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VfGH vom 27.06.2013, G68/2012 ua

VfGH vom 27.06.2013, G68/2012 ua

19766

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 über die Erstreckung des Verlusts der Staatsbürgerschaft auf eheliche Kinder (und Wahlkinder) wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz; keine sachliche Rechtfertigung für eine Benachteiligung ehelicher Kinder gegenüber unehelichen Kindern

Spruch

I. § 29 Abs 1 des Bundesgesetzes über die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 – StbG), BGBl Nr 311 (Wv.), wird als verfassungswidrig auf gehoben.

I. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

II. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

III. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Beim Verwaltungsgerichtshof sind Beschwerden gegen Bescheide der Wiener Landesregierung anhängig, mit denen unter anderem festgestellt wird, dass die Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerschaft jeweils in Erstreckung nach ihrem Vater gemäß § 29 Abs 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl 311/1985 (im Folgenden: StbG 1985) verloren haben und nicht (mehr) österreichische Staatsbürger sind. Die belangte Behörde begründet ihre Entscheidungen jeweils damit, dass der Vater bzw. beide Eltern der Beschwerdeführer die türkische Staatsangehörigkeit auf Antrag der Eingebürgerten wieder erworben hätten, ohne dass ihnen zuvor die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft bewilligt worden sei, sodass sie die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 StbG 1985 verloren hätten. Nach Art 16 bzw. Art 32 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes erstrecke sich die Einbürgerung des Vaters ohne Weiteres auf seine minderjährigen Kinder. Hinsichtlich der Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgerichtshof sei daher der Verlusttatbestand des § 29 Abs 1 StbG 1985 verwirklicht und die Beschwerdeführer hätten ihre österreichische Staatsbürgerschaft verloren.

In den Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist unstrittig, dass die Beschwerdeführer die ehelichen Kinder ihrer Eltern und im maßgeblichen Zeitpunkt noch ledig gewesen sind sowie das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten.

2.1. Aus Anlass dieser Beschwerdeverfahren stellt der Verwaltungsgerichtshof die beim Verfassungsgerichtshof zu G68/2012 und G120/2012 protokollierten, gleichlautenden Anträge, "§29 Abs 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl Nr 311, in eventu die Wortfolge '1. seine ehelichen Kinder, 2.' in § 29 Abs 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl Nr 311, als verfassungswidrig aufzuheben."

2.2. Der Verwaltungsgerichtshof legt jeweils dar, dass die Frage, ob die Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgerichtshof die österreichische Staatsbürgerschaft durch Erstreckung des Verlustes verloren haben, nach den staatsbürgerschaftsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen sei, die zum Zeitpunkt des Erwerbs der türkischen Staatsbürgerschaft jeweils durch den Vater der Beschwerdeführer in Geltung gestanden seien, damit in beiden Fällen also nach § 29 StbG 1985, der seit seinem Inkrafttreten (BGBl 311/1985) keine Änderungen erfahren habe.

2.3. Zur Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen führt der Verwaltungsgerichtshof jeweils aus, dass er bei der Prüfung der bei ihm angefochtenen Bescheide § 29 Abs 1 StbG anzuwenden habe, weil die in seinen Verfahren belangte Behörde diese Bestimmung in den angefochtenen Bescheiden tatsächlich herangezogen habe und sie damit Voraussetzung für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in den bei ihm anhängigen Rechtssachen sei.

3. Der Verwaltungsgerichtshof macht in beiden Anträgen übereinstimmend folgende Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung im Hinblick auf den in Art 7 B-VG verankerten Gleichheitsgrundsatz und im Hinblick auf Art 8 und Art 14 EMRK geltend:

3.1. Der Verwaltungsgerichtshof gibt zunächst – in eigener Übersetzung – die wesentlichen Passagen des Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom , Fall Genovese , Appl. 53.124/09, wieder, in dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgesprochen hat, dass die Verweigerung der Zuerkennung der – im Beschwerdefall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte maltesischen – Staatsbürgerschaft an ein uneheliches Kind, weil die Mutter des unehelichen Kindes nicht Malteserin und (nur) der Vater Malteser ist, eine Verletzung von Art 14 in Verbindung mit Art 8 EMRK darstellt:

"…

29. Der Gerichtshof merkt an, dass der Beschwerdeführer seine Beschwerde auf Art 14 in Verbindung mit Art 8 der Konvention stützte, und betont erneut, dass der Begriff 'Familienleben' in Art 8 nicht ausschließlich auf eheliche Beziehungen beschränkt ist, sondern auch andere de facto 'Familienbande' umfassen kann. Es ist anerkannt, dass sich die Anwendbarkeit dieses Grundsatzes auch auf die Beziehung zwischen natürlichen Vätern und ihren unehelichen Kindern gleichermaßen erstreckt. Weiters vertritt der Gerichtshof den Standpunkt, dass Art 8 nicht so verstanden werden kann, dass er nur ein bereits begründetes Familienleben schützen würde, sondern dass, wenn die Umstände es verlangen, sich Art 8 auch auf eine potentielle Beziehung, welche zwischen dem natürlichen Vater und dem unehelichen Kind entstehen könnte, erstrecken muss. Maßgebliche Faktoren in dieser Hinsicht umfassen das Wesen der Beziehung zwischen den natürlichen Eltern und das nachweisliche Interesse und das Engagement des natürlichen Vaters für das Kind und zwar sowohl vor als auch nach der Geburt (vgl. Nylund gg. Finnland [Entsch.], Nr 27110/95, ECHR 1999-VI).

30. Der Gerichtshof wiederholt auch, dass das Konzept des 'Privatlebens' ein weiter Begriff ist, der keiner abschließenden Definition zugänglich ist. Er erfasst die physische und psychische Integrität einer Person. Er kann daher verschiedene Aspekte der physischen und sozialen Identität einer Person umfassen (vgl. Dadouch gg. Malta , Nr 38816/07, Rn. 47, ECHR 2010-... [Auszüge]). Die Bestimmungen des Art 8 garantieren allerdings nicht das Recht, eine bestimmte Nationalität oder Staatsbürgerschaft zu erlangen. Dennoch hat der Gerichtshof in der Vergangenheit festgehalten, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine willkürliche Verweigerung der Staatsbürgerschaft unter bestimmten Umständen infolge der Auswirkungen einer solchen Verweigerung auf das Privatleben des Einzelnen einen unter Art 8 fallenden Sachverhalt begründen könnte (vgl. Karassev gg. Finnland [Entsch.], Nr 31414/96, ECHR 1999-II, und Slivenko gg. Lettland [Entsch.] [GK], Nr 48321/99, Rn. 77, ECHR 2002-II).

31. Im Hinblick auf Art 14 wiederholt der Gerichtshof, dass dieser lediglich andere inhaltliche Bestimmungen der Konvention und die Protokolle zu dieser ergänzt. Es kommt ihm keine unabhängige Existenz zu, da er nur in Verbindung mit dem durch diese Bestimmungen geschützten 'Genuss der Rechte und Freiheiten' zum Tragen kommt (vgl. unter vielen anderen, Sahin gg. Deutschland [GK], Nr 30943/96, Rn 85, ECHR 2003-VIII). Die Anwendung des Art 14 setzt nicht notwendiger Weise die Verletzung eines der materiellen durch die Konvention geschützten Rechte voraus. Es ist notwendig, aber auch ausreichend, dass die Rechtssache 'in den Anwendungsbereich' eines oder mehrerer der Artikel der Konvention fällt (vgl. Abdulaziz, Cabales und Balkandali gg. Vereinigtes Königreich , , Rn. 71, Serie A Nr 94; Karlheinz Schmidt gg. Deutschland , , Rn. 22, Serie A Nr 291-B; und Petrovic gg. Österreich , , Rn. 22, Reports 1998-II).

32. Das in Art 14 verankerte Diskriminierungsverbot geht über den Genuss der Rechte und Freiheiten, die der Staat nach der Konvention und den Protokollen zu dieser zu gewährleisten hat, hinaus. Es ist auch auf jene zusätzlichen Rechte anwendbar, die unter den generellen Anwendungsbereich irgendeines Konventionsartikels fallen und die der Staat freiwillig beschlossen hat zu gewährleisten. Dieser Grundsatz ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs fest etabliert (vgl. Abdulaziz, Cabales and Bal[k]andali, a.a.O., Rn[.] 78; Stec u.a. gg. Vereinigtes Königreich [Entsch.] [GK], Nr 65731/01 und 65900/01, Rn[.] 40[.], ECHR 2005-X, und E.B. gg. Frankreich [GK], Nr 43546/02, Rn. 48, ECHR 2008-...).

33. Der Beschwerdeführer wendet ein, dass die Verweigerung der Staatsbürgerschaft ihn daran gehindert habe, in Malta unbegrenzt Zeit zu verbringen, die er dazu nützen hätte können, um eine Beziehung zu seinem natürlichen Vater zu pflegen. Wie der Gerichtshof festhält, besteht im Moment allerdings kein Familienleben zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Vater, der keinerlei Wille oder Absicht gezeigt hat, seinen Sohn anzuerkennen oder eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Der Gerichtshof vertritt die Ansicht, dass unter diesen Umständen, nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Verweigerung der Staatsbürgerschaft ein Hindernis für das Gründen eines Familienlebens darstellte oder auf andere Art und Weise Auswirkungen auf das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung des Familienlebens hatte. Dennoch, wie der Gerichtshof oben ausgeführt hat, kann selbst bei Fehlen eines Familienlebens die Verweigerung der Staatsbürgerschaft infolge ihrer Auswirkungen auf das Privatleben eines Einzelnen einen Sachverhalt begründen, der unter die Bestimmung des Art 8 fällt, dessen Begriff weit genug ist, um auch Aspekte der sozialen Identität einer Person zu umfassen. Während das Recht auf Staatsbürgerschaft als solches kein Recht der Konvention ist und die Verweigerung derselben im vorliegenden Fall nicht zu einer Verletzung des Art 8 führte, ist der Gerichtshof der Meinung, dass sich die Verweigerung der Staatsbürgerschaft auf die soziale Identität des Beschwerdeführers dergestalt auswirkte, dass sie in den Geltungs- und Anwendungsbereich dieses Artikels fällt.

34. Die maltesische Gesetzgebung anerkannte ausdrücklich das Recht auf Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Abstammung und richtete zu diesem Zweck ein Verfahren ein. Folglich muss der Staat, der durch das Vorsehen eines solchen Rechts über seine Verpflichtungen gemäß Art 8 hinaus gegangen ist – eine Möglichkeit, die ihm nach Art 53 der Konvention offensteht – sicherstellen, dass das Recht ohne Diskriminierung im Sinn von Art 14 gewährleistet wird (vgl . E.B. gg. Frankreich , a.a.O., Rn[.] 49).

35. Das Hauptargument des Beschwerdeführers ist, dass er bei der Ausübung eines durch innerstaatliches Recht zuerkannten Rechts unter anderem wegen seiner Stellung als uneheliches Kind diskriminiert worden sei. Dies ist ein Umstand, der unter Art 14 der Konvention fällt (vgl. Marckx gg. Belgien , , Serie A Nr 31, und Inze gg. Österreich , , Rn. 41, Serie A Nr 126).

36. Folglich ist Art 14 in Verbindung mit Art 8 der Konvention in der vorliegenden Rechtssache anwendbar.

43. Der Gerichtshof weist erneut daraufhin, dass im Sinne des Art 14 eine unterschiedliche Behandlung dann diskriminierend ist, wenn für diese keine objektive und angemessene Rechtfertigung besteht, d.h., wenn diese kein legitimes Ziel verfolgt oder wenn kein angemessenes Verhältnis zwischen den eingesetzten Mitteln und dem verfolgten Ziel besteht. Die Vertragsstaaten verfügen über einen gewissen Ermessensspielraum bei der Beurteilung, ob und in welchem Ausmaß Unterschiede zwischen sonst gleichartigen Situationen eine unterschiedliche rechtliche Behandlung rechtfertigen; die Reichweite dieses Spielraums wird entsprechend den Umständen, dem Gegenstand des jeweiligen Falls und seinem Hintergrund variieren (vgl . Inze , a.a.O., Rn. 41).

44. Der Gerichtshof ruft wiederholt in Erinnerung, dass die Konvention im Lichte der heutigen Verhältnisse ausgelegt werden muss (vgl. unter anderem E.B. gg. Frankreich , a.a.O., Rn. 92). Der Frage der Gleichstellung zwischen ehelich und unehelich geborenen Kindern wurde zur Zeit des Inze Urteils (a.a.O.) im Jahr 1987 in den Mitgliedstaaten des Europarates bereits Bedeutung zugemessen. Dies zeigte sich in dem Europäischen Übereinkommen von 1975 über die Rechtsstellung nichtehelicher Kinder, das zu dieser Zeit in neun Mitgliedstaaten des Europarates in Kraft stand. Heute, 23 Jahre später, ist dieses Übereinkommen in 22 Mitgliedstaaten in Kraft. Somit steht es außer Zweifel, dass das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten des Europarates sich gemeinsam mit den in dieser Materie maßgeblichen internationalen Instrumenten weiterentwickelt hat und sich noch immer weiterentwickelt. Der Gerichtshof merkt ferner an, dass bei der Suche einer gemeinsamen Grundlage unter den Normen internationalen Rechts bei Rechtsquellen nie danach unterschieden wurde, ob sie von dem belangten Staat unterzeichnet oder ratifiziert wurden oder nicht (vgl. Demir und Baykara gg. Türkei [GK], Nr 34503/97, Rn. 78, ). In der Rechtssache Marckx gg. Belgien (a.a.O.) betreffend die rechtliche Stellung unehelich geborener Kinder gründete der Gerichtshof seine Interpretation dementsprechend auf zwei internationale Übereinkommen aus 1962 und 1975, die Belgien wie andere Vertragsstaaten der Konvention zu jener Zeit noch nicht ratifiziert hatte (Rn. 20 und 41). Vor diesem Hintergrund bekräftigt der Gerichtshof erneut, obwohl Malta das Europäische Übereinkommen aus 1975 nicht ratifiziert hat, dass sehr schwerwiegende Gründe vorgetragen werden müssten, ehe eine unterschiedliche Behandlung wegen nichtehelicher Geburt als mit der Konvention vereinbar angesehen werden könnte (siehe sinngemäß Inze , a.a.O., Rn. 41).

45. Der Gerichtshof hält fest, dass sich der Beschwerdeführer in einer vergleichbaren Situation wie andere Kinder befand, deren Vater maltesischer Staatsangehöriger war und deren Mutter eine fremde Staatsangehörigkeit besaß. Das einzige Unterscheidungsmerkmal, welches dazu führte, dass der Beschwerdeführer nicht berechtigt war, die Staatsbürgerschaft zu erlangen, war der Umstand, dass er unehelich geboren war.

46. Das von der Regierung zur Rechtfertigung dieser Unterscheidung ins Treffen geführte Argument war der Umstand, dass ehelich geborene Kinder eine Bindung zu ihren Eltern hätten, welche aus der zwischen ihren Eltern geschlossenen Ehe resultiere und welche in Fällen unehelich geborener Kinder nicht bestehen würde. Es sind aber gerade auf einer solchen Bindung basierende Differenzierungen, vor denen Art 14 der Konvention Schutz bietet. Die Stellung eines unehelichen Kindes beruht auf dem Umstand, dass seine Eltern zum Zeitpunkt seiner Geburt nicht verheiratet waren. Es ist daher eine auf einem solchen Status basierende Differenzierung, die die Konvention verbietet, außer die Unterscheidung wäre aus sonstigen Gründen objektiv gerechtfertigt.

47. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass der einzige andere von der Regierung angeführte Grund die soziale Realität solcher Fälle und der Umstand sei, dass, während eine Mutter immer sicher, ein Vater dies nicht sei. Der Gerichtshof kann dieses Argument nicht akzeptieren. Wie von der Regierung zugestanden (siehe oben Rn. 40) blieb tatsächlich die Differenzierung aufgrund der Bestimmungen im Staatsbürgerschaftsgesetz bestehen, und zwar selbst in solchen Fällen wie dem vorliegenden, in dem der Vater bekannt und – unabhängig davon, ob dies freiwillig oder infolge gerichtlicher Feststellung erfolgte – auf der Geburtsurkunde ausgewiesen ist.

48. Der Gerichtshof findet daher, dass keine angemessenen oder objektiven Gründe vorgebracht wurden, um eine solche Differenzierung bei der Behandlung des Beschwerdeführers als unehelich geborene Person zu rechtfertigen.

49. Es liegt daher eine Verletzung von Art 14 in Verbindung mit Art 8 der Konvention vor.

…"

3.2. Sodann begründet der Verwaltungsgerichtshof seine Bedenken jeweils wie folgt:

"Im Hinblick auf die wiedergegebene Auffassung des EGMR in seinem Urteil im Fall 'Genovese' geht der Verwaltungsgerichtshof zunächst davon aus, dass der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft durch Erstreckung des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft durch die Eltern [den Vater] der Beschwerdeführer sich auf deren soziale Identität auswirken [kann] und daher in den Anwendungsbereich des Art 8 EMRK fallen kann. Der Verwaltungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem EGMR ferner davon aus, dass damit auch Art 14 EMRK in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden ist.

§29 StbG sieht folgende Differenzierungen der Behandlung ehelicher (Abs1) und unehelicher (Abs2) Kinder, deren Eltern(teil) die Staatsbürgerschaft nach § 27 StbG verloren haben (hat) vor:

1. Auf uneheliche Kinder erstreckt sich der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft nur, wenn sie dem Elternteil nach der fremden Rechtsordnung ex lege in die andere Staatsangehörigkeit folgen. Zum Unterschied von der Regelung für eheliche Kinder ist ein Verlust jedoch nicht vorgesehen, wenn zwar die fremde Rechtsordnung einen automatischen Erwerb für das Kind vorsieht, dieser aber ausschließlich deshalb nicht eintreten kann, weil das Kind die fremde Staatsangehörigkeit bereits besitzt. Dies hat zur Folge, dass ein eheliches Kind diesfalls die Staatsbürgerschaft gemeinsam mit einem Elternteil verliert, wenn auch der andere Elternteil Fremder ist; das uneheliche Kind behält in diesem Fall jedoch die Staatsbürgerschaft bei, auch wenn keiner der beiden Eltern mehr Staatsbürger ist (vgl. Thienel , Österreichische Staatsbürgerschaft, Bd. II [1990] S. 308).

2. Im Gegensatz zu unehelichen Kindern ist bei ehelichen Kindern der Verlust der Staatsbürgerschaft nicht von der vorherigen ausdrücklichen Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter zum 'Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit' (gemeint: zum Verlust der Staatsbürgerschaft; vgl. Thienel , aaO., S. 309) abhängig[,] [s]ondern tritt die Verlusterstreckung automatisch ein, wenn ein Elternteil die Staatsbürgerschaft nach § 27 Abs 1 StbG verliert.

3. Bei unehelichen Kindern eines Mannes geht deren Staatsbürgerschaft überdies nur dann verloren, wenn die Vaterschaft festgestellt oder anerkannt ist und ihm die Pflege und Erziehung der Kinder zustehen.

4. Schließlich folgt aus dem in § 29 Abs 2 StbG enthaltenen Verweis auf § 27 Abs 2 letzter Satz leg.cit.[,] dass bei unehelichen Kindern, deren gesetzlicher Vertreter nicht ein Elternteil ist, außerdem noch das Vormundschafts- oder Pflegschaftsgericht den 'Erwerb der Staatsangehörigkeit' (gemeint: den Verlust der Staatsbürgerschaft) vorab genehmigen muss (vgl. Thienel , aaO. S. 309).

Ausgehend von der dargestellten Auffassung des EGMR in seinem Urteil im Fall 'Genovese', dass eine auf dem Status der Ehelichkeit basierende Differenzierung mit der EMRK nicht vereinbar ist, außer diese Unterscheidung wäre aus sonstigen Gründen objektiv gerechtfertigt, hegt der Verwaltungsgerichtshof daher Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen, soweit sie unterschiedliche Voraussetzungen für die Erstreckung des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft durch eheliche und uneheliche Kinder österreichischer Eltern vorsehen.

Im Hinblick auf die dargestellte Argumentation des EGMR im Fall 'Genovese' vermag der Verwaltungsgerichtshof nämlich keine objektiven Gründe zu erkennen, die die dargestellten Unterscheidungen zwischen ehelichen und unehelichen Kindern österreichischer Eltern rechtfertigen könnten.

Dass jedenfalls sehr gewichtige Gründe vorliegen müssten, damit eine unterschiedliche Behandlung allein aus dem Umstand der ehelichen oder der unehelichen Geburt auch mit dem Gleichheitsgrundsatz nach Art 7 B-VG als vereinbar angesehen werden könnte, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. das zum Paßgesetz 1969 ergangene Erkenntnis vom , G163/91, G164/91 = VfSlg 12.735, mit Verweis auf die Rechtsprechung des [Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (] EGMR[)] im Urteil vom , Inze)."

3.3. Zum Anfechtungsumfang führt der Verwaltungsgerichtshof jeweils aus:

"Das Ziel, eine verfassungswidrige Behandlung der Beschwerdeführer im Anlassfall gemäß Art 140 Abs 7 B-VG zu vermeiden, wird jedenfalls durch eine Aufhebung des (gesamten) § 29 Abs 1 StbG erreicht.

Für den Fall, dass nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes durch Aufhebung des im Hauptantrag erwähnten gesamten Abs 1 des § 29 StbG mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden würde, als Voraussetzung für den gegenständlichen Anlassfall ist, wird eventualiter die Aufhebung der Wortfolge '1. seine ehelichen Kinder, 2.' in § 29 Abs 1 StbG beantragt. Auch in diesem Fall wäre der verbleibende Gesetzestext nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht unverständlich oder der Intention des Gesetzgebers völlig zuwiderlaufend."

4. Die Bundesregierung sieht in beiden Verfahren von der Erstattung einer meritorischen Äußerung ab.

II. Rechtslage

Die relevanten Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl 311 (Wv.), lauten in der für beide Anträge maßgeblichen Stammfassung (§28 wird in der geltenden Fassung BGBl I 37/2006 wiedergegeben; die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben):

"ABSCHNITT II

ERWERB DER STAATSBÜRGERSCHAFT

[…]

Abstammung (Legitimation)

§7. (1) Eheliche Kinder erwerben die Staatsbürgerschaft mit der Geburt, wenn

a) in diesem Zeitpunkt ein Elternteil Staatsbürger ist oder

b) ein Elternteil, der vorher verstorben ist, am Tag seines Ablebens Staatsbürger war.

(2)

(3) Uneheliche Kinder erwerben die Staatsbürgerschaft mit der Geburt, wenn ihre Mutter in diesem Zeitpunkt Staatsbürger ist. Abs 1 litb gilt sinngemäß.

(4)

[…]

ABSCHNITT III

VERLUST DER STAATSBÜRGERSCHAFT

§26. Die Staatsbürgerschaft wird verloren durch

1. Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit (§§27 und 29);

2. [– 4. …].

Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit

§27. (1) Die Staatsbürgerschaft verliert, wer auf Grund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt worden ist.

(2) Ein nicht eigenberechtigter Staatsbürger verliert die Staatsbürgerschaft nur dann, wenn die auf den Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit gerichtete Willenserklärung (Abs1) für ihn entweder von seinem gesetzlichen Vertreter oder mit dessen ausdrücklicher Zustimmung von ihm selbst oder einer dritten Person abgegeben wird. Die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters muß vor dem Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit vorliegen. Ist jemand anderer als die Eltern oder die Wahleltern gesetzlicher Vertreter, so tritt der Verlust der Staatsbürgerschaft überdies nur dann ein, wenn das Vormundschafts- oder Pflegschaftsgericht die Willenserklärung (Zustimmung) des gesetzlichen Vertreters vor dem Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit genehmigt hat.

(3) Ein minderjähriger Staatsbürger, der das 14. Lebensjahr vollendet hat, verliert die Staatsbürgerschaft außerdem nur, wenn er der auf den Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit gerichteten Willenserklärung (Abs1) seines gesetzlichen Vertreters oder der dritten Person (Abs2) vor dem Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit ausdrücklich zugestimmt hat.

§28. (1) Einem Staatsbürger ist für den Fall des Erwerbes einer fremden Staatsangehörigkeit (§27) die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft zu bewilligen, wenn

1. sie wegen der von ihm bereits erbrachten und von ihm noch zu erwartenden Leistungen oder aus einem besonders berücksichtigungswürdigen Grund im Interesse der Republik liegt, und – soweit Gegenseitigkeit besteht – der fremde Staat, dessen Staatsangehörigkeit er anstrebt, der Beibehaltung zustimmt sowie die Voraussetzungen des § 10 Abs 1 Z 2 bis 6 und 8 sinngemäß erfüllt sind, oder

2. es im Fall von Minderjährigen dem Kindeswohl entspricht.

(2) Dasselbe gilt für Staatsbürger, die die Voraussetzungen des Abs 1 Z 2 und 3 erfüllen, wenn sie die Staatsbürgerschaft durch Abstammung erworben haben und in ihrem Privat- und Familienleben ein für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdiger Grund vorliegt.

(3) [– (5) …]

§29. (1) Verliert ein Staatsbürger nach § 27 die Staatsbürgerschaft, so erstreckt sich der Verlust auf

1. seine ehelichen Kinder,

2. seine Wahlkinder,

sofern sie minderjährig und ledig sind und ihm von Rechts wegen in die fremde Staatsangehörigkeit folgen oder folgen würden, wenn sie diese nicht bereits besäßen, es sei denn, der andere Elternteil (Wahlelternteil) ist weiterhin Staatsbürger. § 27 Abs 3 ist sinngemäß anzuwenden.

(2) Der Verlust erstreckt sich auch auf die minderjährigen ledigen unehelichen Kinder des Staatsbürgers, die ihm von Rechts wegen in die fremde Staatsangehörigkeit folgen, wenn deren gesetzlicher Vertreter dem Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit vorher ausdrücklich zugestimmt hat, auf die unehelichen Kinder des Mannes jedoch nur, wenn seine Vaterschaft festgestellt oder anerkannt ist und ihm die Pflege und Erziehung der Kinder zustehen. § 27 Abs 2 letzter Satz und sinngemäß Abs 3 ist anzuwenden.

§30. (1) Strebt ein Staatsbürger eine fremde Staatsangehörigkeit an und ist ihm die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft nicht bewilligt worden, so hat ihm die Behörde auf seinen Antrag zu bestätigen, daß er im Falle des Erwerbes der fremden Staatsangehörigkeit aus dem österreichischen Staatsverband ausscheidet. In dieser Bestätigung sind auf seinen Antrag gegebenenfalls auch die minderjährigen Kinder anzuführen, auf die sich der Verlust der Staatsbürgerschaft nach § 29 erstreckt.

(2) Für einen nicht eigenberechtigten Staatsbürger darf die Bestätigung nach Abs 1 nur ausgestellt oder er in dieser nur angeführt werden, wenn die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters und des Minderjährigen, der das 14. Lebensjahr vollendet hat, und gegebenenfalls die Genehmigung des Gerichtes (§27 Abs 2 und § 29 Abs 2) bereits vorliegen."

III. Erwägungen

Die zu G68/2012 und G120/2012 protokollierten Anträge werden in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.

1. Zur Zulässigkeit

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 140 B VG bzw. des Art 139 B VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurück gewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Es ist nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen in § 29 StbG 1985 zweifeln ließe. Der Verwaltungsgerichthof geht denkmöglich davon aus, dass er bei der Entscheidung über die bei ihm angefochtenen Bescheide § 29 Abs 1 StbG 1985 anzuwenden hat.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren wiederholt dargelegt, dass der Umfang einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Gesetzesbestimmung derart abzugrenzen ist, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keinen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003).

Im Gesetzesprüfungsverfahren darf der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden (vgl. VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011). Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen, soweit die Präjudizialität für den gesamten Antrag gegeben ist, allerdings nicht zur Gänze unzulässig, sondern führt, ist der Antrag in der Sache begründet, im Falle der Aufhebung nur eines Teils der angefochtenen Bestimmungen im Übrigen zu seiner Abweisung (, G69/12).

Treffen die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes zu, wäre die Verfassungswidrigkeit jedenfalls durch Aufhebung des § 29 Abs 1 StbG 1985 zu beseitigen.

Die Anträge des Verwaltungsgerichtshofes erweisen sich daher als zulässig.

2. In der Sache:

Die Anträge sind auch begründet:

2.1. Der in Art 7 Abs 1 B-VG österreichischen Staatsbürgern gewährleistete Gleichheitsgrundsatz ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auf Fallkonstellationen, in denen es um die rechtliche Klärung des Status der österreichischen Staatsbürgerschaft für bestimmte Personen geht, anwendbar (VfSlg 7161/1973, 8006/1977, 19.596/2011; , G67/12). Der Verfassungsgerichtshof geht weiters davon aus, dass sehr gewichtige Gründe vorliegen müssen, damit eine unterschiedliche Behandlung allein aus dem Umstand der ehelichen oder unehelichen Geburt als mit Art 7 B VG vereinbar angesehen werden kann (siehe unter Berufung auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom , Fall Inze , Appl. 8695/79, ÖJZ1988, 177 f., VfSlg 12.735/1991; weiters , G67/12; , G69/12; , G63/12; aus der Literatur Pöschl , Gleichheit vor dem Gesetz, 2008, 472 f.).

2.2. Der Verwaltungsgerichtshof sieht in der angefochtenen Bestimmung deswegen einen Verstoß unter anderem gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil sie Kinder, deren Eltern(teil) die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 StbG 1985 verliert, im Hinblick auf die Erstreckung des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft unterschiedlich behandelt, je nachdem, ob das Kind ehelich oder unehelich geboren ist. Die nach diesem Unterscheidungsmerkmal differenzierende Regelung führe dazu, dass sich der Verlust auf die ehelichen Kinder (im Gegensatz zu den unehelichen) auch erstrecke, wenn diese die fremde Staatsangehörigkeit nur deshalb nicht erwerben, weil sie sie bereits besitzen. Im Gegensatz zu unehelichen Kindern trete der Verlust bei ehelichen zudem automatisch bzw. unabhängig von der vorherigen ausdrücklichen Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zum Verlust der Staatsbürgerschaft ein. Bei unehelichen Kindern, deren gesetzlicher Vertreter nicht ein Elternteil sei, müsse außerdem noch das Vormundschafts- oder Pflegschaftsgericht den Erwerb der Staatsbürgerschaft vorab genehmigen. Bei unehelichen Kindern gehe die Staatsbürgerschaft überdies durch Staatsbürgerschaftsverlust des Vaters nur verloren, wenn dessen Vaterschaft festgestellt oder anerkannt sei, und ihm die Pflege und Erziehung des Kindes zustehe (siehe auch schon Thienel , Österreichische Staatsbürgerschaft II, 1990, 306 ff.).

2.3.1. Die Staatsbürgerschaft verliert, so ordnet § 27 Abs 1 StbG 1985 an, "wer auf Grund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt worden ist." Verliert ein Staatsbürger nach § 27 StbG 1985 die Staatsbürgerschaft, so erstreckt sich gemäß § 29 StbG 1985 der Verlust auf seine ehelichen Kinder (§29 Abs 1 Z 1 StbG 1985), seine Wahlkinder (§29 Abs 1 Z 2 StbG 1985) und auch seine unehelichen Kinder (§29 Abs 2 StbG 1985), wenn alle diese Kinder minderjährig und ledig sind.

§29 Abs 1 StbG 1985 regelt nun aber die Voraussetzungen für diese Erstreckung des Verlusts der Staatsbürgerschaft für eheliche Kinder (und Wahlkinder) in bestimmter Hinsicht abweichend von den Voraussetzungen, die § 29 Abs 2 StbG1985 für die Erstreckung des Verlusts auf uneheliche Kinder vorsieht. Insbesondere bestimmt, wie der Verwaltungsgerichtshof in seinen Anträgen darlegt, § 29 Abs 1 StbG 1985 für eheliche Kinder, dass die Erstreckung des Verlusts bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen ex lege eintritt. § 29 Abs 2 StbG 1985 lässt diese Rechtsfolge demgegenüber für uneheliche Kinder nur dann eintreten, "wenn deren gesetzlicher Vertreter dem Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit vorher ausdrücklich zugestimmt hat".

Nach den Gesetzesmaterialien soll sich diese Zustimmung auf den Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit beziehen (RV 568 BlgNR 16. GP, 9; RV 497 BlgNR 10. GP, 31). Allerdings tritt in den hier maßgeblichen Fallkonstellationen der Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit durch die unehelichen Kinder ebenso kraft Gesetzes durch Erstreckung des Erwerbs dieser fremden Staatsangehörigkeit durch einen oder beide Elternteile ein. Auf die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters des minderjährigen unehelichen Kindes kommt es für den Eintritt dieser Rechtsfolge, nämlich des Erwerbs der fremden Staatsangehörigkeit durch das uneheliche Kind, also nicht an. Die in § 29 Abs 2 StbG 1985 vorgesehene Voraussetzung für die Erstreckung des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft durch einen oder beide Elternteile auf das uneheliche Kind, dass der gesetzliche Vertreter des unehelichen Kindes dem Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit vorher ausdrücklich zugestimmt haben muss, kann daher nur dahingehend verstanden werden, dass diese Zustimmung zum Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit auch eine solche zum Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft einschließt ( Thienel , Österreichische Staatsbürgerschaft II, 308).

Der Sache nach macht damit § 29 Abs 2 StbG 1985 den Eintritt der Rechtsfolge des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft durch Erstreckung dieses Verlusts durch einen oder beide Elternteile von der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters des unehelichen Kindes abhängig. Dies bedeutet, dass der gesetzliche Vertreter dadurch, dass er diese Zustimmung nicht erteilt, bewirken kann, dass das uneheliche Kind — ungeachtet des Erwerbs der fremden Staatsangehörigkeit durch einen oder beide Elternteile und kraft der Anordnung des ausländischen Rechts auch des unehelichen Kindes selbst — die österreichische Staatsbürgerschaft behält.

2.3.2. Diese Regelung ist im Hinblick darauf, dass bei unehelichen Kindern Fallkonstellationen, in denen der Elternteil, von dem das uneheliche Kind die österreichische Staatsbürgerschaft ableitet, nicht auch jener Elternteil ist, dem die gesetzliche Vertretung des Kindes zusteht, nicht unüblich sein mögen, im Interesse des unehelichen Kindes gelegen und in sich sachlich. Im Vergleich zur Regelung der Erstreckung des Verlusts der Staatsbürgerschaft auf eheliche Kinder nach § 29 Abs 1 StbG 1985 räumt § 29 Abs 2 StbG 1985 damit aber dem (gesetzlichen Vertreter des) unehelichen Kind(es) ein Gestaltungsrecht ein, das der Gesetzgeber ehelichen Kindern und ihren gesetzlichen Vertretern verwehrt.

Eine sachliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung vermisst der Verwaltungsgerichtshof in seinen Gesetzesprüfungsanträgen. Eine solche ist auch im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht hervorgekommen. Ebenso wie für uneheliche Kinder kann es auch im Interesse minderjähriger ehelicher Kinder liegen, dass sie ungeachtet des Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit die österreichische Staatsbürgerschaft behalten. Dies zeigt schon die Bestimmung des § 28 Abs 1 Z 2 StbG 1985, derzufolge einem minderjährigen Staatsbürger auch für den Fall des Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu bewilligen ist, wenn dies dem Kindeswohl entspricht.

Nun könnte zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Regelungen in § 29 Abs 1 und Abs 2 StbG 1985 eingewendet werden, dass die Eltern des ehelichen Kindes (oder sein gesetzlicher Vertreter) die Möglichkeit hätten, vor Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft für das eheliche Kind nach § 28 Abs 1 StbG 1985 zu beantragen. Ein solcher Antrag wäre, wenn es dem Kindeswohl entspricht, zu bewilligen. Selbst wenn man ungeachtet dessen, dass § 28 StbG 1985 die Bewilligung der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft ausdrücklich nur "für den Fall des Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit (§27)" und nicht auch für den Fall der Erstreckung des Verlusts nach § 29 StbG 1985 vorsieht, § 28 StbG aus systematisch-teleologischen Erwägungen auch auf Kinder anwendet, die die österreichische Staatsbürgerschaft durch Erstreckung des Verlusts verlieren würden (vgl. auch ), kann dies die Ungleichbehandlung ehelicher und unehelicher Kinder in § 29 Abs 1 und Abs 2 StbG 1985 nicht rechtfertigen. Allein die möglicherweise komplexere Situation im Hinblick auf gesetzliche Vertretung und Elternteil, von dem die Staatsbürgerschaft abgeleitet wird, wie sie bei unehelichen Kindern häufiger als bei ehelichen vorliegen mag, rechtfertigt es nicht, eheliche Kinder auf ein Antragsverfahren zu verweisen, um die österreichische Staatsbürgerschaft zu behalten, während bei unehelichen Kindern nur eine ausdrückliche Erklärung des gesetzlichen Vertreters den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft bewirkt, Untätigkeit des gesetzlichen Vertreters also zur Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft durch das uneheliche Kind führt. Denn auch bei ehelichen Kindern sind nicht nur in atypischen Härtefällen Konstellationen denkbar, in denen dem Kindeswohl durch die weitergehenden Schutzwirkungen, wie sie § 29 Abs 2 StbG 1985 vorsieht, besser entsprochen wird.

2.3.3. § 29 Abs 1 StbG 1985 benachteiligt daher eheliche Kinder gegenüber unehelichen, ohne dass dafür eine ausreichende sachliche Rechtfertigung besteht. Die angefochtene Bestimmung verstößt daher schon aus diesem Grund gegen den Gleichheitsgrundsatz. Bei diesem Ergebnis braucht auf die weiteren, vom Verwaltungsgerichtshof vorgetragenen Bedenken nicht eingegangen zu werden.

IV. Ergebnis

1. § 29 Abs 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl 311, ist daher als unsachlich und dem Gleichheitsgrundsatz widersprechend aufzuheben.

2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B VG.

3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B VG.

4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ge troffen werden.