VfGH vom 07.12.1988, G94/88

VfGH vom 07.12.1988, G94/88

Sammlungsnummer

11929

Leitsatz

Wr. WasserversorgungsG 1960 § 25 Abs 2; Wr. Kanalräumungs- und KanalgebührenG 1978 § 23 Abs 2; Haftung des Gebührenschuldners für die Gebühren seines Vorgängers auch bei Erwerb aus einer Konkursmasse nicht unsachlich

Spruch

Dem Antrag wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim VwGH ist ein Beschwerdeverfahren gegen einen Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom anhängig, mit dem die bf. Gesellschaft letztinstanzlich zur Zahlung von Wasser- und Abwassergebühren für einen bestimmten Zeitraum in Anspruch genommen wurde, die am Konto des früheren Wasserabnehmers aushafteten, über dessen Vermögen der Konkurs eröffnet worden war.

2. Der VwGH beantragt aus Anlaß dieses Verfahrens, § 25 Abs 2 des Gesetzes vom betreffend die Zuleitung und Abgabe von Wasser (Wasserversorgungsgesetz 1960), LGBl. für Wien Nr. 10, sowie § 23 Abs 2 des Gesetzes vom über den Betrieb und die Räumung von Kanalanlagen und über die Einhebung von Gebühren für die Benützung und Räumung von Unratsanlagen (Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetz 1978), LGBl. für Wien Nr. 2/1978, als verfassungswidrig aufzuheben.

In seiner Begründung verweist der VwGH zunächst auf seine (geänderte) Rechtsprechung zu § 67 Abs 4 ASVG (VwSlg. 11.241 A/1983, 11.273 A/1983; Hinweis auch auf /0060), wonach diese Bestimmung nach einer systematisch-teleologischen Auslegung, zu der auch "die Bedachtnahme auf seine Verfassungskonformität zähle", und auf Grund eines Vergleiches mit verwandten Haftungsnormen (§188 der III. Teilnovelle zum ABGB, Art 6 Abs 5 der 4. Einführungsverordnung zum HGB, § 14 Abs 2 BAO) so auszulegen sei, daß die Haftung des Betriebsnachfolgers für Sozialversicherungsbeitragsschulden des Vorgängers nur im Falle des rechtsgeschäftlichen Erwerbes und nicht im Falle des Erwerbes aus einer Konkursmasse eintrete.

Im weiteren betont der VwGH den Unterschied des Wortlautes zwischen § 67 Abs 4 ASVG und den von ihm bekämpften Bestimmungen, daß diese nämlich nicht vom "Erwerber" eines Betriebes sprächen, sondern von jeglichem "Wechsel in der Person des Wasserabnehmers" bzw. "Gebührenschuldners". Den Kern seiner Bedenken formuliert der VwGH dann folgendermaßen:

"Der VwGH hat nun das Bedenken, daß die Regelungen der §§25 Abs 2 WVG und 23 Abs 2 KKG dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheits-(Sachlichkeits)gebot deshalb widersprechen, weil sie keine dem § 188 der III. Teilnovelle (nunmehr § 1409a ABGB), dem Art 6 Abs 5 der 4. Einführungsverordnung zum HGB (nunmehr § 25 Abs 4 HGB) und dem § 14 Abs 2 BAO entsprechende Regelung enthalten, wonach nämlich die jeweiligen Haftungsbestimmungen jedenfalls nicht bei einem Erwerb aus einer Konkursmasse gelten. Im Beschwerdefall ist dies konkret im Hinblick auf § 7 Abs 1 litd WVG von Bedeutung, wonach unter anderem auch der Betriebsinhaber als Wasserabnehmer anzusehen ist und damit gemäß § 20 Abs 1 WVG bzw. § 14 Abs 1 KKG als Gebührenschuldner in Betracht kommt. Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, der es rechtfertigen würde, im Falle eines rechtsgeschäftlichen Erwerbes eines Betriebes aus einer Konkursmasse den nunmehrigen Betriebsinhaber (§7 Abs 1 litd, § 25 Abs 2 WVG bzw. § 14 Abs 1, § 23 Abs 2 KKG) hinsichtlich der Wasser- und Abwassergebühren schlechter zu stellen als nach den oben zitierten Bestimmungen des ABGB, des HGB und der BAO.

Zwar hat der VfGH in seinem Erkenntnis vom , B221/72, VfSlg. 6903, die Bestimmung des § 25 Abs 2 WVG für verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen, dies jedoch nur unter dem Gesichtspunkt des damaligen Beschwerdevorbringens, bei verfassungskonformer Auslegung könne eine Haftung nach dieser Gesetzesstelle nur Platz greifen, wenn der Wechsel in der Person des Wasserabnehmers auf vertragliche Vereinbarungen zwischen dem bisherigen Wasserabnehmer und seinem Nachfolger zurückzuführen sei. Bedenken in der hier aufgezeigten Richtung waren jedoch nicht Gegenstand jenes Erkenntnisses."

3. Die Wiener Landesregierung ist in ihrer Äußerung den Bedenken des VwGH folgendermaßen entgegengetreten:

"Diesen Ausführungen vermag die Wiener Landesregierung unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis des , nicht zu folgen. In diesem Erkenntnis, mit dem die Bestimmung des § 25 Abs 1 Wasserversorgungsgesetz als verfassungswidrig aufgehoben wurde, hat der VfGH zur Verdeutlichung des Unterschiedes zwischen der als verfassungswidrig aufgehobenen Norm und der von ihm als verfassungskonform gewerteten Regelung des § 25 Abs 2 Wasserversorgungsgesetz ausdrücklich auf das Vorerkenntnis VfSlg. 6903/1972 hingewiesen. Darin wurde festgestellt, daß die Heranziehung des nachfolgenden Wasserabnehmers als Haftungspflichtigen für die Abgabenrückstände des Vorgängers in dem im § 25 Abs 2 Wasserversorgungsgesetz beschränkten Ausmaß ohne Rücksicht darauf, ob zwischen Vorgänger und Nachfolger irgendwelche Rechtsbeziehungen bestehen, sachlich gerechtfertigt wäre. Die sachliche Rechtfertigung ergäbe sich zunächst aus dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Einbringlichkeit der Wassergebühren. Es sei unbestreitbar, daß im Falle des Wechsels in der Person des Wasserabnehmers zwischen Vorgänger und Nachfolger ein sachlicher Zusammenhang bestehe, der eine Haftung des Nachfolgers für Abgabenrückstände des Vorgängers grundsätzlich rechtfertige. Der VfGH hat weiters in diesem Zusammenhang ins Treffen geführt, daß auch der nachfolgende Wasserabnehmer, der mit seinem Vorgänger in keinen Rechtsbeziehungen stand, die Möglichkeit habe, rechtzeitig allfällige, seine Haftung nach § 25 Abs 2 Wasserversorgungsgesetz auslösende Wassergebührenrückstände durch Anfrage bei der Abgabenbehörde festzustellen und anläßlich der Begründung jener Rechtsbeziehungen, die ihn zum nachfolgenden Wasserabnehmer werden lassen, wirtschaftlich in Anschlag zu bringen. Darüberhinaus besteht weder im Wasserversorgungsgesetz noch im Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetz eine bindende Verpflichtung, einen Wasserzähler (Abgabestelle) zu übernehmen und damit abgabenrechtliche Konsequenzen auszulösen. In der Praxis wird bei Weigerung der Übernahme eines Anschlusses der Betrieb über den Hauswasserzähler versorgt. Eine Haftung tritt nicht ein.

Die Wiederholung dieser grundsätzlichen Ausführungen im Erkenntnis vom , Zl. G42/87-7, spricht nach Auffassung der Wiener Landesregierung ebenso wie der Hinweis dieses Erkenntnisses, daß die wirtschaftliche Berücksichtigung von Gebührenrückständen keineswegs nur bei einem Eigentumswechsel in Betracht kommt, gegen die Auslegung des VwGH und damit aber auch gegen die vom VwGH im gegenständlichen Normenprüfungsverfahren vorgebrachten Bedenken.

Aus den zitierten Erkenntnissen ergibt sich, daß die Einschränkung der Haftung auf Fälle rechtsgeschäftlicher Übereignung für die Verfassungskonformität entbehrlich ist. Wenn nun bei bestimmten Formen der Übereignung, nämlich bei Erwerb aus einer Konkursmasse oder im Zuge eines Vollstreckungsverfahrens die Haftung des nachfolgenden Wasserabnehmers nicht ausgeschlossen wird, erscheint auch dies im Zusammenhang mit allen anderen Formen der "Nachfolge" verfassungskonform.

Auch erscheint nicht einsichtig, weshalb bei Erwerb oder Übereignung im Zuge eines Konkurses oder Vollstreckungsverfahrens die Bewertung der Gegenleistung unter allfälliger Berücksichtigung offener Gebührenschulden nicht der freien wirtschaftlichen Beurteilung des Übernehmers bzw. Erwerbers unterliegen soll. Auch wird hier ein unentgeltlicher Erwerb eher die Ausnahme darstellen und könnte auch bei diesem ein Gebührenrückstand wirtschaftlich in Anschlag gebracht werden.

Die Überlegungen zu § 25 Abs 2 Wasserversorgungsgesetz sind auf § 23 Abs 2 Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetz voll übertragbar, wozu noch kommt, daß Gegenstand der Gebührenpflicht sowohl nach diesem Gesetz als auch nach dem Wasserversorgungsgesetz die Benützung der öffentlichen Einrichtung (Wasserleitung, Kanalisation) durch den Gebührenschuldner ist und dieses Benutzungsrecht dem jeweiligen Nachfolger in diesem Recht ohne eine auf Bestand und Umfang seiner Rechtsbeziehung mit den Vorgängern bezogene Einschränkung bzw. Ausdehnung eingeräumt ist."

Abschließend beantragt die Wiener Landesregierung, dem Antrag des VwGH keine Folge zu geben.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Angesichts der vom VwGH zu beurteilenden Rechtsfragen spricht nichts gegen seine Annahme, er habe in seinem Verfahren die von ihm bekämpften Gesetzesstellen anzuwenden. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.

2. Die vom VwGH angefochtenen Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:

§ 25 Abs 2 Wasserversorgungsgesetz 1960, LGBl. für Wien Nr. 10 (im weiteren "WVG" abgekürzt):

"Bei einem Wechsel in der Person des Wasserabnehmers gemäß § 7 Abs 1 Punkt b bis e haftet der neue Abnehmer neben dem früheren für alle Rückstände an Gebühren, Kosten und Zuschläge, die für die Zeit seit dem Beginn des letzten vor dem Wechsel liegenden Kalenderjahres aufgelaufen sind und die Abnahmestelle betreffen, auf die sich der Wechsel bezieht."

§ 23 Abs 2 des Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetzes 1978, LGBl. für Wien Nr. 2 (im weiteren "KKG" abgekürzt):

"Bei Wechsel in der Person des Gebührenschuldners haftet auch der neue Gebührenschuldner für alle rückständigen Gebührenbeträge samt Nebengebühren, die seit dem Beginn des dem Wechsel in der Person vorangegangenen Kalenderjahres fällig geworden sind."

Schuldner der Wassergebühr ist nach § 20 Abs 1 der Wasserabnehmer, das ist nach § 7 Abs 1 WVG jeder, der über eine selbständige Abzweigleitung Wasser aus der städtischen Wasserleitung entnimmt, und zwar


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"a)
der Hauseigentümer für die über den Wasserzähler seines Hauses bezogene Wassermenge,
b)
der Bauherr für Bauzwecke,
c)
der Nutzungsberechtigte von unverbauten Grundstücken,
d)
der Betriebsinhaber,
e)
der sonstige Wasserverbraucher."

Schuldner der Abwassergebühren ist nach § 14 KKG im allgemeinen der Wasserabnehmer nach § 7 WVG, in bestimmten Fällen "der Schuldner der Grundsteuer für den Grundbesitz", grundsätzlich also der Grundeigentümer (§9 Grundsteuergesetz 1955).

3. Die Bedenken des VwGH sind nicht begründet.

a) Der VfGH hat sich bereits im Erkenntnis VfSlg. 6903/1972 mit der Verfassungsmäßigkeit des § 25 Abs 2 WVG beschäftigt und dort ausgesprochen, daß das öffentliche Interesse an der Sicherung der Einbringlichkeit von Wassergebühren nicht in jeder Beziehung eine sachliche Rechtfertigung für die Begründung von persönlichen Haftungen bietet. Die Haftungsbestimmung des § 25 Abs 2 WVG hat der VfGH aus zwei Gründen für sachlich gerechtfertigt gehalten: Daß im Falle des Wechsels der Übergang in der Person des Wasserabnehmers einen sachlichen Zusammenhang begründet und daß die Haftung des nachfolgenden Wasserabnehmers auf die Rückstände von maximal zwei Jahren beschränkt ist. Ergänzend wies der VfGH in diesem Erkenntnis darauf hin, daß der nachfolgende Wasserabnehmer die Möglichkeit hätte, rechtzeitig allfällige, seine Haftung auslösende Gebührenrückstände durch Anfrage an die Abgabenbehörde festzustellen und anläßlich der Begründung jener Rechtsbeziehungen, die ihn zum nachfolgenden Wasserabnehmer werden lassen, wirtschaftlich in Anschlag zu bringen.

Dieses Erkenntnis ist ebenso wie das diese Rechtsprechung fortsetzende, von der Wiener Landesregierung angeführte Erkenntnis vom , G42/87, in einem Fall ergangen, in dem über das Vermögen des früheren Wasserabnehmers der Konkurs eröffnet worden war. Mit der Frage, ob auch in diesem Fall die Haftung des nachfolgenden Wasserabnehmers sachlich gerechtfertigt ist, hat sich der VfGH in den genannten Erkenntnissen aber nicht ausdrücklich beschäftigt.

b) Der VwGH leitet seine Bedenken aus einem von ihm angenommenen allgemeinen Grundsatz der Rechtsordnung ab, wonach der Erwerber eines Betriebes aus einer Konkursmasse für die Schulden seines Vorgängers nicht hafte. Tatsächlich hat der Gesetzgeber für zahlreiche Rechtsbereiche, insbesondere für jenen des Zivilrechts (§1409 a ABGB, § 25 Abs 4 HGB) und für weite Bereiche öffentlich-rechtlicher Schulden (§14 Abs 2 BAO,§ 67 Abs 5 ASVG idF BGBl. 111/1986) einen solchen Haftungsausschluß statuiert. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese verschiedenen Regelungen soweit vergleichbare Wertungsgesichtspunkte und die diesen Regelungen zugrundeliegenden Voraussetzungen soweit vergleichbar sind, daß aus ihnen ein einheitlicher Maßstab zur Prüfung weiterer solcher Regelungen im Sinne des verfassungsgesetzlichen Gleichheitsgebotes gewonnen werden kann; jedenfalls dann sind die vom VwGH bekämpften Bestimmungen verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn ein sachlicher Grund für die Haftung des Gebührenschuldners für die Gebühren seines Vorgängers auch bei Erwerb aus einer Konkursmasse besteht.

c) Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß in den vorliegenden Fällen eines Gebührenschuldnerwechsels die Haftung nicht notwendigerweise mit dem Übergang einer Vermögensmasse verbunden ist, wie dies für die vom VwGH herangezogenen Haftungsnormen zutrifft. Voraussetzung für die Haftung nach § 25 Abs 2 WVG (und damit auch nach § 23 Abs 2 KKG) ist, daß über dieselbe selbständige Abzweigleitung Wasser entnommen wird wie vom Vorgänger. Lediglich im Falle des § 7 Abs 1 litd WVG ist Voraussetzung der Haftung ein Betriebswechsel. Aber auch in diesem Falle kann, worauf die Wiener Landesregierung in ihrer Äußerung hinweist, der nachfolgende Betriebsinhaber seine Haftung dadurch abwenden, daß er die selbständige Abzweigleitung nicht übernimmt.

Daß an sich und unter bestimmten Voraussetzungen eine solche - auf einen bestimmten Zeitraum beschränkte - Haftung des nachfolgenden Gebührenschuldners auch ohne Übergang einer Vermögensmasse sachlich gerechtfertigt ist, wurde bereits im vorhin wiedergegebenen Erkenntnis VfSlg. 6903/1972 dargelegt. Der VfGH bleibt bei dieser Rechtsprechung.

Der VfGH ist aber - was der VwGH übersieht - der Auffassung, daß der Gesetzgeber unter dem Aspekt des Sachlichkeitsgebotes nicht unbedingt gehalten ist, für den Fall des Erwerbes aus einer Konkursmasse von den - an sich sachlichen - Regelungen des § 25 Abs 2 WVG und § 23 Abs 2 KKG abweichende Vorschriften zu erlassen. Dazu ist der Gesetzgeber insbesondere dann nicht gehalten, wenn der Erwerber im Wege des an die Konkursmasse zu zahlenden Übernahmspreises, der durch die zu übernehmende Haftung geringer sein wird, seine Haftung wirtschaftlich überwälzen kann. Die Möglichkeit, allfällige die Haftung auslösende Gebührenrückstände wirtschaftlich in Anschlag zu bringen, hat im übrigen den VfGH im bereits mehrfach erwähnten Erkenntnis VfSlg. 6903/1972 unter anderem bewogen, § 25 Abs 2 WVG als mit dem Sachlichkeitsgebot in Einklang stehend anzusehen.

4. Da der VfGH die Bedenken des VwGH somit nicht teilt, ist dem Antrag nicht Folge zu geben.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.