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VfGH vom 05.10.1989, g70/89

VfGH vom 05.10.1989, g70/89

Sammlungsnummer

12185

Leitsatz

Aufhebung des § 150 RDG wegen fehlender Bestimmtheit der Ermächtigung an das Disziplinargericht zur Kürzung der Bezüge des suspendierten Richters

Spruch

§ 150 des Richterdienstgesetzes, BGBl. Nr. 305/1961, in der Fassung des Artikels I Z 6 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 292/1978, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Vorschriften treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter stellte unter Berufung auf Art 140 Abs 1 B-VG iVm Art 89 Abs 2 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, § 150 Richterdienstgesetz - RDG, BGBl. 305/1961 idF des Bundesgesetzes BGBl. 292/1978, zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben. Anlaß dieses Antrages war die vom Obersten Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter mit Beschluß vom unter Berufung auf § 146 RDG verfügte Suspendierung des Präsidenten des -gerichtes, Dr. K D, vom Dienst. In diesem Beschluß wurde auch ausgesprochen, daß die Entscheidung über eine Minderung der Bezüge für die Dauer der Suspendierung (§150 RDG) bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über den Antrag auf Aufhebung des § 150 RDG vorbehalten bleibe.

2. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des RDG idF des Bundesgesetzes BGBl. 292/1978 haben folgenden Wortlaut:

"§146. Das Disziplinargericht kann ohne mündliche Verhandlung die Suspendierung des Beschuldigten vom Dienst verfügen, wenn dies mit Rücksicht auf die Natur oder Schwere der ihm zur Last gelegten Pflichtverletzung im dienstlichen Interesse liegt oder zur Wahrung des Standesansehens erforderlich erscheint."

"§150. Durch Beschluß des Disziplinargerichtes können die Bezüge des Richters mit Ausnahme der Haushaltszulage für die Dauer der Suspendierung bis auf zwei Drittel gemindert werden."

3. Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter hat seine Bedenken gegen § 150 RDG wie folgt dargelegt:

"Die aus Anlaß der Suspendierung verfügte Bezugskürzung stellt jedenfalls für die Dauer der Suspendierung eine Einschränkung des Anspruches des Richters auf den im vorhinein auszuzahlenden Monatsbezug (§3 Abs 1 iVm § 7 Abs 1 des Gehaltsgesetzes 1956) dar und ist somit ein Eingriff in dem Richter zustehende Rechte. Die Voraussetzungen, unter denen das Disziplinargericht diesen Eingriff in Rechte des Richters zu verfügen ermächtigt ist, sind im Richterdienstgesetz nicht einmal andeutungsweise umschrieben. Soweit in der angefochtenen Bestimmung eine Regelung erblickt werden könnte, durch die das Disziplinargericht zur Ermessensübung ermächtigt ist, fehlt im Gesetz jeglicher Anhaltspunkt dafür, in welchem Sinne das Disziplinargericht von dem ihm eingeräumten Ermessen Gebrauch zu machen hat. Nach Auffassung des erkennenden Senates ist der für die Ermessensübung maßgebende Sinn des Gesetzes nicht erkennbar und auch nicht auf Grund irgendwelcher anderer gesetzlicher Bestimmungen erschließbar. Das völlige Schweigen des Gesetzgebers hinsichtlich der Voraussetzung für die Bezugskürzung bzw hinsichtlich des für eine Ermessensübung maßgebenden Sinnes des Gesetzes gestattet es aber auch nicht, von irgendwelchen mehr oder weniger willkürlich gewählten Gesichtspunkten auszugehen und die vom Gesetzgeber offen gelassene Determinierung im Einzelfall vorzunehmen. Aus diesem Grunde kann auch eine im öffentlichen Recht ohnehin problematische Analogie zu Bestimmungen des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (§1155 ABGB) nicht in Betracht gezogen werden.

Nach Art 18 Abs 1 B-VG darf 'die gesamte staatliche Verwaltung' nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden. Damit ist - als wesentliches Element des rechtsstaatlichen Prinzips - die Bindung der gesamten Vollziehung (Verwaltung und Gerichtsbarkeit) an das Gesetz angeordnet; daß das Legalitätsprinzip auch für die Gerichtsbarkeit gilt, kann nicht ernstlich bestritten werden (so Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts6, Rz 569, 572). Danach ist es aber dem Gesetzgeber verwehrt, Gerichte und Verwaltungsbehörden zu einem Handeln zu ermächtigen, das durch das Gesetz inhaltlich nicht hinreichend vorausbestimmt ist. Die Norm, die einen Eingriff in die dem Beamten bzw Richter zustehenden Rechte begründet, muß demnach nach Inhalt, Gegenstand und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sein, so daß die Last des Eingriffes meßbar und für den Verpflichteten voraussehbar und berechenbar wird. In § 150 RDG sind nun weder die sachlichen Voraussetzungen, wann und ob überhaupt eine Kürzung des Monatsbezuges zu verfügen ist, (etwa nur im Falle der voraussichtlichen Verhängung der Disziplinarstrafe der Versetzung in den Ruhestand bzw der Entlassung) geregelt, noch werden allgemeine Bestimmungskriterien (zB Alimentationsgrundsatz, Bedürftigkeit, wirtschaftliche Verhältnisse des Richters) aufgestellt, die als Richtschnur für die Kürzung des Monatsbezuges dienen können. Lediglich das Mindestausmaß, das dem Richter zu belassen ist (zwei Drittel des Monatsbezuges) ist bestimmt. Dieser vom Gesetzgeber völlig ungeregelte Freiheitsraum für das im Einzelfall zur Entscheidung berufene Disziplinargericht ist mit dem Legalitätsprinzip des Art 18 Abs 1 B-VG nicht vereinbar.

Der Oberste Gerichtshof ist demnach aus den dargelegten Gründen der Meinung, daß die Bestimmung des § 150 RDG dem Determinierungsgebot des Art 18 Abs 1 B-VG widerspricht. Abschließend sei darauf verwiesen, daß der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , G13/86, ausgesprochen hat, daß die § 150 RDG inhaltlich gleiche Bestimmung des § 112 Abs 2 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes, BGBl. 1979/333 verfassungswidrig war. Mit dem Erkenntnis vom , G88/86, wurde die Bestimmung des § 112 Abs 4 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes, BGBl. 1979/333 idF des ArtI Z 10 des Bundesgesetzes BGBl. 1983/137 als verfassungswidrig aufgehoben. Der Verfassungsgerichtshof gelangte zum Ergebnis, daß die vorgenannten Bestimmungen, welche eine Ermächtigung an die zuständige Behörde enthielten, daß anläßlich der Suspendierung die Kürzung des Monatsbezuges - unter Ausschluß der Haushaltszulage - bis auf zwei Drittel verfügt werden könne, in Widerspruch zum Bestimmtheitsgebot des Art 18 Abs 1 B-VG steht."

4. Die Bundesregierung teilte mit, "im Hinblick auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 11.035/1986 und VfSlg. 11.149/1986 sowie das Erkenntnis vom , G165/86" von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen. Für den Fall der Aufhebung des § 150 RDG beantragte die Bundesregierung, für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hegt keine Zweifel, daß der Oberste Gerichtshof auch als Disziplinargericht für Richter als "Gericht" iS des Art 89 Abs 2 und des Art 140 Abs 1 B-VG anzusehen ist (vgl. etwa zur Gerichtseigenschaft des beim Obersten Gerichtshof eingerichteten Disziplinarsenates für Notare VfSlg. 7938/1976).

Da ferner im verfassungsgerichtlichen Verfahren nichts hervorgekommen ist, was Anlaß geben könnte, daran zu zweifeln, daß der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter die bekämpfte Bestimmung in dem bei ihm anhängigen Verfahren anzuwenden hat und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. § 150 RDG idF des Bundesgesetzes BGBl. 292/1978 enthält die gleiche Ermächtigung an das zuständige Disziplinargericht zur Kürzung des Monatsbezuges - unter Ausschluß der Haushaltszulage - aus Anlaß der Suspendierung, wie sie § 112 Abs 2 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. 333, der zuständigen Disziplinarbehörde eingeräumt hatte. Daß § 112 Abs 2 dieses Gesetzes verfassungswidrig war, hat der Verfassungsgerichtshof mit ausführlicher Begründung bereits im Erkenntnis VfSlg. 11.035/1986 festgestellt (vgl. weiters VfSlg. 11.149/1986, 11.271/1987).

Da somit auch § 150 RDG aus den im Erkenntnis VfSlg. 11.035/1986 dargelegten Gründen nur die unbestimmte Ermächtigung an das zuständige Disziplinargericht enthält, eine Kürzung der Bezüge des suspendierten Richters bis auf zwei Drittel zu verfügen, widerspricht diese Vorschrift dem aus dem rechtsstaatlichen Prinzip für die Vollziehung ganz allgemein ableitbaren Bestimmtheitsgebot, wie es Art 18 Abs 1 B-VG für die Verwaltung ausdrücklich festlegt.

§ 150 RDG idF des Bundesgesetzes BGBl. 292/1978 war daher als verfassungswidrig aufzuheben.

Die anderen Aussprüche des Verfassungsgerichtshofes beruhen auf Art 140 Abs 5 und 6 B-VG. Im Hinblick darauf, daß die Verfassungswidrigkeit der aufgehobenen Bestimmung seit der Fällung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 11.035/1986 und 11.149/1986 offenkundig ist, sieht der Verfassungsgerichtshof keine Veranlassung, für das Außerkrafttreten dieser Bestimmung iS des Art 140 Abs 5 B-VG die Höchstfrist von einem Jahr zu bestimmen, zumal für den Bereich des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 durch das Bundesgesetz BGBl. 237/1987 eine entsprechende Neuregelung bereits getroffen wurde.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VerfGG 1953 abgesehen werden.