugt ist, die das Rechtsmittel erhoben hat, sondern alle Parteien des Verfahrens, insb. auch jene, die aufgrund einer möglichen abweichenden zweitinstanzlichen Entscheidung aufgrund des Rechtsmittels negativ betroffen sein kann. " Auch dies steht im Einklang mit dem Wortlaut des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG, sofern man die Begriffe "Rechtssache" und "in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet" ebenso wie in Art 144 B VG als mögliche Rechtsverletzung im Verfahren insgesamt versteht, also auch jener Partei, die "aufgrund des Rechtsmittels negativ betroffen sein kann".

3.2.8. Zu den möglichen Verfahrensregelungen durch den einfachen Gesetzgeber stellt die Begründung des Abänderungsantrages noch dar, dass die "Regelung dieses Parteienantrages […] für den einfachen Gesetzgeber nicht disponibel" ist (also auch der Antrag des Prozessgegners im Rechtsmittelverfahren zwingend vorzusehen ist). Zur prozessualen Verwirklichung besteht für den einfachen Gesetzgeber nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers in bestimmter Hinsicht ein weiter Spielraum: Er könne zwar "nur – im Sinne der Effizienz – Zeitpunkt und Frist für den Antrag bestimmen"; dies aber "entweder im Rechtsmittelverfahren selbst oder auch binnen angemessener Frist nach dessen Abschluss, wenn eine Antragstellung im Verfahren selbst das Rechtsschutzbedürfnis der Partei [damit ist der Prozessgegner des Rechtsmittelwerbers gemeint] nicht erfüllen kann".

3.2.9. Für den Verfassungsgerichtshof folgt aus der Begründung des Ab-änderungsantrages, dass auch der in erster Instanz (vollständig) obsiegenden Partei, die im Falle eines Rechtsmittelverfahrens entsprechend Prozessgegner ist, vom Gesetzgeber die Möglichkeit einer Antragstellung einzuräumen ist.

§62a VfGG steht mit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht im Einklang, er verhindert, dass der Prozessgegner einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof gegen Gesetzesvorschriften richtet, die Grundlage der Entscheidung der Rechtssache im Instanzenzug sind oder sein könnten und gegen die er verfassungsrechtliche Bedenken hegt.

§62a VfGG ist daher im in der Folge dargelegten Umfang verfassungswidrig.

4. Zum Sitz der Verfassungswidrigkeit

4.1. Die Bundesregierung wendet sich im Rahmen der Ausführungen zu den Prozessvoraussetzungen gegen den Umfang der vom Verfassungsgerichtshof in Prüfung gezogenen Bestimmungen und meint, sie seien nicht zur Gänze Sitz der vom Verfassungsgerichtshof angenommenen Verfassungswidrigkeit. Sie begründet dies folgendermaßen:

"3. Die Bundesregierung teilt die im Einleitungsbeschluss geäußerte vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes, dass die in Prüfung gezogenen Teile des § 62a VfGG vom Verfassungsgerichtshof im Rahmen der Prüfung der Prozess-voraussetzungen anzuwenden und damit präjudiziell sind. Sie tritt jedoch der dem Einleitungsbeschluss implizit zugrunde liegenden Annahme, alle diese Teile des § 62a VfGG seien zugleich auch Sitz der vom Verfassungsgerichtshof vorläufig angenommenen Verfassungswidrigkeit, ausdrücklich entgegen. Wenn die Verfassungswidrigkeit des § 62a VfGG nämlich darin besteht, dass diese Bestimmung deswegen Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG widerspricht, weil sie 'ausdrücklich eine Beschränkung der Antragsbefugnis auf jene Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht [enthält], die das Rechtsmittel ergreift', dann ist es zur Herstellung einer verfassungskonformen Rechtslage nicht erforderlich, sämtliche Bezugnahmen in der Ausführungsvorschrift des § 62a VfGG auf jenes Rechtsmittel, dessen Erhebung von Verfassung wegen den Anlass für die Stellung des Parteiantrages auf Normenkontrolle zu bilden hat (arg. 'aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels' in Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG), zu eliminieren und dadurch jeglichen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen Rechtsmittelerhebung und Stellung des Parteiantrages auf Normenkontrolle zu kappen (so wie dies bei einer Aufhebung aller in Prüfung gezogenen Bestimmungen der Fall wäre).

Eine vollständige Aufhebung aller in Prüfung gezogenen Teile des § 62a VfGG hätte – zumindest bei isolierter Betrachtung der einfachgesetzlichen Rechtslage – zur Folge, dass es auf einen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der Rechtsmittelerhebung und der Stellung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle überhaupt nicht mehr ankäme, dass also ein Parteiantrag auf Normenkontrolle völlig unabhängig von der Erhebung eines Rechtsmittels – allenfalls auch erst nach Rechtskraft der Entscheidung im Verfahren vor dem ordentlichen Gericht – gestellt werden könnte. Der verbleibende Norminhalt wäre diesfalls nicht nur im Hinblick auf Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG offenkundig verfassungswidrig, sondern hätte auch einen gänzlich veränderten, der (einfachen Ausführungs-)Gesetzgebung nicht zusinnbaren Inhalt.

Insbesondere eine Aufhebung des ganzen Abs 3 des § 62a VfGG kommt nach Ansicht der Bundesregierung wohl schon deswegen nicht in Betracht, weil sich diese Bestimmung darauf beschränkt, spezielle inhaltliche Erfordernisse für den Antrag gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG zu normieren. Zweck dieser Bestimmung ist es, dem Verfassungsgerichtshof ua. die Überprüfung zu ermöglichen, ob der Antrag auch tatsächlich 'aus Anlass eines gegen [die] Entscheidung erhobenen Rechtsmittels' gestellt worden ist, so wie Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG dies statuiert; ihr gänzlicher Wegfall würde dem Verfassungsgerichtshof diese Aufgabe lediglich unnötig erschweren.

Warum zur Herstellung einer verfassungskonformen Rechtslage § 62a Abs 5 zweiter Satz VfGG aufgehoben werden muss, ist für die Bundesregierung ebenfalls nicht ersichtlich, denn ein den Anlass für die Stellung des Parteiantrages auf Normenkontrolle bildendes Rechtsmittel muss von Verfassung wegen ja jedenfalls erhoben worden sein. Dies kommt auch in dem – im Einleitungsbeschluss zu Recht nicht in Prüfung gezogenen – § 62a Abs 6 VfGG zum Ausdruck, in dem auf das 'beim Rechtsmittelgericht anhängige Verfahren' Bezug genommen wird. Da eine Entscheidung des ordentlichen Gerichtes erster Instanz über die Rechtzeitigkeit und Zulässigkeit dieses Rechtsmittels für das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und die von diesem zu treffende Entscheidung rechtlich von Bedeutung ist, ist es nur konsequent, wenn sie ihm auch mitgeteilt wird.

Selbst wenn § 62a VfGG daher aus den im Einleitungsbeschluss geäußerten vorläufigen Bedenken verfassungswidrig sein sollte, könnte nach Ansicht der Bundesregierung zur Herstellung einer verfassungskonformen Rechtslage mit der Aufhebung folgender Teile dieser Bestimmung das Auslangen gefunden werden:

 der Wortfolge 'rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und' und des Wortes 'gleichzeitig' in § 62a Abs 1 erster Satz VfGG;

 der Wortfolge ' , gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt,' in § 62a Abs 3 Z 1 VfGG;

 der Wortfolge ' , gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt, sowie eine Abschrift oder Kopie dieses Rechtsmittels' in § 62a Abs 4 VfGG."

Die Bundesregierung sieht einen Zusammenhang mit dem Umfang der Aufhebung und der Notwendigkeit der Setzung einer Frist für das Außerkrafttreten der vom Verfassungsgerichtshof gegebenenfalls aufzuhebenden Bestimmungen und begründet dies folgendermaßen:

"Diese Frist von einem Jahr erscheint erforderlich, weil bei einem Inkrafttreten der Aufhebung mit Ablauf des Tages der Kundmachung des Erkenntnisses das Verhältnis zwischen dem im Verfahren vor dem ordentlichen Gericht erhobenen Rechtsmittel und dem Parteiantrag auf Normenkontrolle grundsätzlich überdacht und völlig neu geregelt werden müsste. Dies gälte insbesondere für eine Aufhebung aller in Prüfung gezogener Teile des § 62a VfGG, weil diesfalls der sachliche und zeitliche Zusammenhang zwischen beiden Instituten und die für einen Parteiantrag auf Normenkontrolle geltenden formellen und inhaltlichen Erfordernisse mit Inkrafttreten der Aufhebung vollständig ungeregelt wären. Schließlich müsste auch § 57a VfGG entsprechend angepasst werden."

4.2. Mit diesen Ausführungen ist die Bundesregierung teilweise im Recht. Zunächst ist vorauszuschicken, dass der Verfassungsgerichtshof es nicht für er-forderlich hält, für das Außerkrafttreten eine Frist zu setzen, und zwar im Hinblick auf den im Folgenden dargestellten Umfang der Aufhebung der von ihm als verfassungswidrig erachteten Bestimmungen, wie er aus dem Spruch hervorgeht.

Zur Beseitigung der vorhin dargestellten Verfassungswidrigkeit ist es, wie auch die Bundesregierung einräumt, jedenfalls erforderlich, alle Wortfolgen aus § 62a VfGG zu entfernen, die darauf abstellen, dass nur jene Partei einen Antrag gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG stellen kann, die selbst ein zulässiges Rechtsmittel erhebt. Dies hat zur Folge, dass die Wortfolge "rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und" sowie das Wort "gleichzeitig" in § 62a Abs 1 erster Satz VfGG aufzuheben sind.

In § 62a Abs 3 Z 1 VfGG reicht die Aufhebung der Wortfolge ", gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt," aus. Die verbleibende Vorschrift erlaubt dem Verfassungsgerichtshof die Deutung, dass es sich um die Entscheidung handelt, aus deren Anlass ein Parteiantrag erhoben wird. Die Z 2 des § 62a Abs 3 VfGG erfährt insofern eine Bedeutungsänderung, als die darin enthaltene Bezugnahme auf die für den Rechtsmittelwerber geltende strikte Frist ("gleichzeitig") in § 62a Abs 1 VfGG wegen dessen Veränderung entfällt. Die Angaben, die nach dem verbleibenden Teil des § 62a Abs 3 VfGG in Zukunft erforderlich sind, ermöglichen dem Verfassungsgerichtshof in Hinkunft vor dem Hintergrund des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG zu beurteilen, aus Anlass welchen Rechtsmittels der Antrag von einer Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht gestellt wird und wie das zeitliche Verhältnis zwischen der Erhebung des Rechtsmittels und dem Antrag vor dem Verfassungsgerichtshof ist. Solange durch den Gesetzgeber keine Neuregelung erfolgt, hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtzeitigkeit – aus-gehend vom Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers – unmittelbar vor dem Hintergrund des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG zu beurteilen.

Daraus folgt, dass ein solcher Antrag durch den Rechtsmittelwerber grundsätzlich dann rechtzeitig ist, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist gestellt wird, und für den Rechtsmittelgegner – jedenfalls bei zweiseitigen Rechtsmitteln – der Parteiantrag während der Frist zur Beantwortung des Rechtsmittels erfolgt.

Auch die Aufhebung in Abs 4 des § 62a VfGG kann auf die Wendung ", gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt," beschränkt werden. Die verbleibende Vorschrift ermöglicht dem Verfassungsgerichtshof, die Voraussetzungen eines Verfahrens nach Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG zu beurteilen, das von einer Partei angestrengt wird, die nicht das den Anlass im Sinne des Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG bietende Rechtsmittel erhoben hat. Die Wendung "dieses Rechtsmittels anzuschließen" im verbleibenden Text des § 62a Abs 4 VfGG lässt sich vor dem Hintergrund des Gesagten dahingehend deuten, dass eine Abschrift oder Kopie jenes Rechtsmittels anzuschließen ist, das das Rechtsmittelverfahren ausgelöst hat, auch wenn es nicht von jener Partei erhoben wurde, die den Antrag gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG an den Verfassungsgerichtshof stellt.

Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht erforderlich, den zweiten Satz des § 62a Abs 5 VfGG aufzuheben. Auch wenn der Parteiantrag gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG nicht vom Rechtsmittelwerber eingebracht wird, hat das ordentliche Gericht erster Instanz dem Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung über die Rechtzeitigkeit und Zulässigkeit des Rechtsmittels mitzuteilen. Die Folgen einer solchen Entscheidung wird der Verfassungsgerichtshof im Verfahren über den Parteiantrag zu beurteilen haben.

4.3. Da durch die Aufhebung im beschriebenen Umfang § 62a VfGG einer Vollziehung in verfassungskonformer Weise zugänglich ist, sieht der Verfassungsgerichtshof von der Setzung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstellen gemäß Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B VG ab. Der Ausspruch gemäß Art 140 Abs 6 erster Satz B VG, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, bewirkt, dass bereits anhängige Verfahren und künftig eingebrachte Parteianträge gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG auf Grund des § 62a VfGG in der durch dieses Erkenntnis bereinigten Fassung zu beurteilen sein werden.

IV. Ergebnis

1. Die Wortfolge "rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und" sowie das Wort "gleichzeitig" in § 62a Abs 1 erster Satz, die Wortfolge ", gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt," in § 62a Abs 3 Z 1 und die Wortfolge ", gegen die die Partei ein Rechtsmittel erhebt," in § 62a Abs 4 VfGG idF BGBl I 92/2014 sind daher als verfassungswidrig aufzuheben. Im Übrigen, nämlich hinsichtlich der darüber hinaus in Prüfung gezogenen Wortfolgen des § 62a Abs 3 und 4 leg.cit. sowie des § 62a Abs 5 zweiter Satz leg.cit., ist das Verfahren einzustellen.

2. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B VG.

3. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich veranlasst, von der ihm durch Art 140 Abs 7 zweiter Satz B VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und auszusprechen, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.

4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Ver-handlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:G95.2016