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VfGH vom 02.12.1992, G78/92

VfGH vom 02.12.1992, G78/92

Sammlungsnummer

13273

Leitsatz

Aufhebung der Regelungen über die Behandlung von Gnadengesuchen nach der StPO in der Fassung des StrafrechtsänderungsG 1987 wegen Aufhebbarkeit der gerichtlichen Kompetenz zur (zurückweisenden) Entscheidung von Gnadengesuchen durch gesetzlich unzureichend determinierte Verwaltungsanordnungen, wegen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung und wegen Beschneidung der Kompetenz der verfassungsgesetzlich eingerichteten Gnadeninstanz

Spruch

§ 411 Abs 2 (zweiter bis letzter Satz) bis Abs 6 StPO idF des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987, BGBl. Nr. 605/1987, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Das Bezirksgericht Linz wies mit Beschluß vom , GZ 17 U 125/87-9, in einer Strafsache wegen des Vergehens nach § 127 StGB ein Gnadengesuch der Verurteilten gemäß § 411 StPO mangels besonders rücksichtswürdiger Gründe zurück und fügte die Rechtsmittelbelehrung bei, daß gegen diese Entscheidung kein Rechtsmittel offenstehe (§411 Abs 5 StPO).

1.1.2. Die Verurteilte bekämpfte die Erledigung des Bezirksgerichts beim Verfassungsgerichtshof mit Beschwerde gemäß Art 144 (Abs1) B-VG (zu B620/91), in der sie die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, ferner die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§411 Abs 2 bis 6 StPO) behauptete und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Rechtsakts begehrte.

In der Beschwerdeschrift wird der Standpunkt eingenommen, die bekämpfte Entscheidung eines Einzelrichters sei in einem Justizverwaltungsverfahren in Anwendung gesetzlicher Vorschriften (§411 StPO) ergangen, die ua. den Artikeln 18 Abs 1 und 94 B-VG widersprächen.

1.1.3.1. Aus Anlaß dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom , B620/91-4, von Amts wegen gemäß Art 140 Abs 1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 411 Abs 2 (zweiter Satz bis letzter Satz) bis Abs 6 StPO idF des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987, BGBl. 605/1987, ein (prot. zu G339/91).

1.1.3.2. In den Gründen des Prüfungsbeschlusses heißt es ua. wörtlich:

"Es wird vorläufig angenommen, daß der Verfassungsgerichtshof die eben angeführten - anscheinend untrennbar zusammenhängenden - gesetzlichen Vorschriften bei Beurteilung des bekämpften Rechtsakts - insbesondere zur Klärung der Frage, ob es sich hier um einen (weiterer administrativer Anfechtung nicht unterliegenden) Bescheid iSd Art 144 B-VG oder um einen (vor dem Verfassungsgerichtshof unangreifbaren) Gerichtsakt handelt - selbst anzuwenden hat und diese Normen darum in der vorliegenden Beschwerdesache präjudiziell iSd Art 140 Abs 1 Satz 1 B-VG sind.

Es scheint nun, daß die in Prüfung genommenen Gesetzesstellen sowohl gegen Art 18 Abs 1 B-VG als auch gegen Art 94 B-VG und Art 65 Abs 2 litc iVm Art 67 Abs 1 Satz 1 B-VG verstoßen:

Das Gericht (hier ein (Einzel-)Richter des Bezirksgerichts) hat ein eingelangtes Gnadengesuch, das es für unbegründet hält, entweder - und zwar dann, wenn der Bundesminister für Justiz eine entsprechende Anordnung traf (§411 Abs 2 Satz 2 StPO) - mit einer begründetenden Stellungnahme dem Gerichtshof zweiter Instanz vorzulegen oder aber - nämlich bei Fehlen einer solchen ministeriellen Anordnung (§411 Abs 2 letzter Satz iVm Abs 4 Satz 1 StPO) - selbst zu erledigen, dh. beschlußmäßig zurückzuweisen (§411 Abs 4 Satz 1 StPO).

Die Frage, ob der Richter (des Bezirksgerichtes) bei dieser Beschlußfassung als Justizverwaltungsorgan oder als unabhängiges Rechtsprechungsorgan einschreitet, ist nach § 411 StPO zu beurteilen. Dabei ist davon auszugehen, daß die Entscheidung über ein Gnadengesuch nach dem Gesetz (§411 Abs 3 und Abs 4 Satz 1 StPO) jenem 'Gerichte . . ., das in erster Instanz erkannt hat', also - wie es scheint - einem typisch gerichtlichen Organ übertragen wurde (s. dazu: Walter, Weisungen im Gnadenverfahren?, ÖRZ 1979, 218 ff). Der Verfassungsgerichtshof nimmt daher vorläufig an, daß auch ein (Einzel-)Richter über ein (unbegründet erachtetes) Gnadengesuch eines Verurteilten (oder einer anderen Person) kraft § 411 StPO nicht als weisungsgebundenes Justizverwaltungsorgan, sondern jedenfalls in richterlicher Funktion (im konkreten Fall: negativ) zu befinden habe. Demzufolge dürfte die anzuwendende Gesetzesstelle eine Verfahrensregelung enthalten, die den Bundesminister für Justiz ohne jedwede Determinierung ermächtigt, diese gerichtliche 'Zurückweisungs'-Kompetenz in Einzelfällen durch administrative Anordnung einer bloßen Stellungnahme in eine Äußerungsverpflichtung umzuwandeln und damit aufzuheben (s. Walter, aaO, 219).

Der Verfassungsgerichtshof hegt das Bedenken, daß eine solche Regelung zum einen dem Bundesminister für Justiz in der dargelegten Zuständigkeitsfrage völlig undeterminiertes Ermessen einräumt und daher Art 18 Abs 1 B-VG widerspricht (VfSlg. 11035/1986, 11149/1986; , G259/89), zum andern jedoch auch - wegen der durch verwaltungsbehördliches Gutdünken bestimmten fließenden Kompetenz zwischen Justiz und Verwaltung - den (insoweit durch Art 65 Abs 2 litc B-VG nicht eingeschränkten oder zurückgedrängten) Trennungsgrundsatz des Art 94 B-VG verletzt (VfSlg. 2902/1955, 2909/1955, 3156/1957, 8349/1978, 9590/1982, 10300/1984, 10452/1985). Darüber hinaus besteht das Bedenken, daß die in Prüfung gezogenen Teile des § 411 StPO den Artikeln 65 Abs 2 litc sowie 67 Abs 1 Satz 1 B-VG widersprechen, indem sie zur abweislichen Erledigung von Gnadengesuchen (auch) andere als die in den genannten Verfassungsbestimmungen bezeichneten Organe berufen und damit die Kompetenzen der verfassungsgesetzlich eingerichteten Gnadeninstanz beschneiden.

Demgemäß waren die im Spruch bezeichneten Normen - aus den ausgebreiteten Überlegungen - als verfassungsrechtlich bedenklich (Art18 Abs 1, Art 94, Art 65 Abs 2 litc iVm Art 67 Abs 1 Satz 1 B-VG) in Prüfung zu ziehen. . ."

1.2.1.1. Das Landesgericht Feldkirch, und zwar der Vorsitzende eines Schöffensenats (§13 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO), wies mit Beschluß vom , AZ 18a Vr 2089/84, das Ansuchen der Mutter des Verurteilten um gnadenweise Nachsicht der über ihren Sohn verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 411 StPO mangels besonders berücksichtigungswürdiger Gründe zurück.

1.2.1.2. Die Gnadenwerberin ergriff dagegen Beschwerde gemäß Art 144 B-VG (zu B573/89), in der sie die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§411 StPO) rügte und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Rechtsakts begehrte.

Das zur Äußerung aufgeforderte Landesgericht Feldkirch übermittelte dem Verfassungsgerichtshof die Akten 18a Vr 2089/84, verzichtete aber auf die Erstattung einer Gegenschrift.

1.2.2.1. Mit Beschluß vom , AZ 39 Ns 54/91, wies das Landesgericht Linz, und zwar gleichfalls der Vorsitzende eines Schöffensenats, das Gesuch eines Verurteilten um gnadenweise Tilgung näher bezeichneter Verurteilungen gemäß § 411 StPO mangels besonders rücksichtswürdiger Gründe zurück.

1.2.2.2. Dagegen erhob der Verurteilte Beschwerde gemäß Art 144 B-VG (zu B793/91), in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§411 Abs 2 bis 6 StPO) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Rechtsakts beantragt wurde.

Auf Ersuchen des Verfassungsgerichtshofs hin legte das Landesgericht Linz die bezughabenden Akten AZ 39 Ns 54/91 vor.

1.2.3. Auch aus Anlaß dieser beiden Beschwerden leitete der Verfassungsgerichtshof mit seinen Beschlüssen vom , B573/89-5 und B793/91-5, unter Hinweis auf die schon im Beschluß vom , B620/91-4, ausgebreiteten Bedenken von Amts wegen Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der im Spruch genannten Bestimmungen der StPO ein (prot. zu G340,341/91).

1.3.1. Mit Beschluß vom stellte das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht in der bei ihm anhängigen Rechtssache (25 Bs 101/92) eines Gnadenwerbers, der gegen den Beschluß des Kreisgerichts Korneuburg vom , AZ 10 Vr 949/82, über die Zurückweisung einer Gnadenbitte für den Verurteilten gemäß § 411 StPO Beschwerde führte, den Antrag, "die Bestimmungen des § 411 Abs 2, zweiter bis letzter Satz, bis Abs 5, allenfalls bis Abs 6, StPO idF des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987, BGBl. 605/1987, als verfassungswidrig aufzuheben", und zwar aus den (auch) im Prüfungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofs vom , B620/91-4, dargelegten Bedenken (prot. zu G78/92).

1.3.2. Das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht stellte weiters - auf Grund seines Beschlusses vom , 25 Bs 280/92 - aus Anlaß der bei ihm anhängigen Beschwerden eines Verurteilten und einer für ihn um Gnade werbenden Einschreiterin gegen den Beschluß des Kreisgerichts Korneuburg vom , AZ 10 Vr 949/82, mit dem ein Gnadengesuch der Gnadenwerberin gemäß § 411 StPO zurückgewiesen wurde, einen gleichlautenden Antrag wie im verfassungsgerichtlichen Verfahren G78/92 und wiederholte darin die damals vorgetragenen Bedenken (prot. zu G141/92).

1.4.1.1. Die zur Stellungnahme im Gesetzesprüfungsverfahren eingeladene Bundesregierung beantragte in einer schriftlichen Äußerung (zu G339-341/91), der Verfassungsgerichtshof wolle

"das Verfahren zur Prüfung des § 411 Abs 2 (zweiter bis letzter Satz) bis Abs 6 StPO idF des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987, BGBl. 605/1987, mangels Zuständigkeit einstellen; andernfalls das Verfahren bezüglich der Bestimmungen über die vorläufige Hemmung des Strafvollzuges im § 411 Abs 2 zweiter bis fünfter Satz StPO mangels Präjudizialität einstellen; im übrigen aussprechen, daß die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufzuheben ist."

Für den Fall der Aufhebung wurde beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge

"gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen."

1.4.1.2. Begründend legte die Bundesregierung ua. dar:

"Der Verfassungsgerichtshof geht in seinem Einleitungsbeschluß vom zum Verfahren B620/91 davon aus, daß ein (Einzel-)Richter über ein Gnadengesuch eines Verurteilten (oder einer anderen Person) kraft § 411 StPO nicht als weisungsgebundenes Justizverwaltungsorgan, sondern jedenfalls in richterlicher Funktion zu befinden habe. . .

Damit würden sich aber die Bedenken gegen Akte der Gerichtsbarkeit richten, die der Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof entzogen wären. Diese Auffassung wurde auch vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VwSlg. 3083 (A) im Zusammenhang mit einer Beschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung in Gnadensachen vor dem Verwaltungsgerichtshof vertreten. Soweit die Gerichte gesetzlich zur Mitwirkung bei der Behandlung von Gnadengesuchen berufen sind, ist ihnen dadurch ihre organisatorische Stellung als Gericht nicht verlorengegangen und kommt ihren Entscheidungen daher der Charakter einer gerichtlichen Entscheidung zu. Der Verfassungsgerichtshof hat diese Auffassung im Zusammenhang mit der Zurückweisung eines Gnadengesuches durch einen Senat eines Landesgerichts in seinem Erkenntnis VfSlg. 4787/1964 vertreten.

Im Lichte dieser von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts vorgenommenen Beurteilung wäre der Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung über Beschwerden gegen die in den Einleitungsbeschlüssen genannten Akte der Rechtsprechung gemäß Art 144 B-VG nicht zuständig.

Nach Auffassung der Bundesregierung ändert sich an dieser Beurteilung auch nichts aufgrund des in dem zitierten Einleitungsbeschluß vom vom Verfassungsgerichtshof angesprochenen 'untrennbare(n) Zusammenhang(s)' zwischen den Zuständigkeiten der Gerichte und den Zuständigkeiten anderer Behörden gemäß § 411 StPO: Die Beschwerden vor dem Verfassungsgerichtshof wurden nämlich in den den Gesetzesprüfungsverfahren zugrundeliegenden Fällen lediglich gegen Akte der Gerichtsbarkeit, nicht aber gegen die Akte anderer Behörden erhoben.

Für den Fall, daß der Verfassungsgerichtshof dennoch seine Zuständigkeit bejahen sollte, wird weiters folgendes ausgeführt:

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt Präjudizialität der jeweils zu prüfenden Gesetzesbestimmung für das verfassungsgerichtliche Anlaßfall-Beschwerdeverfahren dann vor, wenn die gesetzliche Bestimmung 'Voraussetzung' für die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Behörde die Norm bei der Erlassung des nach Art 144 Abs 1 B-VG angefochtenen Aktes tatsächlich angewendet hat. Ohne Belang ist dabei, ob die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes im Anlaßfall zum Tragen kommt (Walter-Mayer6, Rz 1158; VfSlg. 1955; 10925; 11945).

Rechtsgrundlage für die zurückweisende Entscheidung des Gerichtes war . . . § 411 Abs 4 erster Satz StPO, in einem Fall B620/91 in Verbindung mit § 411 Abs 6 (vorzeitige Tilgung).

In keinem der drei Beschwerdefälle ist eine Anordnung iSd § 411 Abs 2 letzter Satz StPO ergangen, es ging auch nicht um eine vorläufige Hemmung des Strafvollzuges iSd § 411 Abs 2 zweiter bis fünfter Satz StPO.

Es wird daher bestritten, daß die Bestimmungen über die vorläufige Hemmung des Strafvollzuges in § 411 Abs 2 zweiter bis fünfter Satz StPO für die gegenständlichen Verfahren präjudiziell sind. . .

Was die erwogene Verletzung des Trennungsgrundsatzes nach Art 94 B-VG anlangt, so ist zunächst darauf hinzuweisen, daß dieser Grundsatz nicht erst durch die einfachgesetzliche Regelung des Gnadenrechtes in § 411 StPO, sondern schon durch die Verfassung selbst durchbrochen wird. Das dem Bundespräsidenten durch Art 65 Abs 2 litc B-VG eingeräumte Gnadenrecht bedeutet ebenso wie das Niederschlagungsrecht, daß von der Verfassung selbst einem Verwaltungsorgan Eingriffsrechte in ansonsten ausschließlich den Gerichten zugewiesene Verfahren eingeräumt werden (Klecatsky, Die staatsrechtlichen Wurzeln des Gnadenrechtes, JBl. 1967, 445, 449).

Die in Art 65 Abs 2 litc B-VG enthaltene Zuständigkeit des Bundespräsidenten hat als historischen Vorläufer grundsätzlich den Art 13 StGG über die richterliche Gewalt, RGBl. 144/1967. § 411 StPO 1873, RGBl. 119/1873, sah eine Regelung vor, der die derzeit geltende Fassung des § 411 StPO im wesentlichen entspricht; lediglich der Abs 2 sowie der Abs 6 der derzeit geltenden Fassung des § 411 StPO sind neu hinzugekommen; im Abs 1 wurde das Wort 'Kaiser' durch: 'Bundespräsident' ersetzt. Den aus dem Bericht des Justizausschusses 359 BlgNR XVII. GP ersichtlichen Erläuterungen zum Strafrechtsänderungsgesetz 1987, BGBl. 605, läßt sich entnehmen, daß die Neufassung des Abs 2 ausdrücklich die Zulässigkeit zeitlich begrenzter Aufträge zur Hemmung der Einleitung des Strafvollzugs anläßlich eines Gnadenverfahrens zu verankern beabsichtigt; vor dem Inkrafttreten des Strafrechtsänderungsgesetzes sah § 411 Abs 2 StPO vor, daß Gnadengesuche keine aufschiebende Wirkung haben und, sofern nicht in einzelnen Fällen besondere höhere Aufträge ergehen, nach den folgenden Absätzen des Paragraphen zu behandeln sind; der Vorbehalt 'sofern nicht in einzelnen Fällen besondere höhere Aufträge ergehen' wurde in der Praxis so verstanden, daß er 'den Bundesminister für Justiz ua. dazu ermächtigt, aus Anlaß eines Gnadengesuches oder eines ohne solchen Gesuches erwogenen Gnadenerweises die Einleitung des Strafvollzugs vorläufig zu hemmen' (vgl. AB 359 BlgNR XVII. GP S 49).

Aus den genannten Erläuterungen ergibt sich weiters, daß der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, daß es mit dem Gnadenrecht 'als einer umfassenden Eingriffsmöglichkeit in die Strafrechtspflege schlechthin unvereinbar' wäre, wenn die Möglichkeit des Aufschubes des Strafvollzugs mit Rücksicht auf ein anhängiges Strafverfahren nicht möglich wäre.

Die Anordnung einer vorläufigen Hemmung des Strafvollzuges durch das Bundesministerium für Justiz ist auch nach Auffassung der Bundesregierung zur Sicherung des Gnadenrechtes des Bundespräsidenten unumgänglich. Gäbe es diese Möglichkeit nicht, so würde das Gnadenrecht in vielen Fällen inhaltsleer, weil von den Gerichten die verhängte Strafe vollzogen wird, bevor über ein Gnadengesuch entschieden werden kann. Wenn das B-VG einem Verwaltungsorgan die Befugnis einräumt, einem Verurteilten die Vollstreckung endgültig nachzusehen, so muß dies auch die Befugnis umfassen, die Vollstreckung bis zur Entscheidung über die Begnadigung aufzuschieben.

Weiters ergibt sich aus diesen Erläuterungen, daß der Gesetzgeber davon ausging, daß die 'Anordnung der Hemmung des Vollzugs ebenso wie das Verfahren zur Durchführung der für die Entscheidung über einen allfälligen Gnadenvorschlag erforderlichen Erhebungen als notwendiger Annex zu den Bestimmungen des B-VG über die Vollziehung des Gnadenrechtes in diesen Bestimmungen selbst ihre unmittelbare Deckung findet, sodaß in der dabei eröffneten Eingriffsmöglichkeit kein Verstoß gegen andere Verfassungsbestimmungen, etwa den in Art 94 B-VG verankerten Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung, gefunden werden kann'.

In der Lehre besteht Einhelligkeit darüber, daß es sich bei der 'Individualbefugnis' des Bundespräsidenten auf dem Gebiete des Strafrechts um 'ihrem Ursprung nach typisch monarchische' Zuständigkeiten handelt, die vom B-VG übernommen wurden (vgl. Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Wien 1972, 463; Berchtold, Der Bundespräsident, Wien 1969, 283).

Weder den Gesetzesmaterialien zum B-VG noch der Judikatur noch der Lehre läßt sich entnehmen, daß im Bereich der Individualbefugnisse des Bundespräsidenten auf dem Gebiete des Strafrechts gegenüber denen des Kaisers grundsätzlich eine Änderung eintreten hätte sollen; lediglich die 'generelle Begnadigung', das ist die sogenannte 'Amnestie' wegen gerichtlicher Strafen - die gemäß Art 13 des zitierten StGG ebenfalls dem Kaiser zustand -, erfolgt nach dem B-VG durch Bundesgesetz (Art93; vgl. Kelsen-Froehlich-Merkl, Die Bundesverfassung vom , 159).

Vor diesem Hintergrund geht die Bundesregierung davon aus, daß die aus § 411 StPO ersichtliche Regelung eine rechtliche Konstruktion darstellt, die vom B-VG - das die Individualbefugnisse des Staatsoberhauptes auf dem Gebiete des Strafrechts aus der Verfassung 'des alten Staates' übernommen hat - als eine die Ausübung dieser Individualbefugnisse betreffende Regelung vorgefunden wurde, und ein Widerspruch zwischen dieser strafprozessualen Regelung und dem Art 65 Abs 2 litc B-VG nicht angenommen wurde.

In diese Richtung gehen auch die aus dem genannten Bericht des Justizausschusses zitierten Ausführungen, insbesondere im Zusammenhang mit Art 94 B-VG. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, daß der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens vorgefundene § 411 StPO 1873 ein Zusammenwirken des Tätigwerdens von Gerichten und anderen Behörden (vgl. insbesondere den aus dem zweiten Absatz des § 411 StPO ersichtlichen Vorbehalt: 'sofern nicht in einzelnen Fällen besondere höhere Aufträge ergehen') vorsieht. Die aus dem Einleitungsbeschluß vom 12. Oktober ersichtliche vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes, daß der Trennungsgrundsatz des Art 94 B-VG durch Art 65 Abs 2 litc B-VG weder eingeschränkt noch zurückgedrängt wurde, erscheint daher im Lichte der vorstehenden Ausführungen nach Auffassung der Bundesregierung nicht bestätigt.

Stellt aber bereits das dem Bundespräsidenten eingeräumte Gnadenrecht eine vom B-VG vorgefundene Durchbrechung des Grundsatzes der Trennung von Justiz und Verwaltung dar, so verstößt auch eine einfachgesetzliche Ausformung dieses Gnadenrechts, die darin besteht, daß den Gerichten Mitwirkungsmöglichkeiten am Gnadenverfahren eingeräumt werden, nicht gegen diesen Grundsatz.

Was die abweisliche Erledigung von Gnadengesuchen (auch) durch andere als die in den Art 65 Abs 2 litc sowie 67 Abs 1 B-VG bezeichneten Organe betrifft, ist folgendes festzuhalten:

Mit der dem Gericht eingeräumten Zurückweisungsbefugnis wird nicht über einen Rechtsanspruch entschieden. Auf dieser Linie liegt auch das Erkenntnis VwSlg. 1962 A des Verwaltungsgerichtshofes, wonach 'nicht nur ein Rechtsanspruch auf Erfüllung einer Gnadenbitte nicht besteht, sondern die Behörde auch bei deren Erledigung an gesetzliche Vorschriften so wenig gebunden ist, daß sie völlig nach freiem Ermessen vorgehen und somit auch eine Verletzung von Verfahrensvorschriften oder Verfahrensgrundsätzen nicht in Betracht kommen kann'; nach diesem Erkenntnis sind die Individualbefugnisse des Bundespräsidenten nach Art 65 Abs 2 litc B-VG daher auch nicht an den von Art 130 Abs 2 B-VG gezogenen Rahmen gebunden (vgl. in diesem Sinn auch Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Wien 1972, 463, und die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in EvBl. 1978 Nr. 75).

Art 65 Abs 2 litc B-VG überträgt die Ausübung des Begnadigungsrechtes allein dem Bundespräsidenten. Gemäß Art 67 Abs 1 B-VG ist der Bundespräsident hiebei an einen Vorschlag der Bundesregierung oder des von ihr ermächtigten Bundesministers gebunden. Nach Judikatur und Lehre besteht kein Rechtsanspruch auf die Erledigung eines Gnadengesuchs (vgl. VwSlg. 1962 A/1951, 2118 A/1951, 1052 A/1949; VfSlg. 3459/1958, Anhang 2 zur Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 1955). Die Ablehnung der Weiterleitung eines Gnadengesuchs an den Bundespräsidenten ist daher nicht als Bescheid zu qualifizieren (vgl. die soeben zitierte Judikatur).

Vielmehr kann bei Einbringung eines Gnadengesuchs nach einer gerichtlichen Entscheidung ein neuerliches Gnadengesuch entweder beim Bundespräsidenten, beim Bundesminister für Justiz oder wieder bei Gericht eingebracht werden (vgl. Foregger-Serini-Kodek, Die österreichische Strafprozeßordnung, 1989, S 503 ff; vgl. Bertel, Grundriß des österreichischen Strafprozeßrechts3, Rz 910 ff, Rz 912).

Zum Vorwurf, § 411 Abs 2 räume dem Bundesminister für Justiz ein völlig undeterminiertes Ermessen ein und widerspreche daher dem Art 18 Abs 1 B-VG, ist folgendes festzuhalten:

Gemäß § 411 Abs 2 kann der Bundesminister für Justiz in Übereinstimmung mit dem Bundespräsidenten aus Anlaß eines Gnadengesuchs oder erwogenen Gnadenerweises eine vorläufige Hemmung des Strafvollzugs zur Durchführung der erforderlichen Erhebungen und zur Einholung von Stellungnahmen der Gerichte und staatsanwaltschaftlichen Behörden anordnen.

Nach Auffassung der Bundesregierung ist die Anordnung einer vorläufigen Hemmung des Strafvollzuges hinreichend durch die in dieser Regelung genannten Kriterien: 'zur Durchführung der erforderlichen Erhebungen und zur Einholung von Stellungnahmen der Gerichte und staatsanwaltschaftlichen Behörden' determiniert. Auch die Voraussetzungen für eine Zurückweisung eines Gnadengesuches durch die Gerichte werden im § 411 Abs 4 erster Satz StPO näher bestimmt: eine Zurückweisung hat zu erfolgen, wenn das Gericht 'nicht findet, daß wichtige Gründe für die Milderung oder Nachsicht der Strafe sprechen.' Wenn auch diese Umschreibung sehr allgemein gehalten ist, so muß doch dem besonderen Charakter des Gnadenrechts auch in dieser Hinsicht Rechnung getragen werden. Dabei ist auf das Wesen der Gnade zu verweisen, die gerade dazu dienen soll, allfällige durch die strikte Anwendung der generell wirkenden Gesetze sich ergebende Härten und Unbilligkeiten auszugleichen (Ent, Ein Beitrag zum österreichischen Gnadenrecht, ÖJZ 1956, 356 und 396, 362). Das Gnadenrecht ist aus diesem Grund zur Aufstellung detaillierter Kriterien ungeeignet.

Das Gnadenrecht entzieht sich seiner Natur nach nicht nur einer materiellrechtlichen, sondern ebenso einer ins Detail gehenden verfahrensrechtlichen Determinierung.

In ähnlicher Weise hat der Verfassungsgerichtshof auch die begrenzte Bestimmbarkeit gesetzlicher Regelungen in anderem Zusammenhang beurteilt, indem er festgestellt hat, daß das Determinierungsgebot im Zusammenhang mit der gesetzlichen Regelung wirtschaftlicher Tatbestände nicht überspannt werden dürfe (VfSlg. 8203/1977 und 8813/1980). . ."

1.4.2. Zwei der beteiligten Parteien des verfassungsgerichtlichen Verfahrens gaben eine ihren bisherigen Rechtsstandpunkt bekräftigende Stellungnahme ab.

1.5.1. Im Gesetzesprüfungsverfahren G78/92 erstattete der Gnadenwerber im Anlaßverfahren eine Äußerung, in der er ua. auf die Aufhebung der vom Oberlandesgericht Wien angefochtenen Bestimmungen antrug und den Zuspruch von Kosten begehrte.

1.5.2. Die zur Äußerung aufgeforderte Bundesregierung beantragte in diesem Verfahren,

"der Verfassungsgerichtshof wolle 1. den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag, soweit er sich gegen § 411 Abs 6 StPO richtet, mangels Präjudizialität zurückweisen und 2. im übrigen aussprechen, daß die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufzuheben ist".

In der Sache werden die vom Oberlandesgericht Wien zur Aufhebung beantragten Bestimmungen im wesentlichen mit den gleichen Argumenten wie in den Verfahren G339-341/91 verteidigt.

1.5.3. Dazu langte eine Replik des Gnadenwerbers ein; Kosten wurden ebenfalls angesprochen.

1.6. Im Gesetzesprüfungsverfahren G141/92 erstattete die zur Stellungnahme eingeladene Bundesregierung keine Äußerung. Auch die beteiligten Parteien gaben keine Stellungnahme ab.

1.7. § 411 StPO idF des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987, BGBl. 605/1987, lautet folgendermaßen:

"(1) Eine im Gesetze nicht vorgesehene Nachsicht oder Milderung der Strafe steht nur dem Bundespräsidenten zu.

(2) Gnadengesuche haben keine aufschiebende Wirkung. Der Bundesminister für Justiz kann jedoch in Übereinstimmung mit dem Bundespräsidenten aus Anlaß eines Gnadengesuches oder erwogenen Gnadenerweises eine vorläufige Hemmung des Strafvollzuges zur Durchführung der erforderlichen Erhebungen und zur Einholung von Stellungnahmen der Gerichte und staatsanwaltschaftlichen Behörden anordnen. Die vorläufige Hemmung darf nicht für mehr als sechs Monate angeordnet werden. Zeiten eines aus anderen Gründen erfolgten Strafaufschubes und die im § 3 StVG bestimmte Monatsfrist sind in die Frist von sechs Monaten nicht einzurechnen. Während der vorläufigen Hemmung ist die Wirksamkeit einer schon erlassenen Strafvollzugsanordnung aufgeschoben. Im übrigen sind Gnadengesuche, sofern nicht in einzelnen Fällen etwas anderes angeordnet wird, nach den folgenden Bestimmungen zu behandeln.

(3) Bringt ein Verurteilter nach Antritt der Strafe beim Leiter der Anstalt zum Vollzug von Freiheitsstrafen oder bei dem mit einer Nachschau beauftragten Beamten ein Gnadengesuch an, so ist es mit der Äußerung des Anstaltsleiters über das Betragen und den Gesundheitszustand des Strafgefangenen dem Gerichte zu übermitteln, das in erster Instanz erkannt hat.

(4) Dieses Gericht, an das auch alle anderen Gnadengesuche zu leiten sind, hat das Gesuch zu prüfen und zurückzuweisen, wenn es nicht findet, daß wichtige Gründe für die Milderung oder Nachsicht der Strafe sprechen. Im entgegengesetzten Falle legt es das Gesuch mit seinem Antrage dem Gerichtshof zweiter Instanz vor, der darüber nach Anhörung des Oberstaatsanwaltes Beschluß faßt und das Gesuch entweder zurückweist oder mit seinem Antrage dem Bundesministerium für Justiz vorlegt. Hat über das Urteil der Oberste Gerichtshof auf Grund des § 288 Abs 2 Z. 3 oder des § 351 entschieden, so ist der das Gnadengesuch befürwortende Antrag des Gerichtshofes zweiter Instanz an den Obersten Gerichtshof zu richten; der Oberste Gerichtshof entscheidet nach Anhörung des Generalprokurators, ob das Gesuch zurückzuweisen oder beim Bundesministerium für Justiz zu befürworten sei.

(5) Gegen die Zurückweisung eines Gnadengesuches durch eines der genannten Gerichte ist keine Beschwerde zulässig.

(6) Die vorstehenden Bestimmungen gelten auch für Gesuche um gnadenweise Tilgung einer Verurteilung. Betrifft das Gesuch mehrere Verurteilungen, so kommt die Prüfung des Gesuches jenem Gericht zu, das zuletzt entschieden hat, unter Gerichten verschiedener Ordnung aber dem Gerichtshof erster Instanz, der zuletzt entschieden hat. Betrifft das Gesuch nur ausländische Verurteilungen, so kommt die Prüfung dem Gerichtshof erster Instanz zu, in dessen Sprengel der Verurteilte seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat, sonst dem Landesgericht für Strafsachen Wien."

2. In den (zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen) Normenkontrollverfahren wurde erwogen:

2.1. Zu den Prozeßvoraussetzungen:

2.1.1. Verfahren G339-341/91

2.1.1.1. Die Beschwerdeführer vertreten teils ausdrücklich, teils der Sache nach die Auffassung, daß ein (Einzel-)Richter eines Gerichts über Gnadengesuche als Justizverwaltungsorgan entscheide; eine solche Erledigung könne gemäß Art 144 B-VG beim Verfassungsgerichtshof bekämpft werden.

Der Verfassungsgerichtshof hat daher zunächst zu untersuchen, ob diese Rechtsansicht zutrifft. Vom Ergebnis dieser Untersuchung hängt die Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerden nach Art 144 B-VG ab: Schritt der (Einzel-)Richter in Ausübung seines richterlichen Amtes ein (Art87 Abs 1 B-VG), wäre eine Beschwerde nach Art 144 Abs 1 B-VG - die nur gegen Bescheide der Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate ergriffen werden kann - nicht zulässig. Nur dann, wenn der (Einzel-)Richter das Gnadengesuch nicht in Ausübung seines richterlichen Amtes, sondern in Besorgung einer (nicht nach Vorschrift des Gesetzes durch Senate oder Kommissionen zu erledigenden) Justizverwaltungssache inappellabel zurückwies (Art87 Abs 2 B-VG), käme eine Beschwerde des Gnadenwerbers an den Verfassungsgerichtshof nach Art 144 Abs 1 B-VG überhaupt in Betracht.

2.1.1.2. Die Frage der Zulässigkeit der Beschwerden hat der Verfassungsgerichtshof auf Grund der untrennbar verbundenen und in den konkreten Beschwerdefällen insgesamt maßgebenden Bestimmungen des § 411 Abs 2 (zweiter bis letzter Satz) bis Abs 6 StPO zu lösen, die ein ineinander verzahntes System der Behandlung von Gnadengesuchen mit - durch ministerielle Anordnungen aufhebbaren - (Teil-)Kompetenzen der Gerichte, und zwar der Gerichte erster Instanz, der Oberlandesgerichte und des Obersten Gerichtshofes (zur Zurückweisung der Gesuche) schaffen:

Diese einfachgesetzlichen Vorschriften, von denen es abhängt, ob Gegenstand der Anfechtung ein Gerichtsbeschluß oder ein Justizverwaltungsakt eines (einzelnen) Richters ist, sind daher bei der Prüfung der Zulässigkeit der Beschwerden gemäß Art 144 Abs 1 B-VG vom Verfassungsgerichtshof selbst anzuwenden (Art140 Abs 1 B-VG). Das genügt hier aber für die Bejahung ihrer Präjudizialität, auch wenn - wie die Bundesregierung meint - Rechtsgrundlage der angefochtenen zurückweisenden Entscheidungen nur § 411 Abs 4 erster Satz (iVm § 411 Abs 6) StPO gewesen sein sollte. Davon abgesehen ist § 411 Abs 4 erster Satz StPO lediglich im Zusammenhang mit § 411 Abs 2 zweiter bis letzter Satz StPO anwendbar, weil ein Richter eine Zurückweisungskompetenz nach § 411 Abs 4 StPO stets nur dann in Anspruch nehmen kann, wenn keine abweichenden administrativen Anordnungen nach den Vorschriften des § 411 Abs 2 zweiter bis letzter Satz StPO ergangen sind (vgl. § 411 Abs 2 letzter Satz StPO: "Im übrigen sind Gnadengesuche, sofern nicht in einzelnen Fällen etwas anderes angeordnet wird, nach den folgenden Bestimmungen zu behandeln"). Wenn die Bundesregierung schließlich die Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens mit dem Einwand zu bestreiten sucht, der Verfassungsgerichtshof gehe in seinem Einleitungsbeschluß selber davon aus, daß ein (Einzel-)Richter über ein Gnadengesuch in richterlicher Funktion zu befinden habe, so ist ihr entgegenzuhalten, daß es sich dabei nur um eine vorläufige Annahme handeln konnte. Eben die Rechtsnatur des angefochtenen Akts hatte nämlich der Verfassungsgerichtshof im Zuge der Prüfung der Zulässigkeit der eingebrachten Beschwerden an Hand des § 411 Abs 2 (zweiter bis letzter Satz) bis Abs 6 StPO zu klären; die sich im Verlauf dieser Untersuchung ergebenden Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der maßgebenden Prozeßordnungsvorschriften mußten notwendig vorerst zur Einleitung des Normenkontrollverfahrens führen. Daß die Frage nach der Rechtsnatur der strittigen Erledigungen von Richtern im Gnadenverfahren bei der gegebenen Fallkonstellation letztlich auch im derart eröffneten Gesetzesprüfungsverfahren eine Rolle spielt, vermag daran nichts zu ändern.

2.1.1.3. Damit ist die Zulässigkeit des von Amts wegen eingeleiteten Normenkontrollverfahrens (G339-341/91) zu bejahen.

2.1.2. Verfahren G 78 und 141/92

Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist ein zur Entscheidung in zweiter Instanz berufenes (Kollegial-)Gericht - gleichgültig, ob es in einer Angelegenheit der Rechtsprechung oder der Justizverwaltung einschreitet (Art87 Abs 2 B-VG) - zur Stellung eines Antrags iSd Art 140 Abs 1 B-VG dann legitimiert, wenn die - angefochtene - Norm denkmöglicherweise eine Voraussetzung der (gerichtlichen) Entscheidung im Anlaßfall bildet (vgl. zB VfSlg. 9911/1983, 10640/1985, 11027/1986).

Dies ist hier - schon im Hinblick auf die unter Punkt 2.1.1.2. festgestellte untrennbare Verbindung der (teils eventualiter) zur Aufhebung begehrten Bestimmungen - der Fall.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Normenprüfungsanträge des Oberlandesgerichts Wien nach Art 140 Abs 1 B-VG zulässig.

2.2. Zur Sache selbst:

2.2.1. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs und des Oberlandesgerichts Wien gegen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des § 411 StPO sind begründet:

Das Gnadenverfahren bildet - wie sich schon aus der Zuständigkeit des Bundespräsidenten, eines Verwaltungsorganes, gemäß Art 65 Abs 2 litc B-VG ergibt - eine Verwaltungsangelegenheit (Drittes Hauptstück des B-VG: "Vollziehung des Bundes. A.Verwaltung."); § 411 Abs 4 iVm Abs 2 (zweiter bis letzter Satz) und Abs 3 StPO überträgt jedoch die Zurückweisung von Gnadengesuchen unter gewissen Voraussetzungen richterlichen Organen, nämlich dem Gericht, das in erster Instanz in der Strafsache selbst erkannt hat, bzw. dem Gerichtshof zweiter Instanz, ferner dem Obersten Gerichtshof dann, wenn er über das Strafurteil auf Grund des § 288 Abs 2 Z 3 StPO oder des § 351 StPO zu entscheiden hatte (vgl. auch § 411 Abs 6 StPO). Zumindest insoweit, als es sich dabei um "Senate" im Sinne des Art 87 Abs 2 B-VG handelt, folgt daraus, daß § 411 StPO diese Organe zur (zurückweisenden) Entscheidung über Gnadengesuche in Ausübung ihres richterlichen Amtes, nicht hingegen als Justizverwaltungsorgan beruft.

Im Gesetzesprüfungsverfahren kam nichts hervor, was das Bedenken des Verfassungsgerichtshofs entkräftet hätte, daß die in Prüfung genommenen Gesetzesstellen den Bundesminister für Justiz ohne hinreichende Determinierung ermächtigen, die gerichtliche Kompetenz zur Zurückweisung von Gnadengesuchen in Einzelfällen durch administrative Anordnungen über die Gesuchsbehandlung in eine Verpflichtung zur gutachtlichen Äußerung umzuwandeln und damit aufzuheben. Das bedeutet, daß ein im § 411 Abs 3 und 4 StPO genanntes Gericht mit einem ihm vorliegenden Gnadengesuch, das es für unbegründet hält, folgendermaßen zu verfahren hat: Fand der Bundesminister für Justiz es nicht für angebracht, in dieser Sache eine besondere Anordnung nach § 411 Abs 2 zweiter bis letzter Satz StPO (etwa zur Gesuchsvorlage) zu erlassen, hat das Gericht das Gesuch gemäß § 411 Abs 4 StPO zurückzuweisen; gegen diese Zurückweisung ist gemäß § 411 Abs 5 StPO keine Beschwerde zulässig. Traf hingegen der Bundesminister für Justiz eine entsprechende (Einzel-)Anordnung, entfiel damit zugleich die gerichtliche Zurückweisungskompetenz; das Gericht hat dann ebendieses Gesuch den in § 411 Abs 4 StPO bezeichneten Stellen (mit einer Äußerung zur Sache) vorzulegen. Die Bundesregierung geht in ihrer schriftlichen Stellungnahme im Gesetzesprüfungsverfahren auf das hier behandelte verfassungsrechtliche Bedenken des Verfassungsgerichtshofs - gegen die Aufhebbarkeit der gerichtlichen Kompetenz durch gesetzlich unzureichend determinierte Verwaltungsanordnungen - nicht konkret ein. Wenn sie darauf verweist, eine Anordnung im Sinn des § 411 Abs 2 zweiter Satz StPO sei nur "zur Durchführung der erforderlichen Erhebungen und zur Einholung von Stellungnahmen der Gerichte und staatsanwaltschaftlichen Behörden" statthaft, so muß ihr erwidert werden, daß damit zwar die Zwecke, denen die Anordnung zu dienen hat, festgelegt sind, nicht aber die Voraussetzungen, unter denen eine solche Verfügung zulässig ist. Hinzu tritt, daß auch der letzte Satz des § 411 Abs 2 StPO nicht näher umschriebene administrative Sonderanordnungen "in einzelnen (Gnaden-)Fällen" - mit Auswirkung auf die gerichtliche Zuständigkeit - gestattet. Davon abgesehen sind einfachgesetzliche Vorschriften über derartige administrative Einzelfallanordnungen, die gesetzlich normierte gerichtliche Zuständigkeiten beseitigen, mit Art 83 Abs 1 B-VG unvereinbar. Für den Standpunkt der Bundesregierung läßt sich aber auch mit dem Hinweis auf die seinerzeit durch die StPO 1873 geschaffene Rechtslage, die vom B-VG vorgefunden worden sei, nichts gewinnen, weil sich die Auslegung der Bundesverfassung nicht an der StPO zu orientieren hat und es sich hier um kein nach der sog. "Versteinerungstheorie" zu lösendes Problem handelt. Die in Prüfung gezogene Regelung, die, wie dargelegt, dem Bundesminister für Justiz in der erörterten Zuständigkeitsfrage ein unzureichend determiniertes Ermessen einräumt - und nur darum geht es in diesem Zusammenhang, nicht, wie die Bundesregierung zu vermeinen scheint, um eine Determinierung der Voraussetzungen für die Zurückweisung eines Gnadengesuchs -, widerspricht daher jedenfalls dem Art 18 Abs 1 (iVm Art 83 Abs 2) B-VG. Sie verletzt aber auch als Vorschrift, die kompetenzverschiebende verwaltungsbehördliche Einzelanordnungen zuläßt und so eine fließende Zuständigkeit zwischen Gerichtsbarkeit und Verwaltung zur meritorischen Erledigung von Gnadengesuchen festlegt, den insoweit durch Art 65 Abs 2 litc B-VG nicht eingeschränkten Trennungsgrundsatz des Art 94 B-VG.

Davon unabhängig kann der klaren Bestimmung des Art 65 Abs 2 litc B-VG entgegen der Meinung der Bundesregierung nicht unterstellt werden, daß sie ein - für die Ausübung des Gnadenrechts völlig überflüssiges - verwaltungsbehördliche und gerichtliche Zuständigkeiten in Gnadensachen verflechtendes besonderes System nach Art des § 411 StPO zulasse, das zur abweislichen Erledigung von Gnadengesuchen (auch) andere als die im B-VG genannten Organe beruft und - mag auf die Erledigung eines derartigen Gesuchs ein Rechtsanspruch bestehen oder nicht - die Kompetenz der verfassungsgesetzlich eingerichteten Gnadeninstanz beschneidet. Die in Prüfung gezogenen Vorschriften verletzen darum auch Art 65 Abs 2 litc B-VG (iVm Art 67 Abs 1 Satz 1 B-VG).

2.2.2. Aus diesen Überlegungen erwiesen sich die im Prüfungsbeschluß ausgebreiteten Bedenken und somit auch die des Oberlandesgerichts Wien als voll zutreffend; die geprüften Bestimmungen der StPO verstoßen gegen Art 18 Abs 1 (iVm Art 83 Abs 2) und 94 sowie gegen Art 65 Abs 2 litc (iVm Art 67 Abs 1 Satz 1) B-VG.

2.3. Demgemäß mußte spruchgemäß entschieden werden.

2.4. Die Bestimmung einer Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung, die sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG gründet, erscheint im Hinblick auf die entsprechende Stellungnahme der Bundesregierung geboten. Der Ausspruch über die Kundmachungspflicht stützt sich auf Art 140 Abs 5 B-VG, der frühere Bestimmungen betreffende auf Art 140 Abs 6 B-VG.

Ein Kostenzuspruch ist im Verfahren nach den §§62 bis 65 VerfGG 1953 nicht vorgesehen. Es wird Aufgabe des (zu G78/92) antragstellenden Gerichts sein, über einen allfälligen Kostenersatzanspruch zu erkennen (vgl. , V301,302/91).

2.5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Satz 1 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.