zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 10.06.2002, g83/02

VfGH vom 10.06.2002, g83/02

Sammlungsnummer

16508

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit von Schwellenwertregelungen mangels sachlicher Rechtfertigung des Ausschlusses des vergabespezifischen Rechtsschutzes im Unterschwellenbereich

Spruch

§ 2 Abs 2 des Gesetzes über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Landesvergabegesetz - LVergG), LGBl. für das Land Salzburg Nr. 1/1998, war verfassungswidrig.

Der Landeshauptmann von Salzburg ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Salzburg verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Gestützt auf Art 140 Abs 1 und 4 B-VG beantragt der Verwaltungsgerichtshof aus Anlaß eines bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahrens auszusprechen, daß § 2 Abs 2 des Gesetzes über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Landesvergabegesetz - LVergG), LGBl. für das Land Salzburg 1/1998, verfassungswidrig war.

a) Begründend führt er aus, daß er über eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Vergabekontrollsenates des Landes Salzburg zu erkennen habe, mit dem Anträge der (nunmehr) beschwerdeführenden Partei, die Ausschreibung eines Architektenwettbewerbes für die Errichtung eines Sportzentrums ("geladener Wettbewerb" mit fünf Teilnehmern) und die Auftragserteilung durch den Auftraggeber für nichtig zu erklären "mangels Anwendbarkeit des Salzburger Landesvergabegesetzes" zurückgewiesen wurden, weil der Auftragswert für die Planungsleistung den Schwellenwert bei Wettbewerben von mindestens ECU 200.000,-- nicht erreiche, sodaß kein Rechtsschutz im Sinne des Landesvergabegesetzes bestehe. Bei Überprüfung des bekämpften Bescheides, der sich auf § 2 Abs 2 LVergG idF vor der Novelle LGBl. 99/2000 zu stützen scheine, habe der Verwaltungsgerichtshof (auch) diese Bestimmung anzuwenden.

b) In der Sache hegt der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom , G110,111/99, vom , G43/00, und vom , G10/01, betreffend das Bundesvergabegesetz sowie den hg. Beschluß vom , B1289/01, betreffend § 2 Abs 2 LVergG idF LGBl. 99/2000 das Bedenken, daß (auch) die "Schwellenwertregelung", wie sie im LVergG idF LGBl. 1/1998 enthalten ist, in Ansehung des Rechtsschutzes zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zwischen den Rechtspositionen von Bewerbern und Bietern im Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge und damit zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis führe.

2. Die Salzburger Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Verfassungsmäßigkeit der Schwellenwertregelung darzutun sucht und die Abweisung des Antrages begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Es ist nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, daß der Verwaltungsgerichtshof bei Erledigung der bei ihm anhängigen Beschwerde, die Anlaß zur Stellung des vorliegenden Antrages bot, die angefochtene Bestimmung anzuwenden hätte. Auch die Salzburger Landesregierung ist dem Antrag in formeller Hinsicht nicht entgegengetreten.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.

2. Der Antrag ist auch begründet:

a) Die vom Verwaltungsgerichtshof angefochtene Regelung stand in folgendem normativen Zusammenhang:

Das LVergG enthielt in seiner Stammfassung (LGBl. 1/1998) gesetzliche Regelungen über das Vergabeverfahren und die Vergabekontrolle für die Vergabe von Lieferaufträgen, Bauaufträgen, Baukonzessionsaufträgen und Dienstleistungsaufträgen durch bestimmte öffentliche, im § 1 LVergG aufgezählte Auftraggeber oberhalb bestimmter Schwellenwerte:

Der unter der Überschrift "Sachlicher Anwendungsbereich" stehende § 2 LVergG lautete (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"§2. (1) Dieses Gesetz gilt für Lieferaufträge, Bauaufträge, Baukonzessionsaufträge und Dienstleistungsaufträge. Es gelten die §§1 bis 4 BVergG einschließlich der darin erwähnten Anhänge I, III und IV. § 3 Abs 2 und 3 gilt mit der Maßgabe, daß anstelle der Bestimmungen des 1. und 4. Teiles des BVergG der 1. und 2. Abschnitt dieses Gesetzes anzuwenden sind.

(2) Dieses Gesetz gilt für die im Abs 1 angeführten Aufträge nur dann, wenn der geschätzte Auftragswert den hiefür gemeinschaftsrechtlich festgelegten Schwellenwert erreicht. Es gelten die §§5 Abs 2 bis 7 und 6 bis 9 BVergG. In den §§6 Abs 2 und 7 Abs 3 BVergG gilt anstelle der Verweisung auf die §§13 und 14 (BVergG) die Verweisung auf § 5 dieses Gesetzes.

(3) Für die Höhe der Schwellenwerte ist der von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Kommission) festgelegte Schillinggegenwert maßgeblich. Die Landesregierung hat die Schwellenwerte in Schilling entsprechend der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in der Salzburger Landes-Zeitung kundzumachen.

(4) Soweit völkerrechtliche Verpflichtungen Österreichs oder die Änderung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften dies erforderlich machen, kann die Landesregierung durch Verordnung anstelle der Schwellenwerte gemäß den im Abs 2 genannten Bestimmungen des BVergG andere Schwellenwerte festsetzen."

Soweit im LVergG in der vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden (Stamm-)Fassung auf das Bundesvergabegesetz 1997 (BVergG) verwiesen wurde, war dieses in der Fassung der Kundmachung BGBl. I 56/1997 anzuwenden (so § 21 LVergG idF LGBl. 1/1998).

Die in § 2 Abs 1 verwiesenen §§1 bis 3 BVergG definierten Liefer-, Bau-, Baukonzessions- und Dienstleistungsaufträge; § 4 BVergG traf eine Regelung für die Abgrenzung zwischen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen.

Die in § 2 Abs 2 LVergG verwiesenen §§5 Abs 2 bis 7 und 6 bis 9 BVergG legten Schwellenwerte bei Liefer-, Bau-, Baukonzessions- und bei Dienstleistungsaufträgen außerhalb des und im Bereich(es) der sogenannten geschützten Sektoren sowie bei Wettbewerben fest. § 7 Abs 1 und 2 sowie § 8 BVergG lauteten wie folgt:

"Schwellenwerte bei Dienstleistungsaufträgen

§7. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 200 000 ECU beträgt.

(2) Bei Aufträgen über die folgenden Dienstleistungen ist als geschätzter Auftragswert anzusetzen:

1. bei Versicherungsleistungen die Versicherungsprämie;

2. bei Bankdienstleistungen und anderen Finanzdienstleistungen die Entgelte und Gebühren, Provisionen und Zinsen sowie andere vergleichbare Vergütungen;

3. bei Verträgen die Planung zum Gegenstand haben, die Entgelte, die Honorare und sonstige Vergütungen.

...

Schwellenwerte bei Wettbewerben

§ 8. Dieses Bundesgesetz gilt für die Durchführung von Wettbewerben, die im Rahmen eines Verfahrens durchgeführt werden, das zu einem Dienstleistungsauftrag führen soll, dessen geschätzter Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 200 000 ECU oder deren Summe der Preisgelder und Zahlungen an Teilnehmer mindestens 200 000 ECU beträgt."

3. a) Wie der Verwaltungsgerichtshof zu Recht dartut, hat der Verfassungsgerichtshof schon mehrfach die Auffassung vertreten, daß es dem Gleichheitssatz widerspricht, bei der Vergabe von Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber im Unterschwellenbereich auf eine außenwirksame Regelung, die den Bewerbern und Bietern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellt, gänzlich zu verzichten und die Bewerber und Bieter damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz generell auszuschließen ( G110,111/99; , G43/00; , G10/01, sowie jeweils , G349/01; G350/01; G351-355/01; G363/01; G17/02). Daher steht auch § 2 Abs 2 LVergG idF LGBl. 1/1998, der einen solchen vergabespezifischen Rechtsschutz bei Auftträgen unterhalb bestimmter Schwellenwerte ausschließt, mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz in Widerspruch. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die erwähnten Erkenntnisse verwiesen, zumal die von der Salzburger Landesregierung in ihrer Äußerung für die Sachlichkeit der vom Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bestimmung neuerlich (vgl. bereits , betreffend § 2 Abs 2 LVergG idF LGBl. 99/2000) vorgebrachten Argumente sich im wesentlichen mit jenen der Bundesregierung im Verfahren G110,111/99 (betreffend § 3 Abs 1 BVergG 1993) decken, die der Verfassungsgerichtshof in seinem dieses Verfahren abschließenden Erkenntnis mit ausführlicher Begründung verworfen hat.

Da sohin § 2 Abs 2 LVergG idF LGBl. 1/1998 mit Gleichheitswidrigkeit belastet ist, diese Bestimmung aber durch die Novelle LGBl. 99/2000 geändert wurde und daher nicht mehr geltendes Recht darstellt, war auszusprechen, daß diese Bestimmung verfassungswidrig war.

b) Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches erfließt aus Art 140 Abs 5 zweiter Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.