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VfGH vom 09.10.1982, g94/81

VfGH vom 09.10.1982, g94/81

Sammlungsnummer

9536

Leitsatz

Tir. Grundverkehrsgesetz 1970; Verfassungswidrigkeit der Worte "vom Bundesminister für Justiz" in § 13 Abs 5; Mitwirkung von obersten Organen des Bundes bei der Vollziehung der Länder - keine Deckung im B-VG; insbesondere nicht in Art 97 Abs 2

Spruch

Die Worte "vom Bundesminister für Justiz" in § 13 Abs 5 des Grundverkehrsgesetzes 1970 (GVG 1970), Anlage zur Kundmachung der Tir. Landesregierung vom über die Wiederverlautbarung des Grundverkehrsgesetzes 1966; LGBl. 4/1971, in der Fassung der Nov. LGBl. 6/1974, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Der Landeshauptmann von Tirol ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim VfGH sind in vierzig Fällen Beschwerden gegen Bescheide der Landesgrundverkehrsbehörde beim Amt der Tir. Landesregierung anhängig. Der VfGH hat aus Anlaß dieser Verfahren beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit der Worte "vom Bundesminister für Justiz" in § 13 Abs 5 des Grundverkehrsgesetzes 1970 (GVG 1970), Anlage zur Kundmachung der Tir. Landesregierung vom über die Wiederverlautbarung des Grundverkehrsgesetzes 1966, LGBl. 4/1971, idF der Nov. LGBl. 6/1974, von Amts wegen zu prüfen. Es handelt sich hiebei - geordnet nach den Geschäftszahlen der eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren - um folgende Fälle:

... (Die Wiedergabe der 40 Anlaßfälle unterbleibt hier) ...

2. Die Tir. Landesregierung hat die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Worte verteidigt und für den Fall der Aufhebung beantragt, der VfGH wolle von einem Ausspruch der rückwirkenden Geltung der Aufhebung iS des Art 140 Abs 7 B-VG absehen und für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmung eine Frist von einem Jahr setzen, damit rechtzeitig Vorsorge für eine gesetzliche Neuregelung getroffen werden kann.

3. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst und die Ämter der Wr., der Oö. sowie der Stmk. Landesregierung haben über Einladung des VfGH Äußerungen abgegeben. Während die genannten Ämter der Landesregierung die in Prüfung gezogene Regelung für verfassungsrechtlich unbedenklich halten, gibt das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst eine Reihe von Argumenten wieder, welche teils eher für und teils eher gegen die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Worte sprechen, äußert aber keine abschließende Meinung.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Nach § 13 Abs 4 litb GVG 1970 gehört der Landesgrundverkehrsbehörde ein Mitglied aus dem Richterstand an.

§13 Abs 5 hat folgenden Wortlaut:

"Das Mitglied aus dem Richterstand (Abs4 Z 1 litb) ist vom Bundesminister für Justiz, die übrigen Mitglieder sind von der Landesregierung zu bestellen. Für jedes Mitglied ist in gleicher Weise die erforderliche Zahl von Ersatzmitgliedern zu bestellen."

b) Der VfGH ist in seinen Beschlüssen auf Einleitung der Gesetzesprüfungsverfahren davon ausgegangen, daß er bei Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Zusammensetzung der belangten Behörde in den Anlaßfällen die in Prüfung gezogenen Worte anzuwenden hat und daß daher die Gesetzesprüfungsverfahren zulässig sind. Es hat sich nichts ergeben, was gegen diese Annahme spräche.

Die Gesetzesprüfungsverfahren sind daher zulässig.

2. Die gegen die in Prüfung gezogenen Worte bestehenden Bedenken hat der VfGH in seinem Beschluß vom , B527/78, - auf den in allen anderen Anlaßfällen verwiesen worden ist - wie folgt umschrieben:

"Das B-VG scheint einerseits von dem Grundgedanken auszugehen, daß den obersten Verwaltungsorganen des Bundes (Art69 B-VG) und der Länder (Art101 B-VG) keine andere Behörde (mehr) übergeordnet werden kann, es sei denn, daß dies - wie im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung - um B-VG ausdrücklich vorgesehen ist. Andererseits kennt das B-VG mit Ausnahme der Kollegialbehörden nach Art 133 Z 4 keine weisungsfreien Verwaltungsbehörden; alle Verwaltungsorgane unterstehen den jeweiligen obersten Organen.

Es scheint, daß die Mitwirkung eines Bundesorgans bei der Vollziehung von Landesgesetzen nur in Form der Unterordnung unter die Landesregierung als oberstem Verwaltungsorgan des Landes erfolgen kann, was aber bei einem obersten Organ des Bundes nicht zulässig sein dürfte.

Diese Schlußfolgerung scheint durch folgende Erwägungen noch bestärkt zu werden:

Während die Mitwirkung der Mitglieder der Landesregierung in der mittelbaren Bundesverwaltung in Art 103 B-VG ausdrücklich vorgesehen ist, enthält weder Art 97 Abs 2 noch eine andere Bestimmung des B-VG eine entsprechende Aussage für die obersten Verwaltungsorgane des Bundes bei der Vollziehung von Landesgesetzen. Während in den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung die aus Art 20 B-VG erfließende umfassende Weisungsbefugnis der Bundesregierung sowie der einzelnen Bundesminister in Art 103 B-VG ausdrücklich bekräftigt wird, fehlt ein derartiger Hinweis in Art 97 Abs 2 B-VG.

Das B-VG regelt in Art 142 Abs 2 litd im Zusammenhang mit der mittelbaren Bundesverwaltung zwar die Geltendmachung der verfassungsmäßigen Verantwortung gegen einen Landeshauptmann, dessen Stellvertreter oder ein Mitglied der Landesregierung, enthält aber keine diesbezügliche Regelung für oberste Verwaltungsorgane des Bundes, die an der Landesverwaltung mitwirken. Daraus, daß in Art 142 B-VG bei Aufzählung der unter Sanktion gestellten Rechtsverletzungen auf die Wirkungsbereiche abgestellt ist, in denen die obersten Vollzugsorgane tätig sind, scheint der Schluß gerechtfertigt zu sein, daß die obersten Organe des Bundes nicht im Landesvollzugsbereich tätig sein können, weil Art 142 B-VG nicht auf einen derartigen Tätigkeitsbereich der Bundesregierung oder einzelner Mitglieder abgestellt und somit auch ein Handeln in diesem Bereich mit keiner verfassungsmäßigen Verantwortlichkeit iS des Art 142 B-VG verbunden wäre.

Es scheint daher, daß die Mitwirkung von obersten Organen des Bundes an der Vollziehung der Länder von keiner Bestimmung des B-VG; auch nicht von Art 97 Abs 2 umfaßt ist.

Der VfGH nimmt daher vorläufig an, daß die mit den in Prüfung gezogenen Worten festgelegte Mitwirkung des Bundesministers für Justiz an der Vollziehung des Landes Tirol durch das B-VG nicht gedeckt ist."

3. In den Gesetzesprüfungsverfahren wurden im wesentlichen folgende Einwendungen erhoben:

a) Die Tir. Landesregierung führt zunächst aus, dem Wortlaut des Art 97 Abs 2 B-VG könne keineswegs entnommen werden, daß in einem Landesgesetz die Mitwirkung von obersten Bundesorganen bei der Vollziehung nicht vorgesehen werden dürfe. Der Begriff Bundesorgane umfasse nämlich von vornherein auch die obersten Bundesorgane. Art 97 Abs 2 B-VG könne nicht mit Art 103 B-VG verglichen und aus dem Umstand, daß Art 103 B-VG die Mitwirkung der Mitglieder der Landesregierung an der mittelbaren Bundesverwaltung ausdrücklich vorsieht, Art 97 Abs 2 B-VG aber die obersten Organe des Bundes nicht erwähnt, der Schluß gezogen werden, daß Art 97 Abs 2 B-VG sich nicht auch auf die obersten Organe des Bundes beziehe. Die Mitwirkung der Mitglieder der Landesregierung in der mittelbaren Bundesverwaltung bedürfe nämlich der in Art 103 Abs 2 B-VG enthaltenen ausdrücklichen Anordnung, weil Art 102 Abs 1 B-VG nur den Landeshauptmann, nicht aber auch die übrigen Mitglieder der Landesregierung zur Ausübung der mittelbaren Bundesverwaltung berufe.

Auch die Ämter der Wr. und der Oö. Landesregierung stehen im wesentlichen auf diesem Standpunkt.

b) Die Tir. Landesregierung räumt ein, daß in den Fällen, in denen Verwaltungsorgane des Bundes auf Grund von Landesgesetzen an deren Vollziehung mitwirken, die Verwaltungsorgane des Bundes funktionell als Landesorgane tätig werden, mithin der Landesregierung unterstellt und an deren Weisungen gebunden sind. Es erscheine nicht von vornherein ausgeschlossen, Art 97 Abs 2 B-VG als eine Norm zu deuten, aus der sich die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der weisungsmäßigen Unterstellung auch eines Bundesministers unter eine Landesregierung ableiten läßt. Diese Deutung könnte damit begründet werden, daß einerseits eine dem Art 97 Abs 2 B-VG entsprechende landesgesetzliche Anordnung der Mitwirkung von Bundesverwaltungsbehörden an der Vollziehung des Landes die Unterstellung der betreffenden Bundesverwaltungsbehörden unter die Landesregierung bewirkt und daß andererseits Art 97 Abs 2 B-VG sich eben auch auf oberste Bundesorgane beziehe.

c) Die Tir. Landesregierung hebt hervor, daß auch dann, wenn man Art 97 Abs 2 B-VG nicht als eine Norm versteht, welche die weisungsmäßige Unterstellung eines obersten Bundesorgans unter die Landesregierung grundsätzlich ermöglicht, daraus noch keineswegs die Verfassungswidrigkeit der in Prüfung gezogenen Gesetzesstelle folge. Gehe man nämlich davon aus, daß die Landesregierung gegenüber einem Bundesminister auch dann nicht (organisatorisch oder funktionell) vorgesetztes Organ ist,wenn der Bundesminister iS des Art 97 Abs 2 B-VG an der Vollziehung eines Landesgesetzes mitwirkt, dann folge daraus, daß der Bundesminister in einem solchen Fall nicht an die Weisungen der Landesregierung gebunden ist; denn schon nach dem Wortlaut des Art 20 Abs 1 zweiter Satz B-VG bestehe die Weisungsgebundenheit ja nur gegenüber (funktionell) vorgesetzten Verwaltungsorganen (Hinweis auf Lengheimer, Die Gehorsamtspflicht der Verwaltungsorgane, 1975,

S 37 ff.). Die Annahme des VfGH, daß die Mitwirkung eines Bundesorgans bei der Vollziehung von Landesgesetzen nur in Form der Unterordnung des Bundesorgans unter die Landesregierung als oberstem Verwaltungsorgan des Landes erfolgen könne, treffe daher nicht zu. Diese Annahme gelte, worauf nur ergänzend hingewiesen werden solle, auch nicht für den Fall, daß - was durchaus zulässig sei (Hinweis auf VfSlg. 2658/1954 sowie Walter; Verfassung und Gerichtsbarkeit, 1960,

S 95, 129 und 192 f.) - ein Landesgesetz die Mitwirkung der Gerichte bei seiner Vollziehung vorsieht.

d) Die Tir. Landesregierung führt weiters aus, daß der VfGH im übrigen selbst in seinem Erk. VfSlg. 2066/1950 "mit aller Deutlichkeit" ausgesprochen habe, daß dem Bundespräsidenten die Befugnis zur Verleihung von Ehrenzeichen durch Landesgesetz - welches gemäß Art 97 Abs 2 B-VG der vorherigen Einholung der Zustimmung der Bundesregierung bedürfte - übertragen wird.

e) Die Tir. Landesregierung und die Ämter der Wr. und der Oö. Landesregierung stellen Vergleiche mit der Rechtsprechung des VfGH zur Entsendung von Mitgliedern der Landesgrundverkehrskommissionen durch Kammern und Gemeinde (VfSlg. 5985/1969) oder der Bestellung solcher Mitglieder durch den Landeshauptmann als Vorsitzendem des Landesagrarsenates (VfSlg. 6061/1969) an und weisen darauf hin, daß der VfGH in den genannten Erk. die diesbezüglichen Regelungen als mit Art 20 iVm Art 101 B-VG in Einklang stehend bezeichnet hat.

f) Die Tir. Landesregierung weist schließlich auf die in der Lehre vertretene Auffassung (Vgl. Klecatsky, Bundesverfassungsrecht,

1. Auflage, S 347 Anm. 3 und 4, sowie Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 1972, S 765) hin, wonach Art 142 Abs 2 B-VG von vornherein nicht für alle in der Bundesverfassung vorgesehenen Tätigkeitsbereiche der obersten Organe eine verfassungsrechtliche Verantwortlichkeit vorsieht. Allein aus dem Fehlen einer solchen verfassungsrechtlichen Regelung sei der Schluß nicht gerechtfertigt, daß oberste Organe der Bundesvollziehung nicht iS des Art 97 Abs 2 B-VG mit der Mitwirkung an der Vollziehung von Landesgesetzen betraut werden können.

4. Im Gesetzesprüfungsverfahren wurden zwei Möglichkeiten aufgezeigt, wie die vom Bundesminister für Justiz in Vollziehung der in Prüfung gezogenen Regelung zu entfaltende Tätigkeit (Bestellung des aus dem Richterstand kommenden Mitgliedes der Landesgrundverkehrsbehörde) gedeutet werden könnte: Entweder in Form der Unterordnung unter die Landesregierung als oberstem Verwaltungsorgan des Landes oder ohne eine solche Unterordnung.

Hinsichtlich beider Möglichkeiten hat der VfGH Bedenken geäußert (s.o. unter Pkt. 2.).

a) Eine weisungsmäßige Unterstellung eines obersten Organs des Bundes unter die Landesregierung steht - auch wenn der Wortlaut des Art 97 Abs 2 B-VG als solcher dies nicht ausschließt - nach Auffassung des VfGH in einem unlösbaren Widerspruch zu dem aus Art 19 Abs 1 B-VG erfließenden Grundsatz, daß ein oberstes Organ keinen Weisungen unterworfen ist. Art 97 Abs 2 B-VG kann daher ein derartiger Inhalt im Hinblick auf die zentrale Bestimmung des Art 19 Abs 1 nicht zukommen.

Daß die Verfassung allegemein von diesem Grundsatz des Art 19 Abs 1 B-VG ausgeht, zeigt sich gerade an den im B-VG ausdrücklich davon vorgesehenen Ausnahmen (Art103 Abs 1 und 2). Der VfGH kann nicht finden, daß Art 97 Abs 2 B-VG ebenfalls eine derartige Ausnahme vorsieht. Das beweist gerade der Unterschied zwischen Art 97 Abs 2 und der auch von der Formulierung her ganz anders gearteten Regelung in Art 103 Abs 1 und 2 (durch die eine Ausnahme vom Grundsatz des Art 19 Abs 1 nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern ausdrücklich angeordnet wird). Dies führt zu der Schlußfolgerung, daß Art 97 Abs 2 B-VG die Mitwirkung eines obersten Organs des Bundes in Form der Unterordnung unter die Landesregierung nicht umfaßt und Art 97 Abs 2 im Verhältnis zu Art 19 Abs 1 B-VG einschränkend auszulegen ist.

Damit in Einklang steht die Feststellung, daß das B-VG in seinem Art 97 Abs 2 zwar eine Bestimmung enthält, die etwas dem Institut einer "mittelbaren Landesverwaltung" Ähnliches enthält, daß die Bundesverfassung in diesem Punkt aber "keine Symmetrie" aufweist (s. VfSlg. 1030/1928).

b) Der Wortlaut des Art 97 Abs 2 B-VG schließt auch nicht aus, daß der Bundesminister nicht in Unterordnung unter die Landesregierung, sondern weisungsfrei tätig wird. Eine solche Deutung würde aber dem - auch dem zitierten Erk. VfSlg. 1030/1928 innewohnenden - grundlegenden Prinzip widersprechen, wonach die Vollzugsbereiche von Bund und Ländern getrennt sind (vgl. Art 15 Abs 1 B-VG betreffend den selbständigen Wirkungsbereich der Länder, vgl. ferner Art 101, wonach die Vollziehung des Landes von der Landesregierung auszuüben ist, und vgl. das aus Art 20 B-VG resultierende Erfordernis der Verantwortlichkeit gegenüber der Landesregierung im Bereich der Landesvollziehung). Dieser Grundsatz findet seinen Niederschlag auch darin, daß die Mitglieder der Bundesregierung für ihre Tätigkeit dem Nationalrat, die Mitglieder der Landesregierung hingegen dem Landtag gegenüber verantwortlich sind.

Das B-VG sieht auch von diesem Trennungsprinzip Ausnahmen vor (zB im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung). Solche Ausnahmen müssen aber (worauf bereits oben unter Pkt. a) hingewiesen wurde) in der Verfassung ausdrücklich vorgesehen und als solche zweifelsfrei erkennbar sein. Das ist aber bei Art 97 Abs 2 B-VG; soweit es sich um die Mitwirkung von obersten Organen handelt, nicht der Fall.

Das daraus resultierende Ergebnis, daß Art 97 Abs 2 B-VG den Grundsatz der Trennung der Vollzugsbereiche von Bund und Ländern in bezug auf die obersten Organe des Bundes nicht durchbricht, wird durch folgenden Umstand bekräftigt: Der Verfassungsgesetzgeber hat es anläßlich der Änderung von Grundsätzen des Gemeinderechtes sowie des Schulwesens für erforderlich erachtet, sich daraus ergebenden (neuen) Verantwortlichkeiten oberster Organe durch die Aufnahme ergänzender Bestimmungen in den Art 142 Abs 2 B-VG Rechnung zu tragen (s. § 3 Abs 2 des BVG BGBl. 205/1962 und ArtI Z 8 des BVG BGBl. 215/1962). Art 142 B-VG enthält aber - worauf der VfGH bereits im Beschluß auf Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens hingewiesen hat - keine diesbezügliche Regelung für oberste Verwaltungsorgane des Bundes, die an der Landesverwaltung mitwirken. Auch der Verfassungsgesetzgeber geht daher offenkundig davon aus, daß eine derartige Mitwirkung oberster Organe von Art 97 Abs 2 B-VG nicht umfaßt ist.

c) Aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß, gleichgültig, ob die Mitwirkung des Bundesministers für Justiz bei der Vollziehung der in Prüfung gezogenen Regelung in der oben unter Pkt. a) oder Pkt. b) dargestellten Weise gedeutet wird, dies in Widerspruch zu Verfassungsbestimmungen steht.

5. Zu einzelnen in den Gesetzesprüfungsverfahren erhobenen Einwendungen ist noch folgendes zu bemerken:

a) Der von der Tir. Landesregierung und dem Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst vorgebrachte Hinweis auf die Mitwirkung der weisungsungebundenen Gerichte bei der Vollziehung von Landesgesetzen vermag schon im Hinblick darauf nichts zur Lösung des vorliegenden, Verwaltungsbehörden betreffenden Problems beizutragen, weil im Bereich der richterlichen Tätigkeit weder der aus Art 20 B-VG erfließende Weisungszusammenhang noch der Begriff des obersten Organs eine Rolle spielen.

b) Zu dem vom Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst und vom Amt der Stmk. Landesregierung hervorgehobenen historischen Zusammenhang (Hinweis auf die dem Art 97 Abs 2 B-VG vorangegangene Vorschrift des Art 14 Abs 4 des Gesetzes über die Volksvertretung, StGBl. 179/1919, in welchem die Mitwirkung der "Staatsregierung" vorgesehen war, sowie Hinweis auf die Kommentierung bei Kelsen - Froehlich - Merkl, Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich, 5. Teil, S 202) räumt des Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst selbst ein, daß dieser von ihm aufgezeigte Zusammenhang nicht berücksichtige, daß Art 14 Abs 4 des Gesetzes über die Volksvertretung aus der Zeit vor der Einführung der bundesstaatlichen Verfassung stammt. Art 14 Abs 4 des genannten Gesetzes ist somit - gerade unter dem hier maßgeblichen Gesichtspunkt der Abgrenzung zwischen Bundes- und Landesvollziehung - von einer völlig anderen Voraussetzung ausgegangen. Es läßt sich daher auch aus historischen Überlegungen nicht ableiten, daß Art 97 Abs 2 B-VG die Mitwirkung oberster Organe des Bundes umfaßt.

c) Zum Hinweis auf das Erk. VfSlg. 2066/1950 ist folgendes zu bemerken:

Die Tir. Landesregierung übersieht, daß die Möglichkeit, die Befugnis zur Verleihung von Ehrenzeichen dem Bundespräsidenten durch Landesgesetz einzuräumen, sich als solche - im Gegensatz zur hier in Prüfung stehenden Regelung - nicht aus Art 97 Abs 2, sondern aus einer anderen Bestimmung des B-VG, dem Art 65 Abs 3, ableitet, der von Gesetzen schlechthin spricht (vgl. VfSlg. 2066/1950, S 430, wonach das B-VG das Wort "Gesetz" schlechthin nur dort gebraucht, wo mit ihm sowohl Bundes- als auch Landesgesetze erfaßt werden sollen).

Die dem Erk. VfSlg. 2066/1950 zugrundeliegende Interpretation der Befugnisse des Bundespräsidenten in einem umfassenden Sinn steht im Einklang mit der besonderen staatsrechtlichen Stellung des Bundespräsidenten (s. Berchtold, Der Bundespräsident, Wien 1969, S 23), dem - wie aus einer Reihe von Bestimmungen des B-VG (zB Art 100 Abs 1, 101 Abs 4) hervorgeht - auch Funktionen als Organ des Gesamtstaates zukommen (s. Ringhofer, "Zur Praxis der Verfassungsgesetzgebung", Sechzig Jahre Bundesverfassung, Schriftenreihe des Landespressebüros, Salzburg 1980, S 54).

d) Der Hinweis auf die Erk. VfSlg. 5985/1969 und 6061/1969 geht schon deshalb fehl, weil in diesen Erk. das Problem der Mitwirkung eines obersten Organs des Bundes nicht abgehandelt worden ist.

e) Der zur Untermauerung seiner Bedenken, wonach die obersten Organe des Bundes nicht im Landesvollzugsbereich tätig sein können, auch darauf hingewiesen, daß Art 142 B-VG nicht auf einen derartigen Tätigkeitsbereich der Bundesregierung oder einzelner ihrer Mitglieder abstellt und somit auch ein Handeln in diesem Bereich mit keiner verfassungsmäßigen Verantwortlichkeit iS des Art 142 B-VG verbunden wäre.

Der Hinweis der Tir. Landesregierung auf die in der Lehre vertretene Auffassung (vgl. Klecatsky, aaO, S 347 Anm. 3 und 4, sowie Walter, aaO, S 765), daß Art 142 Abs 2 B-VG von vornherein nicht für alle in der Bundesverfassung vorgesehenen Tätigkeitsbereiche der obersten Organe eine verfassungsrechtliche Verantwortlichkeit vorsieht, trifft sicher zu. Allerdings ist nach Auffassung des VfGH im Zweifel doch davon auszugehen, daß der Gesetzgeber bei Schaffung einer Verantwortlichkeit deren Geltendmachung ebenfalls regelt (s. hiezu auch die oben unter Pkt. 4. b) angeführten Beispiele). Das Fehlen einer solchen Regelung legt vielmehr den Schluß nahe, daß eine Tätigkeit, welche die entsprechende Verantwortung auslöst, gar nicht vorgesehen ist.

6. Auf Grund all dieser Erwägungen konnte das Bedenken, wonach die Mitwirkung von obersten Organen des Bundes bei der Vollziehung der Länder von keiner Bestimmung des B-VG, auch nicht von Art 97 Abs 2 umfaßt ist, im Gesetzesprüfungsverfahren nicht entkräftet werden.

Die in Prüfung gezogenen Worte, mit welchen die Mitwirkung des Bundesministers für Justiz bei der Vollziehung des Landes Tirol festgelegt wurde, sind daher als verfassungswidrig aufzuheben.

7. Die Setzung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Worte beruht auf Art 140 Abs 5 B-VG.

Die Feststellung, wonach frühere Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, stützt sich auf Art 140 Abs 6 B-VG.

Der Ausspruch über die Kundmachung der Aufhebung gründet sich auf Art 140 Abs 5 B-VG.