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VfGH vom 28.09.1988, G69/88

VfGH vom 28.09.1988, G69/88

Sammlungsnummer

11826

Leitsatz

Art140 Abs 1 B-VG; Präjudizialität jener Vorschriften, nach deren Aufhebung eine Rechtslage besteht, auf die die geäußerten Bedenken nicht (mehr) zutreffen; Beschränkung der Prüfung (der Aufhebung) auf den geringsten Umfang

Art6 MRK; § 1 JN; OÖ JagdG; zur Entscheidung über - dem Kernbereich der "civil rights" angehörende - Ansprüche auf den Ersatz von Jagd- und Wildschäden sind nach Aufhebung des § 70 Abs 2 und Abs 3 ÖO JagdG aus den in VfSlg. 11591/1987 und 11646/1988 genannten Gründen, die ordentlichen Gerichte zuständig

Spruch

1. § 70 Abs 2 und 3 des Gesetzes vom , LGBl. für OÖ Nr. 32/1964, über die Regelung des Jagdwesens (O.ö. Jagdgesetz) (zuletzt geändert durch die Nov. LGBl. Nr. 13/1988) wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Die aufgehobenen Gesetzesbestimmungen sind auch auf jenen Tatbestand nicht mehr anzuwenden, der der beim VfGH zu G206/88 anhängigen Rechtssache zugrunde liegt.

Der Landeshauptmann von Oberösterreich ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

2. Im übrigen werden die von amtswegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt und die Gesetzesprüfungsanträge des VwGH zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. A.1. Beim VfGH sind zu B67/87, B68/87 und B317/87 Beschwerden nach Art 144 B-VG anhängig, die sich gegen im Instanzenzug ergangene Bescheide der Bezirkshauptmannschaften Kirchdorf a.d. Krems und Steyr-Land wenden. Mit diesen Bescheiden war über die Berufungen gegen Bescheide der jeweils örtlich zuständigen Jagd- und Wildschadenskommissionen abgesprochen worden. Den Bf. wurde Schadenersatz für an ihren landwirtschaftlichen Kulturen entstandenen Wildschaden überhaupt nicht oder nicht in der von ihnen begehrten Höhe zugesprochen.

2. Aus Anlaß dieser Beschwerden beschloß der VfGH, gemäß Art 140 Abs 1 B-VG die Verfassungsmäßigkeit des § 70 Abs 2 und 3, des § 71 und des § 77 Abs 1 des O.ö. Jagdgesetzes, LGBl. 32/1964, von amtswegen zu prüfen (hg. Zlen. G 117 bis 119/88).

a) Die hier in erster Linie in Betracht zu ziehenden Bestimmungen des O.ö. JagdG lauten:

"§65.

Haftung für Jagd- und Wildschäden.

(1) Soweit nicht besondere Vereinbarungen getroffen werden, hat der Jagdausübungsberechtigte allen entstandenen Jagdund Wildschaden in dem in diesem Gesetze bestimmten Ausmaß zu ersetzen.

(2) . . . . .

§70.

Jagd- und Wildschadenskommission.

(1) Ansprüche aus besonderen Vereinbarungen (§65 Abs 1) sind im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen.

(2) Über andere Ansprüche auf Ersatz von Jagd- und Wildschäden entscheidet, sofern ein Übereinkommen zwischen dem Geschädigten und dem Jagdausübungsberechtigten nicht zustande kommt, die beim Gemeindeamt einzurichtende Jagd- und Wildschadenskommission, im folgenden kurz Kommission genannt. Der örtliche Wirkungsbereich der Kommission erstreckt sich auf das Jagdgebiet. Jedoch kann auch für mehrere genossenschaftliche Jagdgebiete innerhalb einer Gemeinde eine gemeinsame Kommission gebildet werden.

(3) Die Kommission besteht aus dem Obmann und zwei weiteren Mitgliedern. Ein Organ der Ortsgemeinde hat als Schriftführer zu fungieren.

§71.

Bestellung der Kommissionsmitglieder.

(1) Der Obmann und für den Fall seiner Verhinderung ein Obmannstellvertreter sind von der Bezirksverwaltungsbehörde zu bestellen. Der Jagdausschuß und der Jagdausübungsberechtigte haben binnen acht Wochen, gerechnet vom Beginn der Jagdperiode, der Bezirksverwaltungsbehörde einen Vorschlag für den Obmann und den Obmannstellvertreter zu erstatten. Werden vom Jagdausschuß und vom Jagdausübungsberechtigten die selben Personen vorgeschlagen, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde diese Personen zu bestellen. Andernfalls hat die Bezirksverwaltungsbehörde den Obmann und den Obmannstellvertreter nach Anhören des Jagdausschusses und des Bezirksjagdbeirates zu bestellen. Die Bestellung ist ortsüblich kundzumachen.

(2) Gegen die Bestellung des Obmannes steht dem Jagdausschuß und dem Jagdausübungsberechtigten die Berufung zu, sofern seinem Vorschlag bei der Bestellung nicht entsprochen wurde.

(3) Der Obmann ist von der Bezirksverwaltungsbehörde auf die gewissenhafte und unparteiische Erfüllung seiner Obliegenheiten anzugeloben.

(4) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat den Obmann, wenn dieser seine Obliegenheiten nicht in einer dem Gesetz entsprechenden Weise versieht, zu entheben und an dessen Stelle eine andere Person zu bestellen.

(5) Die für den Obmann geltenden Bestimmungen gelten sinngemäß auch für den Obmannstellvertreter.

(6) Als Kommissionsmitglieder dürfen nur unbescholtene und mit den Verhältnissen der Landeskultur vertraute Personen bestellt werden.

(7) Die beiden weiteren Mitglieder sind nach den Bestimmungen des § 74 als Vertrauensmänner der Parteien des Verfahrens von diesen in die Kommission zu entsenden.

. . . . . . .

§76.

Entscheidung der Kommission.

(1) Die Kommission hat zunächst auf Grund des Ermittlungsverfahrens mit Stimmenmehrheit zu entscheiden, ob der Anspruch auf Schadenersatz dem Grunde nach zu Recht besteht.

(2) Hat die Kommission entschieden, daß der Anspruch auf Schadenersatz dem Grunde nach zu Recht besteht, so hat sie die Höhe der Entschädigung festzusetzen. Als Beschluß der Kommission gilt hiebei jenes Votum, dem mindestens zwei Mitglieder beigetreten sind. Kommt eine solche Stimmenmehrheit nicht zustande, so entscheidet der Ausspruch des Obmannes. Hiebei darf jedoch der Obmann das höchste Votum nicht überschreiten und das niedrigste nicht unterschreiten.

(3) Keinem Kommissionsmitglied ist es gestattet, sich bei einer Entscheidung der Stimme zu enthalten.

§77.

Verfahrens- und Durchführungsbestimmungen.

(1) Gegen den Bescheid der Kommission steht die beim Gemeindeamt einzubringende Berufung an die Bezirksverwaltungsbehörde offen. Gegen die Entscheidung der Bezirksverwaltungsbehörde ist ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Die durch Bescheid der Kommission vorgeschriebenen Leistungen können im Verwaltungswege eingebracht werden.

(2) . . . . . ".

b) Der VfGH äußerte gegen die in Prüfung gezogenen landesgesetzlichen Bestimmungen das Bedenken, daß die in Betracht kommenden Vorschriften dem auf Verfassungsstufe stehenden Art 6 MRK widersprechen. Es scheine nämlich, daß Ansprüche auf den Ersatz von Wildschäden zum sogenannten Kernbereich der "civil rights" gehören und die Entscheidung darüber dem Art 6 MRK zufolge "Tribunalen" überantwortet werden müsse (eine Anforderung, der das O.ö. JagdG nicht entsprechen dürfte). Der VfGH meinte (unter Hinweis auf sein Erkenntnis vom G129/87 ua. Zlen.), daß in solchen Fällen die nachprüfende Kontrolle durch den VwGH nicht ausreiche.

Der Gerichtshof ging vorläufig davon aus, daß die vermutete Verfassungswidrigkeit ihren Sitz in den in Prüfung gezogenen landesgesetzlichen Vorschriften habe.

B.1. Beim VwGH sind zu den Zlen. 85/03/0118; 87/03/0072, 0073, 0074; 87/03/0269; 88/03/0012 und 88/03/0177 Verfahren über Beschwerden anhängig, die sich gegen Bescheide oberösterreichischer Bezirkshauptmannschaften richten, mit denen im Instanzenzug über den Ersatz von Wildschäden nach dem O.ö. JagdG auf eine den Begehren der jeweiligen Bf. nicht (voll) entsprechende Weise entschieden wurde.

Aus Anlaß dieser Beschwerden stellte der VwGH an den VfGH die auf Art 140 Abs 1 B-VG gestützten (hg. zu G 69,70,71,91,206/88 protokollierten) Anträge,

"aus dem ersten Satz des § 77 Abs 1 des Oberösterreichischen Jagdgesetzes 1964, LGBl. Nr. 32, die Wortfolge 'an die Bezirksverwaltungsbehörde' und den zweiten Satz des § 77 Abs 1 als verfassungswidrig aufzuheben.

In eventu wird beantragt, aus § 70 Abs 1 leg.cit. die Wortfolge 'aus besonderen Vereinbarungen (§65 Abs 1)' sowie § 70 Abs 2 und 3 leg.cit. als verfassungswidrig aufzuheben."

Der VwGH hegt gegen die Regelung des O.ö. JagdG der Sache nach die gleichen Bedenken wie der VfGH (s.o. I.A.2.b).

2. Der Gesetzesprüfungsantrag des VwGH Zl. 88/03/0177 (hg. Zl. G206/88) langte beim VfGH erst am ein. Eine formelle Einbeziehung dieses Antrages in das Gesetzesprüfungsverfahren war im Hinblick auf das fortgeschrittene Prozeßgeschehen (Anberaumung der mündlichen Verhandlung für den ) nicht mehr möglich.

Der VfGH hat jedoch beschlossen, von der ihm gemäß Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen und (mit dem vorletzten Absatz des Punktes 1. des Spruches) die Anlaßfallwirkung auch für diese, beim VwGH anhängige Beschwerdesache herbeizuführen.

Damit erübrigt sich eine weitere Erledigung dieses vom VwGH gestellten Gesetzesprüfungsantrages (vgl. VfSlg. 10737/1985, 11190/1986).

C. Die O.ö. Landesregierung erstattete im Gesetzesprüfungsverfahren eine Äußerung.

1. Sie teilt die geäußerten Bedenken und beantragt, für das Außerkrafttreten der aufzuhebenden Bestimmungen eine Frist von einem Jahr festzusetzen, um dem Landesgesetzgeber ausreichend Zeit für die Erlassung verfassungsgemäßer Regelungen zu geben.

2. Die Landesregierung vertritt zum Umfang der zu prüfenden und aufzuhebenden Gesetzesbestimmungen folgende Auffassung:

"Unter diesem Aspekt" (daß nämlich die zur Entscheidung in zweiter Instanz über Ansprüche auf Ersatz von Jagd- und Wildschäden berufene Bezirksverwaltungsbehörde nicht als unabhängiges Tribunal iS des Art 6 MRK eingerichtet ist) "erhebt sich für die o.ö. Landesregierung vorwiegend die allerdings nicht unwesentliche Frage, in welchen Bestimmungen der vom VfGH als nicht verfassungskonform angenommene Regelungsgehalt seinen Sitz hat. Die o. ö. Landesregierung vermißt diesbezüglich sowohl in den Anträgen des VwGH als auch im Beschluß des VfGH nähere Ausführungen, weshalb die jeweils (in verschiedenem Umfang) in Prüfung gezogenen Bestimmungen des O.ö. Jagdgesetzes (sämtlich) als präjudiziell angesehen werden. Die o.ö. Landesregierung erlaubt sich daher, dazu folgende Überlegungen anzustellen:

Die grundlegende Überlegung, daß über die Ersatzansprüche letztlich eine Behörde materiell entschieden hat, der die von Art 6 MRK geforderte Tribunalqualität nicht zukommt, trifft auf die Bezirksverwaltungsbehörde zu. Dies wird im § 77 Abs 1 erster Satz O.ö. Jagdgesetz (indirekt) geregelt; § 77 Abs 1 zweiter Satz leg.cit. steht damit insofern im Zusammenhang, als die Bezirksverwaltungsbehörde auch dort genannt wird, nach Ansicht der o.ö. Landesregierung ist dieser Zusammenhang jedoch keineswegs weniger trennbar, als dies hinsichtlich des § 120 Abs 6 des niederösterreichischen Jagdgesetzes 1974 vom VfGH im Erkenntnis G129/87 u.a. Zahlen vom (S. 7) festgestellt wurde, wonach die Zulässigkeit eines Rechtsmittels mit der allein maßgeblichen Frage nach der Zusammensetzung der Kommission und der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ihrer Mitglieder nichts zu tun habe.

Die o.ö. Landesregierung vertritt daher die Auffassung, daß sich sowohl die vom VwGH als auch die vom VfGH geltend gemachten Bedenken lediglich auf die Wortfolge 'an die Bezirksverwaltungsbehörde' aus dem ersten Satz des § 77 Abs 1 des O.ö. Jagdgesetzes, LGBl. Nr. 32/1964 i.d.g.F. beziehen. Mit der Aufhebung dieser Wortfolge würde nach Ansicht der o.ö. Landesregierung ein gleiches Ergebnis wie in den Gesetzesprüfungsverfahren G129/87 u.a. und G 211, G212/87 erzielt, nämlich daß jene Bestimmung, die (wenngleich nur mittelbar) die Entscheidungszuständigkeit in letzter Instanz einer Behörde zuweist, die offenkundig den an ein Tribunal i.S. des Art 6 MRK gestellten Anforderungen nicht entspricht, beseitigt wird. Ebenso wie in den genannten Entscheidungen würde die Aufhebung dieser Wortfolge den verbleibenden Inhalt der Bestimmung zwar unanwendbar machen, aber nicht in eine andere Richtung verändern, wie dies etwa der Fall wäre, wenn im Sinne des Eventualantrages des VwGH aus § 70 Abs 1 O.ö. Jagdgesetz die Wortfolge 'aus besonderen Vereinbarungen (§65 Abs 1)' als verfassungswidrig aufgehoben würde.

Es muß allerdings eingeräumt werden, daß diese Argumentation dann nicht zielführend wäre, wenn man zur Ansicht gelangt, daß die Eliminierung der auf die Bezirksverwaltungsbehörde bezughabenden Bestimmungen dazu führen würde, daß die Zuständigkeit der Berufungsbehörde dann nicht ungeregelt bleiben würde, sondern daß in diesem Fall von verfassungswegen die Entscheidung der Landesregierung zukäme. In diesem Fall wäre nach h. Ansicht zu prüfen, ob nicht dann diesem Organ ohnehin die Qualifikation eines Tribunals i.S. des Art 6 MRK zukommt. Die Mitglieder der Landesregierung werden auf die Dauer der Gesetzgebungsperiode (in Oberösterreich 6 Jahre) gewählt und sind niemandem gegenüber gehorsamspflichtig.

Nur wenn auch dieser Auffassung nicht beigetreten werden kann, könnte dies tatsächlich zu dem Ergebnis führen, daß auch jene Bestimmungen, die die Frage nach der Zusammensetzung der Jagd- und Wildschadenskommission und der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ihrer Mitglieder regeln, präjudiziell sind, obwohl es verfassungsrechtlich zulässig ist, der Entscheidung durch ein Tribunal i.S. des Art 6 MRK ein Verfahren vor einer weisungsgebundenen Verwaltungsbehörde vorzuschalten. Die o.ö. Landesregierung vertritt dazu unter Hinweis auf die bereits zitierten Erkenntnisse des VfGH G129/87 und G211, 212/87 die Auffassung, daß damit zusätzlich jedoch lediglich Bestimmungen des § 71 O.ö. Jagdgesetz präjudiziell sein könnten. Wenn man im Hinblick auf den Bestellungs(- und Abberufungs)modus die von Art. 6 MRK geforderte Unabhängigkeit des Obmannes (Obmannstellvertreters) der Jagd- und Wildschadenskommission verneint, verbleiben als diesbezüglich präjudizielle Bestimmungen § 71 Abs 1 (mit Ausnahme des letzten Satzes) sowie § 71 Abs 2 und 4 O.ö. Jagdgesetz. Soweit die Gesetzesprüfungsbeschlüsse die übrigen Bestimmungen des § 71 sowie die Wortfolge 'aus besonderen Vereinbarungen (§65 Abs 1)' aus § 70 Abs 1, die Abs 2 und 3 des § 70 sowie die nicht auf die Bezirksverwaltungsbehörde bezughabenden Wortfolgen des § 71 Abs 1 O.ö. Jagdgesetz zum Gegenstand haben, sind sie nach Ansicht der o.ö. Landesregierung zurückzuweisen."

II. Der VfGH hat zur Frage der Zulässigkeit der Gesetzesprüfungsverfahren erwogen:

1. Die geltend gemachten Bedenken gehen dahin, daß die in letzter Instanz zur Entscheidung über Ersatzansprüche in Wildschadensfällen berufenen Bezirksverwaltungsbehörden entgegen dem (auf Verfassungsstufe stehenden) Art 6 MRK - nicht als "Tribunale" iS dieser Konventionsbestimmung eingerichtet sind.

Präjudiziell in der Bedeutung des Art 140 Abs 1 B-VG sind jene Vorschriften, die - sofern die geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken zutreffen sollten - aufzuheben sind, um für die Anlaßfälle eine Rechtslage herbeizuführen, auf die die geäußerten Bedenken nicht (mehr) zutreffen.

In von amtswegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren hat der VfGH den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, daß einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird als Voraussetzung für den Anlaßfall ist, daß aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg. 7376/1974, 7726/1975).

Die Grenzen der Aufhebung müssen auch in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren so gezogen werden, daß einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und daß andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfaßt werden (VfSlg. 6674/1972, 8155/1977).

2. Das bedeutet - auf die vorliegenden Fälle bezogen -, daß (sofern die Bedenken zutreffen sollten) die Rechtsordnung (im Wege der Aufhebung bestimmter Gesetzesstellen) derart zu bereinigen ist, daß zur letztinstanzlichen Entscheidung über den Ersatz von Wildschäden nicht eine solche Behörde berufen ist, die den Voraussetzungen des Art 6 MRK nicht genügt. Hiebei hat sich die Prüfung - und gegebenenfalls die Aufhebung - auf den zur Erreichung dieses Zieles geringsten Umfang zu beschränken.

Es würde nun hinreichen, § 70 Abs 2 und 3 O.ö. JagdG aufzuheben, um das erwähnte Ziel herbeizuführen. Durch den Wegfall der grundsätzlichen Bestimmungen über die Aufgaben und die Zusammensetzung der Jagd- und Wildschadenskommission würden alle folgenden Bestimmungen über die Kommission (und zwar insbesondere jene über den Bestellungsmodus ihrer Mitglieder, das von ihr einzuhaltende Verfahren und das gegen ihre Entscheidung zulässige Rechtsmittel) unanwendbar.

Die Beseitigung allein des § 70 Abs 2 und 3 O.ö. JagdG aus der Rechtsordnung würde also bewirken, daß das Gesetz keine Verwaltungsbehörde mit der Entscheidung über den Ersatz von Jagdund Wildschäden beruft. Aus § 1 Jurisdiktionsnorm ergibt sich, daß dann zu Entscheidungen in derartigen, "bürgerliche Rechtssachen" iS des § 1 JN betreffenden Angelegenheiten die ordentlichen Gerichte zuständig wären.

Daran ändert nichts, daß § 70 Abs 1 O.ö. JagdG unverändert bestehen bleibt. Nach Aufhebung des § 70 Abs 2 und 3 leg.cit. ist es - wird die Entstehungsgeschichte der sodann bestehenden Rechtslage in Betracht gezogen - nicht möglich, aus § 70 Abs 1 leg.cit. abzuleiten, andere Ansprüche als solche aus besonderen Vereinbarungen (§65 Abs 1) seien nicht im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen.

3.a) § 70 Abs 2 und 3 O.ö. JagdG ist also - wie zusammenfassend festzuhalten ist - in allen Gesetzesprüfungsverfahren präjudiziell. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind in diesem Umfang sowohl die von amtswegen eingeleiteten als auch die aufgrund von Anträgen des VwGH anhängigen Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

b) Hingegen sind die übrigen Gesetzesstellen, die von amtswegen in Prüfung gezogen oder deren Aufhebung vom VwGH beantragt wurde, aufgrund der obigen Überlegungen nicht präjudiziell.

Daher sind die auf sie bezughabenden amtswegigen Gesetzesprüfungsverfahren einzustellen und die Gesetzesprüfungsanträge des VwGH in diesem Umfang zurückzuweisen.

III. In der Sache hat der VfGH erwogen:

Die von ihm geäußerten Bedenken - denen die O.ö. Landesregierung nichts entgegenhält - haben sich als zutreffend erwiesen.

Es genügt, hiezu auf die Entscheidungsgründe der hg. Erkenntnisse vom G129/87 ua. Zlen. = VfSlg. 11591/1987 und vom G211, 212/87 = VfSlg. 11646/1988, (betreffend die in der hier maßgebenden Hinsicht inhaltlich gleichen Regelung des Niederösterreichischen und Burgenländischen Jagdgesetzes) zu verweisen.

Die präjudiziellen Bestimmungen des O.ö. JagdG (s.o. II.) waren sohin wegen Widerspruches zu Art 6 MRK als verfassungswidrig aufzuheben.

IV. 1. Entsprechend den in den soeben zitierten hg. Erkenntnissen angestellten Überlegungen setzt der Verfassungsgerichshof für das Außerkrafttreten der verfassungswidrigen gesetzlichen Bestimmungen keine Frist.

2. Der Ausspruch über die Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art 140 Abs 5 B-VG, der Ausschluß des Wirksamwerdens früherer Vorschriften auf Art 140 Abs 6 B-VG.

3. Der Ausspruch über die Erweiterung der Anlaßfallwirkung (vorletzter Absatz des Punktes 1. des Spruches) beruht auf Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG.