VfGH vom 28.06.1991, g7/91
Sammlungsnummer
12788
Leitsatz
Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung im AlVG wegen mangelnder Bestimmtheit der Behördenzuständigkeit
Spruch
§ 56 Abs 3 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977, BGBl. Nr. 609, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 61/1983, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
Frühere Vorschriften treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Die aufgehobene Bestimmung ist auch auf jene Sachverhalte nicht mehr anzuwenden, die den vom Verwaltungsgerichtshof zu G233, 234, 238, 239, 243, 244 und 246/91 gestellten Anträgen zugrundeliegen.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Gegen Bescheide des Arbeitsamtes in Angelegenheiten des Arbeitslosengeldes ist gemäß § 56 Abs 1 ArbeitslosenversicherungsG 1977 (AlVG) die Berufung an das Landesarbeitsamt zulässig; Abs 3 bestimmt dazu in der Fassung der Novelle BGBl. 61/1983:
"Das Landesarbeitsamt trifft die Entscheidung in einem Unterausschuß des zuständigen Verwaltungsausschusses."
Was die Einrichtung der Verwaltungsausschüsse betrifft, verweist § 76 Abs 1 AlVG (idF BGBl. 61/1983) auf ein eigenes Bundesgesetz. Als solches kommt das ArbeitsmarktförderungsG (AMFG), BGBl. Nr. 31/1969 (idF BGBl. 61/1983) in Betracht. Nach dessen § 44 Abs 1 wird bei jedem Landesarbeitsamt ein Verwaltungsausschuß errichtet, der nach Abs 2 in allen arbeitsmarktpolitischen Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung im Wirkungsbereich des Landesarbeitsamtes und in Fällen, wo dies gesetzliche Vorschriften vorsehen, anzuhören ist. Mitglieder sind nach § 44 Abs 3 AMFG höchstens je sechs Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter. Die Zahl der Mitglieder bestimmt der Bundesminister für Arbeit und Soziales für jedes Landesarbeitsamt nach der Größe und den besonderen Erfordernissen des Amtsbereichs nach Anhörung des Beirates für Arbeitsmarktpolitik. Bestellungsvorschläge erstatten die Kammer der gewerblichen Wirtschaft und die Kammer für Arbeiter und Angestellte.
Von Unterausschüssen spricht das AMFG nicht. § 44 Abs 7 erklärt allerdings Vorschriften betreffend den beim Bundesminister eingerichteten Beirat für Arbeitsmarktpolitik auf die Verwaltungsausschüsse für anwendbar, darunter auch den (durch BGBl. 61/1983 eingefügten) § 42a, wonach zur Behandlung bestimmter Aufgaben Ausschüsse eingesetzt werden können und ihnen die Erledigung bestimmter Aufgaben übertragen werden kann (Abs1), anläßlich der Einsetzung bestimmt werden kann, daß solchen Ausschüssen neben Beiratsmitgliedern auch andere Personen angehören (für deren Ausschußtätigkeit dann die Vorschriften für Beiratsmitglieder sinngemäß gelten; Abs 2), und Bestimmungen über den Vorsitz und Beschlußerfordernisse festzulegen sind (Abs6).
Gegen diesen Regelungskomplex wenden sich die vorliegenden Anträge.
1. Der Verwaltungsgerichtshof hat über eine Reihe von Beschwerden gegen Bescheide von Landesarbeitsämtern in Angelegenheiten des Arbeitslosengeldes zu entscheiden, erachtet dabei unter dem Gesichtspunkt der Zuständigkeit der belangten Behörde unter anderem § 56 Abs 3 AlVG anwenden zu müssen und hegt gegen diese Bestimmung - ausgehend von den Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes in VfSlg. 10.311/1984 (S. 846 letzter Absatz) - das Bedenken, daß sie den aus Art 18 Abs 2 iVm Art 83 Abs 2 abzuleitenden Anforderungen für eine Regelung der Behördenzuständigkeit durch den Gesetzgeber nicht entspricht, weil sie die Entscheidung einem "Unterausschuß des zuständigen Verwaltungsausschusses" überträgt, der weder im AlVG noch in einer anderen gesetzlichen Vorschrift näher festgelegt ist. Auch aus dem AMFG ergebe sich nicht,
"... welcher der vom Verwaltungsausschuß eingesetzten Ausschüsse zur Entscheidung nach § 56 Abs 3 AlVG berufen bzw. was rechtens ist, wenn der Verwaltungsausschuß von seiner Ermächtigung, Ausschüsse einzusetzen, keinen Gebrauch gemacht hat. Selbst wenn aber § 44 Abs 7 in Verbindung mit § 42a Abs 1 AMFG auf Grund der verpflichtenden Anordnung des § 56 Abs 3 AlVG berichtigend dahin ausgelegt werden müßte, daß vom Verwaltungsausschuß zur Entscheidung über Rechtsmittel gegen Bescheide des Arbeitsamtes in Angelegenheiten des Arbeitslosengeldes ein eigener Unterausschuß einzusetzen sei (es also nicht im Ermessen des Verwaltungsausschusses stehe, einen solchen Ausschuß einzusetzen oder einen schon bestehenden mit diesen Agenden zu betrauen), fehlte jede gesetzliche Regelung darüber, wie viele Mitglieder dieser Unterausschuß (mindestens oder höchstens) haben muß, aus welchen Personen er besteht bzw. zusammenzusetzen ist und welchen Beschlußerfordernissen (z.B. hinsichtlich des Anwesenheitsquorums) er unterliegt: Da es sich um einen Unterausschuß des Verwaltungsausschusses handelt, scheidet eine Identität mit dem Verwaltungsausschuß selbst (dessen Zusammensetzung im übrigen auch nicht durch das Gesetz fixiert ist) aus. Über die Zahl der Mitglieder des Unterausschusses schweigt das Gesetz völlig. Für die Zusammensetzung gibt es zwar eine Teilregelung; nach § 44 Abs 7 in Verbindung mit § 42a Abs 2 AMFG kann nämlich der Verwaltungsausschuß anläßlich der Einsetzung bestimmen, daß dem Unterausschuß neben Mitgliedern des Verwaltungsausschusses auch andere Personen angehören. Damit wird aber der Kreis der Personen, die Mitglieder des Unterausschusses sein können, noch über den Kreis der Mitglieder des Verwaltungsausschusses hinaus erweitert, ohne daß irgendwelche Kriterien festgelegt werden, nach denen diese Personen zu bestimmen sind. Nach § 44 Abs 7 in Verbindung mit § 42a Abs 6 AMFG schließlich hat zwar der Verwaltungsausschuß anläßlich der Einsetzung eines Unterausschusses unter anderem Bestimmungen über Beschlußerfordernisse festzulegen, aber auch diesbezüglich fehlt jede inhaltliche Vorbestimmtheit dieser Erfordernisse durch das Gesetz. Das Gesetz ermächtigt somit den Verwaltungsausschuß zur Bestimmung der zur Entscheidung über Rechtsmittel gegen Bescheide des Arbeitsamtes zuständigen Behörde, ohne in den genannten wesentlichen Punkten bindende Grundsätze vorzusehen."
Aus dem Blickwinkel der Anlaßfälle genüge indessen die Aufhebung des § 56 Abs 3 AlVG, während eine Aufhebung von Bestimmungen des AMFG weiterreichende Folgen für die fakultativ einsetzbaren Ausschüsse hätte. Sollte der Verfassungsgerichtshof jedoch der Auffassung sein, "daß die Norm des § 56 Abs 3 AlVG als solche verfassungsrechtlich unbedenklich sei und sich ihre Verfassungswidrigkeit erst aus dem Zusammenhalt mit den genannten Bestimmungen des AMFG ergebe," so wird für diesen Fall der Antrag gestellt, § 56 Abs 3 AlVG sowie die Wendung ", § 42a Abs 1, 2 und 6" in § 44 Abs 7 AMFG als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Die Bundesregierung hat unter Hinweis auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs VfSlg. 3994/1961, 5698/1968, 7837/1976 und 10.311/1984 von einer meritorischen Äußerung abgesehen und sich damit begnügt zu beantragen, für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen.
Das Landesarbeitsamt Oberösterreich, das als belangte Behörde einiger Anlaßfälle im verfassungsgerichtlichen Verfahren beteiligt wurde, hat eine Äußerung erstattet, in der es den Bedenken des Verwaltungsgerichtshofs mit dem Hinweis auf die vom Bundesminister für Arbeit und Soziales erlassene Geschäftsordnung entgegentritt.
II. Die Gesetzesprüfungsverfahren sind zulässig.
Es ist nichts hervorgekommen, was gegen die Zulässigkeit der Anträge spräche. Auch wenn die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 56 Abs 3 AlVG sich schon nach dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofs erst aus dem Zusammenhang dieser Bestimmung mit den einschlägigen Vorschriften des AMFG ergeben, reicht doch offenkundig eine Beseitigung der Entscheidungskompetenz des Unterausschusses in Angelegenheiten des Arbeitslosengeldes aus, um eine Beurteilung der Anlaßbeschwerden aufgrund einer unter diesem Blickwinkel verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtslage zu ermöglichen. Der Verfassungsgerichtshof hätte sich daher jedenfalls auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 56 Abs 3 AlVG zu beschränken. Der Antrag ist also nicht etwa zu eng und eine Behandlung des Eventualantrages kommt nicht in Betracht.
III. Die Anträge sind auch begründet. § 56 Abs 3 AlVG widerspricht dem Gebot präziser Regelung der Behördenzuständigkeit im Sinne der Art 18 Abs 2 und 83 Abs 2 B-VG.
In dem vom Verwaltungsgerichtshof angezogenen Erkenntnis VfSlg. 10.311/1984 zu den Wiener Gemeinderatsausschüssen hat der Verfassungsgerichtshof - seine bisherige Rechtsprechung zusammenfassend - dargelegt, daß die sachliche Zuständigkeit einer Behörde im Gesetz selbst festgelegt sein muß und der Gesetzgeber durch Art 18 iVm Art 83 Abs 2 B-VG zu einer - strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden - präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit verpflichtet ist. Mit diesem Erkenntnis wurde § 133 der Wiener Bauordnung als verfassungswidrig aufgehoben, weil diese Gesetzesstelle die Erteilung der Baubewilligung für Bauführungen der Stadt Wien einem Gemeinderatsausschuß überantwortet hatte, über den weder in der Bauordnung noch in einer anderen gesetzlichen Vorschrift Näheres festgelegt, sondern bloß bestimmt war, daß er vom Gemeinderat zu wählen ist, wodurch dieser in Form einer undeterminierten materiellen Verweisung (Delegation) zur konkreten Bestimmung der kompetenten Behörde ermächtigt wurde. Daran ändere nichts, daß der Bürgermeister in der Geschäftsordnung und Geschäftseinteilung für den Magistrat auf die gesetzlich festgelegte Organisation der Gemeindeverwaltung Bedacht zu nehmen und die Erfordernisse eines geordneten Amtsbetriebes zu berücksichtigen habe.
Den ohne weiteres auf den vorliegenden Fall übertragbaren Ausführungen des Erkenntnisses VfSlg. 10.311/1984 hat der Verfassungsgerichtshof nichts hinzuzufügen. Den Einwand des Landesarbeitsamtes Oberösterreich, die Geschäftsordnung enthalte die nötigen Bestimmungen, hat der Antrag des Verwaltungsgerichtshofs schon vorweg und zutreffend mit dem Hinweis erledigt, daß die fehlende gesetzliche Regelung nicht durch einen undeterminierten Akt der Verwaltung ersetzt werden kann.
Den Anträgen des Verwaltungsgerichtshofs ist daher Folge zu geben. Die Frist für das Außerkrafttreten und die Verpflichtung zur Kundmachung stützen sich auf Art 140 Abs 5, der Ausschluß des Wiederinkrafttretens früherer Vorschriften auf Art 140 Abs 6 B-VG. Der Ausspruch über die Nichtanwendung auf näher bestimmte Sachverhalte (Art140 Abs 7) war geboten, weil Anträge des Verwaltungsgerichtshofes einlangten, die in das Prüfungsverfahren nicht mehr einbezogen werden konnten.
Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Gerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs 4 VerfGG).