VfGH vom 28.06.1995, g89/94
Sammlungsnummer
14187
Leitsatz
Aufhebung der Einbeziehung der land- und forstwirtschaftlichen Nebengewerbe in den Geltungsbereich der Gewerbeordnung wegen Verstoßes gegen die verfassungsgesetzliche Kompetenzverteilung; landwirtschaftliche Verarbeitungsnebengewerbe keine Angelegenheiten des Gewerbes im Versteinerungszeitpunkt; kein gewerberechtlicher Ansatzpunkt für eine intrasystematische Fortentwicklung des Kompetenztatbestandes der Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie; keine Erweiterung bestehender Bundeskompetenzen aufgrund des BVG Umweltschutz
Spruch
§ 2 Abs 5 und 6 der Gewerbeordnung 1994, sowie Abs 6 der Anlage 2 zur Kundmachung des Bundeskanzlers und des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der die Gewerbeordnung 1973 wiederverlautbart wird, BGBl. Nr. 194/1994, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Tiroler Landesregierung stellte "auf Grund ihres Beschlusses vom nach Art 140 Abs 1 B-VG in Verbindung mit § 62 des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953", den Antrag,
a) "die Abs 4a und 4b des § 2 der Gewerbeordnung 1973, BGBl. Nr. 50/1974, in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1992, BGBl. Nr. 29/1993", (- identisch mit § 2 Abs 5 und 6 Gewerbeordnung 1994, Anlage 1 zur Kundmachung des Bundeskanzlers und des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der die Gewerbeordnung 1973 wiederverlautbart wird, BGBl. 194/1994, im folgenden:
Wiederverlautbarungs-Kundmachung), und
b) "den Abs 9 des ArtIV der Gewerberechtsnovelle 1992", BGBl. 29/1993, (- welcher nunmehr gemäß ArtIX der Wiederverlautbarungs-Kundmachung in Abs 6 der Anlage 2 ("Übergangsrecht") "mit den erforderlichen Modifikationen wiederverlautbart" wurde -),
als verfassungswidrig aufzuheben.
1.1. § 2 Abs 5 und 6 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) lauten:
"(5) Auf die Anlagen zur Ausübung von Nebengewerben der Land- und Forstwirtschaft (Abs1 Z 2 und Abs 4) finden die Bestimmungen über die Betriebsanlagen und die damit zusammenhängenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes (§§74 bis 84, 333 bis 338, 353 bis 360, 362, 366 bis 369 und 371 bis 373) Anwendung. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten kann im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Soziales und dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft durch Verordnung Arten von Anlagen zur Ausübung von Nebengewerben der Land- und Forstwirtschaft bezeichnen, die der Genehmigungspflicht gemäß den §§74 ff. nicht unterliegen, weil auf Grund der vorgesehenen Ausführung der Anlagen (insbesondere der Betriebsweise, der räumlichen Ausdehnung der Anlage, der Beschaffenheit und Wirkungsweise der Maschinen, Geräte und Ausstattungen der Anlage, der in der Anlage gelagerten oder verwendeten Stoffe) nach Art, Ausmaß und Dauer der Emissionen dieser Anlagen zu erwarten ist, daß die gemäß § 74 Abs 2 wahrzunehmenden Interessen hinreichend geschützt und Belastungen der Umwelt (§69a) vermieden werden.
(6) Abs 5 tritt mit in Kraft. Verordnungen auf Grund dieser Bestimmung können bereits vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung erlassen werden. Sie treten jedoch frühestens ab dem in Kraft."
Abs 6 der Anlage 2 ("Übergangsrecht") iVm. ArtIX der Wiederverlautbarungs-Kundmachung lautet:
"(6) Die am errichteten Betriebsanlagen, die nach den bisher geltenden Vorschriften nicht genehmigungspflichtig waren und nach § 2 Abs 5 der Gewerbeordnung 1994 genehmigungspflichtig wären, bedürfen keiner Genehmigung gemäß § 74 Abs 2;§ 79 und § 81 der Gewerbeordnung 1994 sind auf diese Anlagen sinngemäß anzuwenden."
1.2. Die antragstellende Landesregierung begründet die Zulässigkeit zur Anfechtung von Bestimmungen, die zum Zeitpunkt der Einbringung des Gesetzesprüfungsantrages noch nicht in Geltung gestanden sind, unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 6460/1971 damit, daß ein Bundesgesetz schon mit der Kundmachung "dem Bestand der Rechtsordnung" angehöre.
1.3. Die behauptete Verfassungswidrigkeit begründet die Antragstellerin im einzelnen folgendermaßen:
1.3.1. Es sei davon auszugehen, daß der Bundesgesetzgeber die angefochtenen Bestimmungen kompetenzmäßig auf den Tatbestand des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG stützen wollte, wonach Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache sind. Dies deshalb, weil es ein erklärtes Ziel der Gewerberechtsnovelle 1992 gewesen sei, die Regelungen der Anlagen zur Ausübung der land- und forstwirtschaftlichen Nebengewerbe in die Systematik des gewerblichen Betriebsanlagenrechtes einzubeziehen. Dafür spreche in erster Linie der "klare Wortlaut des § 2 Abs 4a GewO 1973 (§2 Abs 5 GewO 1994), mit dem diese Anlagen in das System der GewO 1973 (GewO 1994)" integriert werden sollten, weiters die Ausführungen im Vorblatt zu den Erläuterungen zur Regierungsvorlage ("Nr. 635 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XVIII. GP, S. 78"), wo vom weiteren "Ausbau des Umweltschutzes insbesondere durch die Einbeziehung von Anlagen zur Ausübung von Nebengewerben der Land- und Forstwirtschaft in das gewerbliche Betriebsanlagenrecht" die Rede ist und schließlich würden auch zahlreiche Wortmeldungen von Abgeordneten im Hohen Haus dieses Ergebnis untermauern ("vgl. dazu die Stenographischen Protokolle über die 69. und 99. Sitzung des Nationalrates, XVII. und XVIII. GP., S. 8003, 8006, 8018 und 11241").
1.3.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes seien verfassungsrechtliche Begriffe, die in der Verfassung selbst nicht näher umschrieben sind, in dem Sinn zu verstehen, "der ihnen nach dem Stand und der Systematik der Rechtsordnung zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der die entsprechenden Begriffe enthaltenden Verfassungsnormen zugekommen ist (vgl. VfSlg. 2721/1954, 4680/1964, 5019/1965, 9337/1982, 10831/1986 und 11503/1987)".
"Dementsprechend fallen unter den Kompetenztatbestand 'Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie' alle Vorschriften, die nach dem Stand und der Systematik der einfachen Gesetze am als gewerberechtliche Vorschriften anzusehen waren. Neuregelungen können sich daher nur insoweit auf den genannten Kompetenztatbestand stützen, als sie ihrem Inhalt nach dem Rechtsgebiet 'Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie' angehörten. Voraussetzung für eine diesbezügliche Zuständigkeit wäre ein inhaltlicher Zusammenhang mit den in der GewO 1859 enthaltenen Regelungen im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzartikel (siehe dazu die Erkenntnisse VfSlg. 3393/1958 und 10831/1986).
...
"Gesetzliche Bestimmungen können daher nur soweit auf den erwähnten Kompetenztatbestand gestützt werden, als es sich zum einen um 'Maßnahmen typisch gewerberechtlicher Art' handelt und andererseits um Maßnahmen für Wirtschaftsbereiche, die nach dem Stand der einfachgesetzlichen Rechtsordnung vom einer gewerberechtlichen Regelung unterlagen oder sich doch in systemimmanenter Weise aus entsprechenden Tätigkeiten entwickelt haben. Im Rahmen der Regelung der Gewerbeausübung sind Maßnahmen typisch gewerberechtlicher Art solche, 'die dem Schutz des Gewerbes, der Abwehr von vom Gewerbebetrieb unmittelbar ausgehenden Gefahren für die Gewerbetreibenden und ihre Arbeitnehmer, die Kunden, andere Gewerbetreibende oder als Nachbarn sonst von der Gewerbetätigkeit unmittelbar betroffene Personen und dem Konsumentenschutz dienen; diese Maßnahmen werden von der Lehre als gewerbepolizeiliche Maßnahmen bezeichnet' (vgl. die Erkenntnisse VfSlg. 2733/1954, 4117/1961 und 10831/1986)."
1.3.3. Hinsichtlich der Frage, inwieweit die gewerberechtlichen Vorschriften im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzbestimmungen die Nebengewerbe der Land- und Forstwirtschaft (einschließlich ihrer Betriebsanlagen) umfaßten, führt die antragstellende Landesregierung aus:
1.3.3.1. Den historischen Ausgangspunkt für die folgenden Untersuchungen bilde das "Kaiserliche Patent vom 20. Dezember 1859, womit eine Gewerbeordnung für den ganzen Umfang des Reiches mit Ausnahme des venezianischen Verwaltungsgebietes und der Militärgrenze erlassen, und vom 1. Mai 1860 angefangen in Wirksamkeit gesetzt wird", RGBl. Nr. 227, in der zum Versteinerungszeitpunkt in Geltung gewesenen Fassung.
Die maßgebenden Bestimmungen dieses Kundmachungspatentes lauten:
ArtIV leg.cit.: "Die in diesem Gesetze enthaltenen Bestimmungen gelten, mit der in dem nachfolgenden Artikel ausgedrückten Beschränkung, für alle gewerbemäßig betriebenen Beschäftigungen, sie mögen die Hervorbringung, Bearbeitung oder Umstaltung von Verkehrsgegenständen, den Betrieb von Handelsgeschäften oder die Verrichtung von Dienstleistungen und Arbeiten zum Gegenstande haben."
ArtV leg.cit.: "Auf folgende Beschäftigungen und Unternehmungen findet das gegenwärtige Gesetz keine Anwendung; dieselben werden fortan nach den dafür bestehenden Vorschriften behandelt:
a) die land- und forstwirtschaftliche Production und ihre Nebengewerbe, soweit diese in der Hauptsache die Verarbeitung der eigenen Erzeugnisse zum Gegenstande haben; (...)"
Hiezu führt die antragstellende Landesregierung aus:
"Nach dem Motivenbericht (siehe dazu Suchanek/Stadler/Meinhold, Die Gewerbeordnung, 1927, S. 25 f.) waren die in ArtV des Kundmachungspatentes aufgezählten Tätigkeiten in zwei Gruppen zu unterteilen: Einerseits waren solche vom Geltungsbereich der Gewerbeordnung ausgenommen, die aus 'besonderen öffentlichen Rücksichten' eine spezielle (Gewerbe-)Regelung benötigten und die - hätte man sie in die Gewerbeordnung aufgenommen - das Gesetz zu einem 'mißgestalteten Codex' hätten anwachsen lassen. Die zweite Gruppe umfaßte solche, die 'nicht als Gewerbe gelten, bei denen es aber der größten Bestimmtheit und der sicheren Handhabung des Gesetzes willen doch rätlich schien, ausdrücklich zu erklären, daß sie nicht unter die Wirksamkeit des Gewerbegesetzes fallen'.
Weiters führt der Motivenbericht aus, daß die Landwirtschaft schon vom Sprachgebrauch her kein Gewerbe und daher nicht unter das Gewerbegesetz zu stellen sei. Dies betreffe zweifellos die erste Gewinnung des Naturprodukts, die Umgestaltung des Naturprodukts müsse jedoch differenzierter beurteilt werden (...). Wenn die Umgestaltungsarbeiten so innig mit der Bodenbewirtschaftung verbunden sind, 'daß ohne sie das Naturprodukt gar nicht in Verkehr gebracht werden könnte' und wenn die Beschäftigten der 'eigentlich landwirtschaftlichen Bevölkerung' angehören, dann ginge es nicht an, dies in den Bereich der Gewerbegesetzgebung zu ziehen. Als Beispiele wurden die Milchwirtschaft, die Käse- und Weinbereitung genannt. Wo aber nur mehr ein zufälliger Zusammenhang mit Bodenbewirtschaftung bestehe, das Naturprodukt zur Nebensache werde und von Arbeitsaufwand und Hilfsstoff überwogen werde und wo die Arbeitskräfte nicht mehr landwirtschaftliche Bevölkerung seien (z.B. Bierbrauerei, Ziegelbrennerei, Zuckersiederei), wo auch die Umgestaltung weit über das Bedürfnis der ersten Kaufrechtmachung hinausreiche, da müsse das Gewerbegesetz gelten. Diese Grenzlinie versuche der Ausdruck 'Nebengewerbe, soweit ...' einzuhalten."
1.3.3.2. Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes habe den ArtV lita des Kundmachungspatentes in mehrfacher Hinsicht präzisiert. Die Frage, ob ein Betrieb einer Gewerbeanmeldung oder einer Betriebsanlagengenehmigung bedurfte, sei danach beurteilt worden, ob der Betrieb unter die Gewerbeordnung oder unter die erwähnte Ausnahmebestimmung gefallen sei.
"Ein Schwerpunkt der Judikatur lag in der Beurteilung der Gewinnung von Sand, Steinen, Schotter und anderen anorganischen Produkten. Dazu stellte der Verwaltungsgerichtshof klar, daß ArtV lita des Kundmachungspatentes nicht jede Urproduktion aus der Gewerbeordnung ausnehme, sondern nur die land- und forstwirtschaftliche Urproduktion. Diese umfasse im wesentlichen die Erzeugung pflanzlicher Rohstoffe und die Zucht von Tieren; daher könne die Gewinnung von Sand, Steinen, Schotter, Grünerde und Torferde nicht als landwirtschaftliche Produktion verstanden werden (Budw. 3820/1887; 15.564 A (wohl richtig: 14.564 A) /1900; 3781 A/1905; 5242 A/1907; 9302 A/1912). Das in den Beschwerden jeweils zusätzlich vorgebrachte Argument, es liege jedenfalls ein landwirtschaftliches Nebengewerbe vor, verneinte der Verwaltungsgerichtshof aus folgenden Überlegungen: Es könne ein Nebengewerbe im Sinne des ArtV lita nur vorliegen, wenn überhaupt ein Landwirtschaftsbetrieb vorhanden ist (Budw. 3820/1887; 5242 A/1907), bei der Gewinnung von Torferde (Budw. 9302 A/1912) erfolge keine Verarbeitung sondern Produktion, oder der Betrieb habe selbständigen Charakter und sei vom Landwirtschaftsbetrieb völlig unabhängig. Das wesentliche Merkmal eines landwirtschaftlichen Nebengewerbes 'besteht seinem Begriffe nach ja eben darin, daß dasselbe den Betrieb einer Landwirtschaft zur Voraussetzung hat und mit derselben in solchem Zusammenhange steht, daß der Betrieb des Nebengewerbes ohne Landwirtschaftsbetrieb nicht gedacht werden kann' (Budw. 14.564 A/1900)."
1.3.3.3. Was die entsprechenden Betriebsanlagen zur Ausübung der land- und forstwirtschaftlichen Nebengewerbe betrifft, so weist die Antragstellerin ausdrücklich darauf hin, daß das Betriebsanlagenrecht der GewO 1859 ausschließlich für gewerbliche Betriebsanlagen gegolten hat. Dies ergebe sich in erster Linie aus der Überschrift zum dritten Hauptstück "Erfordernis der Genehmigung einer Betriebsanlage bei einzelnen Gewerben" und aus dem ersten Satz des § 25 "Die Genehmigung der Betriebsanlage ist bei allen Gewerben notwendig ...". Systemkonform würden aber auch im § 27 Abs 1 Z 43 GewO 1859 (in der Fassung des Gesetzes vom 15. März 1883, betreffend die Abänderung und Ergänzung der Gewerbeordnung, RGBl. 39/1883) Steinbrüche, Ziegelbrennereien, Kalkbrennereien und Gipsbrennereien, insofern dieselben als "landwirtschaftliche Nebenbeschäftigungen erscheinen und insofern die beiden letzteren außerhalb des Gewinnungsortes des Materiales errichtet werden", vom besonderen Betriebsanlagenverfahren ausgenommen.
Zusammenfassend könne daher als Zwischenergebnis festgestellt werden, daß die Land- und Forstwirtschaft und ihre Nebengewerbe durch ArtV lita des Kundmachungspatentes in umfassender Weise, also auch hinsichtlich der für die Ausübung der Nebengewerbe erforderlichen Betriebsanlagen, vom Geltungsbereich der GewO 1859 ausgenommen waren.
1.3.4. Aus diesen historischen Darlegungen lassen sich nach Ansicht der antragstellenden Landesregierung für die in der vorliegenden Rechtsfrage maßgebliche Kompetenzabgrenzung zwischen der Bundes- und Landesgesetzgebung folgende Schlüsse ziehen:
1.3.4.1. Die zum verfassungsrechtlich maßgebenden Zeitpunkt, dem , vorgefundene Abgrenzung stelle die Kompetenzgrenze zwischen der Bundes- und der Landesgesetzgebung dar. Die Nennung einer Tätigkeit bzw. eines Bereiches im ArtV leg.cit. führe zur Beurteilung, daß diese jedenfalls keine "Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie" darstellen.
"So hat der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfSlg. 1477/1932 zur Auslegung des Begriffes 'Angelegenheiten des Gewerbes' festgehalten, daß das B-VG 'den Begriff 'Gewerbe' 'im wesentlichen den in der österreichischen Rechtsordnung ausgebildeten Gewerbebegriff beilegen wollte.' Die zahlreichen weiteren, Erwerbstätigkeiten regelnden Kompetenztatbestände im Art 10 zeigten 'eine so weitgehende Übereinstimmung mit den im ArtV des Kundmachungspatentes zur Gewerbeordnung genannten Ausnahmen, daß sich von selbst die Annahme aufdrängt, daß auch der Verfassungsgeber als 'Gewerbe' wenigstens der Hauptsache nach gerade die in der österreichischen Rechtsordnung als solche behandelten Erwerbstätigkeiten ansehen wollte' und daß daher durch gewerberechtliche Vorschriften nicht einbezogene Erwerbsbetätigung auch nicht unter Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG fallen. 'Betätigungen, die zur Zeit des Wirksamkeitsbeginnes der Kompetenzbestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes in der österreichischen Gesetzgebung nicht als Gewerbe behandelt wurden', habe das B-VG nicht als 'Gewerbe' im Sinne des Art 10 Abs 1 Z. 8 angesehen und fallen - falls sie nicht einem anderen Tatbestand in Art 10 untergeordnet werden könnten - nach Art 15 Abs 1 B-VG in den selbständigen Wirkungsbereich des Landes (siehe auch die Erkenntnisse VfSlg. 2500/1953, 2670/1954, 3227/1957, 7074/1973 und vom , B1062/90 (VfSlg. 12996/1992) sowie vom , KII-2/91 (VfSlg. 13237/1992)."
Zur Frage der Betriebsanlagenkompetenz im Gewerberecht habe der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 2977/1956 die Ansicht vertreten, daß der Bundesgesetzgeber nur dann zuständig sei, wenn die Betriebsanlage der Ausübung einer der Gewerbeordnung unterliegenden Tätigkeit dient. Auch im Erkenntnis VfSlg. 4227/1962 sei festgehalten worden, daß sich das Gewerberecht nach dem Inhalt der Rechtsordnung nach dem Stand auf Maßnahmen beschränkt habe, "die dem Umstand entspringen, daß die Anlage dem Betrieb eines Gewerbes dient" - während keine Maßnahmen vorgesehen gewesen seien, "die mit diesem Umstand in keiner Beziehung stehen".
1.3.4.2. Zur näheren Bestimmung des Begriffes "Nebengewerbe" führt die antragstellende Landesregierung aus:
Der ArtV lita des Kundmachungspatentes habe "Nebengewerbe" als offenen und entwicklungsfähigen Begriff konzipiert. Nach dem Motivenbericht habe er gerade keine Fixierung herbeizuführen, sondern eine allgemeine Begriffsbestimmung zu liefern gehabt, die von der Vollziehung ausgefüllt werden sollte. Die Vollzugspraxis habe dann auch beispielsweise andere Tätigkeiten als Verarbeitungsvorgänge als Nebengewerbe anerkannt und damit der Entwicklung Rechnung getragen. Die Land- und Forstwirtschaft und ihre Nebengewerbe seien immer untrennbar miteinander verbunden gewesen, sodaß eine Erweiterung des Produktionsbereiches automatisch zu einem Anwachsen der zulässigen Nebengewerbe geführt habe (so insbesondere auch die durch die Gewerberechtsnovelle 1992 vorgenommene Erweiterung der land- und forstwirtschaftlichen Nebengewerbe).
Der verfassungsrechtliche Nebengewerbebegriff entziehe sich also einer abschließenden, bestimmte Tätigkeiten erfassenden Umschreibung, er könne vielmehr nur auf typologische Weise mit den Merkmalen des Zusammenhanges und der Unterordnung zur Land- und Forstwirtschaft eingegrenzt werden. Die für die Kompetenz des einfachen Bundesgesetzgebers maßgebliche Frage, welche Nebengewerbe nicht unter den Kompetenztatbestand "Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie" fallen, sei sohin in der Weise zu beantworten, daß nur solche Nebengewerbe, die im verfassungsrechtlichen Begriff des Zusammenhanges und der Unterordnung zur Land- und Forstwirtschaft bleiben, nicht unter Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG fallen und daß diese daher auch nicht durch die GewO 1973 geregelt werden dürfen.
1.3.5. Zur "Frage einer möglichen intrasystematischen Fortentwicklung des historischen gewerberechtlichen Normenbestandes" stellt die antragstellende Landesregierung fest:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bewirke das Versteinerungsprinzip nicht, daß der Inhalt eines Kompetenztatbestandes nur durch die im Versteinerungszeitpunkt vorhandenen konkreten gesetzlichen Regelungen bestimmt ist. Vielmehr seien auch neue Regelungen zulässig, sofern sie nach ihrem Inhalt systematisch dem gleichen Kompetenzgrund angehören. Die Neuregelung müsse sich nur innerhalb des durch die historische Rechtslage vorgezeichneten Systems halten.
Gegen eine Erweiterung der Bundeskompetenz "Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie" im Wege der intrasystematischen Fortentwicklung auf die in Rede stehenden Anlagen zur Ausübung land- und forstwirtschaftlicher Nebengewerbe spreche die in der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum Ausdruck gebrachte Systembildung der Gewerbekompetenz nach den Grundsätzen der historischen Gewerbeordnung. Der Verfassungsgerichtshof sei immer von der Einheit des Betriebsanlagenrechts und der übrigen (kompetenzmäßigen) Gewerbevorschriften ausgegangen, es entbehre also eine bloße Übertragung des gewerblichen Betriebsanlagenrechts auf Betriebe, die kompetenzmäßig keine Gewerbebetriebe sind, jeglichen systematischen Ansatzpunktes im historischen Normenmaterial. Ein gewerbliches Betriebsanlagenrecht für Nichtgewerbebetriebe habe es historisch nie gegeben und dürfe es kompetenzrechtlich unter dem Geltungsbereich des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG auch heute nicht geben.
1.3.6. Anläßlich der Behandlung der Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. 399/1988, hätten allerdings Bestrebungen eingesetzt, die land- und forstwirtschaftlichen Nebengewerbe bzw. die entsprechenden Betriebsanlagen der GewO 1973 zu unterstellen.
Der nunmehrige "§2 Abs 4a der GewO 1973" (§2 Abs 5 GewO 1994) war in den Erläuterungen "(Nr. 635 BlgNR, XVIII. GP S. 78)" wie folgt begründet worden:
"Im Interesse eines möglichst lückenlosen und einheitlichen Umweltschutzes im Anlagenbereich sollen auch Anlagen zur Ausübung von Nebengewerben der Land- und Forstwirtschaft dem Betriebsanlagenrecht der Gewerbeordnung 1973 unterliegen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im Jahre 1905 (Sammlung Budwinsky 3781) ausgesprochen hat, gehört zum Begriff eines landwirtschaftlichen Nebengewerbes, daß dessen Betrieb ohne Landwirtschaft nicht gedacht werden kann. In den letzten Jahrzehnten haben sich die als 'Nebengewerbe' ausgeübten Tätigkeiten immer mehr von diesem Grundsatz entfernt und ein äußeres Erscheinungsbild angenommen, daß von dem einschlägiger Gewerbetätigkeiten kaum zu unterscheiden ist."
Die fehlende Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers zur Einbeziehung von Anlagen zur Ausübung der land- und forstwirtschaftlichen Nebengewerbe in das Betriebsanlagenrecht der GewO 1973 sei im Stadium der Gesetzwerdung von mehreren Stellen vorgebracht worden und auch den Abgeordneten im Nationalrat bekannt gewesen.
"Die Landesregierungen von Vorarlberg und Tirol haben in ihren Stellungnahmen zum Entwurf einer Gewerberechtsnovelle 1992 kompetenzrechtliche Bedenken gegen eine solche Vorgangsweise geäußert. Dieser Ansicht haben sich auch das Bundeskanzleramt/Verfassungsdienst im Schreiben vom , Zl. 600.619/12-V/5/92, und das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft im Schreiben vom , Zl. 11.380/03-I 1/91, angeschlossen.
Bei der Behandlung der Regierungsvorlage im Nationalrat fand der § 2 Abs 4a GewO 1973 mehrfach Beachtung: Ein - letztlich nicht angenommener - Entschließungsantrag der Abgeordneten Haigermoser und Genossen forderte den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten auf, umgehend entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, weil die Regelung der landwirtschaftlichen Nebengewerbe nicht in die Bundeskompetenz fällt und für deren Betriebsanlagen landesgesetzliche Regelungen erforderlich seien (siehe das Stenographische Protokoll über die 99. Sitzung des Nationalrates, XVIII. GP., S. 11215 und 11225). Diese Meinung sei in der Beratung des Unterausschusses am von den dort anwesenden Experten einhellig vertreten worden.
Die Einbeziehung der Anlagen zur Ausübung der land- und forstwirtschaftlichen Nebengewerbe war aber schlußendlich - in voller Erkenntnis der Unzuständigkeit des Bundesgesetzgebers - das Ergebnis eines Interessenausgleiches und damit ein Akt der politischen Willensbildung. Der Abgeordnete Schwarzböck führte in seiner Wortmeldung aus, man habe die Neuregelung des Anlagenrechtes akzeptieren müssen, um Fortschritte zugunsten der Landwirtschaft auf anderen Gebieten zu erreichen. Es sei aber gelungen, mit Verordnung Ausnahmen festzusetzen, 'weil gar nicht an eine generelle Einbeziehung gedacht ist, sondern an eine Gleichstellung in bestimmten Größenordnungen von Anlagen, wobei es Gewerbe und Industrie bisher nicht verstanden haben, daß die Landwirtschaft unabhängig von der Größe des landwirtschaftlichen Nebengewerbes vom Anlagenrecht voll ausgenommen worden ist'."
1.4. Abschließend untersucht die antragstellende Landesregierung, ob sich die angefochtenen Bestimmungen auf einen anderen Kompetenztatbestand als den nach Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG stützen lassen und kommt dabei zu einem negativen Ergebnis.
2. Die Bundesregierung brachte in ihrer Äußerung folgendes vor:
2.1. "Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß im Zuge der Begutachtung des Entwurfes für die Gewerberechtsnovelle 1992 verschiedentlich Bedenken zu den in Prüfung gezogenen Regelungen aufgeworfen wurden, die den Überlegungen im vorliegenden Antrag der Tiroler Landesregierung grundsätzlich entsprechen.
Die Bundesregierung möchte sich daher darauf beschränken, die nachstehenden Ausführungen zur Änderung des tatsächlichen Erscheinungsbildes des land- und forstwirtschaftlichen Nebengewerbes vorzutragen."
2.2. Hiezu führt die Bundesregierung folgendes aus:
2.2.1. Aus "ArtIV des Kundmachungspatentes in der zum Versteinerungszeitpunkt geltenden Fassung iVm ArtV lita leg.cit." ergebe sich, daß Nebengewerbe der land- und forstwirtschaftlichen Produktion (also Gewerbe, die als Nebentätigkeit zu der die Haupttätigkeit bildenden land- und forstwirtschaftlichen Produktion ausgeübt würden) dann der Gewerbeordnung unterliegen, wenn sie nicht in der Hauptsache die Verarbeitung der eigenen Erzeugnisse zum Gegenstand haben. Daß man von den landwirtschaftlichen Nebengewerben nur jene von der Wirksamkeit der Gewerbeordnung ausgeschieden habe, welche sich als bloße "Nebengewerbe" qualifizieren und in der "Hauptsache nur die Verwertung der eigenen Bodenerzeugnisse zum Gegenstande haben", werde im Motivenbericht ausdrücklich hervorgehoben.
Im Unterschied zum Hausierhandel, für den mit dem "Hausierhandelgesetz (Kaiserliches Patent von 4. September 1852, RGBl. Nr. 252, wodurch ein neues Gesetz über den Hausierhandel erlassen wird)" eine sondergewerberechtliche Regelung bestanden habe, habe es für Verarbeitungsnebengewerbe keine "bestehende Vorschrift" im Sinne des ArtV Einleitungssatz des Kundmachungspatentes gegeben und eine spezielle (Neu)Regelung außerhalb der Gewerbeordnung sei auch nicht erforderlich erschienen.
Die als Verarbeitungsnebengewerbe ausgeübten Tätigkeiten sowie die diesen Tätigkeiten dienenden Anlagen hätten sich nun in den letzten Jahrzehnten von dem zum Versteinerungszeitpunkt gegebenen Erscheinungsbild der Verarbeitungsnebengewerbe (Verrichtung durch den Landwirt selbst mit seinen für die Landwirtschaft herangebildeten Arbeiten; Bestandteil eines einheitlichen, in allen seinen Teilen zusammenhängenden Gesamtunternehmens von rein landwirtschaftlichem Wesen) immer mehr entfernt und seien von dem Erscheinungsbild einschlägiger Gewerbetätigkeiten und einschlägiger Betriebsanlagen kaum mehr zu unterscheiden.
2.2.2. Insbesondere fehle es den in der derzeitigen Form bestehenden Verarbeitungsnebengewerben auch an folgender wesentlicher Voraussetzung:
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bestehe das wesentliche Merkmal eines landwirtschaftlichen Nebengewerbes "seinem Begriffe nach ja eben darin, daß dasselbe den Betrieb einer Landwirtschaft zur Voraussetzung hat und mit derselben in solchem Zusammenhange steht, daß der Betrieb des Nebengewerbes ohne Landwirtschaftsbetrieb nicht gedacht werden kann (Budw. 14.564 A/1900)".
Das Erscheinungsbild des heutigen Nebengewerbebetriebes weise nun eben diesen engen, untrennbaren Zusammenhang zum Betrieb der Landwirtschaft nicht mehr auf, sodaß auch in dieser Hinsicht eine Regelung dieses Rechtsbereiches durch den Bundesgesetzgeber in der Gewerbeordnung gerechtfertigt erscheint.
Im Zuge der - insbesondere durch das "Bundesverfassungsgesetz über den umfassenden Umweltschutz, BGBl. Nr. 491/1984", bewirkten - verstärkten Bemühungen um einen Ausbau des Umweltschutzes sei daher die Notwendigkeit erkannt worden, die Bestimmungen des gewerblichen Betriebsanlagenrechtes auch auf die Anlagen zur Ausübung der Nebengewerbe der Land- und Forstwirtschaft anzuwenden.
So erscheine es im Hinblick darauf, "daß etwa ein der Gewerbeordnung 1994 unterliegendes Sägewerk den strengen Bestimmungen des gewerblichen Betriebsanlagenrechtes (vor allem hinsichtlich des Nachbarschaftsschutzes) unterliegt, sachlich nicht (mehr) gerechtfertigt, ein als Anlage zur Ausübung eines Verarbeitungsnebengewerbes betriebenes Sägewerk von den betriebsanlagenrechtlichen Regelungen auszunehmen". Aus der Sicht des Umweltschutzes bestehe zwischen dem Lärm eines der Gewerbeordnung 1994 unterworfenen Sägewerkes und dem Lärm eines nebengewerblich betriebenen Sägewerkes kein Unterschied.
2.3. Hinsichtlich der im Anfechtungsantrag angestellten Überlegungen zur intrasystematischen Fortentwicklung des Begriffes der land- und forstwirtschaftlichen Nebengewerbe sei lediglich darauf hinzuweisen, daß es interpretationsmethodisch verfehlt erscheine, bei einer solchen intrasystematischen Fortentwicklung an diesem Begriff und nicht am Begriff der "Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie (Art10 Abs 1 Z 8 B-VG)" anzuknüpfen.
2.4. Für den Fall der Aufhebung der angefochtenen Gesetzesbestimmungen beantragt die Bundesregierung, gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Gesetzesprüfungsantrag der Tiroler Landesregierung
ist trotz der - bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung -
fehlsamen Bezeichnung der angefochtenen Gesetzesbestimmungen
zulässig. Zum Zeitpunkt der Einbringung des
Gesetzesprüfungsantrages, d.i. der , galten
nämlich die von der Tiroler Landesregierung angefochtenen
Abs4a und 4b des § 2 der GewO 1973, in der Fassung der
Gewerberechtsnovelle 1992, sowie der Abs 9 des ArtIV der
Gewerberechtsnovelle 1992, auf Grund der Wiederverlautbarung
dieser Rechtsvorschriften durch die Kundmachung des
Bundeskanzlers und des Bundesministers für wirtschaftliche
Angelegenheiten, BGBl. 194/1994, ausgegeben am ,
bereits als Abs 5 und 6 des § 2 der GewO 1994, bzw. als Abs 6
der Anlage 2 zur Wiederverlautbarungs-Kundmachung. Wie der
Verfassungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen VfSlg. 6281a und
6282/1970 in Abkehr von seiner früheren Judikatur feststellte,
bilden die vom Gesetzgeber erlassenen mit den darauffolgend
wiederverlautbarten Normen identische Normen, so zwar, daß "die
alten Normen ... auch jetzt noch vorhanden (sind)" und "die
wiederverlautbarten Normen ... identisch mit den in der
früheren Fassung des Gesetzes enthalten gewesenen (sind)". Die Anfechtung der "alten" Normen anstelle ihrer wiederverlautbarten Fassung durch die Tiroler Landesregierung macht daher den Gesetzesprüfungsantrag nicht unzulässig.
Da es ferner entsprechend der vom Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 6460/1971 vertretenen Auffassung für die Zulässigkeit eines Gesetzesprüfungsantrags im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle nichts schadet, daß eine angefochtene Gesetzesbestimmung erst nach dem Zeitpunkt der Antragstellung in Kraft tritt, ist der Antrag der Tiroler Landesregierung zulässig.
2. Er ist auch in der Sache begründet.
2.1. Die angefochtenen Bestimmungen wurden vom Bundesgesetzgeber kompetenzrechtlich gestützt auf den Tatbestand des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG erlassen, demzufolge Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache sind. Dies ergibt sich schon daraus, daß § 2 Abs 5 GewO 1994 die gesetzlichen Bestimmungen über gewerbliche Betriebsanlagen anlagenbezogen mit einem erweiterten Geltungsbereich ausstattet. Gegenstand der zu prüfenden gesetzlichen Regelungen sind alle, (insbesondere der Nachbarschaft aus einer für Zwecke eines landwirtschaftlichen Nebengewerbes betriebenen Anlage erwachsenden) Gefahren und sonstigen Einwirkungen. Damit scheiden trotz der Berufung auf den "Umweltschutz" in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu § 2 Abs 4a GewO 1973 idF der Gewerberechtsnovelle 1992 (635 BlgNR 18. GP, S. 78) die auf spezifische Umweltgefährdungen abstellenden Kompetenzen des Bundes in Gesetzgebung und Vollziehung gemäß Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG ("Maßnahmen zur Abwehr von gefährlichen Belastungen der Umwelt, ..."; "Luftreinhaltung, ..."; "Abfallwirtschaft ...") als kompetenzrechtliche Grundlagen der angefochtenen Gesetzesbestimmungen von vornherein aus.
Im Hinblick auf den in der Äußerung der Bundesregierung enthaltenen Hinweis auf die durch das Bundesverfassungsgesetz über den umfassenden Umweltschutz bewirkte Notwendigkeit eines Ausbaus des Umweltschutzes, erscheint es dem Verfassungsgerichtshof nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, daß das Bundesverfassungsgesetz über den umfassenden Umweltschutz keine Veränderung der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern und daher auch keine Erweiterung bestehender Bundeskompetenzen zu Lasten der Länder bewirkt hat. Gemäß § 1 Abs 1 des zitierten Bundesverfassungsgesetzes sind vielmehr Bund, Länder und Gemeinden jeweils im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Kompetenzen zum umfassenden Umweltschutz verpflichtet.
Der Verfassungsgerichtshof hat daher zu prüfen, ob zu den "Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie", die dem Bund gemäß Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung überlassen sind, auch die Regelung und Vollziehung von Vorschriften zählen, mit denen das gewerberechtliche Betriebsanlagenrecht auf landwirtschaftliche Nebengewerbe ausgedehnt wird.
2.2. Nach der als "Versteinerungstheorie" bezeichneten ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist der Kompetenztatbestand "Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie" (Art10 Abs 1 Z 8 erster Fall B-VG) in dem Sinn zu verstehen, der ihm nach dem Stand und der Systematik der Rechtsordnung zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens, das war der , zukam. Neue Regelungen können sich daher nur insoweit auf den genannten Kompetenztatbestand stützen, als sie ihrem Inhalt nach dem betreffenden Rechtsgebiet, wie es durch die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzartikel bestehenden gesetzlichen Regelungen bestimmt ist, systematisch zugehören (VfSlg. 7074/1973, 10831/1986, 12996/1992 und 13237/1992, jeweils mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).
2.3. Nun bestimmte am ArtV lita des Kundmachungspatentes zur GewO 1859, daß die Gewerbeordnung auf "die land- und forstwirtschaftliche Produktion und ihre Nebengewerbe, soweit diese in der Hauptsache die Verarbeitung der eigenen Erzeugnisse zum Gegenstand haben", keine Anwendung findet.
Die betreffenden, mit der land- und forstwirtschaftlichen Produktion zusammenhängenden und hauptsächlich der Verarbeitung eigener Erzeugnisse dienenden Erwerbsbetätigungen wurden also nach dem Stande der Gesetzgebung vom nicht als Angelegenheit des Gewerbes angesehen. Wie der Verfassungsgerichtshof mehrfach (vgl. nur in anderem Zusammenhang VfSlg. 7074/1973 zur Privatzimmervermietung als häuslicher Nebenbeschäftigung und VfSlg. 13237/1992 zum Betrieb von Pflegeheimen) der Sache nach feststellte, werden Tätigkeiten, die zum Versteinerungszeitpunkt am ausdrücklich von einem gewerberechtlichen Regime ausgenommen waren, auch nicht dadurch zu einer "Angelegenheit des Gewerbes" im verfassungsrechtlichen Sinn, daß sich im Zuge der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung die betreffenden Tätigkeiten fortentwickelten und möglicherweise eine Dimension gewonnen haben, die sie aus faktischer Sicht den "Angelegenheiten des Gewerbes" vergleichbar machen.
Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei dieser Rechtsprechung, auch soweit es sich um Regelungen betreffend gewerbliche Betriebsanlagen handelt: Dem von der Bundesregierung ins Treffen geführten Umstand, daß sich die als landwirtschaftliche Verarbeitungsnebengewerbe ausgeübten Tätigkeiten sowie die diesen Tätigkeiten dienenden Anlagen in den letzten Jahrzehnten von dem zum Versteinerungszeitpunkt gegebenen Erscheinungsbild der Verarbeitungsnebengewerbe immer mehr entfernten und dem Erscheinungsbild einschlägiger Gewerbetätigkeiten und einschlägiger Betriebsanlagen anglichen, kann keine verfassungsrechtliche Bedeutung zukommen.
Entsprechend der aus bundesstaatlicher Sicht entwickelten Versteinerungstheorie dürfen die im Versteinerungszeitpunkt am durch ArtV des Kundmachungspatentes zur GewO 1859 vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung und damit von der Kompetenz des Bundesgesetzgebers gemäß Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG ausgenommenen Tätigkeiten und Anlagen auch nicht im Wege einer intrasystematischen Fortentwicklung des, gewerbliche Betriebsanlagen regelnden Normenbestandes reduziert werden. Zwar mag es, wie die Bundesregierung vermeint, "aus der Sicht des Umweltschutzes" nicht einsichtig sein, "etwa ein der Gewerbeordnung 1994 unterliegendes Sägewerk den strengen Bestimmungen des gewerblichen Betriebsanlagenrechtes (vor allem hinsichtlich des Nachbarschaftsschutzes)" zu unterstellen, "ein als Anlage zur Ausübung eines Verarbeitungsnebengewerbes betriebenes Sägewerk von den betriebsanlagenrechtlichen Regelungen (aber) auszunehmen". Darin kann aber nur ein rechts- und verfassungspolitischer Einwand gegen die am in Kraft getretene bundesstaatliche Kompetenzverteilung erblickt werden, über den zu urteilen der Verfassungsgerichtshof nicht befugt ist. Wie in der Literatur (Morscher, Die Gewerbekompetenz des Bundes, 1987, S. 38 ff) zu Recht ausgeführt wurde, fallen die durch ArtV des Kundmachungspatentes zur GewO 1859 vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung ausgenommenen Tätigkeiten und Anlagen einschließlich der landwirtschaftlichen Verarbeitungsnebengewerbe mangels eines gewerberechtlichen Ansatzpunktes, der einer intrasystematischen Weiterentwicklung zugänglich wäre, keinesfalls unter den verfassungsrechtlichen Kompetenztatbestand der "Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie". Sofern aus Gründen des, wie oben dargetan, verfassungsrechtlich verankerten Umweltschutzes bei Betriebsanlagen für Zwecke landwirtschaftlicher Verarbeitungsnebengewerbe ein entsprechendes Regelungsbedürfnis besteht, sind entsprechend dem System der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung eben die Länder berufen, diesem nachzukommen.
2.4. Wie in VfSlg. 10831/1986 (vgl. auch VfSlg. 2977/1956 und 4227/1962) vom Verfassungsgerichtshof dargelegt, zählen zu den Maßnahmen typisch gewerberechtlicher Art ua. solche, die der "Abwehr von vom Gewerbebetrieb unmittelbar ausgehenden Gefahren für die Gewerbetreibenden und ihre Arbeitnehmer, die Kunden, andere Gewerbetreibende oder als Nachbarn sonst von der Gewerbetätigkeit unmittelbar betroffene Personen" dienen. Gewerbepolizeiliche Regelungen dieser Art enthalten insbesondere auch die Bestimmungen über Betriebsanlagen und die damit zusammenhängenden Vorschriften der §§74 bis 84, 333 bis 338, 353 bis 360, 362, 366 bis 369 und 371 bis 373 GewO 1994, deren Anwendung auf die Anlagen zur Ausübung von Nebengewerben der Land- und Forstwirtschaft durch § 2 Abs 5 erster Satz GewO 1994 angeordnet wurde. Die in § 2 Abs 5 zweiter Satz GewO 1994 vorgesehene Möglichkeit, durch Verordnung Ausnahmen von der Genehmigungspflicht für Anlagen zur Ausübung von Nebengewerben der Land- und Forstwirtschaft festzulegen, die Vorschrift über das Inkrafttreten dieser Bestimmungen im § 2 Abs 6 GewO 1994 sowie die Übergangsvorschrift des Abs 6 der Anlage 2 zur Wiederverlautbarungs-Kundmachung beziehen sich inhaltlich auf die Anordnung der prinzipiellen Anwendbarkeit des gewerberechtlichen Betriebsanlagenrechts auf Nebengewerbe der Land- und Forstwirtschaft und stehen damit in untrennbarem Zusammenhang. Wie gezeigt, bietet der Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG "Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie" ebensowenig wie ein anderer Kompetenztatbestand dem Bundesgesetzgeber die notwendige verfassungsrechtliche Grundlage, die geschilderten Regelungen zu erlassen. Dem Antrag der Tiroler Landesregierung war sohin stattzugeben: § 2 Abs 5 und 6 der GewO 1994 sowie Abs 6 der Anlage 2 zur Wiederverlautbarungs-Kundmachung, BGBl. 194/1994, waren als verfassungswidrig gemäß Art 140 Abs 1 B-VG aufzuheben.
3. Dem Antrag der Bundesregierung, gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist zu bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen, vermochte der Verfassungsgerichtshof schon deshalb nicht nahezutreten, weil ein etwaiges Regelungsbedürfnis von keinem der verfassungsrechtlich dafür zuständigen Länder zum Ausdruck gebracht wurde.
Die Verpflichtung zur Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art 140 Abs 5 B-VG, der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, auf Art 140 Abs 6 B-VG.
4. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.