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VfGH vom 10.10.2016, G662/2015 ua

VfGH vom 10.10.2016, G662/2015 ua

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit von Bestimmungen der StPO wegen unterschiedlicher Ausgestaltung des Aussagebefreiungsrechtes für ehemalige Ehepartner bzw eingetragene Partner und ehemalige Lebensgefährten; kein Überwiegen des öffentlichen Interesses an einer möglichst zügigen Wahrheitsforschung gegenüber den berechtigten Interessen der sich häufig in einer emotionalen Zwangslage befindlichen Zeugen

Spruch

I. Der Hauptantrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

II. 1. Die Wortfolge ", wobei die durch eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft begründete Eigenschaft einer Person als Angehöriger für die Beurteilung der Berechtigung zur Aussageverweigerung aufrecht bleibt, auch wenn die Ehe oder eingetragene Partnerschaft nicht mehr besteht" in § 156 Abs 1 Z 1 der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl Nr 631, idF BGBl Nr I 135/2009 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

3. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

4. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

5. Im Übrigen wird der Eventualantrag abgewiesen.

III. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird keine Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, die Wortfolgen "durch eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft" sowie "Ehe oder eingetragene Partnerschaft" in § 156 Abs 1 Z 1 Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631, idF BGBl I 135/2009, ferner die Worte (samt Satzzeichen) ", die miteinander" und "leben," in § 72 Abs 2 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl 60/1974, idF BGBl I 25/2013, in eventu § 156 Abs 1 Z 1 StPO und § 72 Abs 2 StGB (jeweils in der zuvor zitierten Fassung) zur Gänze, als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die angefochtenen Regelungen stehen in folgendem rechtlichen Zusammenhang (die primär angefochtenen Gesetzesstellen sind hervorgehoben):

1. Im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung stand § 156 StPO idF BGBl I 135/2009 in Geltung und lautete:

"Aussagebefreiung

§156. (1) Von der Pflicht zur Aussage sind befreit:

1. Personen, die im Verfahren gegen einen Angehörigen (§72 StGB) aussagen sollen, wobei die durch eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft begründete Eigenschaft einer Person als Angehöriger für die Beurteilung der Berechtigung zur Aussageverweigerung aufrecht bleibt, auch wenn die Ehe oder eingetragene Partnerschaft nicht mehr besteht;

2. Personen, die durch die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat verletzt worden sein könnten und zur Zeit ihrer Vernehmung das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder in ihrer Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnten, wenn die Parteien Gelegenheit hatten, sich an einer vorausgegangenen kontradiktorischen Einvernahme zu beteiligen (§§165, 247).

(2) Nach Abs 1 Z 1 ist eine erwachsene Person, die als Privatbeteiligte am Verfahren mitwirkt (§67), von der Aussage nicht befreit.

(3) Besteht die Befreiung von der Aussage im Verfahren gegen mehrere Beschuldigte nur gegenüber einem von ihnen, so ist der Zeuge hinsichtlich der anderen nur dann befreit, wenn eine Trennung der Aussagen nicht möglich ist. Gleiches gilt, wenn sich der Befreiungsgrund nur auf einen von mehreren Sachverhalten bezieht."

Durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2015, BGBl I 112, wurde mit Wirksamkeit vom (§514 Abs 31 StPO) im Abs 1 Z 2 der Ausdruck "Einvernahme" durch "Vernehmung" ersetzt. Durch das Strafprozessrechtsänderungsgesetz I 2016, BGBl I 26, wurde mit Wirksamkeit vom (§514 Abs 32 StPO) ebenfalls in § 156 Abs 1 Z 2 StPO die Wendung "Personen, die durch die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat verletzt worden sein könnten und zur Zeit ihrer Vernehmung das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder in ihrer Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnten" durch die Wendung "Besonders schutzbedürftige Opfer (§66a)" ersetzt. Die hier angefochtene Z 1 des § 156 Abs 1 StPO blieb hingegen unverändert.

2. § 72 StGB idF BGBl I 25/2013 bestimmt (der Wortlaut des im Hauptantrag teils angefochtenen Abs 2 geht auf die Novelle BGBl I 153/1998 zurück):

"Angehörige

§72. (1) Unter Angehörigen einer Person sind ihre Verwandten und Verschwägerten in gerader Linie, ihr Ehegatte oder eingetragener Partner und die Geschwister des Ehegatten oder eingetragenen Partners, ihre Geschwister und deren Ehegatten oder eingetragene Partner, Kinder und Enkel, die Geschwister ihrer Eltern und Großeltern, ihre Vettern und Basen, der Vater oder die Mutter ihres Kindes, ihre Wahl- und Pflegeeltern, ihre Wahl- und Pflegekinder, sowie Personen, über die ihnen die Obsorge zusteht oder unter deren Obsorge sie stehen, zu verstehen.

(2) Personen , die miteinander in Lebensgemeinschaft leben, werden wie Angehörige behandelt, Kinder und Enkel einer von ihnen werden wie Angehörige auch der anderen behandelt."

3. § 156 Abs 1 Z 1 StPO knüpft hinsichtlich der Angehörigeneigenschaft sohin ausdrücklich an § 72 StGB an, erweitert den Angehörigenbegriff des § 72 Abs 1 StGB aber insofern, als die durch Ehe oder eingetragene Partnerschaft begründete Eigenschaft einer Person als Angehöriger aufrecht bleibt, auch wenn die Ehe oder eingetragene Partnerschaft nicht mehr besteht. Auf beendete Lebensgemeinschaften wird weder in § 72 StGB noch in § 156 Abs 1 StPO Bezug genommen.

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Scheibbs vom , Z 2 U 14/15d-12, wurde der Antragsteller schuldig erkannt, im September 2014 sowie im Mai 2015 seiner damaligen Lebensgefährtin vorsätzlich Schläge gegen Gesicht, Kopf und Körper mit Verletzungsfolgen versetzt und dadurch das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB begangen zu haben. Das Gericht stützte sein Urteil unter anderem auf die Zeugenaussage der – ehemaligen – Lebensgefährtin in der Hauptverhandlung, der kein Aussagebefreiungsrecht zuerkannt wurde.

2. Zu den Bedenken wird ausgeführt:

2.1. Der Antragsteller erblickt im Umstand, dass Personen, die in einer Lebensgemeinschaft gelebt haben, nach deren Auflösung nicht mehr von der Aussagebefreiungsmöglichkeit des § 156 Abs 1 StPO in einem Verfahren gegen den früheren Lebensgefährten oder die frühere Lebensgefährtin Gebrauch machen können, während ehemaligen Ehegatten bzw. eingetragenen Partnern diese Rechtswohltat auch nach Auflösung der Ehe bzw. der eingetragenen Partnerschaft weiterhin zukomme, eine Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B VG, Art 2 StGG) sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK).

Die Zahl der außerehelichen Lebensgemeinschaften sei im Zeitraum von 1985 bis 2014 (laut Statistik Austria) um über 500 % gestiegen, die Zahl von in aufrechter Ehe lebenden Personen demgegenüber konstant geblieben. Insgesamt hätten "im Jahr 2014 18 % der Lebensgemeinschaften" außereheliche Lebensgemeinschaften betroffen.

Diesem gesellschaftlichen Wandel habe der Gesetzgeber mit dem Familienrechtsänderungsgesetz 2009 (FamRÄG 2009), BGBl I 75, mit dem unter anderem das Aussageverweigerungsrecht für Zeugen in § 321 ZPO neu gefasst und insbesondere auf (auch ehemalige) Lebensgefährten erweitert worden sei, Rechnung getragen. § 20 Jurisdiktionsnorm und § 33 Notariatsordnung seien ebenfalls entsprechend novelliert worden.

Die aufgezeigten gesellschaftlichen Veränderungen müssten auch im Strafverfahren Berücksichtigung finden, die Aussagebefreiung daher auch für vormalige Lebensgefährten gelten; mangels Einräumung eines diesbezüglichen Entschlagungsgrundes seien die bekämpften Regelungen der StPO und des StGB verfassungswidrig.

2.2. Zur behaupteten Verletzung des Gleichheitssatzes führt der Antragsteller in Bezug auf § 72 Abs 2 StGB aus, dass die Gleichbehandlung der dort genannten Personen schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmung ("die miteinander [...] leben") auf die Dauer des Bestandes der Lebensgemeinschaft beschränkt sei.

Im Strafverfahren seien Personen, die in außerehelicher Lebensgemeinschaft gelebt, diese aber beendet hätten, ohne "Erfordernis einer Begründung" vom Recht auf Aussagebefreiung ausgeschlossen. Bei Lebensgemeinschaften werde ausschließlich danach differenziert, ob diese in Form einer Ehe oder eingetragenen Partnerschaft bestanden habe, auf die Dauer oder die tatsächliche Ausgestaltung komme es hingegen nicht an. Personen in einer – aufrechten wie nicht mehr aufrechten – Ehe bzw. eingetragenen Partnerschaft kämen jedenfalls, also unabhängig vom Vorliegen der für das Bestehen einer Lebensgemeinschaft maßgeblichen Voraussetzungen (Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft), in den Genuss des Aussagebefreiungsrechtes, während Personen, bei denen diese Voraussetzungen zuvor gegeben gewesen seien, die aber die Lebensgemeinschaft aufgelöst hätten – "selbst wenn noch andere Tatbestände einer Lebensgemeinschaft erfüllt" wären – nicht vom Aussagebefreiungsrecht Gebrauch machen könnten. Die jeweiligen Sachverhalte und Personengruppen seien vergleichbar und wiesen wesentliche Gemeinsamkeiten auf, weshalb die in Rede stehende unterschiedliche Behandlung in Ansehung der Aussagebefreiung unsachlich sei.

2.3. Zudem sieht der Antragsteller durch die angefochtenen Bestimmungen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) verletzt.

Der Schutzbereich des Art 8 EMRK umfasse insbesondere auch das Zusammenleben der Familie und deren Integrität. Auch "nicht formalisierte, bloß tatsächlich bestehende" Beziehungen – wie jene von Lebensgefährten – fielen in den Anwendungsbereich dieses Grundrechtes. Der Gesetzgeber sei bei Eingriffen in derartige (geschützte) Beziehungen an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Art 8 Abs 2 EMRK gebunden; ein Eingriff sei überdies nur statthaft, wenn dieser gesetzlich vorgesehen und zur Erreichung eines dort angeführten Zweckes notwendig sei.

Ein "Konsens hinsichtlich der Anerkennung und Gleichbehandlung von Ehen bzw. eingetragenen Partnerschaften und außerehelichen Lebensgemeinschaften" sei "im Entstehen"; dem sei insbesondere durch § 321 ZPO Rechnung getragen worden. Geschiedene Paare hätten ebenso wie ehemalige außereheliche Lebensgefährten "eine feste Beziehung mit gegenseitiger Verantwortung, sodass eine gleiche Interessenlage" vorliege.

Dem im Ausschluss ehemaliger Lebensgefährten vom Aussagebefreiungsrecht im Strafverfahren gelegenen Grundrechtseingriff fehle es an der Notwendigkeit iSd Art 8 Abs 2 EMRK: § 156 Abs 1 Z 1 StPO regle die im besonderen Naheverhältnis als Angehöriger des Angeklagten gelegenen persönlichen Entschlagungsgründe und diene vor allem dazu, die seelische Zwangslage des Zeugen zu vermeiden, entweder falsch auszusagen oder einen Angehörigen belasten zu müssen. § 156 StPO begünstige daher nicht den Angeklagten, sondern ausschließlich den Zeugen, dessen verwandtschaftliche Gefühle geschont werden sollen.

Auf Grund der angefochtenen §§156 StPO und 72 StGB komme es zu einer ungerechtfertigten Schlechterstellung von ehemaligen außerehelichen Lebensgefährten, da diesen – im Gegensatz zu Personen in aufrechten Lebensgemeinschaften oder Personen, die miteinander verheiratet waren bzw. in einer eingetragenen Partnerschaft gelebt haben – ohne sachlichen Grund kein Aussagebefreiungsrecht zustehe.

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie beantragt, die angefochtenen Bestimmungen nicht als verfassungswidrig aufzuheben; im Einzelnen tritt sie dem Antrag wie folgt entgegen:

3.1. Hinsichtlich der Zulässigkeit führt die Bundesregierung aus, dass der Anfechtungsumfang im Hauptantrag unrichtig abgegrenzt sei, da der Regelung des § 156 Abs 1 Z 1 StPO im Falle der Aufhebung der angefochtenen Wortfolge kein verständlicher Sinn mehr beigemessen werden könne; es bliebe nämlich unklar, worauf sich der Begriff "begründete" bezieht. Überdies würde im letzten Halbsatz der genannten Bestimmung nach Aufhebung der Wendung "Ehe oder eingetragene Partnerschaft" das unmittelbar davor stehende Wort "die" als Subjekt dieses Halbsatzes verbleiben, wodurch dieser – anders als gegenwärtig – nicht mehr auf die Angehörigeneigenschaft Bezug nehme, sondern auf die (Berechtigung zur) Aussageverweigerung.

Sofern der Bestimmung des § 156 Abs 1 Z 1 StPO im Falle der begehrten Aufhebung überhaupt noch ein verständlicher Inhalt beigemessen werden könne, würde der Sinngehalt völlig verändert; die Aufhebung würde daher einen der Gesetzgebung nicht mehr zusinnbaren Akt positiver Gesetzgebung bedeuten.

Auch in Bezug auf § 72 Abs 2 StGB sieht die Bundesregierung den Prüfungsumfang unrichtig abgegrenzt, da im Antrag weder dargelegt werde noch erkennbar sei, inwieweit mit der begehrten Aufhebung eine inhaltliche Änderung der Definition des Angehörigenbegriffes bewirkt würde; der Antrag erweise sich insofern als zu eng gefasst.

3.2. In der Sache führt die Bundesregierung aus, dass durch die angefochtenen Bestimmungen weder das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz noch das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt sei:

Die vom Antragsteller behauptete Verfassungswidrigkeit der "'Ungleichbehandlung' auf Grund unterschiedlicher Aussagebefreiungs- bzw. –verweigerungs-regelungen im Strafprozess einerseits und im Zivilprozess andererseits" liege schon deshalb nicht vor, weil es dem Gesetzgeber im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes grundsätzlich offenstehe, sich für jeweils durchaus eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die den Erfordernissen und Besonderheiten der einzelnen Verfahrensbereiche Rechnung tragen, sofern nur die betreffenden Verfahrensgesetze in sich gleichheitskonform ausgestaltet sind.

Selbst bei Annahme einer Vergleichbarkeit der beiden Verfahrensordnungen "würden die rechtlichen und tatsächlichen Unterschiede" zwischen Straf- und Zivil(verfahrens)recht die Ungleichbehandlung rechtfertigen, da das Zivilrecht auf die Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche ausgerichtet sei und primär als "Mittler" zwischen den privatrechtlich agierenden Parteien in Erscheinung trete, während das Strafrecht der Wahrnehmung des öffentlichen Strafverfolgungsinteresses des Staates diene. Diese Unterschiede brächten es mit sich, dass im Zivilverfahren eine "formelle Wahrheit", im Strafverfahren hingegen eine "materielle Wahrheit" im Mittelpunkt stehe. Die im öffentlichen Interesse gelegene Aufklärung des realen Geschehensablaufes verbiete es etwa, dass die Verfahrensparteien im Strafprozess Tatsachen "außer Streit" stellen; auch ein Geständnis des Beschuldigten entbinde das Gericht nicht von der Verpflichtung zur Überprüfung seiner Richtigkeit. Überdies würden Unterschiede im Bereich der Beweislastregeln oder bei der Bindung an frühere Entscheidungen bestehen.

Bei Erforschung der "materiellen Wahrheit" im Strafprozess würden (Zeugen )Vernehmungen "ein ganz wesentliches Instrument" darstellen. Dabei bedürfe es einer Abwägung des öffentlichen Interesses an der (amtswegigen) Wahrheitsforschung gegen die berechtigten Interessen von Zeugen, also insbesondere deren seelische Zwangslage, falls durch deren Aussage ein Angehöriger belastet würde, wobei auch das im Strafverfahren zu beachtende Beschleunigungsgebot in die Abwägung miteinzubeziehen sei.

Nach Auffassung der Bundesregierung beruhe die Ausgestaltung der Aussagebefreiungsregelungen im Strafprozess auf einer angemessenen Relation der genannten gegenläufigen Interessen, da die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Frage, ob eine behauptete, unter Umständen bereits lange zurückliegende außereheliche Lebensgemeinschaft tatsächlich bestanden habe, in vielen Fällen umfangreiche Nachforschungen und Beweiserhebungen notwendig machen würde; bereits die Feststellung einer bestehenden Lebensgemeinschaft verursache angesichts der diffizilen Judikatur zu diesem Rechtsinstitut erheblichen Aufwand. Ein solches "Zwischenverfahren" zur Klärung des Vorliegens einer vormaligen Lebensgemeinschaft würde dem Gebot eines zügig und ohne unnötige Verzögerung zu führenden Verfahrens regelmäßig entgegenstehen. Der Beweis des (früheren) Bestehens einer Ehe bzw. einer eingetragenen Partnerschaft könne hingegen durch Vorlage entsprechender Urkunden oder Einsicht in das Personenstandsregister leicht geführt werden.

Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Straf(verfahrens)rechtes insgesamt handle es sich bei der Beschränkung der Aussagebefreiung auf bestimmte, vergleichsweise einfach nachweisbare Formen eines "Zusammenlebens in der Vergangenheit" (nämlich der Ehe oder der eingetragenen Partnerschaft) um ein ausgewogenes und in sich sachliches System; die bestehende Regelung liege daher innerhalb des Gestaltungsspielraumes des Strafgesetzgebers.

3.3. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art 8 EMRK:

Eine Ungleichbehandlung verschiedener Formen des (ehemaligen) Zusammenlebens liege nicht vor, weil sich die rechtlichen Konsequenzen einer Ehe bzw.einer eingetragenen Partnerschaft von jenen einer anderen Beziehung unterscheiden würden und daher keine vergleichbare Situation gegeben sei. Auf Grund der wesentlichen Unterschiede zwischen Ehe und Lebensgemeinschaft, insbesondere des Fehlens einer rechtlichen Ordnung des Gemeinschaftsverhältnisses in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, sei der Gesetzgeber – wenngleich in Teilbereichen der Rechtsordnung eine Differenzierung zwischen diesen Instituten (sachlich) nicht mehr gerechtfertigt werden könne – keineswegs genötigt, die beiden Gemeinschaften in jeder Hinsicht gleichzustellen. Die Differenzierung zwischen Ehe bzw. eingetragener Partnerschaft und nichtehelicher Lebensgemeinschaft beim Recht auf Aussagebefreiung im Strafverfahren sei nach Auffassung der Bundesregierung sachlich gerechtfertigt.

Es könne daher dahingestellt bleiben, ob die Verpflichtung, gegen einen ehemaligen Lebensgefährten auszusagen, überhaupt in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingreift.

4. Der Antragsteller brachte eine Replik zur Äußerung der Bundesregierung ein, in der er deren Auffassung mit näherer Begründung entgegentrat, seine Bedenken im Wesentlichen wiederholte und seine Anträge aufrechterhielt.

Überdies führte er aus, es bestünde ein weiterer Verstoß gegen den Gleichheitssatz darin, dass auch Personen, die ein gemeinsames Kind haben, gemäß § 72 Abs 1 StGB – unabhängig davon, ob eine Lebensgemeinschaft noch bestehe oder jemals bestanden habe – als Angehörige gelten würden und daher vom Aussagebefreiungsrecht erfasst seien. Auch insofern läge eine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung von ehemaligen Lebensgefährten vor.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit

1.2. Gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG idF BGBl I 114/2013 erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

Nach § 62a Abs 1 erster Satz VfGG idF BGBl I 78/2016 kann eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

1.3. Der vorliegende Antrag wird aus Anlass des gegen den Antragsteller ergangenen kondemnierenden Urteils des Bezirksgerichtes Scheibbs vom gestellt. Mit diesem Urteil wurde die gegen ihn anhängige Strafsache in erster Instanz durch ein ordentliches Gericht entschieden (Art140 Abs 1 Z 1 litd B VG). Als Angeklagter ist der Antragsteller Partei dieses Strafverfahrens und daher zur Antragstellung gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG berechtigt. Der Parteiantrag wurde am selben Tag wie die – laut Mitteilung des Bezirksgerichtes Scheibbs – zulässige (volle) Berufung eingebracht; der Antrag ist daher jedenfalls rechtzeitig.

1.4. Das Erstgericht hat jene Normen, deren Verfassungswidrigkeit der Antragsteller behauptet, (jedenfalls implizit) angewendet, indem es der ehemaligen Lebensgefährtin des Antragstellers als Zeugin in der Hauptverhandlung ausdrücklich das von ihr relevierte Aussagebefreiungsrecht nicht zubilligte und den Schuldspruch auch auf diese Zeugenaussage stützte; die vom Antragsteller angefochtenen Bestimmungen (§156 Abs 1 Z 1 StPO und § 72 Abs 2 StGB) sind somit als präjudiziell anzusehen. Auch die Bundesregierung bestreitet die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen nicht.

1.5. Mit dem Hauptantrag begehrt der Antragsteller die Aufhebung der Wendungen "durch eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft" und "Ehe oder eingetragene Partnerschaft" in § 156 Abs 1 Z 1 StPO idF BGBl I 135/2009 sowie der Worte bzw. Satzzeichen ", die miteinander" und "leben," in § 72 Abs 2 StGB idF BGBl I 25/2013 als verfassungswidrig. Dieser Antrag erweist sich als unzulässig:

1.5.1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesvorschrift sind – wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren (s. VfSlg 8155/1977, 8461/1978 und 12.464/1990) schon wiederholt darlegte – notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass anderseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen (mit)erfasst werden (vgl. auch ).

Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungs-gerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.933/2014).

Ein Gesetzesprüfungsantrag ist unter anderem nur dann zulässig, wenn die behauptete Verfassungswidrigkeit mit einer gänzlichen oder teilweisen Aufhebung der angefochtenen Norm beseitigt würde (vgl. etwa VfSlg 16.191/2001, 19.178/2010 und ).

1.5.2. Ein Antrag iSd Art 140 B VG, der diese Grundsätze missachtet, ist unzulässig. Dies gilt insbesondere dann, wenn der (nach der angestrebten Aufhebung) verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre, er also mit den aufzuhebenden Gesetzesstellen untrennbar verbunden ist (vgl. etwa mwN VfSlg 12.859/1991, 16.279/2001).

Wie auch von der Bundesregierung vorgebracht, kann der Bestimmung des § 156 Abs 1 Z 1 StPO im Falle der Aufhebung der angefochtenen Wortfolgen kein verständlicher Sinn mehr beigemessen werden (vgl. unter anderem VfSlg 16.575/2002). Der dann verbleibende Satzteil ("wobei die begründete Eigenschaft einer Person als Angehöriger für die Beurteilung der Berechtigung zur Aussageverweigerung aufrecht bleibt, auch wenn die nicht mehr besteht;") würde einen unverständlichen Torso iSd oben zitierten ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bilden.

1.6. Das Hauptbegehren erweist sich daher insgesamt als zu eng gefasst und damit als unzulässig (vgl. zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 17.681/2005, 19.413/2011, 19.496/2011, 19.674/2012).

1.7. Der Antragsteller beantragt in eventu die gänzliche Aufhebung der Bestimmungen des § 156 Abs 1 Z 1 StPO und des § 72 Abs 2 StGB.

Die Regelung des § 156 StPO wurde durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2015, BGBl I 112, sowie durch das Strafprozessrechtsänderungsgesetz I 2016, BGBl I 26, novelliert; die betreffenden Gesetzesänderungen haben aber jeweils nur die – angesichts des anderen Regelungsinhaltes (mögliche Opfereigenschaft, Unmündigkeit oder Verletzung in der Geschlechtssphäre) von der Z 1 unabhängige – Z 2 des § 156 Abs 1 StPO, nicht indes die hier allein maßgebliche Z 1 zum Gegenstand. § 156 Abs 1 Z 1 StPO hat somit seit der angefochtenen Fassung BGBl I 135/2009 keine gesetzliche Modifizierung erfahren und steht damit nach wie vor in dieser Fassung in Geltung. Seitens der Bundesregierung wird die Zulässigkeit des Antrages im Hinblick auf die bekämpfte Fassung des § 156 StPO ebenfalls nicht in Frage gestellt.

Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Eventualantrag als zulässig.

2. In der Sache

1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2. Im Wesentlichen erachtet der Antragsteller die Bestimmung des § 156 Abs 1 Z 1 StPO wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz (Art7 B VG) als verfassungswidrig, weil Vergleichbares – nämlich einerseits Personen, deren Ehe bzw. eingetragene Partnerschaft nicht mehr besteht, und andererseits Personen, deren nichteheliche Lebensgemeinschaft beendet wurde, – ungleich behandelt werde; auch der unterschiedlich ausgestaltete Umfang der Aussagebefreiungs- bzw. -verweigerungsrechte im Straf- und im Zivilverfahrensrecht widerspreche dem Gleichheitssatz. Überdies verletze § 156 Abs 1 Z 1 StPO das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK).

3. Die Bundesregierung weist in ihrer Äußerung darauf hin, dass sich durch einen Vergleich der Ausgestaltung des Aussagebefreiungsrechtes in unterschiedlichen Verfahrensrechten unter Sachlichkeitsgesichtspunkten nichts gewinnen lasse und es dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes grundsätzlich offenstehe, den jeweiligen Besonderheiten Rechnung zu tragen, sofern nur die betreffenden Verfahrensgesetze in sich gleichheitskonform ausgestaltet seien (vgl. VfSlg 10.770/1986, 15.493/1999, 19.202/2010, 19.762/2013).

4. Letzteres ist aber – wie der Antragsteller zutreffend ausführt – nicht der Fall:

4.1. Zur Rechtfertigung der Differenzierung führt die Bundesregierung im Wesentlichen zwei Argumente ins Treffen: Die Beschränkung des Aussagebefreiungsrechtes für Lebensgefährten in aufrechter Lebensgemeinschaft sei zum einen erforderlich, um dem im Strafverfahren geltenden Grundsatz der materiellen Wahrheitsforschung, der durch die Befreiung von Zeugen von ihrer Aussageverpflichtung eingeschränkt werde, Genüge zu tun; zum anderen, um die Beachtung des Beschleunigungsgebotes sicherzustellen, da sich die Beweiserhebung über das Bestehen einer früheren Lebensgemeinschaft erheblich aufwändiger gestalte als bei früheren Ehen bzw. eingetragenen Partnerschaften (deren vormaliger Bestand durch Einsicht in entsprechende Urkunden bzw. Personenstandsregister ohne weiteres feststellbar sei).

4.2.1. Für den Verfassungsgerichtshof sind keine Gründe ersichtlich, die es zum Schutz des Grundsatzes der materiellen Wahrheitsforschung erforderlich machen, das Aussagebefreiungsrecht ehemaliger Lebensgefährten anders zu regeln als für Personen, deren Ehe bzw. eingetragene Partnerschaft nicht mehr aufrecht ist. Trotz durchaus nach wie vor bestehender Unterschiede zwischen Ehe bzw. eingetragener Partnerschaft und nichtehelicher Lebensgemeinschaft im Rechtsfolgenbereich (vgl. VfSlg 17.979/2006) liegen jene Umstände, die ein Fortbestehen des Aussagebefreiungsrechtes für Ehegatten bzw. eingetragene Partner auch nach formeller Auflösung der Gemeinschaft rechtfertigen, bei ehemaligen Lebensgefährten gleichermaßen vor:

Der Schutzzweck des (absoluten) Aussagebefreiungsrechtes besteht insbesondere darin, Zeugen nicht der emotionalen Zwangslage auszusetzen, einen Angehörigen, sohin eine Person, zu der in der Regel ein besonderes Naheverhältnis besteht, belasten und damit zu seiner Verurteilung beitragen zu müssen (vgl. Hinterhofer , Zeugenschutz und Zeugnisverweigerungsrechte im österreichischen Strafprozess, 2004, 261; ähnlich Fabrizy , StPO 12 , 2014, § 156, Rz 2, mwN: "seelische Zwangslage zu vermeiden"; Kirchbacher , WK-StPO, 2013, § 156, Rz 8: "Vermeidung besonderer psychischer Belastung"). Dem Verfassungsgerichtshof erschließen sich keine sachlichen Gründe, die das Vorliegen einer solchen emotionalen Zwangslage bei ehemaligen Ehegatten bzw. eingetragenen Partnern (weiterhin) vermuten lassen, nicht aber bei früheren Lebensgefährten, obwohl sich deren psychische Situation im Strafverfahren gegen einen ehemaligen Partner idR nicht unterscheidet (und auch der Oberste Gerichtshof an das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft hohe Anforderungen stellt und dabei insbesondere die Vergleichbarkeit mit einer Ehe ins Treffen führt: "Eine außereheliche Lebensgemeinschaft, die wie ein Angehörigenverhältnis zu behandeln ist, ist nur eine auf längere Dauer ausgerichtete Gemeinschaft, die ihrem Wesen nach der Beziehung miteinander verheirateter Personen gleichkommt." [vgl. RIS-Justiz RS 009225; ; uva.]). Eine sachliche Rechtfertigung für die divergente Behandlung der maßgeblichen Personengruppen in Bezug auf das Recht auf Aussagebefreiung kann in Anbetracht der für den Gesetzgeber ausschlaggebenden Motivation bei Schaffung dieses Instituts nicht erkannt werden.

Zur Wahrung des Grundsatzes der materiellen Wahrheitsforschung ist die vorliegende Ungleichbehandlung ebenfalls nicht erforderlich, weil der Gesetzgeber die Einschränkung dieses Prinzips nach Beendigung insoweit vergleichbarer Partnerschaftsformen in Kauf nimmt; in diesem Zusammenhang sei auch festgehalten, dass § 156 StPO lediglich ein Aussagebefreiungsrecht – und kein Vernehmungsverbot – normiert, weshalb es den betroffenen Zeugen freisteht, von diesem Recht keinen Gebrauch zu machen und auszusagen.

4.2.2. Auch durch das im Strafverfahren zu beachtende Beschleunigungsgebot lässt sich die angefochtene Beschränkung des Aussagebefreiungsrechtes nicht rechtfertigen. Zwar mag sich der Nachweis des früheren Bestehens einer Lebensgemeinschaft im Einzelfall schwieriger gestalten als der Nachweis einer geschiedenen Ehe oder aufgelösten eingetragenen Partnerschaft, der mit der erforderlichen Beweisführung einhergehende Aufwand wird aber idR nicht als unverhältnismäßig angesehen werden können. Der (Zeit )Aufwand weicht im Durchschnitt wohl nicht wesentlich von jenem für die – häufig ebenfalls beweismäßig komplexe – Feststellung einer aufrechten Lebensgemeinschaft ab, deren Vorliegen vom Strafgericht bereits seit Einführung des Aussagebefreiungsrechtes (vgl. BGBl 60/1974) für in einer solchen Gemeinschaft lebende Personen zu prüfen ist.

Vor diesem Hintergrund fällt die Abwägung des öffentlichen Interesses an der (amtswegigen) und möglichst zügigen Wahrheitsforschung gegenüber den berechtigten Interessen der sich häufig in einer emotionalen Zwangslage befindenden Zeugen zu deren Gunsten aus; jedenfalls wiegt eine idR unwesentliche Verzögerung des Strafverfahrens durch die für die Feststellung des früheren Bestehens einer Lebensgemeinschaft notwendige Beweiserhebung (trotz des Beschleunigungsgebotes) nicht schwerer als der geschützte Interessenkonflikt der Zeugen.

Da die Bestimmung des § 156 Abs 1 Z 1 StPO das Aussagebefreiungsrecht insoweit vergleichbaren Personengruppen, nämlich ehemaligen Ehegatten bzw. eingetragenen Partnern einerseits und ehemaligen Lebensgefährten andererseits, ohne sachlichen Grund in unterschiedlichem Umfang gewährt, verletzt die Regelung (deren Sachlichkeit teils auch im Schrifttum bezweifelt wird – zB Seiler , Strafprozessrecht 14 , 2015, 106) den Gleichheitsgrundsatz (Art7 B VG, Art 2 StGG); § 156 Abs 1 Z 1 StPO erweist sich daher schon deshalb als verfassungswidrig.

Allerdings genügt zur Herstellung eines verfassungskonformen Zustandes die Aufhebung der Wortfolge ", wobei die durch eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft begründete Eigenschaft einer Person als Angehöriger für die Beurteilung der Berechtigung zur Aussageverweigerung aufrecht bleibt, auch wenn die Ehe oder eingetragene Partnerschaft nicht mehr besteht" in § 156 Abs 1 Z 1 StPO als geringstmöglicher Eingriff, womit die (nicht bekämpfte) Aussagebefreiung für sonstige Angehörige bestehen bleiben kann.

4.3. Der Eventualantrag ist überdies auch auf die gänzliche Aufhebung des § 72 Abs 2 StGB idF BGBl I 25/2013 als verfassungswidrig gerichtet.

4.3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren wiederholt dargelegt, dass der Umfang einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Gesetzesbestimmung derart abzugrenzen ist, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keinen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003).

4.3.2. In Anbetracht des soeben festgestellten Sitzes der Verfassungswidrigkeit in einem Teil der Bestimmung des § 156 Abs 1 Z 1 StPO idF BGBl I 135/2009 und der Aufhebung desselben ist die vom Antragsteller begehrte Beseitigung der relevierten Ungleichbehandlung von ehemaligen Lebensgefährten und Personen, deren Ehe bzw. eingetragene Partnerschaft nicht mehr besteht, hinsichtlich des Rechtes auf Aussagebefreiung im Strafverfahren bereits erreicht; einer Aufhebung (auch) des § 72 Abs 2 StGB bedarf es somit nicht.

Der Eventualantrag ist daher insoweit abzuweisen.

Vor dem Hintergrund dieses Ergebnisses kann eine nähere Auseinandersetzung mit der vom Antragsteller zudem behaupteten Verletzung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) sowie den erst in der Replik zur Äußerung der Bundesregierung (und damit verspätet – vgl. VfSlg 9260/1981, 9911/1983, 14.802/1997) vorgebrachten Bedenken (vgl. oben III.4.) unterbleiben.

3. Zum Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe

1. Gleichzeitig mit seiner Stellungnahme zur Äußerung der Bundesregierung brachte der Antragsteller am einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (in vollem Umfang) beim Verfassungsgerichtshof ein.

2. Zufolge § 64 Abs 3 ZPO treten, soweit die Verfahrenshilfe bewilligt wird, die Befreiungen nach § 64 Abs 1 ZPO mit jenem Tag ein, an dem sie beantragt worden sind; ein weiteres Zurückwirken der Befreiungswirkung ist hingegen nicht vorgesehen.

3. Der Antrag wurde zu einer Zeit eingebracht, in der sämtliche für die Einleitung des vorliegenden Verfahrens notwendigen Verfahrensschritte, die von einem Rechtsanwalt vorgenommen werden müssen (vgl. § 17 Abs 2 VfGG), bereits gesetzt waren und auch die Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG entrichtet war. Eine Befreiung von der Entrichtung dieser Gebühr (respektive eine Erstattung derselben) kann nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht mehr nachträglich, also nach Entstehen der Gebührenschuld, beantragt werden (vgl. § 17a Z 3 VfGG sowie zB ; , B825/11). Gleiches gilt für die mit der Einbringung verbundenen Kosten für die (frei gewählte) anwaltliche Vertretung, die ebenfalls (deutlich) vor dem Tag der Beantragung der Bewilligung der Verfahrenshilfe entstanden sind.

4. Für die Vertretung im weiteren Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof –insbesondere für eine allfällige mündliche Verhandlung – besteht kein absoluter, sondern lediglich relativer Anwaltszwang (vgl. § 17 Abs 2 VfGG).

5. Für das weitere Verfahren hat sich die Gewährung von Verfahrenshilfe und insbesondere die Beigebung eines Rechtsanwaltes weder als erforderlich noch als zweckmäßig erwiesen.

6. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist daher nicht stattzugeben (vgl. VfSlg 18.749/2009, 19.521/2011).

V. Ergebnis

1. Der Hauptantrag ist als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dem Eventualantrag ist insoweit (teilweise) stattzugeben, als er sich auf die Wortfolge ", wobei die durch eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft begründete Eigenschaft einer Person als Angehöriger für die Beurteilung der Berechtigung zur Aussageverweigerung aufrecht bleibt, auch wenn die Ehe oder eingetragene Partnerschaft nicht mehr besteht" in § 156 Abs 1 Z 1 StPO idF BGBl I 135/2009 bezieht; diese ist wegen Verstoßes gegen das Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B VG, Art 2 StGG) als verfassungswidrig aufzuheben. Im Übrigen ist der Eventualantrag abzuweisen.

3. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B VG.

Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.

4. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist keine Folge zu geben.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG sowie § 72 Abs 1 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

6. Dem Antragsteller sind die begehrten Kosten nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines Antrages nach Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG Sache des zuständigen ordentlichen Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (vgl. ; , G25/2016).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:G662.2015