VfGH vom 15.12.1988, G89/88
Sammlungsnummer
11942
Leitsatz
Wr. Kanalräumungs- und KanalgebührenG 1978; Haftung des Grundeigentümers für die Abwassergebühren der in § 7 Abs 1 litb bis e angeführten Personen als solche sachlich gerechtfertigt; unbeschränkte Höhe der Haftungssumme infolge Abschätzbarkeit von Art und Ausmaß des Verbrauches bei Vertragsabschluß nicht unsachlich
Spruch
Dem Antrag wird nicht Folge gegeben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der VwGH beantragt gemäß Art 140 Abs 1 B-VG, § 23 Abs 1 des Gesetzes vom über den Betrieb und die Räumung von Kanalanlagen und über die Einhebung von Gebühren für die Benützung und Räumung von Unratsanlagen (Kanalräumungsund Kanalgebührengesetz 1978), LGBl. für Wien Nr. 2/1978, als verfassungswidrig aufzuheben. Der VwGH stellt diesen Antrag aus Anlaß einer bei ihm anhängigen Beschwerde gegen einen Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom betreffend Haftung für Abwassergebühren, mit welchem die Bf. zur Zahlung von Abwassergebühren für den Zeitraum bis in Anspruch genommen wurde, die von einem anderen Abgabenpflichtigen, der von der Liegenschaft der Bf. aus Abwässer in die öffentliche Kanalisationsanlage einleitete, geschuldet worden waren.
2. Der VwGH begründet seinen Antrag folgendermaßen:
"Gemäß § 23 Abs 1 des Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetzes 1978, LGBl. für Wien Nr. 2 in der Stammfassung, haftet der Schuldner der Grundsteuer von dem Grundbesitz, von dem Abwässer in den öffentlichen Kanal abgeleitet werden (§11 Abs 1) oder auf dem Arbeiten (§§17 und 18) vorgenommen wurden, neben dem Gebührenschuldner für alle dafür festgesetzten Gebühren und Nebengebühren. Unterliegt der Grundbesitz nicht der Grundsteuer, so ist der Haftpflichtige durch sinngemäße Anwendung des § 9 des Grundsteuergesetzes 1955 zu bestimmen.
Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist strittig, ob die Bf. gemäß der zitierten Gesetzesstelle für Abwassergebühren eines anderen Wasserabnehmers (und zwar eines Betriebsinhabers im Sinne des § 7 Abs 1 litd des Wasserversorgungsgesetzes 1960, LGBl. für Wien Nr. 10 idgF) als persönlich unbeschränkt Haftungspflichtige in Anspruch genommen werden durfte. Der VwGH hat bei der Entscheidung dieser Frage § 23 Abs 1, erster Satz, des Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetzes 1978, LGBl. für Wien Nr. 2, anzuwenden. Diese Gesetzesstelle ist daher präjudiziell.
Der VwGH hegt gegen diese Gesetzesstelle jedoch das Bedenken, daß die darin enthaltene Haftungsregelung gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz verstößt. Der VwGH geht nämlich von der grundsätzlichen Erwägung aus, daß eine Regelung unsachlich erscheint, durch die jemand verhalten wird, für etwas einzustehen, womit ihn nichts verbindet, also für Umstände, die außerhalb seiner Interessen- und Einflußsphäre liegen (vgl. VfSlg. 5318/1966, S. 416).
Der VwGH vermag nicht zu erkennen, inwiefern der Eigentümer einer bebauten Liegenschaft als Schuldner der Grundsteuer gemäß § 9 Abs 1 Z. 1 des Grundsteuergesetzes 1955, BGBl. Nr. 149, auf die von einem Betriebsinhaber in seinem Haus von der öffentlichen Wasserversorgung bezogene Wassermenge und damit auf die für die Abwassergebühren maßgebliche Abwassermenge (vgl. § 12 Abs 1 Z. 1 Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetz 1978) Einfluß hat bzw. inwiefern diese Abwassermenge in seiner Interessensphäre liegt. Es scheint vielmehr so, daß es sich dem Interesse und dem Einfluß des Grundeigentümers völlig entzieht, welche Abwassermenge ein von ihm verschiedener Betriebsinhaber in den öffentlichen Kanal abgibt. Auch ist das Haftungsausmaß weder betragsmäßig noch zeitlich beschränkt, was vor allem bei Gebäuden besonders gravierend erscheint, bei denen die Mietzinsbildung einer gesetzlichen Beschränkung unterliegt.
Zusammenfassend hegt daher der VwGH das Bedenken, daß das öffentliche Interesse an der Einbringlichkeit der Abwassergebühren nicht genügt, um in den keineswegs atypisch erscheinenden Fällen nach Art des vorliegenden die Haftungsregelung des § 23 Abs 1 des Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetzes 1978, LGBl. für Wien Nr. 2, sachlich zu rechtfertigen."
3. Die Wiener Landesregierung hat die Verfassungsmäßigkeit der bekämpften Bestimmung in einer Äußerung verteidigt.
II. Der VfGH hat über den - zulässigen - Antrag erwogen:
1. Gebührenschuldner der Abwassergebühr ist nach § 14 Abs 1 Kanalräumungs- und Kanalgebührengesetz 1978 (im weiteren abgekürzt "KKG") der Wasserabnehmer im Sinne des § 7 Wasserversorgungsgesetz 1960, LGBl. für das Land Wien Nr. 10 (im weiteren abgekürzt "WVG"), soferne er Wasser aus der öffentlichen Wasserversorgungsanlage bezieht. Die Abwassermenge ist in diesem Fall nach der aus der öffentlichen Wasserversorgung bezogenen und entsprechend dem WVG bestimmten Wassermenge zu ermitteln.
Nach § 7 WVG ist Wasserabnehmer jeder, der über eine selbständige Abzweigleitung Wasser aus der städtischen Wasserleitung entnimmt, und zwar neben dem Hauseigentümer (lita des § 7 Abs 1 WVG) der Bauherr für Bauzwecke (litb), der Nutzungsberechtigte von unverbauten Grundstücken (litc), der Betriebsinhaber (litd) und "der sonstige Wasserverbraucher" (lite).
§ 23 Abs 1 KKG bestimmt:
"Der Schuldner der Grundsteuer von dem Grundbesitz, von dem Abwässer in den öffentlichen Kanal abgeleitet werden (§11 Abs 1) oder auf dem Arbeiten (§§17 und 18) vorgenommen wurden, haftet neben dem Gebührenschuldner für alle dafür festgesetzten Gebühren und Nebengebühren. Unterliegt der Grundbesitz nicht der Grundsteuer, so ist der Haftpflichtige durch sinngemäße Anwendung des § 9 des Grundsteuergesetzes 1955 zu bestimmen."
Schuldner der Grundsteuer ist nach § 9 Grundsteuergesetz grundsätzlich der Eigentümer des Grundstückes.
Zusammengefaßt ausgedrückt bewirkt die vom VwGH angefochtene Bestimmung, daß der Grundstückseigentümer für die Abwassergebühren aller - in litb bis lite des § 7 Abs 1 WVG angeführten - Personen haftet, die auf seinem Grundstück über eine selbständige Abzweigleitung Wasser aus der öffentlichen Wasserversorgungsanlage entnehmen und in einen öffentlichen Kanal ableiten.
2. Der VfGH hat zwar in VfSlg. 6903/1972 im Zusammenhang mit § 25 Abs 2 WVG ausgesprochen, daß das öffentliche Interesse an der Sicherung der Einbringlichkeit solcher Gebühren nicht in jeder Beziehung eine sachliche Rechtfertigung für die Begründung von persönlichen Haftungen bietet. Die Haftungsbestimmung des § 25 Abs 2 dieses Gesetzes, wonach bei einem Wechsel der Person des Wasserabnehmers der neue Abnehmer neben dem früheren für alle Rückstände an Gebühren haftet, die für die Zeit seit dem Beginn des letzten vor dem Wechsel liegenden Kalenderjahres aufgelaufen sind und die Abnahmestelle betreffen, auf die sich der Wechsel bezieht, hat der VfGH aber aus zwei Gründen für sachlich gerechtfertigt gehalten: Daß im Falle des Wechsels in der Person des Wasserabnehmers zwischen Vorgänger und Nachfolger ein sachlicher Zusammenhang besteht und daß die Haftung des nachfolgenden Wasserabnehmers auf die Rückstände der letzten Zeit beschränkt ist. Ergänzend wies der VfGH in diesem Erkenntnis darauf hin, daß der nachfolgende Wasserabnehmer die Möglichkeit hätte, rechtzeitig allfällige, seine Haftung auslösende Gebührenrückstände durch Anfrage bei der Abgabenbehörde festzustellen und anläßlich der Begründung jener Rechtsbeziehungen, die ihn zum nachfolgenden Wasserabnehmer werden lassen, wirtschaftlich in Anschlag zu bringen.
Der VfGH hat diese Rechtsprechung in der Folge beibehalten und im Erk. VfSlg. 11478/1987, § 25 Abs 1 WVG wegen Widerspruches zum Gleichheitsgebot als verfassungswidrig aufgehoben. Nach dieser Bestimmung haftete im Falle des Wechsels des Hauseigentümers der neue Hauseigentümer für alle das Haus betreffenden rückständigen Gebühren, Kosten und Zuschläge. In diesem Erkenntnis betonte der VfGH weiters, daß es keinen sachlichen Grund gäbe, im Falle des Eigentümerwechsels eine Haftung für sämtliche Abgabenrückstände vorzusehen, wohingegen im Falle eines sonstigen Wasserabnehmerwechsels - in Übereinstimmung mit der Judikatur des VfGH - nur für Rückstände eines begrenzten Zeitraumes zu haften sei.
Schließlich hob der VfGH mit Erk. VfSlg. 11771/1988 eine Bestimmung des Steiermärkischen Getränkeabgabegesetzes auf, weil sie ohne sachliche Rechtfertigung eine - lediglich zeitlich begrenzte - Haftung des Pächters für Abgabenschulden eines früheren Pächters des betreffenden Betriebes vorsah.
Zuletzt hat der VfGH mit dem Erkenntnis vom , G82/88 ua. Zahlen, Bestimmungen des Wiener Getränkesteuergesetzes 1971 sowie des Wiener Vergnügungssteuergesetzes 1963 als gleichheitswidrig aufgehoben, weil diese Vorschriften eine der Höhe nach unbegrenzte Verpflichtung zur Haftung des Verpächters für Abgabenschulden des früheren Pächters vorsahen.
3. In der oben unter Pkt. 2 angeführten Judikatur ist der VfGH grundsätzlich davon ausgegangen, die sachliche Rechtfertigung für die Haftung als solche ergebe sich einerseits aus dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Einbringlichkeit der Gebühren und andererseits aus einem durch eine Rechtsbeziehung begründeten sachlichen Zusammenhang zwischen der Person des Abgabepflichtigen und des Haftungspflichtigen. Der VfGH sieht keinen Anlaß, im vorliegenden Fall von diesem Grundgedanken der Vorjudikatur abzurücken. Die in der hier bekämpften Bestimmung festgelegte Haftung des Grundeigentümers für die Abwassergebühren der in § 7 Abs 1 litb bis e WVG angeführten Personen ist daher - entgegen der Auffassung des VwGH - als solche sachlich gerechtfertigt.
Zu erörtern bleibt, ob dies auch für die - abgesehen von der Verjährung - unbeschränkte Höhe der Haftung gilt. Die bekämpfte Regelung des § 23 Abs 1 KKG betrifft nicht - wie die für die Erkenntnisse VfSlg. 6903/1972 sowie VfSlg. 11478/1987 und VfSlg. 11771/1988 maßgeblichen Bestimmungen - die Haftung für Schulden eines Rechtsvorgängers, sondern - wie im Fall des Erkenntnisses vom , G82/88, - die Haftung ohne Eigentums- oder Unternehmensübergang. Bei der Beantwortung der Frage nach der Sachlichkeit des Ausmaßes der Haftung ist also nur das genannte Erkenntnis vom heranzuziehen.
Die in diesem Erkenntnis als unsachlich qualifizierte unbeschränkte Haftung des Verpächters bezog sich auf eine unternehmerische Tätigkeit des Pächters (Getränkesteuer, Vergnügungssteuer), bei welcher die Höhe der zu entrichtenden Abgaben (und damit der Haftung) im wesentlichen von der unternehmerischen Gestion des Pächters sowie deren Intensität abhängt, die für den Verpächter nur schwer absehbar ist. Die im vorliegenden Fall bekämpfte Haftungsregelung ist hingegen primär auf das Grundstück bezogen. Das Ausmaß der zu erwartenden Abgabenbelastung, welches von der - dem Grundeigentümer bei Vertragsabschluß an sich bekannten - Art der Verwendung abhängt, ist hier für den Haftungspflichtigen wesentlich besser vorhersehund beeinflußbar.
Da somit bei einer Durchschnittsbetrachtung Art und Ausmaß des Verbrauchs und dementsprechend die Höhe der Haftungssumme für den Grundeigentümer bei Vertragsabschluß abschätzbar sind, ist es nicht unsachlich, wenn der Gesetzgeber diese Haftung der Höhe nach nicht beschränkt hat.
4. Da die Bedenken des VwGH insgesamt nicht zutreffen, ist dem Antrag nicht Folge zu geben.
Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.