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VfGH vom 14.06.2010, g75/09

VfGH vom 14.06.2010, g75/09

Sammlungsnummer

19096

Leitsatz

Sachliche Rechtfertigung einer Ausnahme für gehbehinderte Personen in Halte- und Parkverboten für die Dauer des Ein- und Aussteigens in der Straßenverkehrsordnung

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (im Folgenden:

UVS) ist eine Maßnahmenbeschwerde gegen die Entfernung eines Fahrzeuges aus einem Halte- und Parkverbot anhängig.

1.2. Dieser liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Beschwerdeführerin vor dem UVS verfügt über einen Ausweis nach § 29b des Bundesgesetzes vom , mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO), (im Folgenden: StVO), BGBl. 159/1960. Am stellte sie ihr Fahrzeug in einem Halte- und Parkverbot ab, um einen Arzttermin wahrzunehmen. Das Fahrzeug wurde kostenpflichtig abgeschleppt. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom wurden der Beschwerdeführerin die Kosten in Höhe von € 199,-- vorgeschrieben. Dagegen wurde eine Maßnahmenbeschwerde an den UVS erhoben.

2.1. Bei Behandlung der Maßnahmenbeschwerde sind beim UVS Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 29b Abs 2 lita StVO entstanden und er stellt daher den

"Antrag auf Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit sowie Aufhebung der Bestimmung des § 29b Abs 2 lita in der Fassung der

6. StVO Novelle, BGBl. Nr. 412/1976, in eventualita [sic!] der litb, der StVO 1960, wegen Verfassungswidrigkeit gemäß Art 129a Abs 3 B-VG".

2.2. Der UVS begründet seinen Antrag folgendermaßen:

§ 29b Abs 2 lita StVO verstoße gegen den "Gleichheitsgrundsatz". Nach dieser (Ausnahme-)Bestimmung sei es Inhabern eines Ausweises nach § 29b Abs 1 StVO erlaubt, im Halte- und Parkverbot für die Dauer des Ein- und Aussteigens bzw. des Ein- und Ausladens eines Gehbehelfes ein Fahrzeug abzustellen. Diese Ausnahme vom Halte- und Parkverbot komme aber nur solchen Personen zu Gute, die von jemandem begleitet werden, der anschließend das Fahrzeug entfernt. Inhaber eines Ausweises nach § 29b Abs 1 StVO, die alleine ihr Fahrzeug fahren, könnten jedoch von dieser Ausnahmebestimmung keinen Gebrauch machen und seien daher gegenüber jenen Personen, die in Begleitung sind, benachteiligt. Dies verstoße gegen das "Gleichheitsgebot" und das "Gebot der verfassungsmäßigen Determination". Die Bestimmung sei daher als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie zunächst die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung in Frage stellt und die Zurückweisung des Antrages beantragt.

In der Sache bringt die Bundesregierung vor, die angefochtene Bestimmung sei sachlich gerechtfertigt. Die Ausnahmebestimmung des § 29b Abs 2 lita StVO ermögliche es, bestimmten Personen ihr Fahrzeug in einem Halte- und Parkverbot für eine bestimmte Dauer abzustellen. Die Tatsache, dass dieses Fahrzeug wieder entfernt werden müsse, sei gerechtfertigt, weil der Gesetzgeber es für notwendig erachtet habe, die betreffenden Straßenstellen [durch Halte- und Parkverbote] freizuhalten. Das allgemeine Sicherheitsinteresse würde das Interesse von dauernd stark gehbehinderten Personen, auch im Halte- und Parkverbot ihr Fahrzeug dauerhaft abstellen zu können, überwiegen. Daher sei die angefochtene Bestimmung nicht verfassungswidrig und der Antrag des UVS abzuweisen.

II. § 29b StVO idF BGBl. I 52/2005 lautet:

"Gehbehinderte Personen

§29b. (1) Die Behörde hat Personen, die dauernd stark gehbehindert sind, auf deren Ansuchen einen Ausweis über diesen Umstand auszufolgen. Inhalt und Form des Ausweises hat der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie durch Verordnung zu bestimmen. Bei Wegfall der dauernd starken Gehbehinderung ist der Ausweis vom Inhaber der ausstellenden Behörde unverzüglich abzuliefern; kommt der Inhaber dieser Verpflichtung nicht nach, so hat die Behörde den Ausweis zu entziehen.

(2) Inhaber eines Ausweises gemäß Abs 1 dürfen

a)auf Straßenstellen, für die durch das Straßenverkehrszeichen 'Halten und Parken verboten' ein Halte- und Parkverbot kundgemacht ist,

b)entgegen der Vorschrift des § 23 Abs 2 über das Abstellen eines Fahrzeuges am Rand der Fahrbahn mit dem von ihnen selbst gelenkten Fahrzeug oder mit einem Fahrzeug, das sie als Mitfahrer benützen, zum Aus- oder Einsteigen einschließlich des Aus- oder Einladens der für den Ausweisinhaber nötigen Behelfe (wie etwa ein Rollstuhl u. dgl.) für die Dauer dieser Tätigkeiten halten.

(3) Ferner dürfen Inhaber eines Ausweises gemäß Abs 1 das von ihnen selbst gelenkte Fahrzeug oder Lenker von Fahrzeugen in der Zeit, in der sie einen Inhaber eines Ausweises gemäß Abs 1 befördern,

a)auf Straßenstellen, für die durch das Straßenverkehrszeichen 'Parken verboten' ein Parkverbot kundgemacht ist,

b)in einer Kurzparkzone ohne zeitliche Beschränkung,

c)auf Straßen, für die ein Parkverbot, das gemäß § 44 Abs 4 kundzumachen ist, erlassen worden ist, und

d)in einer Fußgängerzone während der Zeit, in der eine Ladetätigkeit vorgenommen werden darf,

parken.

(4)-(5)..."

III. 1. Zur Zulässigkeit:

1.1. Der UVS hat bei Behandlung der Maßnahmenbeschwerde die angefochtene Bestimmung anzuwenden.

Zwar beantragt der UVS ausdrücklich nur die Aufhebung des § 29b Abs 2 lita StVO idF der 6. StVO Novelle, BGBl. 412/1976, mit welcher Novelle die angefochtene Norm in die StVO eingefügt wurde. Aus dem Antrag ergibt sich jedoch, dass die Bestimmung in ihrer geltenden Fassung angefochten wird.

Der Antrag ist daher zulässig.

1.2. Da bereits der Hauptantrag zulässig ist, ist auf den Eventualantrag nicht mehr einzugehen.

2. In der Sache:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg. 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg. 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

Der UVS erachtet § 29b Abs 2 lita StVO als verfassungswidrig, weil diese Bestimmung gegen das Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG bzw. Art 2 StGG) verstoße. Darüber hinaus sei die Bestimmung nicht ausreichend determiniert.

2.2. Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (s. etwa VfSlg. 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl. zB VfSlg. 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s. etwa 16.176/2001, 16.504/2002). Diese Schranken sind im vorliegenden Fall nicht überschritten. Ob eine Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (zB VfSlg. 14.301/1995, 15.980/2000 und 16.814/2003).

Für die angefochtene Regelung besteht eine sachliche Rechtfertigung. § 29b Abs 2 lita StVO soll nämlich für den dort umschriebenen Personenkreis in Halte- und Parkverboten nicht generell das Halten und Parken ermöglichen, sondern nur für eine gewisse - eng begrenzte - Zeitspanne das Halten ermöglichen, setzt aber voraus, dass das Fahrzeug nach kurzer Zeit wieder entfernt wird ("für die Dauer des Ein- und Aussteigens ...").

Hinzu kommt, dass ein Halte- und Parkverbot nur bei Vorliegen der in der StVO festgelegten Voraussetzungen erlassen werden darf und dies aus bestimmten (Sicherheits-)Überlegungen geschieht. Das allgemeine Interesse an solchen Sicherheitsmaßnahmen überwiegt jedoch das Interesse von stark gehbehinderten Personen, von der Ausnahmeregelung des § 29b Abs 2 lita StVO auch dann Gebrauch zu machen, wenn sie nicht in Begleitung einer Person sind, die das Fahrzeug wieder aus dem Halte- und Parkverbot entfernen kann.

Es ist der Bundesregierung nämlich insofern beizupflichten, als der Gesetzgeber durch ein Halte- und Parkverbot zum Ausdruck bringt, dass er es für notwendig erachtet, die betreffende Straßenstelle von Fahrzeugen freizuhalten. Eine Ausnahmebestimmung für stark gehbehinderte Personen kann daher nicht so verstanden werden, dass auch im Bereich eines Halteverbots für diesen Personenkreis das Parken erlaubt ist.

Fälle, in denen Inhaber eines Ausweises gemäß § 29b Abs 1 StVO nicht begleitet werden (und daher das Fahrzeug nicht entfernt werden kann), werden durch § 29b Abs 3 StVO berücksichtigt. Diese Bestimmung erlaubt es nämlich Inhabern eines Ausweises nach Abs 1 leg. cit. ihr Fahrzeug in Parkverboten abzustellen (vgl. Pürstl, StVO12, 2007, 561 f.).

2.3. Der Antrag ist daher abzuweisen.

IV. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.