VfGH vom 03.10.1986, g86/86

VfGH vom 03.10.1986, g86/86

Sammlungsnummer

11027

Leitsatz

StadterneuerungsG;§ 33 Abs 3 verstößt gegen das Verbot der formalgesetzlichen Delegation iS des Art 18 B-VG

Spruch

I. § 33 Abs 3 Stadterneuerungsgesetz, BGBl. 287/1974, idF des § 43 Wohnhaussanierungsgesetz, BGBl. 483/1984, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

III. Frühere gesetzliche Regelungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Das BG Innere Stadt Wien stellte in der bei ihm (zu 40 C 73/85) anhängigen Rechtssache der klagenden Partei Dkfm. E M wider die beklagte Partei Wohnhaus-Wiederaufbau- und Stadterneuerungsfonds wegen Feststellung der Nichtverzinslichkeit eines nach dem Wohnhaus-Wiederaufbaugesetz, BGBl. 130/1948, gewährten Darlehens gemäß Art 139 B-VG iVm. Art 89 Abs 2 B-VG und § 57 VerfGG 1953 den Antrag, der VfGH möge den bei Entscheidung des Streits unmittelbar anzuwendenden - aufgrund des § 33 Abs 3 Stadterneuerungsgesetz BGBl. 287/1974, idF BGBl. 483/1984 erlassenen - § 2 der Verordnung des Bundesministers für Bauten und Technik vom , betreffend die Förderung von Maßnahmen zur Stadterneuerung (Stadterneuerungs-V 1984), BGBl. 528/1984, idF der V BGBl. 158/1985 aus näher bezeichneten Gründen - so (auch) deshalb, weil die angefochtene Verordnungsstelle auf einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung beruhe - als gesetzwidrig aufheben.

1.1.2. Der im Normenprüfungsverfahren nach Art 139 Abs 1 B-VG zur Äußerung aufgeforderte Bundesminister für Bauten und Technik verteidigte die Gesetzmäßigkeit seiner Verordnung.

1.2.1. Aus Anlaß dieses Verordnungsprüfungsverfahrens leitete der , von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung des § 33 Abs 3 Stadterneuerungsgesetz, BGBl. 287/1974, idF des § 43 Wohnhaussanierungsgesetz, BGBl. 483/1984, auf seine Verfassungsmäßigkeit ein (Art140 Abs 1 B-VG).

1.2.2. In den Gründen dieses Prüfungsbeschlusses nahm der VfGH zunächst auf die schon in seinem Erk. vom , G82/83 ua. (= VfSlg. 10296/1984), zu Art 18 B-VG vertretene Rechtsauffassung Bezug:

"Nach der Bundesverfassung (Art18 Abs 2 B-VG) sind Verordnungen nur 'auf Grund der Gesetze' zu erlassen. Das heißt, daß eine Verordnung bloß präzisieren darf, was in den wesentlichen Konturen bereits im Gesetz selbst vorgezeichnet wurde (vgl. die ständige Rechtsprechung des VfGH: VfSlg. 7945/1976, 9226/1981, 9227/1981 ua.; Ringhofer, Die österreichische Bundesverfassung, S 82). Soll ein Gesetz mit Durchführungsverordnung vollziehbar sein, müssen daraus also alle wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung ersehen werden können (Prinzip der Vorausbestimmung des Verordnungsinhaltes durch das Gesetz: VfSlg. 4139/1962, 4662/1964, 5373/1966, 7945/1976); eine bloße formalgesetzliche Delegation, die der Verwaltungsbehörde eine den Gesetzgeber supplierende Aufgabe zuweist, stünde mit Art 18 Abs 1 (und 2) B-VG in Widerspruch (s. VfSlg. 4072/1961, 4300/1962).

Die Grenze zwischen einer noch ausreichenden materiellen Bestimmtheit des Gesetzes und einer formalen Delegation wird nun in einzelnen Fällen nicht immer leicht zu bestimmen sein. Entscheidungskriterium ist hier stets die Frage, ob die im Verordnungsweg getroffene (Durchführungs-)Regelung auf ihre inhaltliche Gesetzmäßigkeit überprüft werden kann (s. VfSlg. 1932/1950, 2294/1952, 4072/1961).

Dabei sind in Ermittlung des Inhalts des Gesetzes alle zur Verfügung stehenden (Auslegungs-)Möglichkeiten auszuschöpfen: Nur wenn sich nach Heranziehung aller Interpretationsmethoden immer noch nicht beurteilen läßt, was im konkreten Fall Rechtens ist, verletzt die Norm die in Art 18 B-VG statuierten rechtsstaatlichen Erfordernisse (vgl. ua. VfSlg. 8395/1978)."

Im Anschluß daran breitete der VfGH seine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 33 Abs 3 Stadterneuerungsgesetz wie folgt aus:

"Nun läßt aber § 33 anscheinend in keiner wie immer gearteten Weise erkennen, nach welchen Grundsätzen und Zielvorstellungen der Verordnungsgeber die Höhe der in Rede stehenden Zinsen - innerhalb der gesetzlich verhältnismäßig weit gezogenen Grenzen (0% bis 6%) - festzusetzen hat (Auch die Gesetzesmaterialien geben hier offenbar keine Auskunft.). Vor allem scheint völlig offenzubleiben, ob und inwieweit dabei vielfältig akzentuierbare allgemeine wirtschaftliche Rücksichten im Vordergrund stehen.

Das erweckt den Anschein, daß die Verordnungsermächtigung des § 33 - wie das antragstellende Gericht der Sache nach geltend macht - in Wahrheit auf die Zulassung einer gesetzesfreien Handhabung der Verordnungsgewalt hinausläuft.

Mit anderen Worten ausgedrückt: Der Bundesminister scheint die Zinsenhöhe - nicht gesetzesvollziehend, sondern gesetzesvertretend - nach eigener rechts- und wirtschaftspolitischer Überzeugung bestimmen zu dürfen: Die Verzinsung wurde etwa in der Verordnung BGBl. 528/1984 mit 4 v. H. pro Jahr, in der Verordnung BGBl. 158/1985 jedoch mit 1 v. H. bzw. 1,5 v. H. pro Halbjahr festgesetzt. So gesehen, hegt der VfGH auf dem Boden seiner einschlägigen Rechtsprechung ... das Bedenken, daß § 33 Abs 3 Stadterneuerungsgesetz dem Art 18 B-VG widerspricht."

1.3. Die Bundesregierung gab im Gesetzesprüfungsverfahren die Erklärung ab, daß sie von einer Äußerung in der Sache selbst Abstand nehme; sie beantragte aber - sollte die in Prüfung gezogene Bestimmung aufgehoben werden - gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr vorzusehen.

1.4.1. § 33 Abs 3 Stadterneuerungsgesetz, BGBl. 287/1974, idF des BG vom über die Förderung der Verbesserung und Erhaltung von Wohnhäusern, Wohnungen und Wohnheimen sowie zur Änderung des Stadterneuerungsgesetzes und des Startwohnungsgesetzes (Wohnhaussanierungsgesetz - WSG), BGBl. 483/1984, lautet:

"(3) Darlehen, die auf Grund des Wohnhaus-Wiederaufbaugesetzes, BGBl. Nr. 130/1948, gewährt wurden, sind zu verzinsen. Die näheren Bestimmungen über die Höhe des Zinssatzes, die 6 vH nicht überschreiten darf, den Zeitpunkt des Beginnes und die Art der Verzinsung sowie die Entrichtung von Verzugszinsen trifft der Bundesminister für Bauten und Technik durch Verordnung. Die sich daraus ergebende Erhöhung der Darlehensrückzahlung kann den Mietern angerechnet werden."

1.4.2. Der aufgrund des § 33 Abs 3 Stadterneuerungsgesetz, BGBl. 287/1974, idF BGBl. 483/1984 erlassene § 2 der Verordnung des Bundesministers für Bauten und Technik vom , betreffend die Förderung von Maßnahmen zur Stadterneuerung (Stadterneuerungs-Verordnung 1984), BGBl. 528/1984, idF der Verordnung desselben Bundesministers vom , BGBl. 158/1985, hat folgenden Wortlaut:

"(1) Bei Darlehen, die auf Grund des Wohnhaus-Wiederaufbaugesetzes, BGBl. Nr. 130/1948, gewährt wurden, gilt ab eine Verzinsung mit folgenden Zinssätzen als vereinbart:

1. für die ersten beiden Zinsenzahlungen ein Zinssatz von 1 vH pro Halbjahr;

2. in der Folge ein Zinssatz von 1,5 vH pro Halbjahr;

3. in Fällen jedoch, in denen der Schuldner erhöhte Tilgungsraten gemäß § 36 Abs 2 des Wohnbauförderungsgesetzes 1968, BGBl. Nr. 280/1967, oder § 60 Abs 5 des Wohnbauförderungsgesetzes 1984, BGBl. Nr. 482, zu leisten hat, ein gleichbleibender Zinssatz von 1 vH pro Halbjahr.

(2) Die Verzinsung beginnt mit ; der erste Fälligkeitstermin ist der . Die Zinsen werden von dem am aushaftenden Darlehensbetrag - vermindert um zu diesem Zeitpunkt fällige, aber noch nicht gezahlte Tilgungsbeträge - berechnet.

(3) Die folgenden Zinsen sind am 1. Jänner und 1. Juli jedes Jahres fällig. Sie werden von dem am vorhergegangenen 1. Juli bzw. 1. Jänner aushaftenden Darlehensbetrag - vermindert um zu diesem Zeitpunkt fällige, aber noch nicht gezahlte Tilgungsbeträge - berechnet.

(4) Die Zinsen sind gemeinsam mit den Tilgungsraten und in gleicher Weise wie diese zu leisten.

(5) Der Wohnhaus-Wiederaufbau- und Stadterneuerungsfonds ist berechtigt, von nicht rechtzeitig entrichteten Tilgungs- und Zinsenbeträgen für die Dauer des Verzuges Verzugszinsen in der Höhe von 3 vH über dem jeweils geltenden Zinsfuß für Eskontierungen der Oesterreichischen Nationalbank pro Jahr zu verlangen.

(6) Werden im Fall einer Rückzahlung gemäß § 36 Abs 2 erster Satz des Wohnbauförderungsgesetzes 1968 oder § 60 Abs 5 erster Satz des Wohnbauförderungsgesetzes 1984 oder im Fall einer Darlehenskündigung Teilbeträge gestundet, so ist die Verzinsung gemäß den Abs 1 bis 3 so vorzunehmen, als ob der gesamte Betrag gezahlt worden wäre.

(7) Bei Stundung hat der Fonds Stundungszinsen in der Höhe von 6 vH pro Jahr vorzuschreiben."

2. Der VfGH hat erwogen:

2.1. Zu den Prozeßvoraussetzungen:

2.1.1. Zur Zulässigkeit des Normenprüfungsantrages des BG Innere Stadt Wien:

Zunächst sei vorausgeschickt, daß der VfGH nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende BG an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH darf daher ein Antrag eines an sich antragslegitimierten Gerichtes iS des Art 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der (gerichtlichen) Entscheidung im Anlaßfall bildet (vgl. zB VfSlg. 9911/1983, 10640/1985 und die dort zitierte Vorjudikatur).

Es kann nun - im Hinblick auf die beim BG Innere Stadt Wien zur Entscheidung heranstehende Klagssache wegen Feststellung der Nichtverzinslichkeit eines nach dem Wohnhaus-Wiederaufbaugesetz gewährten Darlehens - keinesfalls mit Grund gesagt werden, daß das antragstellende BG, die Präjudizialität des § 2 der V BGBl. 528/1984 idF BGBl. 158/1985 denkunmöglich bejaht habe.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Normenprüfungsantrag gemäß Art 139 B-VG (hg. V41/85) zulässig.

2.1.2. Zur Zulässigkeit des von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens:

Im Gesetzesprüfungsverfahren bestätigte sich die dem Unterbrechungsbeschluß vom zugrundeliegende Annahme, daß

§33 Abs 3 Stadterneuerungsgesetz - für die Entscheidung des VfGH im Verordnungsprüfungsverfahren - präjudiziell sei:

§2 der V BGBl. 528/1984 idF BGBl. 158/1985 findet seine - ausschließliche - materielle Grundlage in § 33 Abs 3 leg. cit., sodaß der VfGH diese bundesgesetzliche Norm bei der Prüfung der gegen die Gesetzmäßigkeit des § 2 dieser Verordnung geltend gemachten Bedenken (mit-)anzuwenden hat.

Auch das Gesetzesprüfungsverfahren (hg. G86/86) ist darum zulässig.

2.2. Zur Sache:

2.2.1. Im Gesetzesprüfungsverfahren - die Bundesregierung gab, wie schon erwähnt, zur Sache selbst keine Stellungnahme ab - kam nichts hervor, was die im Prüfungsbeschluß vom , V41/85-11, näher dargelegten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 33 Abs 3 Stadterneuerungsgesetz hätte entkräften können.

Die im Unterbrechungsbeschluß aufgezeigten Bedenken erwiesen sich vielmehr aus den dort angeführten Erwägungen als voll zutreffend:

§33 Abs 3 leg. cit. überläßt dem Verordnungsgeber nämlich nicht bloß die Präzisierung einer in wesentlichen Konturen bereits im Gesetz selbst vorgezeichneten Regelung; er ermächtigt den Bundesminister für Bauten und Technik im Gegenteil, die Höhe des Zinssatzes innerhalb weit gezogener Grenzen nach eigener rechts- und wirtschaftspolitischer Überzeugung - gesetzesvertretend - festzusetzen.

2.2.2. § 33 Abs 3 Stadterneuerungsgesetz verstößt somit gegen das Verbot der sog. formalgesetzlichen Delegation (Art18 B-VG).

2.2.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden (Punkt I. des Spruches).

2.3. Die Aussprüche über das Inkrafttreten der Normaufhebung und die Kundmachungspflicht stützen sich auf Art 140 Abs 5 B-VG, der frühere gesetzliche Bestimmungen betreffende fußt auf Art 140 Abs 6 B-VG (Punkte II. bis IV. des Spruches).