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VfGH vom 01.07.1994, g93/94

VfGH vom 01.07.1994, g93/94

Sammlungsnummer

13834

Leitsatz

Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip durch die Beschränkung der Berufungsinstanz auf die Überprüfung offenkundiger Mängel im Ermittlungsverfahren im Asylrecht aufgrund der dadurch bewirkten Unüberprüfbarkeit des Verwaltungshandelns in einem Teilbereich; auch keine Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof in diesem Teilbereich

Spruch

Das Wort "offenkundig" in § 20 Abs 2 des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die aufgehobene Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu Zlen. B990/93 und B1074/93 Verfahren über Beschwerden anhängig, die auf Art 144 B-VG gestützt werden und denen folgende Sachverhalte zugrundeliegen:

a) Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg gab mit Bescheid vom dem Antrag der zu B990/93 beschwerdeführenden Partei (eines ägyptischen Staatsangehörigen) auf Anerkennung als Flüchtling nach dem Asylgesetz 1968 keine Folge.

Der Bundesminister für Inneres (BMI) wies - gestützt insbesondere auf § 1 Z 1 und § 3 iVm § 25 Abs 2 erster Satz des Asylgesetzes 1991, BGBl. 8/1992, - mit Bescheid vom die dagegen erhobene Berufung ab.

b) Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom gemäß § 3 des AsylG 1991 den von der zu B1074/93 beschwerdeführenden Partei (einem irakischen Staatsangehörigen) gestellten Asylantrag ab.

Mit Bescheid des BMI vom wurde die dagegen vom Asylwerber erhobene Berufung abgewiesen.

c) Gegen die genannten Bescheide des BMI wenden sich die eingangs erwähnten Beschwerden.

2.a) Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß der beiden Beschwerden am beschlossen, gemäß Art 140 Abs 1 B-VG die Verfassungsmäßigkeit des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs 2 des AsylG 1991 von Amts wegen zu prüfen.

b) § 20 AsylG 1991 lautet (das in Prüfung gezogene Wort ist hervorgehoben):

"§20.(1) Der Bundesminister für Inneres hat über eine zulässige Berufung in jedem Fall in der Sache selbst zu entscheiden und seiner Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen.

(2) Der Bundesminister für Inneres hat eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen, wenn es offenkundig mangelhaft war, der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlegt, die ihm im Verfahren vor dem Bundesasylamt nicht zugänglich waren, oder wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrunde gelegt wurde, in der Zwischenzeit geändert hat."

c) Der Verfassungsgerichtshof begründete im Einleitungsbeschluß seine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des in Prüfung gezogenen Wortes im wesentlichen wie folgt:

"...

4.3. Asylbehörden sind gemäß § 10 Abs 1 AsylG 1991 das Bundesasylamt in erster Instanz und der Bundesminister für Inneres als zweite Instanz.

Gemäß § 11 AsylG 1991 findet auf Verfahren nach diesem Bundesgesetz, soweit nicht anderes bestimmt wird, das AVG Anwendung. Das Asylgesetz 1991 enthält eine Reihe von Regelungen, die von den entsprechenden Bestimmungen des AVG abweichen. Unter anderem hat der Bundesminister für Inneres eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens nur dann anzuordnen, wenn es offenkundig mangelhaft war (§20 Abs 2 AsylG 1991). Hingegen haben zweitinstanzliche Behörden in Rechtsmittelverfahren, die nach den Bestimmungen des AVG durchzuführen sind, alle entscheidungsrelevanten Verfahrensmängel aufzugreifen.

4.4. Zu § 20 des Asylgesetzes 1991 führen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (270 BlgNR 18. GP) unter anderem aus:

'Der Begriff der offenkundigen Mangelhaftigkeit entstammt der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofs. Danach liegt eine offenkundige Mangelhaftigkeit des Verfahrens dann vor, wenn durch eine qualifizierte Verletzung von Verfahrensvorschriften in die Grundrechtssphäre eingegriffen wird. Eine solche nimmt der Verfassungsgerichtshof zum Beispiel dann an, wenn ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren überhaupt unterbleibt oder die Behörde in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterläßt, weiters dann, wenn sie vom Akteninhalt leichtfertig abgeht und den festgestellten Sachverhalt völlig außer Acht läßt oder wenn jegliche Begründung fehlt (vgl. zB VfSlg. 8854/1980, VfSlg. 9005/1981, VfSlg. 9206/1981, VfSlg. 9293/1981 uva.).'

Diese Ausführungen zeigen, daß der Gesetzgeber den Begriff der offenkundigen Mangelhaftigkeit dem in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes verwendeten Begriff der Willkür gleichsetzt. Verfahrensmängel, die nicht den Grad der Willkür erreichen, sollen vom Asylwerber nicht geltend gemacht und von der Berufungsbehörde nicht aufgegriffen werden können.

4.5. Der Verfassungsgerichtshof hegt zunächst das Bedenken, daß die Abweichung des Asylgesetzes von den Bestimmungen des AVG, insoweit nur offenkundige Mängel im Rechtsmittelverfahren geltend gemacht werden können, Art 11 Abs 2 B-VG widerspricht. Nach dieser Bestimmung können abweichende Regelungen von einheitlichen Vorschriften des Bundesgesetzgebers über das Verwaltungsverfahren auch vom Bundesgesetzgeber selbst nur getroffen werden, 'wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind'. Der Gesetzgeber ist bei der Formulierung des Art 11 Abs 2 B-VG bewußt jener des Art 15 Abs 9 B-VG gefolgt, der unter den gleichen

Voraussetzungen die Länder dazu ermächtigt, Regelungen auf dem Gebiete des Straf- und Zivilrechtes zu erlassen (vgl. auch VfSlg. 11564/1987 u.v.a.). 'Erforderlich' in diesem Sinn ist nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nur eine für die Regelung des Gegenstandes unerläßliche Bestimmung (vgl. VfSlg. 6343/1970, 8945/1980, 10097/1984, 11564/1987 u.a.).

Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß die Gewährung von Asyl Besonderheiten aufweist, die Abweichungen von den Bestimmungen des AVG erforderlich machen. So ist ein Asylwerber, 'der direkt aus dem Staat kommt, in dem er behauptet(e), Verfolgung befürchten zu müssen' (§6 Abs 1 AsylG 1991), ab dem Zeitpunkt, zu dem (rechtzeitig) ein Asylantrag gestellt wurde, zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt (§7 Abs 1 AsylG 1991). Solange das Asylverfahren nicht abgeschlossen ist, genießt der Asylwerber somit bereits vorläufig jenes Recht, dessen Erlangung letztlich das wichtigste Ziel der Asylgewährung ist, nämlich das Recht, sich im Bundesgebiet aufzuhalten. Vom AVG abweichende Bestimmungen, die sicherstellen, daß der Asylwerber am Verfahren mitwirkt, sachdienliches Vorbringen - nach Belehrung durch die Behörde - zu einem möglichst frühen Zeitpunkt erstattet und nicht durch späte Antragstellung das Verfahren verzögern kann, stehen im Zusammenhang mit der Begünstigung der vorläufigen Berechtigung zum Aufenthalt und sind zur Sicherstellung der Mitwirkung der Antragsteller am Verfahren unerläßlich. Solche Vorschriften entsprechen der Besonderheit des Asylverfahrens. Hingegen ist dem Verfassungsgerichtshof vorläufig nicht erkennbar, warum eine Regelung unerläßlich im dargestellten Sinn sein sollte, nach der die Berufungsbehörde nur dann Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens aufgreifen darf, wenn sie den Grad der Willkür erreichen.

4.6. Der Verwaltungsgerichtshof erkennt gemäß Art 130 Abs 1 B-VG unter anderem über Beschwerden, womit Rechtswidrigkeit von Bescheiden der Verwaltungsbehörden, mit deren Erlassung der Instanzenzug erschöpft ist, behauptet wird. Gegenstand seiner Entscheidung ist ein letztinstanzlicher Bescheid. Der Verwaltungsgerichtshof ist zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides nur berechtigt, wenn Mängel des Verfahrens vor der Behörde letzter Instanz vorliegen. Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens kann er nur aufgreifen, soferne sie nicht schon von der belangten Behörde aufgegriffen wurden und so zur Mangelhaftigkeit auch des Berufungsverfahrens führen.

Der Bundesminister für Inneres kann als Asylbehörde zweiter und letzter Instanz einen in einem mangelhaften Verfahren ergangenen erstinstanzlichen Bescheid nur aufheben, wenn der Mangel 'offenkundig' ist. Er begeht somit keinen Verfahrensfehler, wenn er Verfahrensmängel, die nicht den Grad der Willkür erreichen, unbeachtet läßt. Wenn Verfahrensmängel der ersten Instanz nicht vom Bundesminister für Inneres aufgegriffen werden, bewirken sie somit in der Regel nicht die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, sodaß auch der Verwaltungsgerichtshof sie nicht aufgreifen kann. In diesem Sinne hat auch der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf § 20 Abs 2 AsylG 1991 entschieden (Erkenntnis vom , Zlen. 92/01/1121,1122), daß 'Fehler des erstinstanzlichen Verfahrens ... den Beschwerden nicht zum Erfolg verhelfen (können), weil die Aufhebung eines Berufungsbescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens voraussetzt'.

Das mit 'Garantien der Verfassung und Verwaltung' überschriebene Sechste Hauptstück des B-VG, insbesondere aber die Bestimmungen über die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes, gebieten ein System des Rechtsschutzes, wonach jede Art von rechtswidrigem Vorgehen einer Verwaltungsbehörde gegenüber dem einzelnen von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes, zumindest aber von einer nach Art 133 Z 4 B-VG eingerichteten Kollegialbehörde, überprüfbar sein muß. Dem Verfassungsgerichtshof scheint es mit diesen von der Verfassung vorgegebenen Garantien der Verwaltung nicht vereinbar zu sein, wenn § 20 Abs 2 AsylG 1991 in der oben aufgezeigten Weise Verfahrensverletzungen, die nicht den Grad der Willkür erreichen, im Ergebnis der Überprüfbarkeit durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes entzieht.

4.7. Aus dem rechtsstaatlichen Prinzip erfließt das verfassungsrechtliche Gebot, die Einhaltung von Verfassung und Gesetz durch entsprechende Einrichtungen zu sichern (Rechtsschutzstaat; vgl. Walter-Mayer: Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts7, RZ 165; u.a.).

Der Verfassungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß die Einrichtung eines administrativen Instanzenzuges an sich nicht von Verfassungs wegen geboten ist (vgl. VfSlg. 8434/1978, S 347; 8556/1979, S 348; 9331/1982, S 65; 9600/1983, S 12 f.; , Pkt. II.3.c.bb; , B338/93 u.a. Zlen., Pkt. II.3.d.bb). Wenn der einfache Gesetzgeber aber einen solchen Instanzenzug einrichtet, so darf er zwar Rechtsmittelbeschränkungen vorsehen, aber nicht den Rechtsschutz im Ergebnis in einem Teilbereich beseitigen, indem er gerade durch die Einschaltung einer Berufungsinstanz mangelhaftes Verwaltungshandeln gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof immunisiert. Dem Verfassungsgerichtshof scheint, daß die Einschaltung einer Berufungsinstanz, die auf die Überprüfung 'offenkundiger' Mängel beschränkt wird, zu einer solchen, mit dem rechtsstaatlichen Prinzip unvereinbaren Beseitigung der Überprüfbarkeit des Verwaltungshandelns in einem Teilbereich führt.

..."

3. Die Bundesregierung erstattete im Gesetzesprüfungsverfahren eine Äußerung. Sie beantragt, die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung nicht als verfassungswidrig aufzuheben und führt zu den Bedenken im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip aus:

"Der Verfassungsgerichtshof nimmt in seinem Beschluß an, es sei durch das Rechtsstaatsprinzip gefordert, daß Verfahrensverletzungen im Verwaltungsverfahren auch dann, wenn sie keinen besonders qualifizierten Grad erreichen, durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts in vollem Umfang überprüfbar sein müssen.

Demgegenüber wird folgendes zur Erwägung gestellt: Das gesamte Rechtsschutzsystem des B-VG ist so konstruiert, daß es ausschließlich fehlerhafte Entscheidungen der letzten Instanz im Verwaltungsverfahren der Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts unterwirft. Fehlerhafte Entscheidungen unterer Instanzen sind damit notwendigerweise gegenüber dieser Kontrolle 'immunisiert', wenn die Fehler im Instanzenzug nicht releviert werden oder der Überprüfbarkeit im Instanzenzug entzogen sind. Dieses Prinzip kommt etwa darin zum Ausdruck, daß die Unzuständigkeit einer unteren Instanz nicht mehr bei den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts relevierbar ist, weil die in oberster Instanz entscheidende Behörde zuständig war (vgl. VfSlg. 3966/1961 und 5236/1966).

Aber auch bei Verfahrensfehlern, bei deren Vermeidung kein anderes Ergebnis eingetreten wäre (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes, , 90/06/0069), ist die Rechtmäßigkeitskontrolle faktisch beschränkt. Die Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ist im übrigen überall dort eingeschränkt, wo der Behörde durch das Gesetz Ermessen eingeräumt wurde (vgl. Art 130 Abs 2 B-VG), auch hier sind lediglich besonders gravierende Behördenfehler vom Gerichtshof überprüfbar.

Das - in zahlreichen österreichischen Verfahrensordnungen verwirklichte - Neuerungsverbot schließlich ist ebenso wie die - zulässige - Verkürzung des Instanzenzuges eine Rechtsfigur, die weit stärker in die Kontrollbefugnisse der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts eingreift, als die in Rede stehende Norm, und die dennoch mit dem Rechtsstaatsgebot des B-VG vereinbar ist. Hier müßte, selbst wenn alle anderen Argumente nicht zu überzeugen vermögen, zumindest der Größenschluß zulässig sein, daß eine geringfügige Einschränkung kein Bruch eines Verfassungsprinzips sein kann, wenn dieses selbst weit gravierendere Einschränkungen akzeptiert.

Der Gesetzgeber des Asylgesetzes 1991 hat sich jedenfalls bei der Regelung des § 20 des Asylgesetzes 1991 von prozeßökonomischen Erwägungen leiten lassen, die (...) von der Sache her geboten sind. In diesem Zusammenhang kann auch auf die Bestimmung des § 41 Abs 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1965 verwiesen werden, die ebenfalls, nicht zuletzt aus prozeßökonomischen Gründen bestimmt, daß der Verwaltungsgerichtshof 'den angefochtenen Bescheid aufgrund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes' zu prüfen hat.

Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Gesetzesstelle sollte auch nicht außer Betracht bleiben, daß das Asylgesetz auch verfahrensrechtliche - und vom AVG abweichende - Vorschriften zugunsten des Asylwerbers enthält (vgl. etwa die in § 16 Abs 1 Asylgesetz 1991 normierte besondere Manuduktionspflicht, die Begünstigung des gemäß § 16 Abs 2 leg.cit. aufzulegenden Merkblatts in einer verständlichen Sprache, die Sonderregelungen betreffend die Beiziehung von Dolmetschern in § 18 Asylgesetz 1991, die Mitwirkung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge im Verfahren gemäß § 21 Asylgesetz 1991, die in § 22 Asylgesetz 1991 normierte Befreiung von Stempelgebühren und die in § 23 Asylgesetz 1991 grundgelegte Einrichtung von Flüchtlingsberatern).

Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, daß die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle vom Verwaltungsgerichtshof mehrfach angewendet worden ist, und dieser Gerichtshof dagegen offensichtlich keine Bedenken hegt (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , 92/01/0800 - 0803 und , 93/01/0234, 93/01/0499)."

4. Der Beschwerdeführer zu B1074/93 erstattete hiezu als Beteiligter im Gesetzesprüfungsverfahren eine Gegenäußerung. Er tritt der Begründung des Einleitungsbeschlusses bei und der von der Bundesregierung abgegebenen Äußerung entgegen.

Zu den rechtsstaatlichen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes führt der Beteiligte aus:

"Die Ausführungen der Bundesregierung in diesem Punkt der Äußerung sind in gleich mehrfacher Hinsicht dogmatisch unrichtig bzw. in irreführender Weise unvollständig:

Verfehlt ist zunächst die Auffassung, fehlerhafte Entscheidungen seien in jenen Fällen gegenüber der Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts 'immunisiert', wenn die Fehler im Instanzenzug nicht releviert würden, hängt doch die Pflicht der Berufungsbehörde zur Wahrnehmung von Verfahrensmängeln von AVG wegen gerade nicht davon ab, daß diese Verfahrensmängel in der Berufung gerügt worden sind: Die Berufungsbehörde ist weder darauf beschränkt, die vom Berufungswerber vorgebrachten Gründe auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen, noch auch darauf, dem als zutreffend erkannten Berufungsvorbringen Rechnung zu tragen, vielmehr kann und muß sie allenfalls vom angefochtenen Bescheid Abweichendes auch insoweit entscheiden, als das von den Parteien gar nicht begehrt worden ist (s. Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze I (1987), Anm. 12 zu § 66 AVG). Es trifft auch nicht zu, daß die Unzuständigkeit einer unteren Instanz (vor dem Verfassungsgerichtshof) generell nicht mehr relevierbar wäre (s. nur Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht7, Rz 1412 mwH). Schließlich wird auch der Inhalt von Art 130 Abs 2 B-VG von der Bundesregierung völlig verkannt, wenn sie ausführt, daß die Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof bei Ermessensbescheiden eingeschränkt sei: Von einer solchen Einschränkung kann keine Rede sein, weil kraft Art 130 Abs 2 B-VG jede Ermessensübung innerhalb des Ermessensspielraumes von vornherein rechtmäßig ist. Die These, 'Ermessensfehler' stellten 'besonders gravierende Behördenfehler' dar, beruht auf der - einer positiv-rechtlichen Grundlage entbehrenden - Annahme, Ermessensübung sei auch dann (leicht) 'fehlerhaft', wenn der Verwaltungsgerichtshof das Ermessen anders geübt hätte als die Verwaltungsbehörde.

Demgegenüber trifft in der Tat zu, daß, wie die Bundesregierung der Sache nach vorbringt, im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren nur wesentliche Verfahrensmängel zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen können, sodaß die Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes insoweit beschränkt ist (dies freilich nicht 'faktisch', sondern von Gesetzes wegen; s. § 42 Abs 2 Z 3 litc VwGG).

Auch und gerade diese Bestimmung macht deutlich, daß die Einhaltung von Verfahrensvorschriften durch die Behörde nicht Selbstzweck ist, sondern der Durchsetzung der rechtlichen Interessen der Parteien dieses Verfahrens dient. § 42 VwGG steht mit den Anforderungen, die das Sechste Hauptstück des B-VG an das Rechtsschutzsystem stellt, offenkundig in Einklang; es wäre geradezu widersinnig, würde das VwGG die Aufhebung von Bescheiden wegen nicht entscheidungsrelevanter Verfahrensmängel (somit im Regelfall: von inhaltlich rechtmäßigen Bescheiden) vorsehen. Daß aus § 42 VwGG mitnichten der Schluß gezogen werden kann, es wäre verfassungsrechtlich zulässig, die Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes durch Einschaltung einer Berufungsinstanz im Ergebnis auf eine Willkürkontrolle zu beschränken, ist evident und nicht näher begründungsbedürftig.

Gleich in mehrfacher Hinsicht unzutreffend ist wiederum die Aussage der Bundesregierung, daß das - in zahlreichen österreichischen Verfahrensordnungen verwirklichte - Neuerungsverbot ebenso wie die - zulässige - Verkürzung des Instanzenzuges eine Rechtsfigur sei, die weit stärker in die Kontrollbefugnisse der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts eingreife, als die in Rede stehende Norm:

Unter der Voraussetzung der Identität des Prozeßgegenstandes (der 'Sache') innerhalb des administrativen Instanzenzuges ist die 'Länge' des Instanzenzuges auf die Kontrollbefugnis der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ohne jeden Einfluß. Jede der Behörden innerhalb des administrativen Instanzenzuges hat 'in der Sache selbst' zu entscheiden, weshalb der Instanzenzug in der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes auch zutreffend als Einheit angesehen wird; nur die Entscheidung der jeweils letzten Instanz, die an die Stelle der Entscheidungen der Unterinstanzen tritt und diese ersetzt, unterliegt der Überprüfung durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts. Die Einrichtung eines (administrativen) Instanzenzuges mag zwar grundsätzlich die Wahrscheinlichkeit, daß rechtswidrige Entscheidungen durch die Rechtsmittelinstanz korrigiert werden, erhöhen; wenn aber schon die Überprüfungsbefugnis der Berufungsbehörde auf Willkür beschränkt ist, so schlägt diese Beschränkung der Rechtsmittelgründe letztlich auch auf die Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts durch. Im Asylverfahren hätte daher ein Entfall der Berufungsmöglichkeit an den Bundesminister für Inneres und die darin gelegene 'Verkürzung' des Instanzenzuges keine Verschlechterung, sondern in Wahrheit eine Verbesserung des (höchstgerichtlichen) Rechtsschutzes zur Folge (vgl. in diesem Zusammenhang auch Zl. 82/10/0086, wonach ein Ermittlungsverfahren dann mit besonderer Sorgfalt durchgeführt werden muß, wenn die entscheidende Behörde zugleich erste und letzte Instanz ist). Aus der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach die Einrichtung eines administrativen (!) Instanzenzuges von Verfassungs wegen nicht geboten ist, ist daher für die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer (mittelbaren) Einschränkung der Überprüfungsbefugnis der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nichts zu gewinnen.

Unzutreffend ist ferner die Behauptung, das Neuerungsverbot sei 'in zahlreichen österreichischen Verfahrensordnungen' verwirklicht. Neuerungsverbot gilt zwar - mit Einschränkungen - im Zivilprozeß (s. näher Fasching, Lehrbuch2, Rz 1721 ff). Dem allgemeinen Verwaltungsverfahren ist ein Neuerungsverbot hingegen ebenso fremd wie allen anderen vom Grundsatz der Amtswegigkeit beherrschten Verfahren. Außer im Zivilprozeß und im Asylverfahren ist ein Neuerungsverbot somit in keiner einzigen 'österreichischen Verfahrensordnung' verwirklicht.

Ganz abgesehen davon, daß im Zivilprozeß ein - schon in erster Instanz zur Entscheidung berufenes - unabhängiges Gericht (volle) Tatsacheninstanz ist (gegen dessen Entscheidung wiederum gerichtlicher Rechtsschutz offensteht), ist das im Asylverfahren bestehende Neuerungsverbot erheblich strenger als das Neuerungsverbot im Zivilprozeß:

Während nämlich im Zivilprozeß ungeachtet des Neuerungsverbotes jede (enscheidungsrelevante) Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz mit Erfolg als Berufungsgrund im Sinne des § 496 ZPO geltend gemacht werden kann (s. Fasching, Lehrbuch2, Rz 1762 ff sowie ausführlich Delle-Karth, Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens im Berufungssystem des österreichischen Zivilprozeßrechts, ÖJZ 1993, 10 ff, 50 ff) und das Berufungsgericht demgemäß sorgfältig zu prüfen hat, ob eine solche Mangelhaftigkeit tatsächlich vorliegt, gilt dies im Asylverfahren nur für offenkundige Mangelhaftigkeiten. Eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens erster Instanz ist damit - bildlich gesprochen - nur erforderlich, wenn eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens 'in die Augen fällt' (vgl. § 928 ABGB - 'offenkundige Mängel'); eine weitergehende Prüfung ist nicht erforderlich. Das Wort 'offenkundig' in § 20 Abs 2 AsylG 1991 ist damit geradezu der positivrechtliche Ausdruck der mangelnden Bereitschaft der Asylbehörden, sich (im Berufungsverfahren) mit dem Vorbringen eines Asylwerbers eingehend auseinanderzusetzen; ein 'Blick in den Akt' soll - nach den Vorstellungen des Gesetzgebers - genügen.

Daß auch § 20 Abs 2 zweiter Fall AsylG 1991 das Neuerungsverbot im Vergleich zum Zivilprozeß erheblich verschärft, wurde bereits im im Anlaßverfahren erstatteten ergänzenden Schriftsatz erschöpfend dargelegt und soll hier nicht wiederholt werden.

Soweit die Bundesregierung § 41 Abs 1 VwGG für die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Gesetzesstelle ins Treffen führt, genügt es, auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur (eingeschränkten) Reichweite dieser Bindung zu verweisen. Ringhofer (Der Sachverhalt im verwaltungsgerichtlichen Bescheidprüfungsverfahren, VwGH-FS, 351) hat ausführlich dargelegt, daß und weshalb eine solche Bindung nicht besteht, wenn der belangten Behörde bei der Sachverhaltsfeststellung (wesentliche) Verfahrensmängel unterlaufen sind.

Anders als sonst im Verwaltungsverfahren kann im Asylverfahren ein solcher wesentlicher Verfahrensmangel nur dann vorliegen, wenn der Bundesminister für Inneres als Berufungsbehörde das Vorliegen einer offenkundigen Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz zu Unrecht verneint hat; ein Berufungsbescheid, in dem 'schlichte' Mangelhaftigkeiten des Verfahrens erster Instanz nicht aufgegriffen und saniert werden, ist demgegenüber frei von (vom Verwaltungsgerichtshof unter dem Gesichtspunkt des § 42 Abs 2 Z 3 litc VwGG wahrzunehmenden) Verfahrensmängeln und darf demgemäß vom Verwaltungsgerichtshof aus diesem Grund auch nicht aufgehoben werden.

Mit ihren Ausführungen, das AsylG 1991 enthalte auch verfahrensrechtliche - und vom AVG abweichende - Vorschriften zugunsten des Asylwerbers, was bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Gesetzesstelle nicht außer Betracht bleiben sollte, verkennt die Bundesregierung schließlich, daß es nach Art 11 Abs 2 zweiter Satz B-VG völlig unerheblich ist, ob eine Sonderbestimmung die Partei des Verwaltungsverfahrens begünstigt oder benachteiligt. Ziel dieser Bestimmung ist es einzig und allein, die Einheitlichkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze sicherzustellen. Schon gar nicht kommt es aber darauf an, ob sich begünstigende und benachteiligende Abweichungen vom AVG im Materiengesetz insgesamt die Waage halten. Ganz abgesehen davon, daß höchst zweifelhaft ist, wie im Hinblick auf die höchst unterschiedlichen Regelungsinhalte der einzelnen Abweichungen eine derartige Abwägung erfolgen sollte, ist nach dem klaren Wortlaut von Art 11 Abs 2 B-VG jede einzelne Sonderbestimmung als solche auf ihre 'Erforderlichkeit' zu prüfen. Ein derartiger 'Abtausch' liefe der Zielsetzung der Einheitlichkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze diametral zuwider, zumal es der Materiengesetzgeber diesfalls bei einer bestehenden 'Ungleichgewichtslage' in der Hand hätte, durch Schaffung zusätzlicher Abweichungen die Verfassungswidrigkeit eines 'Regelungskomplexes' zu beseitigen."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerden, die Anlaß zur Einleitung dieser Gesetzesprüfungsverfahren bildeten, sind - ohne daß dies noch einer weiteren Begründung bedarf - zulässig. Der Verfassungsgerichtshof wird daher über sie in der Sache zu entscheiden haben. Hiebei hätte er unter anderem die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung anzuwenden.

Da außer der Präjudizialität auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, daß die Einschaltung einer Berufungsinstanz, die auf die Überprüfung "offenkundiger" Mängel beschränkt wird, zu einer mit dem rechtsstaatlichen Prinzip unvereinbaren Beseitigung der Überprüfbarkeit des Verwaltungshandelns in einem Teilbereich führt, haben sich als zutreffend erwiesen. Das Wort "offenkundig" in § 20 Abs 2 AsylG 1991 ist aus folgenden Gründen verfassungswidrig:

a) Die Bundesregierung bestreitet in ihrer Äußerung nicht, daß die zu prüfende Gesetzesstelle zu einer Einschränkung der Überprüfbarkeit des verwaltungsbehördlichen Verfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof führt, meint aber, daß diese "geringfügige Einschränkung kein Bruch eines Verfassungsprinzips sein kann, wenn dieses selbst weit gravierendere Einschränkungen akzeptiert."

Als Beispiele für diese gravierenden Einschränkungen führt die Bundesregierung an, daß auch Verfahrensfehler, bei deren Vermeidung kein anderes Ergebnis eingetreten wäre, der Rechtmäßigkeitskontrolle entzogen seien. Ferner sei die Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt, wenn das Gesetz der Behörde Ermessen einräume. Auch sähen zahlreiche Verfahrensordnungen ein Neuerungsverbot oder eine Verkürzung des Instanzenzuges vor. Schließlich seien fehlerhafte Entscheidungen der Unterinstanzen ganz allgemein durch die Entscheidungen der letzten Instanz gegenüber der Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts "immunisiert".

b) Die Argumentation der Bundesregierung geht an den im Prüfungsbeschluß geäußerten Bedenken vorbei. Gerade die "Immunisierung" von Verfahrensfehlern der Unterinstanzen gegenüber der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle führt dazu, daß solche Fehler, wenn sie auch die Berufungsinstanz nicht aufgreifen kann, ohne rechtliche Kontrolle bleiben.

Der Umstand, daß nur "relevante" Verfahrensfehler - also solche, die sich auf das Ergebnis des Verfahrens auswirken - aufzugreifen sind, bewirkt keine Schlechterstellung der Position der Parteien des Verfahrens. Das Neuerungsverbot zwingt die Parteien zur effektiven Mitwirkung am Verfahren, nimmt ihnen aber nicht die Möglichkeit, Fehler der Behörde aufzugreifen. Ermessen muß gesetzlich determiniert sein und darf nur im Rahmen der Gesetze ausgeübt werden. Ermessensausübung unterliegt daher sehr wohl der rechtlichen Kontrolle. In keinem der von der Bundesregierung aufgezeigten Beispiele geht der Rechtsschutz gegen rechtswidriges Handeln der Behörde verloren.

Der Verfassungsgerichtshof ging schon im Prüfungsbeschluß von der Prämisse aus, daß die Einrichtung eines administrativen Instanzenzuges nicht von Verfassungs wegen geboten ist (vgl. VfSlg. 8434/1978, S 347; 8556/1979, S 348; 9331/1982, S 65;

9600/1983, S 12 f.; , Pkt. II.3.c.bb;

, B338,445/93, Pkt. II.3.d.bb). Eine Entscheidung, die ohne Dazwischenschaltung eines Instanzenzuges oder in einem verkürzten Instanzenzug ergeht, unterliegt jedoch der Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes. Wird aber ein Instanzenzug in einer Weise eingerichtet, daß unterinstanzliche relevante Verfahrensmängel ohne Kontrolle durch die Rechtsmittelinstanzen bleiben, so können solche Verfahrensmängel auch von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes nicht mehr aufgegriffen werden. Gerade dies wird aber durch die Aufnahme des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs 2 AsylG 1991 bewirkt.

Die von der Bundesregierung ins Treffen geführte Bestimmung des § 41 Abs 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) 1965, wonach der Verwaltungsgerichtshof "den angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes" zu prüfen habe, verstärkt diesen Effekt: Der Verwaltungsgerichtshof hat den im letztinstanzlichen Verfahren festgestellten Sachverhalt nämlich nur dann seiner Entscheidung zugrunde zu legen, wenn dieser in rechtlich einwandfreier Weise, nämlich ohne "Verletzung von Verfahrensvorschriften" (§41 Abs 1 VwGG 1965) ermittelt wurde. Fehlt es an dieser Voraussetzung, so ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in seinen Rechten verletzt (Art131 Abs 1 Z 1 B-VG; § 42 Abs 2 Z 3

VwGG).

Die Beschränkung der letztinstanzlichen Behörde auf die Ahndung "offenkundiger" Verfahrensmängel der Unterinstanz bewirkt somit die Beseitigung der Möglichkeit der unbeschränkten Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns auch durch den Verwaltungsgerichtshof und ermöglicht es daher der Behörde erster Instanz, sanktionslos (nicht den Grad der Willkür erreichende) Verfahrensfehler, mögen solche auch nur in besonderen Fällen vorliegen, zu begehen und somit in einem Teilbereich nicht "auf Grund der Gesetze" (Art18 Abs 1 B-VG) vorzugehen. Diese Rechtswidrigkeit ist auch entgegen Art 130 Abs 1 und Art 131 Abs 1 Z 1 B-VG der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes entzogen.

c) Die Bundesregierung führt einige Bestimmungen des AsylG 1991 an, die vom AVG abweichen und - nach Meinung der Bundesregierung - Asylwerber begünstigen.

Soweit die von der Bundesregierung behauptete verfahrensrechtliche Besserstellung von Asylwerbern überhaupt zutrifft, so können solche Begünstigungen nicht Einschränkungen des von der Verfassung vorgegebenen Systems des letztlich von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes zu wahrenden Rechtsschutzes rechtfertigen.

3. Das Wort "offenkundig" in § 20 Abs 2 AsylG 1991 war daher wegen Verletzung des Rechtsstaatsprinzips aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich das Eingehen auf die Frage, ob diese Bestimmung auch Art 11 Abs 2 B-VG widerspricht.

4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art 140 Abs 5 B-VG; der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 B-VG; die Verfügung, daß die aufgehobene Gesetzesbestimmung nicht mehr anzuwenden ist, gründet sich auf Art 140 Abs 7 B-VG.

Von einer - im übrigen von der Bundesregierung gar nicht beantragten - Fristsetzung wurde Abstand genommen, weil § 20 Abs 2 AsylG 1991 auch nach der Aufhebung des Wortes "offenkundig" ohne völlige Veränderung seines Inhaltes anwendbar bleibt und somit gesetzliche Vorkehrungen nicht zu treffen sind.

Wenn auch von dieser Norm vielleicht nur wenige Fälle betroffen waren, so ist doch der Umstand, daß in diesen Fällen der Rechtsschutz genommen wird, so gravierend, daß der Gerichtshof meint, diese Norm solle nicht mehr angewendet werden.

5. Diese Enscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.