VfGH vom 05.12.1996, g9/96

VfGH vom 05.12.1996, g9/96

Sammlungsnummer

14696

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit des ausdrücklichen Ausschlusses einer gegenüber strafgerichtlicher Verfolgung nur subsidiären verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung wegen Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gemäß der StVO 1960 infolge eines Verstoßes gegen das Doppelbestrafungsverbot des Art 4 des 7. ZP EMRK; Ungültigkeit des Vorbehalts der Republik Österreich zum Doppelbestrafungsverbot mangels erschöpfender Beschreibung der mit Art 4 nicht im Einklang stehenden Gesetze; kein Widerspruch des lediglich die Strafbemessung im Sinne des Kumulationsprinzips regelnden und die verwaltungsstrafverfahrensrechtliche Regel bei Zusammentreffen strafbarer Handlungen aufstellenden Bestimmungen des VStG gegen das Verbot der Doppelbestrafung

Spruch

Die Wortfolge "in Abs 2, 3 oder 4 bezeichnete" in § 99 Abs 6 litc der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159, in der Fassung vor der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, war verfassungswidrig.

Die Wortfolge "in Abs 2, 2a, 2b, 3 oder 4 bezeichnete" in § 99 Abs 6 litc der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159, in der Fassung der 19. StVO-Novelle, BGBl. Nr. 518/1994, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die als verfassungswidrig erkannten Gesetzesbestimmungen sind auch in jenen Rechtssachen nicht mehr anzuwenden, die am bei einem unabhängigen Verwaltungssenat oder beim Verwaltungsgerichtshof anhängig waren.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Im übrigen werden die Anträge des Verwaltungsgerichtshofes, des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg, des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol sowie des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu G9/96, G83/96, G86/96, G110/96, G136/96, G143/96, G148/96, G159/96 und G197/96 Verfahren über Anträge anhängig, mit denen verschiedene unabhängige Verwaltungssenate und der Verwaltungsgerichtshof die Aufhebung einzelner Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. 52/1991, bzw. der StVO 1960 gemäß Art 140 Abs 1 B-VG begehren. In sämtlichen Anlaßfällen wurden die Berufungswerber vor den unabhängigen Verwaltungssenaten sowie die Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgerichtshof wegen Übertretung des § 5 Abs 1 in Verbindung mit § 99 Abs 1 lita StVO 1960 verwaltungsstrafrechtlich belangt.

1.2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg beantragt in dem zu G9/96 protokollierten Verfahren

"a) die Worte 'oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen' im § 22 Abs 1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 ..., BGBl. Nr. 52/1991, in eventu in Verbindung mit den Worten nach litd) dieses Antrages;

in eventu

b) den § 22 Abs 2 VStG, BGBl. Nr. 52/1991,

in eventu in Verbindung mit den Worten nach litd) dieses Antrages;

in eventu

c) die Worte 'oder einem Gericht' im § 22 Abs 2 VStG, BGBl. Nr. 52/1991, in eventu in Verbindung mit den Worten nach litd) dieses Antrages;

in eventu

d) die Worte 'in Abs 2, 2a, 2b, 3 oder 4 bezeichnete' im § 99 Abs 6 litc der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159/1960 ..., idF BGBl. Nr. 518/1994", als verfassungswidrig aufzuheben.

Der Berufungswerber vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg wurde bereits mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom für schuldig erkannt, im Zuge derselben Fahrt das Vergehen der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 in Verbindung mit § 81 Z 2 Strafgesetzbuch, BGBl. 60/1974 idgF, (im folgenden: StGB), begangen zu haben.

1.2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol stellt einerseits den zu G83/96 protokollierten Antrag auf Aufhebung folgender Bestimmungen:

"1) § 30 VStG i.d.g.F. zur Gänze und die in § 22 Abs 1 VStG i. d.g.F. enthaltene Wortfolge 'oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen' sowie § 99 Abs 6 litc StVO i.d.F. nach der 19. Novelle, BGBl. Nr. 1994/518, ...

in eventu

2) die in § 30 Abs 1 VStG i.d.g.F. enthaltene Wortfolge 'und zwar in der Regel auch dann, wenn die strafbaren Handlungen durch ein und dieselbe Tat begangen worden sind', § 30 Abs 2, 3 und 4 VStG i. d.g.F. sowie die in § 22 Abs 1 VStG i.d.g.F. enthaltene Wortfolge 'oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen' und § 99 Abs 6 litc StVO i.d.F. nach der 19. Novelle, BGBl. Nr. 1994/518, ..."

Weiters begehrt er in den zu G110/96, G136/96 und G148/96 protokollierten Anträgen die Aufhebung des § 99 Abs 6 litc StVO 1960, in der Fassung BGBl. 518/1994. In dem zu G110/96 protokollierten Antrag beantragt der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol zudem in eventu die "§§22 und 30 VStG als verfassungswidrig aufzuheben".

Die Berufungswerber vor diesem Unabhängigen Verwaltungssenat wurden in einem gerichtlichen Verfahren für schuldig erkannt, eine fahrlässige Körperverletzung im Sinne des § 88 Abs 1 und Abs 3 in Verbindung mit § 81 Z 2 StGB (Berufungswerber des zu G 83/96 protokollierten Verfahrens durch Urteil des Bezirksgerichtes Kufstein vom ), eine fahrlässige Körperverletzung gemäß § 88 Abs 1, 3 und 4 zweiter Fall StGB in Verbindung mit § 81 Z 2 StGB (Berufungswerber des zu G110/96 protokollierten Verfahrens durch das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom ), eine fahrlässige Körperverletzung gemäß § 88 Abs 1 und Abs 4 zweiter Fall in Verbindung mit § 81 Z 2 StGB (Berufungswerber des zu G136/96 protokollierten Verfahrens durch Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom ) sowie eine fahrlässige Körperverletzung und Imstichlassen eines Verletzten gemäß § 88 Abs 1 StGB und § 94 Abs 1 StGB bei gleichzeitigem "Freispruch" von § 81 Z 2 StGB (Berufungswerber des zu G148/96 protokollierten Verfahrens durch das Urteil des Bezirksgerichtes Landeck vom ) begangen zu haben.

In dem zu G136/96 protokollierten Verfahren regt der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol an, im Falle einer Aufhebung des § 99 Abs 6 litc StVO 1960 "klar(zu)stellen ..., daß die Aufhebung auf sämtliche anhängige Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten anzuwenden ist".

1.2.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich stellte aus Anlaß zweier bei ihm anhängiger Berufungsverfahren zwei gleichlautende, zu G86/96 und G197/96 protokollierte Anträge auf Aufhebung folgender Bestimmungen:

"a) die Worte 'in Abs 2, 2a, 2b, 3 oder 4 bezeichnete' in § 99 Abs 6 litc der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159/1960 - StVO 1960, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 518/1994, in eventu in Verbindung mit den Worten gemäß litd) dieses Antrages;

in eventu b) die Worte 'Alkohol oder' in § 99 Abs 1 lita der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159/1960 - StVO 1960, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 518/1994;

in eventu c) die Worte 'oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen' in § 22 Abs 1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 620/1995 - VStG;

in eventu d) die Worte 'oder einem Gericht' in § 22 Abs 2 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 620/1995 - VStG".

Die Berufungswerber sind bereits wegen fahrlässiger Körperverletzung unter besonders gefährlichen Umständen gemäß § 88 Abs 1 und 3 in Verbindung mit § 81 Z 2 StGB (Berufungswerber des zu G86/96 protokollierten Verfahrens durch die rechtskräftige Strafverfügung des Bezirksgerichtes Mondsee vom ) bzw. wegen Gefährdung der körperlichen Sicherheit unter besonders gefährlichen Verhältnissen gemäß § 89 in Verbindung mit § 81 Z 2 StGB (Berufungswerber des zu G197/96 protokollierten Verfahrens durch Urteil des Bezirksgerichtes Mattighofen vom ) rechtskräftig verurteilt worden.

1.2.4. Auch der Verwaltungsgerichtshof stellte aus Anlaß zweier bei ihm anhängiger Beschwerdeverfahren die jeweils gleichlautenden, zu G143/96 und G159/96 protokollierten Anträge

"die Worte 'oder einem Gericht' in § 22 Abs 2 und in § 30 Abs 1 VStG,

in eventu in § 22 Abs 2 VStG die Worte 'oder einem Gericht',

in eventu in § 30 Abs 1 VStG die Worte 'oder einem Gericht', in eventu in § 99 Abs 1 lita StVO 1960 die Worte 'Alkohol oder' als verfassungswidrig aufzuheben,

in eventu ... festzustellen, daß § 99 Abs 6 litc StVO in der Fassung vor der 19. StVO-Novelle (BGBl. Nr. 518/1994) verfassungswidrig war".

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck wurde der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom , mit dem der nunmehrige Beschwerdeführer des zu G143/96 protokollierten Verfahrens für eine am begangene Tat gemäß § 81 Z 1 StGB wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen verurteilt worden war, keine Folge gegeben. Ebenso ist der Beschwerdeführer des dem zu G159/96 protokollierten Antrag zugrundeliegenden Verfahrens gemäß dem Vorbringen des Verwaltungsgerichtshofes mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Radstadt vom gemäß § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB wegen fahrlässiger Körperverletzung in Folge einer am begangenen Tat gerichtlich verurteilt worden.

2.1. Die angefochtenen Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl. 52/1991, lauten in ihrem Zusammenhang:

"Zusammentreffen von strafbaren Handlungen

§22. (1) Hat jemand durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen, so sind die Strafen nebeneinander zu verhängen.

(2) Dasselbe gilt bei einem Zusammentreffen von Verwaltungsübertretungen mit anderen von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndenden strafbaren Handlungen.

...

Zusammentreffen verschiedener strafbarer Handlungen

§30. (1) Liegen einem Beschuldigten von verschiedenen Behörden zu ahndende Verwaltungsübertretungen oder eine Verwaltungsübertretung und eine andere von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndende strafbare Handlung zur Last, so sind die strafbaren Handlungen unabhängig voneinander zu verfolgen, und zwar in der Regel auch dann, wenn die strafbaren Handlungen durch ein und dieselbe Tat begangen worden sind.

(2) Ist aber eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, und ist es zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über diese Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist.

(3) Hat die Behörde vor dieser Entscheidung ein Straferkenntnis gefällt, so darf es vorläufig nicht vollzogen werden. Ergibt sich später, daß das Verwaltungsstrafverfahren nicht hätte durchgeführt werden sollen, so hat die Behörde erster Instanz, wenn aber in der Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, dieser, das Straferkenntnis außer Kraft zu setzen und das Verfahren einzustellen.

(4) Die Gerichte und die sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörden haben eine entgegen Abs 3 vollstreckte Verwaltungsstrafe und die von ihnen wegen derselben Tat verhängte Strafe anzurechnen."

2.2. Die angefochtenen Bestimmungen der StVO 1960, in der Fassung der Novelle BGBl. 518/1994, lauten in ihrem Zusammenhang (; die aufgehobene Wortfolge ist hervorgehoben):

"§99. Strafbestimmungen

(1) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 8 000 S bis 50 000 S, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von einer bis sechs Wochen zu bestrafen,

a) wer in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt,

b) ...

(2) bis (5) ...

(6) Eine Verwaltungsübertretung liegt nicht vor,

a) wenn durch die Tat lediglich Sachschaden entstanden ist, die Bestimmung über das Verhalten bei einem Verkehrsunfall mit bloßem Sachschaden (§4 Abs 5) eingehalten worden sind und nicht eine Übertretung nach Abs 1 vorliegt,

b) wenn die Tat auf einer Straße ohne öffentlichen Verkehr begangen wurde (§1 Abs 2),

c) wenn eine in Abs 2, 2a, 2b, 3 oder 4 bezeichnete Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht,

d) wenn durch eine Zuwiderhandlung gegen § 25 Abs 3 oder gegen eine auf Grund des § 25 Abs 1 oder 4 erlassene Verordnung auch ein abgabenrechtlich strafbarer Tatbestand verwirklicht wird."

Gemäß § 103 Abs 2a StVO 1960 trat die 19. StVO Novelle, BGBl. 518/1994, am in Kraft.

2.3. Der durch die 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, geänderte § 99 Abs 6 litc StVO 1960 lautete in der Fassung vor der Novelle (; die als verfassungswidrig erkannte Wortfolge ist hervorgehoben):

"(6) Eine Verwaltungsübertretung liegt nicht vor,

...

c) wenn eine in Abs 2, 3 oder 4 bezeichnete Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet,

... ."

3. Die antragstellenden unabhängigen Verwaltungssenate und der Verwaltungsgerichtshof berufen sich zur Begründung der Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen jeweils darauf, daß sie auf Grund der bereits rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen die Bestimmungen des VStG über das Zusammentreffen von strafbaren Handlungen (§§22 und 30 VStG) sowie die Strafbestimmung des § 99 Abs 1 lita sowie des § 99 Abs 6 litc StVO 1960 (vor bzw. nach der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994) anzuwenden haben.

3.1. Sämtliche antragstellende Rechtsschutzorgane hegen das Bedenken, daß die Bestimmungen im jeweils bezeichneten Umfang gegen Art 4 des im Verfassungsrang stehenden 7. Zusatzprotokolls zur Menschenrechtskonvention, BGBl. 628/1988, (7. ZPEMRK), verstoßen. Im Lichte des Urteiles des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, (im folgenden: EGMR), vom , Nr. 33/1994/480/562, (Gradinger gegen Österreich), gehen sie davon aus, daß die Erklärung Österreichs zum 7. ZPEMRK nicht bindend ist.

3.2. Nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg führe daher die Anwendung des bezeichneten Umfanges des § 22 VStG, in eventu in Verbindung mit der Wortfolge "in Abs 2, 2a, 2b, 3 oder 4 bezeichnete" in § 99 Abs 6 litc StVO 1960, zu einer im Sinne des Art 4 7. ZPEMRK unzulässigen Doppelbestrafung.

3.3. In dem zu G83/96 protokollierten Antrag vertritt der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol die Ansicht, daß "das Kumulationsprinzip ... nach der zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nur im Falle eine Idealkonkurrenz, wenn jeweils dieselbe Behörde zur Verfolgung zuständig ist, sowie in Fällen von Realkonkurrenzen, auch wenn verschiedene Behörden zur Verfolgung zuständig sind, statthaft" ist.

3.4. Demgegenüber geht er in den zu G136/96 und G148/96 protokollierten Anträgen davon aus, daß "der Unrechtsgehalt einer Übertretung nach § 5 Abs 1 StVO vom Unrechtsgehalt des § 88 Abs 1 und 4, 2. Fall (§81 Ziff. 2) StGB umfaßt" (G136/96) ist. Es liege somit ein Fall der Spezialität vor, da zum Verbot des schuldhaften alkoholisierten Lenkens das Verbot des schuldhaften Verursachens einer Körperverletzung hinzukomme. Aus Art 4 des

7. ZPEMRK ergebe sich aber, daß im Falle einer Scheinkonkurrenz bzw. einer Gesetzeskonkurrenz eine Doppelbestrafung verboten ist. Die Regelungen der §§22 und 30 VStG würden diesem Artikel nicht widersprechen. Auf Grund der speziellen Anordnung des § 99 Abs 6 litc StVO 1960 ergebe sich allerdings, daß bei einer Übertretung nach § 99 Abs 1 lita StVO 1960 trotz Vorliegens eines gerichtlichen Tatbestandes nach § 88 Abs 1 (, 3) und 4, zweiter Fall (§81 Z 2) StGB eine Konsumtion ausgeschlossen sei. Die Bestimmung des § 99 Abs 6 litc StVO 1960 stehe daher im Widerspruch zu Art 4 des 7. ZPEMRK, der eine Doppelbestrafung ausschließen will, insbesondere unter dem Aspekt, daß prinzipiell in der österreichischen Rechtsordnung gerichtliche Tatbestände verwaltungsstrafrechtlichen Tatbeständen vorgehen. Dies ergebe sich nicht nur aus der speziellen Bestimmung des Vorranges des gerichtlichen Tatbestandes vor einem verwaltungsrechtlichen Tatbestand in einzelnen Verwaltungsgesetzen, "sondern auch aus der Bundesverfassung, weil dort ... (der) Gerichtsbarkeit ein besonderer Stellenwert eingeräumt wird (siehe Art 82 ff B-VG)" (so im Antrag zu G148/96).

Im übrigen handle es sich um eine sachlich nicht gerechtfertigte Regelung, "da bei Gericht das Vorliegen einer Alkoholbeeinträchtigung mindestens genauso geprüft wird wie bei der Verwaltungsbehörde und es daher keiner zusätzlichen Überprüfung der Merkmale des § 5 StVO 1960 durch die Verwaltungsbehörde bedarf. Es wird von den ausgewogenen Regelungen der §§22 und 30 VStG abgegangen und eine völlig willkürliche Regelung gefaßt, durch die der Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 7 B-VG verletzt wird. (G136/96)"

Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol vertritt weiters in den beiden zuletzt genannten Anträgen die Ansicht, daß § 99 Abs 6 litc StVO 1960 zur Gänze aufzuheben sei, da eine nur teilweise Aufhebung der Wortfolge "in Absatz 2 ... oder 4" keine Klarstellung herbeiführen würde und eine unklare Vorschrift zur Folge hätte.

3.5. Der Verwaltungsgerichtshof hegt die Bedenken, daß die von ihm angefochtenen Bestimmungen "infolge der verpönten kumulativen Verantwortlichkeit des Täters" gegen Art 4 des 7. ZPEMRK verstoße.

3.6. Auch der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich bezweifelt im Lichte des genannten Urteiles des EGMR die Verfassungsmäßigkeit der von ihm angefochtenen Bestimmungen. Ausgehend von dem vor dem EGMR entschiedenen Fall, in dem ein strafgerichtlicher Freispruch von der strafrechtlichen Qualifikation des § 81 Z 2 StGB erfolgt war und dem somit lediglich die Frage einer doppelten Strafverfolgung (ne bis in idem) zugrundelag, bildeten die bei ihm anhängigen Fälle "darüber hinaus die Fallgestaltung einer möglichen Doppelbestrafung". Demnach seien die dem Grundsatz des Verbots der Doppelbestrafung im Sinne des Art 4 des 7. ZPEMRK entgegenstehenden einfachgesetzlichen Bestimmungen verfassungswidrig.

4. Die Bundesregierung hat in den Verfahren jeweils eine Äußerung erstattet.

4.1. Sie weist zunächst darauf hin, daß auf Grund der den Anlaßfällen zugrundeliegenden Fallkonstellationen die Bestimmungen der §§22 und 30 Abs 1 VStG allenfalls nur insoweit anzuwenden sind, als sie sich auf das Zusammentreffen einer Verwaltungsübertretung mit einer von einem Gericht zu ahndenden strafbaren Handlung beziehen. Soweit der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol in seinem Antrag zu G83/96 auch die Aufhebung der Absätze 2 bis 4 des § 30 VStG beantragt, mangle es an der Denkmöglichkeit der Annahme der Präjudizialität der angefochtenen Gesetzesstellen. Der von diesem Unabhängigen Verwaltungssenat angenommene untrennbare Zusammenhang zwischen dem sich auf echte Konkurrenzen beziehenden § 30 Abs 1 VStG einerseits und den Absätzen 2 bis 4 dieser Bestimmung andererseits liege deswegen nicht vor, weil die letztgenannten Absätze nur das in Fällen einer Scheinkonkurrenz einzuschlagende Verfahren regeln. Soweit der Unabhängige Verwaltungssenat in diesem Antrag (G83/96) die Aufhebung des § 99 Abs 6 litc StVO 1960 begehrt, erachtet die Bundesregierung den Antrag deshalb für unzulässig, weil diese Bestimmung mit den geltend gemachten Bedenken in keinem Zusammenhang steht.

Für zulässig erachtet die Bundesregierung die (Eventual-)Begehren, die Wortfolge "in Abs 2, (2a, 2b,) 3 oder 4 bezeichnete" in § 99 Abs 6 litc StVO 1960 (in der Fassung vor bzw. nach der Novelle BGBl. 518/1994) aufzuheben bzw. festzustellen, daß sie verfassungswidrig war. Diese Lokalisierung der Verfassungswidrigkeit minimiere den Eingriff in den Rechtsbestand, halte die Zielsetzungen des Gesetzgebers im übrigen weitestgehend aufrecht und habe auch keinen völlig veränderten Inhalt des Gesetzes zur Folge.

4.2. In der Sache führt die Bundesregierung aus, daß bei Prüfung der Vereinbarkeit der angefochtenen Gesetzesstellen mit Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK zwischen Straftatbeständen und Strafbemessungsregeln zu unterscheiden sei. Welche Handlungen mit gerichtlicher oder mit verwaltungsbehördlicher Strafe bedroht sind, ergebe sich aus den im StGB und in den Verwaltungsvorschriften vertypten Straftatbeständen. Im Bereich des Verwaltungsstrafrechts sei zu ihrer Regelung jener Gesetzgeber befugt, in dessen Wirkungsbereich die in der Strafnorm geregelte Angelegenheit fällt; der Bundesgesetzgeber verfüge auf der Grundlage des Art 11 Abs 2 B-VG nicht über die Kompetenz, Verhalten mit Strafe zu bedrohen. Ihm sei es auch verwehrt, als Verfahrensgesetzgeber über das wechselseitige Verhältnis konkreter Strafdrohungen Anordnungen zu treffen. Darüber, ob sie einander ausschließen, habe der Materiengesetzgeber zu befinden. § 22 Abs 1 VStG müsse sich daher darauf beschränken, an die in den Verwaltungsvorschriften getroffenen Entscheidungen anzuknüpfen.

Regelungen darüber, ob im Falle des eintätigen oder mehrtätigen Zusammentreffens strafbarer Handlungen für alle verwirklichten Delikte eine einzige Strafe zu verhängen ist oder ob mehrere Strafen nebeneinander zur Anwendung kommen, zählten hingegen zu den allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechts. Mit Erlassung des § 22 VStG habe der Bundesgesetzgeber im Bereich des Verwaltungsstrafrechts von der ihm zustehenden Bedarfskompetenz Gebrauch gemacht; mit § 30 VStG habe er auch eine auf die getroffene materielle Regelung abgestimmte Verfahrensvorschrift erlassen.

Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des VStG geben somit als Regelungen über die Strafbemessung und über das Verfahren bei Zusammentreffen verschiedener strafbarer Handlungen keine Auskunft darüber, ob ein bestimmtes menschliches Verhalten mit Strafe bedroht ist. Sie könnten daher ebensowenig eine verfassungswidrige Doppelbestrafung zur Folge haben wie Bestimmungen, die im Bereich der Gerichtsbarkeit das Kumulationsprinzip verwirklichten.

Im Lichte des Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK mache es nach Auffassung der Bundesregierung keinen entscheidenden Unterschied, für welches System sich der Gesetzgeber bei der Bemessung der Strafe im Konkurrenzfall entscheidet, ob er also dem Kumulationsprinzip folgt und Strafen häuft, oder das Absorptions- oder das Asperationsprinzip verwirklicht oder sich für eine Kombinationslösung entscheidet. All diese Weichenstellungen hinsichtlich der Rechtsfolgen mehrerer Taten bauten darauf auf, daß der Täter sich mehrerer Straftaten schuldig gemacht habe. Wenn und weil aber das Nebeneinander verschiedener Straftatbestände dazu zwinge, mehrere Schuldsprüche auszusprechen, könne die Antwort auf die Frage, ob dieses Nebeneinander von Verurteilungen eine verfassungswidrige Doppelbestrafung bedeute, nicht von den verhängten Sanktionen abhängen. Denn Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK verbiete nicht bloß eine erneute Bestrafung, sondern lasse schon eine zweite Verfolgung nicht zu.

Nach Auffassung der Bundesregierung sei es gleichermaßen unerheblich, ob für eine Mehrzahl strafbarer Handlungen ein und dieselbe Behörde zuständig ist, oder ob verschiedene Verwaltungsbehörden oder Gerichte die Taten zu ahnden haben. Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK verbiete kategorisch eine erneute Verfolgung oder Bestrafung, ohne nach behördlichen Zuständigkeiten zu differenzieren. Die Bundesregierung schließt es aus, daß das 7. ZPEMRK der Idealkonkurrenz schlechthin eine Absage erteilt hat. Daß ein Täter durch ein und dieselbe Handlung oder Unterlassung mehrere Delikte verwirklichen könne, sei ein allen europäischen Strafrechtssystemen gemeinsamer Grundsatz. Er zwinge auf Grund seiner "kompetenziellen Neutralität" die Vertragsstaaten auch nicht dazu, bei eintätigem Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen ein einziges Tribunal für alle verwirklichten Taten zuständig zu machen.

Im Lichte des Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK problematisch sei daher nach Auffassung der Bundesregierung ausschließlich das wechselseitige Verhältnis von § 5 Abs 1 in Verbindung mit § 99 Abs 1 lita StVO 1960 einerseits und § 81 Z 2 StGB (in Verbindung mit anderen Bestimmungen des StGB) andererseits.

Bislang hätten "die Straßburger Instanzen gegen Idealkonkurrenz als solche in ihrer bisherigen Rechtsprechungstätigkeit Einwände nicht erhoben". Auch im "Fall Gradinger" habe nach Auffassung der Bundesregierung nicht die Tatsache Anstoß erregt, daß die vom Gericht und von der Verwaltungsbehörde zu beurteilenden Delikte durch dieselbe Handlung verwirklicht wurden. Sowohl die Kommission als auch der EGMR hätten den Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung allein darin erblickt, "daß Gericht wie Verwaltungsbehörde über exakt dieselben Aspekte eines einheitlichen Lebenssachverhaltes entschieden hatten". Im Bericht der Kommission werde dementsprechend festgehalten, "daß es gegen die Zielrichtung der Konvention, praktische und effektive Garantien zu gewährleisten, verstoßen würde, wenn ein Staat seinen Verpflichtungen aus Art 4 des 7. ZPEMRK dadurch entkommen könnte, daß er eine freigesprochene Person auf Grundlage eines geringfügig anders zugeschnittenen zweiten Straftatbestandes wegen derselben Fakten ein weiteres Mal verfolgt". Die Begründung des Urteils zeige, daß der Verstoß gegen Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK von Kommission und EGMR nicht in der Tateinheit des Zusammentreffens zweier strafbarer Handlungen gesehen wurde. Hätte das StGB keinen § 81 Z 2 enthalten, hätte dies im "Fall Gradinger" an der Idealkonkurrenz von fahrlässiger Tötung und alkoholisiertem Lenken eines Kraftfahrzeuges nichts geändert. Gleichwohl wären Bedenken nicht erwachsen, weil mangels eines entsprechenden Tatbestandmerkmals vom Gericht die Alkoholisierung nicht zu prüfen gewesen wäre und folglich insoweit auch kein Freispruch ergehen hätte können. Erst die doppelte "Verwertung" der Alkoholisierung auf der Tatbestandsebene - im gerichtlichen Strafrecht als Erfolgsqualifikation, im Verwaltungsstrafrecht als selbständige Verwaltungsübertretung - und nicht etwa die divergente Beurteilung des Sachverhaltes durch die befaßten Behörden oder die unterschiedlichen Entscheidungszuständigkeiten seien nach Meinung der Bundesregierung für Kommission und EGMR der kritische Punkt gewesen.

Erst Verurteilungen wegen mehrerer Delikte auf Grund desselben Sachverhaltes, die auf Straftatbeständen fußen, die zueinander in einem spezialitätsähnlichen Verhältnis stehen, könnten zu verfassungswidrigen Doppelbestrafungen führen. Nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen sei das Verhältnis zwischen § 99 Abs 1 lita StVO 1960 und § 81 Z 2 StGB wohl als atypische, da nicht auf allgemeine Bauelemente der Verbrechenslehre rückführbare Subsidiarität zu qualifizieren.

Die Bundesregierung räumt ein, daß der Annahme einer stillschweigenden Subsidiarität der Wortlaut des § 99 Abs 6 litc StVO 1960 entgegenzustehen scheint, der im Verhältnis zwischen gerichtlich strafbaren Handlungen und den in § 99 Abs 2 bis 4 StVO 1960 enthaltenen Verwaltungsübertretungen eine ausdrückliche Subsidiarität anordnet. Diese explizite Regelung lege den Umkehrschluß nahe, daß im Verhältnis zu § 99 Abs 1 StVO 1960 kein derartiges Ausschlußverhältnis bestehe. Auch die Materialien zur Urfassung des § 99 Abs 6 StVO 1960 (240 BlgNR 9. GP) wiesen in diese Richtung. Im Sinne einer verfassungskonformen Interpretation sei aber auch eine Auslegung dahingehend möglich, daß es im Verhältnis zu § 99 Abs 1 StVO 1960 bei den allgemeinen strafrechtsdogmatischen Regeln über die Scheinkonkurrenz verbleibe. Ihre Anwendung habe zur Folge, daß die lita des § 99 Abs 1 StVO 1960 hinter gerichtlich strafbare Handlungen zurücktrete, die durch dieselbe Tat verwirklicht wurden.

4.3. Die Bundesregierung beantragt daher die Anträge zurück-, bzw. abzuweisen.

Für den Fall der Aufhebung von Bestimmungen stellt die Bundesregierung den Antrag, für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen durchführen zu können.

II. 1. Der Verfassungsgerichtshof geht entsprechend seiner ständigen Judikatur (VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 12189/1989; ua.) davon aus, daß er nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung den Verwaltungsgerichtshof oder einen unabhängigen Verwaltungssenat, der einen Gesetzesprüfungsantrag gemäß Art 140 Abs 1 B-VG stellt, an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes oder des unabhängigen Verwaltungssenates in der Hauptsache vorgreifen würde. Ein Antrag eines dieser Rechtsschutzorgane gemäß Art 140 Abs 1 B-VG darf daher vom Verfassungsgerichtshof nur dann zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig, also gleichsam denkunmöglich ist, daß die angefochtene Gesetzesbestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. des unabhängigen Verwaltungssenates im Anlaßfall bildet.

Wie der Sachverhaltsdarstellung unter I.1. zu entnehmen ist, wurden die Berufungswerber in den bei den antragstellenden unabhängigen Verwaltungssenaten sowie die Beschwerdeführer der Anlaßfälle beim antragstellenden Verwaltungsgerichtshof in den jeweiligen Anlaßfällen wegen entsprechender Tathandlungen nicht nur gemäß § 99 Abs 1 lita in Verbindung mit § 5 Abs 1 StVO 1960 verwaltungsbehördlich bestraft, sondern auch wegen verschiedener Delikte nach dem StGB (regelmäßig in Verbindung mit § 81 Z 2 StGB) strafgerichtlich belangt, weil die Berufungswerber bzw. Beschwerdeführer (vor dem Verwaltungsgerichtshof) ihr Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt hatten. Es kann daher den antragstellenden Rechtsschutzorganen nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgingen, daß § 22 Abs 1 VStG anzuwenden ist, wonach die Strafen nebeneinander zu verhängen sind, wenn eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen fällt, und § 22 Abs 2 VStG schon deswegen heranzuziehen ist, weil diese kurz als "Kumulationsprinzip" bezeichnete Vorschrift des Abs 1 gemäß Abs 2 auch bei einem Zusammentreffen von Verwaltungsübertretungen mit den von einem Gericht zu ahndenden strafbaren Handlungen gilt. Desgleichen ist es zumindest denkmöglich, daß in allen Anlaßfällen die verwaltungsstrafverfahrensrechtliche Vorschrift des § 30 VStG über das "Zusammentreffen verschiedener strafbarer Handlungen" heranzuziehen ist, wobei gerade im Hinblick auf § 99 Abs 6 StVO 1960 nicht auszuschließen ist, daß auch das im Falle der Subsidiarität des Verwaltungsstraftatbestandes heranzuziehende Absorptionsprinzip gemäß § 30 Abs 2 und 3 bzw. die Anrechnungsvorschrift des § 30 Abs 4 VStG zur Anwendung zu gelangen haben.

Soweit die genannten Vorschriften über das Zusammentreffen einer von einem Gericht zu ahndenden strafbaren Handlung mit einer Verwaltungsübertetung auch Regelungen für das Zusammentreffen mehrerer Verwaltungsübertretungen beinhalten, sind die angeführten Vorschriften des VStG entgegen der Auffassung der Bundesregierung schon deswegen insgesamt präjudiziell, weil die diesbezüglichen Regelungen in einem untrennbaren sprachlichen Zusammenhang stehen.

Zulässig ist aber auch die Anfechtung der Worte "Alkohol oder" in § 99 Abs 1 lita StVO 1960, weil damit ein Tatbestandselement, das in allen Anlaßfällen zum Tragen kommt, bezeichnet wird, sowie die Anfechtung des § 99 Abs 6 litc StVO 1960, vor bzw. nach der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994. Dadurch, daß die letztgenannte Vorschrift die im Eingangssatz angeordnete Subsidiarität einer verwaltungsbehördlichen Bestrafung gegenüber der in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden Strafverfolgung auf Straftaten gemäß den Abs 2, 3 oder 4 StVO 1960 idF vor der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, bzw. auf Straftaten gemäß den Abs 2, 2a, 2b, 3 oder 4 des § 99 StVO 1960, in der Fassung nach der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, beschränkt, wird darin gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, daß die Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs 1 lita StVO 1960 auch dann als Verwaltungsübertretung geahndet werden soll, wenn die betreffende Tat (das Lenken oder die Inbetriebnahme eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand) den Tatbestand "einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht". Die Bestrafung der Berufungswerber bzw. Beschwerdeführer in den Anlaßfällen vor den unabhängigen Verwaltungssenaten bzw. dem Verwaltungsgerichtshof beruht insoweit auch auf der Anwendung des § 99 Abs 6 litc StVO 1960, sodaß für jene Rechtsschutzorgane auch diese Vorschrift präjudiziell ist.

Daß § 99 Abs 6 litc StVO 1960 antragsgemäß auch in der Fassung vor der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen ist, folgt aus den vor dem Verwaltungsgerichtshof anhängigen Anlaßfällen, denen Handlungen der Beschwerdeführer am und am zugrundeliegen, sodaß die am in Kraft getretene

19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, gemäß § 1 Abs 2 VStG auf diese Fälle nicht anzuwenden ist. In allen anderen Anlaßfällen ist mit Rücksicht auf den Zeitpunkt der den Berufungswerbern zur Last gelegten strafbaren Handlung § 99 Abs 6 litc StVO 1960, in der Fassung der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, anzuwenden.

Da neben der Präjudizialität der angefochtenen Gesetzesvorschriften auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die eingangs geschilderten Gesetzesprüfungsanträge der unabhängigen Verwaltungssenate und des Verwaltungsgerichtshofes zulässig.

2.1. Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK, dessen Verletzung durch die angefochtenen Gesetzesbestimmungen die antragstellenden Rechtsschutzorgane behaupten, lautet (in seiner deutschen Übersetzung):

"Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden."

Die Republik Österreich hat dazu die als Vorbehalt gemäß Art 64 EMRK zu verstehende "Erklärung" abgegeben, daß sich Art 4 "nur auf Strafverfahren im Sinne der österreichischen Strafprozeßordnung" bezieht. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (900 BlgNR 16. GP, 9) wird dazu ausgeführt:

"Der Grundsatz des ne bis in idem bezieht sich nur auf Verurteilungen in einem Strafverfahren. Es wird daher eine Verurteilung wegen derselben Tat in einem Disziplinarverfahren oder Verwaltungsstrafverfahren nicht ausgeschlossen. Dies soll durch eine zweite vorgeschlagene, anläßlich der Ratifikation abzugebende Erklärung Österreichs ... in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise klargestellt werden."

In seinem Erkenntnis vom , Z 92/10/0404, wies der Verwaltungsgerichtshof eine gegen eine verwaltungsbehördliche Bestrafung (wegen Verhaltensweisen, die auch Gegenstand einer rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers waren,) gerichtete Beschwerde ab, nachdem der Verfassungsgerichtshof ihre Behandlung unter Hinweis auf den Verfassungsrang der Erklärung Österreichs zu Art 4 des 7. ZPEMRK abgelehnt hatte. Er begründete seine Abweisung unter anderem damit, daß Art 4 des 7. ZPEMRK "im Zusammenhang mit Verwaltungsstrafverfahren von vornherein nicht zum Tragen (kommt)", weil sich angesichts der Erklärung Österreichs anläßlich der Ratifizierung des 7. ZPEMRK "Art4 dieses Zusatzprotokolles nur auf Strafverfahren im Sinne der Österreichischen Strafprozeßordnung beziehe".

2.2. Der EGMR hat in seinem Urteil vom (Z33/1994/480/562, Serie A/328, deutsche Übersetzung abgedruckt in ÖJZ 1995, 954 = ZVR 1996, 12) vorerst festgestellt, daß die oben wiedergegebene "Erklärung" Österreichs deshalb nicht den Anforderungen des Art 64 Abs 2 EMRK entspricht, weil es an einer erschöpfenden Beschreibung der Gesetze fehlt, von denen gesagt werden soll, daß sie mit Art 4 des 7. ZPEMRK nicht im Einklang stehen. Der EGMR hält sohin die besagte "Erklärung" Österreichs für ungültig ("invalid").

Der EGMR nahm ferner eine Verletzung des Art 4 des 7. ZPEMRK deshalb an, weil in einem rechtskräftig abgeschlossenen gerichtlichen Verfahren einerseits "die erschwerenden Umstände, auf die in § 81 Z 2 StGB Bezug genommen wird, nämlich ein Blutalkoholgehalt von 0,8 Promille oder mehr, in bezug auf den Beschwerdeführer nicht festzustellen waren", während andererseits die Verwaltungsbehörden bei ihrer Bestrafung des Beschwerdeführers nach § 99 Abs 1 lita StVO 1960 (, wie der EGMR formuliert, "- um den Fall des Beschwerdeführers in den Anwendungsbereich des § 5 StVO zu bringen -",) befanden, "daß der genannte Alkoholgehalt erreicht worden sei". Der EGMR setzt fort:

"Der Gerichtshof ist sich völlig bewußt, daß die in Rede stehenden Bestimmungen verschieden sind, nicht nur was die Bezeichnung der strafbaren Handlungen betrifft, sondern was wichtiger ist, auch was ihre Art und ihren Zweck anlangt. Er bemerkt weiters, daß die in § 5 StVO vorgesehene Strafbestimmung nur einen der Gesichtspunkte (aspect) der gemäß Art 81 Abs 2 StGB (§81 Z 2 StGB) strafbaren Handlung widerspiegelt. Dennoch gründeten sich beide strittigen Entscheidungen auf das gleiche Verhalten (based on the same conduct). Demgemäß hat eine Verletzung des Art 4 des 7. ZP EMRK stattgefunden. (Z55)"

2.3. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich veranlaßt, dem EGMR in dessen Bewertung der "Erklärung" Österreichs zu Art 4 des 7. ZPEMRK zu folgen. Die von den unabhängigen Verwaltungssenaten und dem Verwaltungsgerichtshof angegriffenen Bestimmungen der §§22 und 30 VStG sowie §§99 Abs 1 lita und Abs 6 litc StVO 1960 können daher nicht als Gesetze angesehen werden, deren innerstaatliche Weitergeltung gemäß Art 64 Abs 1 EMRK völker- und verfassungsrechtlich vorbehalten sind, mögen sie auch mit Art 4 des 7. ZPEMRK nicht übereinstimmen.

Die angefochtenen Gesetzesvorschriften - mit Ausnahme des § 99 Abs 6 litc StVO 1960 (vgl. unten 2.4.) - widersprechen gleichwohl dem Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK, wie auch von der Bundesregierung in ihren Äußerungen und in der Literatur (Kucsko-Stadlmayer, Das "Gradinger-Urteil" des EGMR, ecolex 1996, 50 ff) überzeugend dargetan wird, nicht.

Die Vorschriften der §§22 und 30 VStG widersprechen schon deswegen dem Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK nicht, weil § 22 VStG lediglich die Strafbemessung im Sinne des Kumulationsprinzips regelt (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 6. Aufl. 1995, 819 ff.), wenn jemand mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat, und weil § 30 Abs 1 VStG für diesen Fall die verwaltungsstrafverfahrensrechtliche Regel (Walter-Mayer, aaO, 863 ff.) aufstellt, daß die strafbaren Handlungen unabhängig voneinander zu verfolgen sind. Wie aber insbesondere die Abs 2 bis 4 des § 30 VStG über die Strafverfolgung bei subsidiär zu ahndenden Verwaltungsübertretungen zeigen, ist es dem Gesetzgeber unabhängig von § 22 und § 30 Abs 1 VStG im Zuge der Anordnung der einzelnen Verwaltungs- und gerichtlich zu ahndenden Straftatbestände anheimgegeben, darüber zu entscheiden, in welchem Verhältnis die einzelnen Straftatbestände zueinander stehen; ob insbesondere dann, wenn eine Person durch eine Tat mehrere Tatbilder verwirklicht hat, die einzelnen Delikte im Sinne einer sogenannten Scheinkonkurrenz einander ausschließen, weil das eine Delikt den Rechtsgüterschutz eines anderen (an sich tatbildmäßig ebenfalls erfüllten) Delikts mitumfaßt und damit wegen des zwischen den Straftatbeständen bestehenden Verhältnisses der Spezialität, Subsidiarität oder Konsumtion nur die Verwirklichung eines Delikts zu bestrafen ist. Mit anderen Worten: Ob bei eintätigem Zusammentreffen mehrerer Delikte diese insgesamt zu verfolgen sind oder die Bestrafung nach einem Straftatbestand die Bestrafung nach einem anderen ausschließt (- weil dieser in bezug auf jenen nur subsidiär anzuwenden ist, der eine den anderen konsumiert oder der eine Tatbestand einen jenen anderen ausschließenden speziellen Charakter besitzt -), ist den gesetzlichen Regelungen der materiellen Strafbestimmungen zu entnehmen, nicht jedoch den §§22 und 30 Abs 1 VStG. Diese setzen vielmehr die gesetzliche Anordnung miteinander konkurrierender und daher nebeneinander zu ahndender Straftatbestände schon voraus und ordnen als Konsequenz die kumulative Verfolgung (in § 30 Abs 1 VStG) sowie die kumulative Bestrafung (in § 22 VStG) der mehreren Straftaten an.

Selbst wenn aber der Gesetzgeber dadurch von einer echten Konkurrenz von Delikten ausgeht, daß er durch eine Tat mehrere Delikte verwirklicht ansieht (Idealkonkurrenz), widerspricht eine derartige Regelung an sich noch nicht dem Doppelbestrafungsverbot des Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK. Die Bundesregierung führt zu Recht aus, der Standard aller europäischen Strafrechtssysteme zeige, daß auch bei eintätigem Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen mehrere Delikte anzunehmen sind, also davon auszugehen ist, daß ein Täter durch ein und dieselbe Handlung oder Unterlassung mehrere Delikte verwirklichen kann, ohne daß gegen das Doppelbestrafungsverbot verstoßen wird. Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK gebietet in diesem Fall auch nicht, daß lediglich ein einziges Rechtsschutzorgan für die Ahndung aller in Tateinheit zu verfolgender Delikte zuständig ist.

Die verfassungsrechtliche Grenze, die Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK einer Doppel- oder Mehrfachbestrafung zieht, kann daher nur darin liegen, daß eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung dann unzulässig ist, wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war; dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodaß ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfaßt (Kienapfel, Grundriß des österreichischen Strafrechts, 6. Aufl., 1996, 245). Die Bundesregierung ist im Recht, wenn sie die diesbezügliche Bedeutung des Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK in der verfassungsrechtlichen Absicherung "der die Lehre von der Scheinkonkurrenz tragenden Grundsätze" sieht. Strafverfolgungen bzw. Verurteilungen wegen mehrerer Delikte, die auf Straftatbeständen fußen, die einander wegen wechselseitiger Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion jedenfalls bei eintätigem Zusammentreffen ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn und weil dadurch ein- und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird. (Vgl. zur Annahme bloßer Scheinkonkurrenzen, um dem Vorwurf der Doppelbestrafung zu entgehen, OGH - verst. Senat - , 14 Os 127/90 = RZ 1993/47, unter Berufung auf Burgstaller, Die Scheinkonkurrenz im Strafrecht, JBl 1978, S 393 ff., 459 ff.).

Auch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zeigt die Notwendigkeit, unabhängig vom Kumulationsprinzip gemäß § 22 VStG eine nur scheinbare Konkurrenz von Delikten dann anzunehmen,

"wenn die wertabwägende Auslegung der formal (durch eine Handlung oder durch mehrere Handlungen) erfüllten zwei Tatbestände zeigt, daß durch die Unterstellung der Tat(en) unter den einen der deliktische Gesamtunwert des zu beurteilenden Sachverhaltes bereits für sich allein abgegolten ist. Voraussetzung ist, daß durch die Bestrafung wegen des einen Deliktes tatsächlich der gesamte Unrechtsgehalt des Täterverhaltens erfaßt wird." (So /0144; , Z 88/03/0080; , Z 89/02/0038; , Z 90/10/0052; , Z 93/18/0240, vgl. auch , Z 86/09/0153. Vgl. auch Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Aufl., 1996, 867, sowie 871 und die dort unter den Z 15 ff. zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes).

2.4. Während die Fälle der Scheinkonkurrenz von Delikten wegen Spezialität, Konsumtion oder stillschweigender Subsidiarität zweier oder mehrerer Tatbestände im wesentlichen im Wege der Auslegung und Anwendung der verschiedenen Straftatbestände festzustellen sind und dabei auch das verfassungsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK im Wege verfassungskonformer Auslegung der einzelnen gesetzlichen Straftatbestände zum Tragen kommt, ist der Gesetzgeber, der ausdrücklich die Subsidiarität eines Straftatbestandes gegenüber einem anderen anordnet bzw. ausschließt, von Verfassungs wegen verhalten, dabei das Verbot der Doppelbestrafung nach Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK zu beachten. Wie auch das bereits zitierte Urteil des EGMR vom zeigt, widerspricht eine gesetzliche Strafdrohung dann dem Art 4 des 7. ZPEMRK, wenn sie den wesentlichen Gesichtspunkt ("aspect") eines Straftatbestandes, der bereits Teil eines von den Strafgerichten zu ahndenden Straftatbestandes ist, neuerlich einer Beurteilung und Bestrafung durch die Verwaltungsbehörden unterwirft.

§ 99 Abs 1 lita StVO 1960 ordnet die Bestrafung als Verwaltungsübertretung an, wenn jemand "in einem durch Alkohol ... beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt". § 99 Abs 6 litc StVO 1960 läßt mangels ausdrücklicher Erwähnung dieser im Abs 1 des § 99 StVO 1960 geregelten Verwaltungsübertretung erkennen, daß die nach § 99 Abs 1 lita StVO 1960 bezeichnete Tat auch dann als Verwaltungsübertretung zu ahnden ist, wenn dadurch der "Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht" wird. Mit Rücksicht auf § 81 Z 2 StGB in seiner Auslegung durch die ständige Judikatur und die maßgebliche Literatur bildet das Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand auch in zahlreichen, vom Strafgericht zu ahndenden Deliktsfällen ein bedeutsames tatbestandliches Qualifikationskriterium und damit einen wesentlichen Gesichtspunkt im Sinne des zitierten Urteils des EGMR. Durch den ausdrücklichen Ausschluß einer gegenüber strafgerichtlicher Verfolgung nur subsidiären verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung nach § 99 Abs 1 lita StVO 1960 hat der Gesetzgeber im Ergebnis eine dem Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK zuwiderlaufende und daher verfassungswidrige Doppelbestrafung angeordnet.

Um den verfassungswidrigen Rechtszustand zu beheben, war die Wortfolge "in Abs 2, 2a, 2b, 3 oder 4 bezeichnete" in § 99 Abs 6 litc StVO 1960, in der Fassung der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, aufzuheben und war festzustellen, daß die Wortfolge "eine in Abs 2, 3 oder 4 bezeichnete" in § 99 Abs 6 litc StVO 1960, in der Fassung vor der 19. StVO-Novelle, BGBl. 518/1994, verfassungswidrig war.

Da der Verfassungsgerichtshof bei der Lösung der Frage, welche Bestimmungen jeweils zu prüfen und aufzuheben sind, im Gesetzesprüfungsverfahren davon ausgeht, daß der verbleibende Normteil möglichst keine Veränderung seiner Bedeutung erfahren soll, konnte sich die Aufhebung bzw. Feststellung der Verfassungswidrigkeit auf die bezeichneten gesetzlichen Wortfolgen in § 99 Abs 6 litc StVO 1960 (vor und nach der 19. StVO-Novelle) beschränken, sodaß die Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs 1 lita StVO 1960 nunmehr ebenso wie die anderen, in § 99 StVO 1960 geregelten Verwaltungsübertretungen nur subsidiär von den Verwaltungsbehörden zu ahnden ist.

In Anbetracht dieses Verfahrensergebnisses erübrigte es sich für den Gerichtshof, auf sonstige verfassungsrechtliche Bedenken der antragstellenden Rechtsschutzorgane einzugehen.

Im übrigen waren die (darüber hinausgehenden) Anträge der unabhängigen Verwaltungssenate und des Verwaltungsgerichtshofs abzuweisen.

3.1. Entgegen der Anregung der Bundesregierung hat der Verfassungsgerichtshof davon Abstand genommen, eine Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen gesetzlichen Bestimmung gemäß Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG zu bestimmen. Dies schon deswegen, weil die in der Verletzung des Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK gelegene Verfassungswidrigkeit schon aus Gründen der Vertragstreue möglichst rasch beseitigt werden soll (VfSlg. 12649/1991).

3.2. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

3.3. Gemäß Art 140 Abs 7 B-VG ist ein aufgehobenes Gesetz auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht anderes ausspricht.

Die Ausdehnung der Anlaßfallwirkung auf alle zum Zeitpunkt des Beginns der verfassungsgerichtlichen Beratung beim Verwaltungsgerichtshof und bei den unabhängigen Verwaltungssenaten anhängigen Beschwerde- und Berufungsfälle erschien dem Verfassungsgerichtshof mit Rücksicht darauf als zweckmäßig, daß bei einer Vielzahl dieser Fälle aus verfahrensrechtlichen Gründen (noch) kein Prüfungsantrag gestellt werden konnte und einzelne Gesetzesprüfungsanträge des Verwaltungsgerichtshofes und der unabhängigen Verwaltungssenate nicht mehr in das vorliegende Gesetzesprüfungsverfahren einbezogen werden konnten. Eine weitere Erledigung der diesbezüglich gestellten Gesetzesprüfungsanträge erübrigt sich damit.

Eine ausdrückliche Ausdehnung der Anlaßfallwirkung auf die beim Verfassungsgerichtshof zum Zeitpunkt des Beginns seiner Beratung anhängigen Beschwerdesachen ist im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes entbehrlich, derzufolge dem Anlaßfall (im engeren Sinn) jene Fälle gleichzuhalten sind, die im Zeitpunkt des Beginns der mündlichen Verhandlung über die Verfassungsmäßigkeit einer für das anhängige Verfahren präjudiziellen Gesetzesstelle bereits beim Verfassungsgerichtshof anhängig sind (vgl. zB VfSlg. 12649/1991 unter Hinweis auf die Vorjudikatur).

3.4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche stützt sich auf Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG.

3.5. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung vom Verfassungsgerichtshof beschlossen werden.