VfGH vom 04.12.2008, G78/08
Sammlungsnummer
18638
Leitsatz
Keine Gleichheitswidrigkeit einer Bestimmung des Studienförderungsgesetzes 1992 über die Verpflichtung zur Rückzahlung eines Studienabschluss-Stipendiums im Fall eines Einkommens aus Erwerbstätigkeit; keine Überschreitung des rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers
Spruch
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (im Folgenden:
UVS) ist ein Berufungsverfahren über einen Bescheid des Senates der Stipendienstelle Wien anhängig, mit dem der Berufungswerberin die Rückzahlung des Studienabschluss-Stipendiums in der Höhe von € 2.000,-- vorgeschrieben wurde, weil sie im Zeitraum des Stipendienbezuges (geringfügige) Einkünfte aus Erwerbstätigkeit erzielt hatte.
2. Aus Anlass dieses Berufungsverfahrens stellte der UVS den auf Art 140 Abs 1 B-VG gestützten Antrag, § 52b Abs 4 vierter Satz [gemeint offensichtlich: letzter, also dritter Satz] des Bundesgesetzes über die Gewährung von Studienbeihilfen und anderen Studienförderungsmaßnahmen (Studienförderungsgesetz 1992 - StudFG), BGBl. 305/1992 idF BGBl. I 11/2005, auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.
2.1. Zum zugrunde liegenden Sachverhalt führt der UVS aus, der Senat der Stipendienstelle Wien als Vorstellungsbehörde habe - wie auch schon die Studienbeihilfenbehörde, Stipendienstelle Wien - die Vorschreibung der Rückzahlung des Studienabschluss-Stipendiums damit begründet, dass die Berufungswerberin in den Monaten August und September 2007 neben dem Bezug des Studienabschluss-Stipendiums Einkommen aus Berufstätigkeit erzielt hätte.
2.2. Zu den Prozessvoraussetzungen bringt der UVS vor, die Rückzahlung von € 2.000,-- für die Monate August und September 2007 sei der Berufungswerberin gemäß § 52b Abs 4 StudFG vorgeschrieben worden; sie hätte in diesen Monaten tatsächlich Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit bezogen.
2.3. Die Bedenken gegen die angefochtene Wortfolge legt der UVS nach Darstellung der Rechtslage im Wesentlichen wie folgt dar: Da die auf Studienabschluss-Stipendien anwendbaren Bestimmungen des StudFG, daher insbesondere § 52b Abs 4 leg.cit., keine Regelung vorsähen, wonach Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit, welche unter einer bestimmten Betragsgrenze liegen, keine Stipendienrückzahlungsverpflichtung bewirken, verstoße die angefochtene Wortfolge angesichts der "unverhältnismäßige[n] Rechtsfolgen" und aufgrund der unsachlichen Differenzierung zwischen Beziehern von Studienabschluss-Stipendien nach § 52b StudFG und jenen von Studienstipendien nach dem II. Hauptstück dieses Gesetzes gegen den Gleichheitsgrundsatz. Eine planwidrige Lücke liege nicht vor, sodass § 51 leg.cit. nicht analog anzuwenden sei.
3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, dass die angefochtene Wortfolge nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird. Für den Fall der Aufhebung wird beantragt, für das Außer-Kraft-Treten eine Frist von achtzehn Monaten zu bestimmen, um die erforderlichen umfangreichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.
Nach Ansicht der Bundesregierung zielt das Studienabschluss-Stipendium darauf ab, bisher Berufstätigen mit Hilfe dieses Stipendiums das Aufgeben der Berufstätigkeit und die Absolvierung ihres Studiums in einer festgelegten, sehr kurzen Zeit zu ermöglichen, während die Studienbeihilfe als Ersatz jener Unterhaltsleistungen gedacht sei, die die Eltern des jeweiligen Studierenden aus finanziellen Gründen nicht leisten können. Das Studienabschluss-Stipendium sei als pauschalierter vollständiger Ersatz des Einkommens, das bis dahin aus einer Erwerbstätigkeit erzielt wurde, konzipiert. Die Bundesregierung hält es vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Zielsetzungen beider Fördermaßnahmen sowie angesichts des rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers für sachlich, dass im Fall der Inanspruchnahme eines Studienabschluss-Stipendiums jede Berufstätigkeit zu unterbleiben hat.
4. Der UVS hat auf diese Äußerung repliziert. In der Replik führt er mit näherer Begründung aus, dass eine Unsachlichkeit der angefochtenen Regelung auch unabhängig von den Regelungen zur Studienbeihilfe nach dem II. Hauptstück des StudFG vorliege.
5. Zur Rechtslage:
5.1. Die maßgebliche Bestimmung des StudFG, BGBl. 305/1992 idF BGBl. I 11/2005, lautet (der angefochtene Satz ist hervorgehoben):
"§52b. (1) Studienabschluss-Stipendien dienen der Förderung von Studierenden, die sich in der Abschlussphase ihres Studiums befinden. Die Höhe der Studienabschluss-Stipendien beträgt zwischen 500 und 1 090 € monatlich. Die Auszahlung des Studienabschluss-Stipendiums erfolgt durch höchstens achtzehn Monate.
(2) Studienabschluss-Stipendien werden von der Studienbeihilfenbehörde nach Richtlinien der zuständigen Bundesminister im Wege der Privatwirtschaftsverwaltung zuerkannt. Auf die Zuerkennung besteht kein Rechtsanspruch.
(3) Voraussetzung für die Gewährung ist, dass der Studierende jedenfalls
1. voraussichtlich das Studium längstens innerhalb von achtzehn Monaten ab Zuerkennung des Studienabschluss-Stipendiums abschließen wird,
2. noch kein Studium oder keine andere gleichwertige Ausbildung abgeschlossen hat,
3. zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Studienabschluss-Stipendiums das 41. Lebensjahr noch nicht überschritten hat,
4. in den letzten vier Jahren vor Gewährung des Studienabschluss-Stipendiums mindestens drei volle Jahre zumindest halbbeschäftigt war oder ein diesem Beschäftigungsausmaß entsprechendes Einkommen erzielt hat, wobei Schutzfristen gemäß den §§3 und 5 des Mutterschutzgesetzes 1979 (MSchG), BGBl. Nr. 221/1979, oder gleichartigen österreichischen Rechtsvorschriften sowie Kindererziehungszeiten während eines Karenzurlaubes gemäß den §§15 ff. MSchG, §§2 ff. des Eltern-Karenzurlaubsgesetzes (EKUG), BGBl. Nr. 651/1989, oder gleichartigen österreichischen Rechtsvorschriften im vollen Ausmaß zu berücksichtigen sind,
5. in den letzten vier Jahren vor Gewährung des Studienabschluss-Stipendiums keine Studienbeihilfe bezogen hat,
6. ab Gewährung des Studienabschluss-Stipendiums jede Berufstätigkeit aufgibt,
7. bisher noch kein Studienabschluss-Stipendium erhalten hat.
(4) Weist der Studierende nicht innerhalb von sechs Monaten nach der letzten Auszahlung eines Studienabschluss-Stipendiums den Abschluss des geförderten Studiums nach, hat die Studienbeihilfenbehörde den ausbezahlten Betrag mit Bescheid zurückzufordern. Die Nachweisfrist verlängert sich bei Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 19 Abs 2. § 51 Abs 3 Z 2 ist sinngemäß anzuwenden. Erzielt ein Studierender neben dem Bezug eines Studienabschluss-Stipendiums Einkommen aus Berufstätigkeit, hat die Studienbeihilfenbehörde für den jeweiligen Monat das Studienabschluss-Stipendium mit Bescheid zurückzufordern.
(5) Gegen einen Bescheid, mit dem die Rückforderung ausgesprochen wurde, ist eine Vorstellung gemäß § 42 zulässig. Über Berufungen gegen Bescheide des Senates entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern.
(6) ..."
5.2. Die Möglichkeit der Erlangung eines Studienabschluss-Stipendiums gemäß § 52b StudFG wurde mit BGBl. I 23/1999 (im Rahmen des III. Hauptstückes "Sonstige Studienförderungsmaßnahmen") in das StudFG eingefügt. Voraussetzung der Zuerkennung war (unter anderem), dass der Studierende ab Zuerkennung des Studienabschluss-Stipendiums jede Berufstätigkeit aufgibt. In den Materialien (RV 1442 BlgNR 20. GP) findet sich - auszugsweise - folgende Erläuterung dazu:
"Einem besonderen Problem steht die Studienförderung bei jenen Personen gegenüber, welche einen Teil ihres Studiums während der Berufstätigkeit absolviert haben und dann zwecks Konzentration auf das Studium diese Berufstätigkeit aufgeben wollen. In den meisten Fällen ist hier eine Studienförderung nicht möglich, weil die Anspruchsdauer meist schon weit überschritten und ein Verlust des Anspruches auf Studienbeihilfe eingetreten ist.
Berufstätigkeit als wichtigen Grund für die Studienzeitüberschreitung zu akzeptieren, würde eine völlige Veränderung des Studienförderungssystems bewirken. Es wäre nicht mehr möglich, die Einhaltung der Anspruchsdauer und damit ein wesentliches Element des Studienerfolges genau zu definieren.
Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass ältere berufstätige Studierende meistens ein hohes Niveau an Fixkosten haben, das nach Aufgabe der Berufstätigkeit durch die Studienförderung im üblichen Rahmen kaum mehr abdeckbar ist.
Um diesem auch durch die gewandelten gesellschaftlichen Entwicklungen herbeigeführten Zustand im Sozialbereich angemessen zu begegnen, wird eine neue Form der Studienförderung für ehemals berufstätige Studierende eingeführt. Dabei wird auf die bisherige Studienlaufbahn - sowohl hinsichtlich der Dauer als auch allfälliger Studienwechsel - kein Gewicht mehr gelegt. Entscheidend ist lediglich der Umstand, dass sich ein Studierender nach mehrjähriger voller Berufstätigkeit parallel zum Studium entschließt, die Berufstätigkeit vorübergehend aufzugeben und sich in der Studienabschlussphase intensiv dem Studium zu widmen. Als Motivation dient ein erheblich höheres Stipendium, das bis zum Studienabschluss, längstens jedoch durch zwölf Monate ausbezahlt wird und dessen Beginn vom Studierenden selbst bestimmt werden kann. Die Höhe des Studienabschlussstipendiums entspricht dem Nettoeinkommen vollbeschäftigter Maturanten nach mehreren Berufsjahren.
Die Wahrscheinlichkeit des Studienabschlusses innerhalb des Förderungszeitraumes wird dadurch als Voraussetzung festgelegt, dass dem Studierenden außer der Diplomarbeit nur mehr wenige Prüfungen zum Studienabschluss fehlen dürfen. Außerdem wird eine Rückzahlungsbestimmung eingeführt, die aus Billigkeitsgründen jedoch über den Zeitraum der Zuerkennung des Studienabschlussstipendiums hinausreicht."
5.3. Mit BGBl. I 76/2000 wurde § 52b StudFG zur Gänze neu gefasst. Der hier maßgebliche Abs 4 dieser Bestimmung wurde insofern geändert, als nunmehr eine Rückzahlungsverpflichtung (auch) für den Fall festgelegt wurde, dass der Studierende neben dem Bezug des Studienabschluss-Stipendiums Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Mit BGBl. I 11/2005 wurde Abs 4 dieser Bestimmung erneut novelliert, wobei der hier angefochtene letzte Satz keine Änderung mehr erfuhr.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Bundesregierung bestreitet die Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsantrages nicht. Da der Annahme des UVS, er habe in dem bei ihm anhängigen Berufungsverfahren die angefochtene Bestimmung anzuwenden, nicht entgegenzutreten ist und auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.
2. Der Verfassungsgerichtshof teilt jedoch die im Antrag dargelegten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 52b Abs 4 letzter Satz StudFG nicht.
2.1. Der UVS vertritt auf das Wesentliche zusammengefasst die Auffassung, dass diese Bestimmung - auch im Hinblick auf die abweichende Regelung der Studienbeihilfe nach dem II. Hauptstück des StudFG - deshalb gegen den Gleichheitssatz verstoße, weil sie eine Rückzahlungsverpflichtung bei Einkommen aus Erwerbstätigkeit ohne Rücksicht auf dessen Höhe vorsehe.
2.2. Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (vgl. etwa VfSlg. 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl. zB VfSlg. 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine rechtspolitischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (vgl. etwa VfSlg. 16.176/2001, 16.504/2002). Der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass der rechtspolitische Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Gewährung von Beihilfen generell ein weiter ist (so VfSlg. 8605/1979; vgl. weiters VfSlg. 14.694/1996, 16.542/2002 zu familienpolitischen Maßnahmen).
2.3. Zweck der hier in Rede stehenden Beihilfe ist es, berufstätigen Studierenden den Studienabschluss dadurch zu erleichtern, dass ihnen jene finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die es ihnen erlauben, die Berufstätigkeit vorübergehend aufzugeben und sich voll auf den Studienabschluss zu konzentrieren (vgl. RV 1442 BlgNR 20. GP). Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass der Gesetzgeber in diesem Zeitraum den Anspruch auf das Studienabschluss-Stipendium vom Aufgeben jeder Erwerbstätigkeit abhängig macht und daher eine Rückzahlungsverpflichtung unabhängig von der Höhe des bezogenen Einkommens vorsieht. In der spezifischen Situation kann es einem Studierenden auch zugemutet werden, die Entscheidung zwischen weiterer Erwerbstätigkeit und Stipendienbezug zu treffen.
2.4. Der Gesetzgeber nimmt jedoch andererseits auch keine unsachliche Differenzierung zwischen Beziehern von Studienabschluss-Stipendien nach § 52b StudFG und jenen von Studienbeihilfen nach dem II. Hauptstück des StudFG vor, wenn er die Rückzahlungsverpflichtung nach § 52b leg.cit. anders als jene nach dem II. Hauptstück dieses Gesetzes ohne Rücksicht auf die Höhe des Erwerbseinkommens vorsieht. Im Gegensatz zum Studienabschluss-Stipendium (vgl. dazu die Ausführungen in Punkt 2.3.) knüpft die Studienbeihilfe nach dem II. Hauptstück des StudFG an die Kriterien der sozialen Bedürftigkeit und des günstigen Studienerfolges (§6 StudFG) an und bezweckt, "sozial bedürftigen und leistungswilligen Studierenden nach der Reifeprüfung ein weiteres Studium zu ermöglichen" (RV 580 BlgNR 17. GP). Angesichts der unterschiedlichen Zielsetzungen und Voraussetzungen der beiden staatlichen Fördermaßnahmen und der unterschiedlichen von ihnen erfassten Personenkreise handelt der Gesetzgeber nicht unsachlich, wenn er die Rechtsfolgen der Erzielung von Einkommen aus Erwerbstätigkeit bei den beiden Fallgruppen unterschiedlich regelt.
Im Übrigen ist die Rückzahlungsverpflichtung des § 52b Abs 4 letzter Satz StudFG bloß die logische Konsequenz des Umstandes, dass der Gesetzgeber das Aufgeben "jeder Berufstätigkeit" als Voraussetzung der Zuerkennung eines Studienabschluss-Stipendiums normiert hat (wogegen auch der antragstellende UVS keine Bedenken vorbringt). Eine vergleichbare Voraussetzung fehlt jedoch bei der Studienbeihilfe nach dem II. Hauptstück des StudFG.
2.5. Die Grenzen des rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers sind angesichts dessen im vorliegenden Fall nicht überschritten. Ob eine Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (zB VfSlg. 14.301/1995, 15.980/2000 und 16.814/2003). Der Antrag war deshalb als unbegründet abzuweisen.
III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.