VfGH vom 27.09.1999, G84/99
Sammlungsnummer
15559
Leitsatz
Verstoß der Einräumung schrankenlosen Ermessens an die Behörde bei Einschränkung und Rücknahme von Bewilligungen für die Vermittlung und den Abschluß von Totalisateur- und Buchmacherwetten gegen das Determinierungsgebot
Spruch
Die Wortfolgen "jederzeit von Bedingungen abhängig machen, sie einschränken oder", "letzteres" und "oder eine vorgeschriebene Bedingung nicht eingehalten wird" in Abs 4 des im Bundesland Tirol als Landesgesetz geltenden § 1 des Gesetzes betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens, StGBl. Nr. 388/1919, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Landeshauptmann von Tirol ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Tiroler Landesregierung vom anhängig, mit welchem der vor dem Verwaltungsgerichtshof beschwerdeführenden Gesellschaft die Bewilligung zur gewerbsmäßigen Vermittlung und zum gewerbsmäßigen Abschluß von Wetten aus Anlaß sportlicher Veranstaltungen gemäß § 1 des Gesetzes betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens, StGBl. 388/1919 idF 193/1920 (Paragraphen ohne Gesetzesbezeichnung beziehen sich im folgenden auf dieses Gesetz), erteilt wurde. Gemäß § 1 Abs 4 wurde die Bewilligung gegen jederzeit möglichen Widerruf erteilt und an die Einhaltung von insgesamt neun "Auflagen" gebunden, darunter als Z 8 der "Auflage", daß die Betriebsräumlichkeiten mit einer Bezeichnung zu versehen seien, die auf die Tätigkeit des Wettbüros und den Inhaber der Bewilligung hinweise. Wettgeschäfte dürfen nach dieser "Auflage" nur in einem vom Gastbetrieb deutlich getrennten Bereich und nur von einer hiezu befugten Person abgeschlossen werden.
2.1. Aus Anlaß dieser Beschwerde stellte der Verwaltungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 1 B-VG den Antrag, die im Spruch genannten Wortfolgen in § 1 Abs 4 des Gesetzes als verfassungswidrig aufzuheben. Dieses Gesetz gehöre gemäß dem Übergangsgesetz 1920 im Bundesland Tirol weiter als Landesgesetz dem Rechtsbestand an. § 1 Abs 1 und 4 seien Grundlage der Bewilligung, die mit dem angefochtenen Bescheid erteilt worden sei, und der dort normierten Auflagen. Bei der oben erwähnten "Auflage" (Z8) handle es sich um eine der in § 1 Abs 4 erwähnten "Bedingungen"; daraus ergebe sich, daß die Behörde die Wortfolge "jederzeit von Bedingungen abhängig machen" angewandt habe. In der Formulierung des angefochtenen Bescheides könne zudem eine Einschränkung der von der Beschwerdeführerin angestrebten Bewilligung erblickt werden. Die Wortfolgen "letzteres" und "oder eine vorgeschriebene Bedingung nicht eingehalten wird" seien in den Prüfungsantrag einzubeziehen, weil sie mit den übrigen angefochtenen Teilen des § 1 Abs 4 sprachlich und vom Sinn der Anordnung her in einem untrennbaren Zusammenhang stünden. Insgesamt stelle die allfällige Aufhebung all dieser Wortfolgen eine geringfügigere Änderung des Gesetzestextes dar als die Aufhebung des § 1 Abs 4 zur Gänze, da dadurch auch die Regelung über die Möglichkeit der Zurücknahme von Bewilligungen für den Fall beseitigt würde, daß die volle Vertrauenswürdigkeit des Gewerbetreibenden nicht mehr gegeben sei. In eventu beantragte der Verwaltungsgerichtshof nur die Aufhebung der Wortfolgen "jederzeit von Bedingungen abhängig machen, sie" sowie "oder eine vorgeschriebene Bedingung nicht eingehalten wird".
2.2. In der Sache hegt der Verwaltungsgerichtshof das Bedenken, die angefochtenen Wortfolgen verstießen gegen Art 18 Abs 1 B-VG. Im einzelnen entsprechen die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs - mit geringfügigen stilistischen Abweichungen - solchen, die er seinerzeit gegen dieselben Wortfolgen in Abs 4 des im Bundesland Wien als Landesgesetz geltenden § 1 erhoben hatte. Über den seinerzeitigen Antrag hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 14715/1996 abgesprochen; in dieser Entscheidung sind die nunmehr erhobenen Bedenken (als Pkt. 4 "Bedenken im Hinblick auf Art 18 Abs 1 B-VG") wörtlich wiedergegeben (S 789/790 in der Amtlichen Sammlung). Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf jenes Erkenntnis verwiesen.
Der Verwaltungsgerichtshof untermauert seine Bedenken, indem er auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs VfSlg. 14715/1996 und ua., hinweist. Mit diesen Entscheidungen habe der Verfassungsgerichtshof die gleichlautenden Wortfolgen in dem in den Bundesländern Wien und Steiermark geltenden § 1 Abs 4 aufgrund gleichartiger Bedenken aufgehoben.
3. Die Tiroler Landesregierung hat davon abgesehen, eine Äußerung zu erstatten.
II.Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. § 1 lautet (die in Prüfung gezogenen Wortfolgen sind hervorgehoben):
"(1) Die gewerbemäßige Vermittlung und der gewerbemäßige Abschluß von Wetten aus Anlaß sportlicher Veranstaltungen (Rennen, Regatten usw.) ist nur mit Bewilligung der Landesregierung zulässig.
(2) Zur gewerbemäßigen Vermittlung von Wetten der im ersten Absatze bezeichneten Art dürfen nur die im Anschlusse an sportliche Veranstaltungen bestehenden besonderen Unternehmungen (Totalisateur) zugelassen werden.
(3) Die Bewilligung zum gewerbemäßigen Abschlusse der im ersten Absatze angeführten Wetten darf nur Personen erteilt werden, welche die Gewähr voller Vertrauenswürdigkeit bieten. Personen, denen diese Bewilligung erteilt wurde, werden in diesem Gesetze als Buchmacher bezeichnet.
(4) Die Landesregierung kann die Bewilligung (Absatz 1) jederzeit von Bedingungen abhängig machen, sie einschränken oder zurücknehmen, letzteres für den Fall, daß die Voraussetzung der vollen Vertrauenswürdigkeit nicht mehr zutrifft oder eine vorgeschriebene Bedingung nicht eingehalten wird.
(5) ..."
2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art 140 B-VG bzw. des Art 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/1989).
Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit des Antrags zweifeln ließe (vgl. - auch zum Anfechtungsumfang - VfSlg. 14715/1996 und ua.). Es ist jedenfalls auch zumindest denkmöglich, den angefochtenen Bescheid so zu verstehen, daß damit die von der Beschwerdeführerin angestrebte Bewilligung eingeschränkt wird.
2.2. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß § 1 des Gesetzes nicht nur in Wien (vgl. VfSlg. 14715/1996) und in der Steiermark (vgl. ua.), sondern auch im Bundesland Tirol als Landesgesetz in Geltung steht, und zwar aufgrund des § 4 Abs 2 Übergangsgesetz vom , BGBl. 2, idF BGBl. 368/1925 (VfSlg. 1477/1932; vgl. Walter/Mayer, Grundriß des Besonderen Verwaltungsrechts2 (1987) 718; vgl. auch Schwartz/Wohlfahrt, Rechtsfragen der Sportwette, ÖJZ 1998, 601 (605)). Davon ist auch der Tiroler Landesgesetzgeber ausgegangen, als er durch Anführung in der Anlage zum Tiroler Rechtsbereinigungsgesetz, LGBl. 5/1993, die §§1 und 2 des Gesetzes von der Aufhebung ausnahm (Z6 der Anlage; vgl. auch Z 151 f. der Anlage zu § 1 Abs 1 Landes-Verwaltungsabgabenverordnung 1996 LGBl. 23).
3. Der Verfassungsgerichtshof teilt das Bedenken des antragstellenden Verwaltungsgerichtshofs, daß die angefochtenen Wortfolgen des § 1 Abs 4 nicht hinreichend determiniert seien.
Mit seinen Erkenntnissen VfSlg. 14715/1996 und ua., hat der Verfassungsgerichtshof die wortgleichen Wortfolgen in dem in den Bundesländern Wien und Steiermark als Landesgesetz geltenden § 1 Abs 4 des Gesetzes, deren Aufhebung für das Bundesland Tirol der Verwaltungsgerichtshof beantragt, als verfassungswidrig aufgehoben. Die nunmehr vorgebrachten Bedenken des Verwaltungsgerichtshofs entsprechen solchen, über die der Verfassungsgerichtshof in den genannten beiden Erkenntnissen für die Bundesländer Wien und Steiermark abgesprochen hat. Die Wortfolgen des § 1 Abs 4, deren Aufhebung beantragt ist, stehen im Bundesland Tirol auch im selben rechtlichen Zusammenhang wie seinerzeit in den Bundesländern Wien und Steiermark. Sie sind daher aus denselben Gründen verfassungswidrig, aus denen der Verfassungsgerichtshof diese Wortfolgen für die Bundesländer Wien und Steiermark aufgehoben hat. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die Entscheidungsgründe der beiden genannten Erkenntnisse verwiesen.
4.1. Die vom Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Wortfolgen waren daher als verfassungswidrig aufzuheben.
4.2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstellen gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG.
4.3. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.
5. Die Verpflichtung des Landeshauptmanns von Tirol zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG.
6. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VerfGG in
nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Fundstelle(n):
PAAAE-28169