VfGH vom 28.11.2005, G94/05

VfGH vom 28.11.2005, G94/05

Sammlungsnummer

17702

Leitsatz

Keine Gesetzwidrigkeit der Regelung des Bundesvergabegesetzes 2002 über die Verpflichtung des Auftraggebers zur Mitteilung der Zuschlagsentscheidung elektronisch oder mittels Telefax im Hinblick auf den Zweck der Regelung, nämlich einer möglichst raschen und gleichzeitigen Bekanntgabe

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (im Folgenden: UVS) ist ein über Antrag einer Bieterin eingeleitetes Vergabenachprüfungsverfahren über die Zuschlagsentscheidung in einem Vergabeverfahren betreffend das Bauvorhaben Sozialzentrum Götzis anhängig. In diesem Nachprüfungsverfahren geht es u.a. um die Frage, ob der Nachprüfungsantrag rechtzeitig gestellt wurde.

2. Nach § 100 Abs 2 erster Satz des Bundesvergabegesetzes 2002, BGBl. I Nr. 99 (im Folgenden: BVergG), darf der Zuschlag - bei sonstiger Nichtigkeit - nicht innerhalb der sog. Stillhaltefrist erteilt werden. Diese Stillhaltefrist wird durch die formrichtige Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung gemäß § 100 Abs 1 BVergG ausgelöst. Der erste Satz dieser Bestimmung lautet (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"§100. (1) Der Auftraggeber hat den Bietern gleichzeitig, unverzüglich und nachweislich elektronisch oder mittels Telefax mitzuteilen, welchem Bieter der Zuschlag erteilt werden soll ..."

3. In dem dem Nachprüfungsverfahren zugrunde liegenden Vergabeverfahren hat der Auftraggeber die Mitteilung der Zuschlagsentscheidung an die Bieter nicht elektronisch oder mittels Telefax vorgenommen, sondern auf dem Postweg übermittelt. Zum Sachverhalt führt der UVS aus:

"Im gegenständlichen Fall hat der Auftraggeber der vorgenannten Bestimmung des § 100 Abs 1 BVergG insoweit nicht entsprochen, als die Mitteilung der Zuschlagsentscheidung an die Bieter nicht elektronisch oder mittels Telefax erfolgte, sondern auf dem Postweg. Im gegenständlichen Fall ist nach Ablauf einer 14-tägigen Frist ab der brieflichen Mitteilung der Zuschlagsentscheidung durch den Auftraggeber der Zuschlag erteilt worden.

Der vorerwähnte Zuschlag ist nichtig, weil die formunrichtige Mitteilung der Zuschlagsentscheidung einen Verstoß im Sinne des § 100 Abs 1 letzter Satz darstellt und weil der Zuschlag - da die Stillhaltefrist infolge der formunrichtigen Mitteilung der Zuschlagsentscheidung nicht ablaufen konnte - innerhalb der Stillhaltefrist gemäß § 100 Abs 2 erster Satz BVergG erteilt wurde.

Aus dem letztgenannten Grund des Nichtablaufens der Stillhaltefrist ist der gegenständliche Vergabenachprüfungsantrag rechtzeitig.

Wenn dagegen die auf dem Postweg erfolgte Mitteilung des Auftraggebers zulässig bzw rechtmäßig wäre, wäre der Zuschlag nicht nichtig, die Stillhaltefrist abgelaufen sowie der gegenständliche Nachprüfungsantrag verspätet und damit unzulässig.

Daraus ergibt sich, dass die Beantwortung der Fragen, ob die gegenständliche Auftragsvergabe nichtig oder nicht nichtig ist, sowie ob der gegenständliche Nachprüfungsantrag zulässig oder nicht zulässig (verspätet) ist, von der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Wortfolge abhängt."

4. Der UVS beantragt beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung der Wortfolge "elektronisch oder mittels Telefax" in § 100 Abs 1 erster Satz BVergG. Der gesetzliche Ausschluss der Zuständigkeit einer brieflichen Mitteilung der Zuschlagsentscheidung unter der Sanktion einer Nichtigkeit des Zuschlags sei in Anbetracht eines insoweit fehlenden Rechtschutzbedürfnisses unverhältnismäßig. Der UVS begründet seine Bedenken wie folgt:

"Eine sachliche Rechtfertigung für den Ausschluss der Möglichkeit einer brieflichen Übermittlung der genannten Mitteilung im Postweg (und damit für eine Abweichung von der allgemeinen Regelung des § 22 Abs 1 BVergG) besteht nicht. Vielmehr sind zahlreiche Fälle denkbar, in denen eine andere Übermittlung als eine elektronische oder mittels Telefax erfolgende geboten und erforderlich ist. So wird zB die Mitteilung brieflich im Postweg oder durch einen Boten zu erfolgen haben, wenn ein Bieter ein Faxgerät und eine elektronische Adresse nicht hat, wenn das Faxgerät eines Bieters abgeschaltet oder defekt ist oder wenn eine elektronische oder mittels Telefax erfolgende Übermittlung wegen Netzstörungen nicht möglich ist.

Es handelt sich somit bei der gegenständlichen Regelung um eine überschießende Vorschrift, die der sachlichen Rechtfertigung entbehrt und damit gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt (vgl , G237/93).

Auf den einschlägigen Beitrag von Aicher in Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel, § 100 Rz 17 bis 24, wird hingewiesen. Vom UVS nicht gefolgt wird dabei lediglich der Auffassung von Aicher, dass das durch die gegenständliche Regelung bewirkte unsachliche Ergebnis im Wege einer teleologischen Reduktion des überschießenden Wortlautes zu beseitigen wäre. Nach Auffassung des UVS bleibt für eine solche Interpretation in Anbetracht des eindeutigen Wortlautes der hier maßgeblichen Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2002 kein Raum. Auch in diesem Zusammenhang wird auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G236/93, G237/93, verwiesen, wonach es nicht Sache der Verwaltungsorgane ist, entsprechende Möglichkeiten 'einzuräumen', sondern Sache des Gesetzgebers, die entsprechenden Modalitäten zu regeln."

5. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den Bedenken des UVS inhaltlich entgegen tritt. Unter Hinweis auf die Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften beruft sich die Bundesregierung auf den Zweck der Regelung, den sie in der Beschleunigung der Abwicklung von Vergabeverfahren sieht. Zur Erreichung dieser rechtspolitischen Zielsetzung sei eine Vorschrift, die eine Mitteilung entweder auf elektronischem Weg oder mittels Telefax vorsehe, am besten geeignet. Die Bundesregierung erachtet es auch nicht als unsachlich, von Unternehmen, die sich an Vergabeverfahren beteiligen, zu verlangen, über eine Faxnummer oder eine elektronische Adresse zu verfügen.

Zu den Fällen der Unmöglichkeit einer Übermittlung auf elektronischem Weg oder mittels Telefax infolge technischer Probleme meint die Bundesregierung, dass das Auftreten technischer Schwierigkeiten nicht den Regelfall darstelle und dem Auftraggeber ohnedies zwei alternative Übermittlungsarten zur Verfügung stünden, zumal technische Probleme innerhalb einer angemessenen Zeitspanne behoben werden könnten, weshalb ein Abwarten bis zur Behebung dieser technischen Schwierigkeit immer noch zu einer rascheren Mitteilung der Zuschlagsentscheidung führen würde, als dies bei einer Mitteilung auf postalischem Weg der Fall wäre. Zudem sei der Verlust brieflicher Sendungen ebenfalls nicht gänzlich auszuschließen. Auch die vom UVS angesprochenen Fälle, in denen ein Unternehmer die Übermittlung der Zuschlagsentscheidung durch Abschalten des Faxgerätes oder des Servers verhindern könne, seien völlig atypische Ausnahmefälle, da jeder sich an einem Vergabeverfahren beteiligende Unternehmer in der Hoffnung auf den Zuschlag an der Kenntnis von der Zuschlagsentscheidung interessiert sein werde. Die Möglichkeit, die Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung zu verhindern, sei zum einen auch bei postalischer Zustellung gegeben und werde zum anderen auch nicht durch Aufhebung der vom UVS angefochtenen Wortfolge beseitigt.

6. Die das Vergabekontrollverfahren einleitende Bieterin hat als beteiligte Partei im vorliegenden Verfahren ebenfalls eine Äußerung erstattet, in der sie beantragt, dem Antrag des UVS keine Folge zu geben. Einerseits verweist sie - wie bereits die Bundesregierung - auf das (auch gemeinschaftsrechtlich bedingte) Gebot einer raschen Durchführung der Vergabekontrolle und behauptet andererseits die mangelnde Präjudizialität der angefochtenen Wortfolge, da im konkreten Anlassfall eine (von § 100 Abs 1 BVergG gleichfalls geforderte) nachweisliche Bekanntgabe nicht stattgefunden habe, sodass schon aus diesem Grund die Stillhaltefrist nicht ausgelöst und der Nachprüfungsantrag rechtzeitig eingebracht worden sei. Der Zuschlag könne daher auch nach Aufhebung der angefochtenen Wortfolge nicht wirksam erfolgen.

Die Auftraggeberin des Vergabeverfahrens ist in ihrer Äußerung als beteiligte Partei der Auffassung des UVS beigetreten und hat sich im Wesentlichen seiner Argumentation angeschlossen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Da der Verfassungsgerichtshof nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung einen Antragsteller an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, darf er einen Antrag nach Art 140 B-VG nur dann wegen Mangel der Präjudizialität zurückweisen, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die angefochtene generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtshofes im Anlassfall bildet (VfSlg. 9811/1983, 12.189/1989, 14.512/1996 ua.).

Der Verfassungsgerichtshof vermag den Ausführungen des antragstellenden UVS, er habe den ersten Satz des § 100 Abs 1 in dem bei ihm anhängigen Vergabenachprüfungsverfahren anzuwenden, nicht entgegen zu treten. Das gegenteilige Vorbringen der beteiligten Antragstellerin des Nachprüfungsverfahrens übersieht, dass die Annahme der Präjudizialität der nach Art 140 B-VG angefochtenen Gesetzesbestimmungen nicht voraussetzt, dass das Anlassverfahren nach Aufhebung der als verfassungswidrig erkannten Regelungen einen anderen Ausgang als vor deren Aufhebung nimmt (vgl. VfSlg. 16.404/2001 mwN). Der Gesetzesprüfungsantrag ist daher - da auch die sonstigen Prozessvoraussetzungen gegeben sind - zulässig.

2. Dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B1376/03, lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem die Bestimmung des § 163 Abs 2 BVergG anzuwenden war. Diese Regelung sieht u.a. vor, dass ein Unternehmer "den Auftraggeber unverzüglich elektronisch oder mittels Telefax von der beabsichtigten Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens nachweislich zu verständigen" hat. Daran knüpft die Verpflichtung des Auftraggebers, "unverzüglich, spätestens jedoch am nächsten Arbeitstag, nachweislich elektronisch oder mittels Telefax alle Bieter, denen die Zuschlagsentscheidung gemäß § 100 Abs 1 mitgeteilt wurde, von der Einleitung des Nachprüfungsverfahrens und der geltend gemachten Rechtswidrigkeit zu verständigen".

Der Verfassungsgerichtshof hat die Worte "elektronisch oder mittels Telefax" nicht für verfassungswidrig erachtet und hierzu ausgeführt:

"Der Verfassungsgerichtshof teilt die Auffassung der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift, dass der Gesetzgeber eine möglichst beschleunigte Übermittlung der Informationen im Auge gehabt hat: Die Zeitspanne zwischen der Absendung der Verständigung und dessen Erhalt durch den Auftraggeber sollte - angesichts der dem Vergaberechtsschutzverfahren inhärenten kurzen Fristen - möglichst gering gehalten werden. Überhaupt sollte der Zeitraum, in dem der Antragsteller den Entschluss fasst, ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten, davon den Auftraggeber verständigt und schließlich das Verfahren tatsächlich einleitet, möglichst kurz bleiben.

Es wäre jedoch unsachlich, eine andere Übermittlung - wie hier per Boten - gesetzlich auszuschließen, wenn damit in gleicher Weise, wie mittels Telefax oder E-Mail, eine rasche und verlässliche Informationsübermittlung bewerkstelligt wird (vgl. Thienel, Ausgewählte Probleme der Antragstellung im Nachprüfungsverfahren, RPA 2003, 7 [19]). Das Fehlen eines sachlichen Grundes für eine derartige Regelung wird auch verdeutlicht, wenn die Übermittlung per Telefax bzw. E-Mail durch Störungen vorübergehend unmöglich ist und durch die persönliche Überreichung eine unverzügliche Verständigung gewährleistet werden kann. Das Regelungsziel des § 163 Abs 2 BVergG schließt nicht aus, dass die Verständigung auf einem anderen als im Gesetz ausdrücklich genannten Weg übermittelt wird, sofern diese Übermittlungsart jenen im Gesetz aufgezählten gleichzuhalten ist und adäquat vorgenommen wird.

Die durch den Gesetzgeber festgelegte Übermittlungsart hat aber auch den Zweck, eindeutig die Zeit der Übermittlung festzuhalten, um leicht feststellen zu können, ob die Verständigung "spätestens gleichzeitig mit der Einbringung des Nachprüfungsantrages" erfolgte.

Die Beschwerdeführer waren, wie das Verfahren zeigt, nicht in der Lage, den Zeitpunkt der Übermittlungen durch Urkunden, etwa durch mit Uhrzeit versehene Eingangsstampiglien, nachzuweisen, und beantragten die Einvernahme eines Zeugen. Damit war aber die Übermittlung im konkreten Fall durch Boten nicht der Übermittlung durch Telefax oder E-Mail gleichwertig. In einem Verfahren, für das - aus Gründen der Eilbedürftigkeit der Sache - besonders kurze Fristen vorgesehen sind, kann der Gesetzgeber Übermittlungsarten vorsehen, bei denen der relevante Zeitpunkt der Übermittlung eindeutig und leicht und nicht erst durch Zeugeneinvernahme festzustellen ist. Als gleichwertig sind aber dann nur Übermittlungen anzusehen, die den selben Zweck erfüllen.

Die Beschwerdeführer sind daher durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden."

3. Auch die in § 100 Abs 1 BVergG gewählte Verständigungsform dient den gleichen Zwecken, nämlich einer möglichst raschen und auch gleichzeitigen Bekanntgabe:

Die unverzügliche Verständigung ist durch die Besonderheit des Vergabeverfahrens, das auf eine möglichst rasche Entscheidung abzielt, gerechtfertigt. Das BVergG geht auch davon aus, dass nicht mehrere Nachprüfungsverfahren parallel geführt werden, sondern über sämtliche Begehren aller Parteien in ein und demselben Verfahren abgesprochen wird. Um für dieses Verfahren auch den Gleichlauf der kurzen Fristen zu erreichen, ist es gerechtfertigt, die Gleichzeitigkeit der Bekanntgabe zu verlangen. Die elektronische oder mittels Telefax erfolgte Mitteilung garantiert diese Gleichzeitigkeit.

Die vom Verfassungsgerichtshof im genannten Erkenntnis vom , B1376/03, zu § 163 Abs 2 BVergG ausgeführten Erwägungen sind auch auf § 100 Abs 1 BVergG übertragbar. Auch § 100 Abs 1 lässt die Auslegung zu, dass die Bekanntgabe auf einem anderen als im Gesetz ausdrücklich genannten Weg übermittelt werden kann, sofern diese Übermittlungsart jener im Gesetz ausdrücklich aufgezählten dem Regelungszweck nach gleichzuhalten ist und im Einzelfall auch entsprechend vorgenommen wird.

Da die vom UVS für das Land Vorarlberg angefochtene Bestimmung einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist, war sie nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.