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VfGH vom 06.10.1988, g64/88

VfGH vom 06.10.1988, g64/88

Sammlungsnummer

11860

Leitsatz

Art140 Abs 1 B-VG; OÖ PolizeistrafG idF LGBl. 94/1985; Individualantrag auf Aufhebung des letzten Halbsatzes in § 2 Abs 3 litb betreffend die Beschränkung von Ankündigungen, die der Anbahnung von Prostitution dienen; Provokation eines Verwaltungsstrafverfahrens nicht zumutbar - Legitimation gegeben; keine Bedenken aus kompetenzrechtlicher Sicht; keine Bedenken in Hinblick auf Art 13 StGG iVm. Art 10 Abs 1 und Abs 2 MRK - Fernhalten von "Kontaktmagazinen" von Jugendlichen eine im Interesse des Jugendschutzes adäquate Regelung

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem auf Art 140 (Abs1 letzter Satz) B-VG gestützten Antrag begehrt der Einschreiter, im § 2 Abs 3 litb des Oberösterreichischen Polizeistrafgesetzes, LGBl. Nr. 36/1979, idF der Nov. LGBl. Nr. 94/1985 (Oö. PolStG), den letzten Halbsatz (das ist die im nachfolgend wiedergegebenen Text dieser landesgesetzlichen Bestimmung hervorgehobene Wortfolge) als verfassungswidrig aufzuheben.

Diese Vorschrift lautet:

"§2 ..........

(3) Eine Verwaltungsübertretung begeht,

a) ........;

b) wer durch öffentliche Ankündigung, insbesondere in

Druckwerken oder anderen Medien, die Prostitution anbahnt oder

anzubahnen versucht (Angabe der Adresse, der Telefonnummer, eines

Treffpunktes und dgl.). Eine Verwaltungsübertretung liegt nicht

vor, wenn öffentliche Ankündigungen in Medien erfolgen, die der

Anbahnung der Prostitution dienen, sofern diese Medien

ausschließlich in solchen Betriebsstätten zum Zweck der

Verbreitung vorrätig gehalten werden, die von Jugendlichen nach

den Bestimmungen des O.ö. Jugendschutzgesetzes 1973, LGBl. Nr.

22, nicht betreten werden dürfen;

c) ......."

Der Antragsteller ist Geschäftsführer der SOZ Verlagsgesellschaft m.b.H.

Er begründet seine Antragslegitimation wie folgt: Die Gesellschaft sei Medieninhaber der periodischen Druckschrift "Sex ohne Zensur", eines sogenannten Kontaktmagazins, das der Anbahnung der Prostitution diene. Aufgrund des § 2 Abs 3 litb Oö. PolStG sei der Vertrieb dieser Druckschrift unter bestimmten Voraussetzungen mit Verwaltungsstrafe bedroht. Damit werde in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar nachteilig dadurch eingegriffen, daß der Antragsteller als zur Vertretung nach außen befugtes und bestelltes Vertretungsorgan der SOZ Verlagsgesellschaft m.b.H. (des Medieninhabers) verantwortlich im Sinne des § 9 VStG sei und sohin über den Antragsteller eine Verwaltungsstrafe verhängt werden könne.

Der Antragsteller legt die gegen die angefochtene Gesetzesstelle bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken im einzelnen dar (s.u. II.2.).

2. Die Oberösterreichische Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie begehrt, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihn als unbegründet abzuweisen.

Darauf replizierte der Antragsteller.

II. Der VfGH hat erwogen:

1.a) Vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 10511/1985) ist - ohne daß dies einer weiteren Erörterung bedürfte - die Antragslegitimation gegeben (siehe auch VfSlg. 11477/1987).

Es ist lediglich darauf hinzuweisen, daß es dem Antragsteller nicht zumutbar ist, ein Verwaltungsstrafverfahren nach § 2 Abs 3 litb Oö. PolStG gegen sich zu provozieren, um den solcherart erwirkten letztinstanzlichen Strafbescheid dann beim VfGH zu bekämpfen (vgl. zB VfSlg. 9253/1981, 11460/1987).

b) Die Oö. Landesregierung wendet ein, daß die angefochtene Ausnahmebestimmung des § 2 Abs 3 litb zweiter Satz Oö PolStG als solche nicht in die Rechtssphäre einer Person eingreifen könne; es fehle aus diesem Grunde dem Einschreiter die Antragslegitimation.

Dieses Vorbringen ist nicht berechtigt: Der Antragsteller erachtet sich als verantwortliches Organ einer Gesellschaft, die ein sogenanntes Kontaktmagazin herausgibt, in seiner Rechtssphäre dadurch beeinträchtigt, daß der Gesellschaft unter der ihn treffenden Strafsanktion verboten wird, dieses Druckwerk außerhalb bestimmter Betriebsstätten zu vertreiben, wozu sie an sich berechtigt wäre. Darin liegt jedenfalls ein Eingriff in die Rechtssphäre des verwaltungsstrafrechtlich verantwortlichen Geschäftsführers der Gesellschaft. Es würde hinreichen, zur Beseitigung dieses Rechtseingriffes die angefochtene Gesetzesstelle aufzuheben. Die Veränderung der Rechtsordnung wäre geringer, als würde etwa die ganze litb des § 2 Abs 3 Oö. PolStG aufgehoben werden.

c) Da außer der Antragslegitimation auch die weiteren Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist der Gesetzesprüfungsantrag zulässig.

2.a) aa) Der Antragsteller bringt (mit näherer Begründung) zunächst vor, der Landesgesetzgeber sei nicht zuständig gewesen, die angefochtene Regelung zu treffen; es handle sich hiebei nämlich um eine presserechtliche Bestimmung iS des Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG ("Pressewesen").

bb) Der VfGH teilt dieses Bedenken nicht:

Die Regelung der Prostitution, soweit sie der Abwehr von Gefahren dient, die der Sittlichkeit drohen, gehört zum Tatbestand "Sittlichkeitspolizei" (Art118 Abs 3 Z 8 B-VG) (vgl. zB VfSlg. 7960/1976) und ist in Gesetzgebung und Vollziehung Landessache (vgl. zB VfSlg. 8445/1978, 9252/1981). Gleiches gilt für den Jugendschutz (vgl. zB VfSlg. 7946/1976). Wenngleich die Prostitution und auch der Jugendschutz unter den Gesichtspunkten anderer Verwaltungsmaterien gleichfalls zum Gegenstand einer Regelung gemacht werden können (vgl. zB VfSlg. 7960/1976), stehen hier die Aspekte des Jugendschutzes und der Wahrung der Sittlichkeit (also eben nicht etwa jene des Pressewesens) derart im Vordergrund, daß der Landesgesetzgeber berufen war, die bekämpfte Regelung zu treffen (zur sogenannten "Gesichtspunktetheorie" vgl. zB VfSlg. 10292/1984). Der VfGH hat im übrigen auch bisher gegen die die Prostitution regelnden Landesgesetze, die Auswirkungen auf die Verbreitung von Druckwerken haben können, keine verfassungsrechtlichen Bedenken (etwa aus kompetenzrechtlicher Sicht) geäußert (vgl. zB VfSlg. 8907/1980).

b) aa) Der Antragsteller meint weiters, die angefochtene gesetzliche Bestimmung verstoße gegen Art 13 StGG sowie gegen Art 10 MRK. Die Regelung sei zur Erreichung des angestrebten Zieles nicht notwendig.

bb) Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei den in Rede stehenden Ankündigungen um die Wiedergabe einer "Meinung" iS des Art 13 Abs 1 StGG handelt; denn nach Art 10 Abs 1 MRK schließt der Anspruch auf freie Meinungsäußerung ausdrücklich auch die Freiheit zur Mitteilung von Nachrichten ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein (vgl. zB VfSlg. 10393/1985). Nach Abs 2 kann die Ausübung dieser Freiheiten bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft ua. im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral unentbehrlich sind. Unentbehrlich ist eine Regelung jedenfalls nur dann, wenn sie zur Zielerreichung geeignet und adäquat ist.

Der Schutz der Moral der Jugend ist ein Ziel, das in einer demokratischen Gesellschaft durch Einschränkungen nach Art 10 Abs 2 MRK berechtigt verfolgt werden kann (vgl. EKMR , EuGRZ 1979, 202). Die getroffene Regelung ist zur Erreichung dieses Zieles offenkundig geeignet.

Fraglich ist hier nur, ob die (mit Verwaltungsstrafe sanktionierte) Beschränkung von Ankündigungen, die der Anbahnung der Prostitution dienen, ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Informationsfreiheit ist. Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist dies nicht der Fall: Die erwähnten Ankündigungen dürfen nur in spezifisch derartiger Werbung dienenden Medien (sogenannten "Kontaktmagazinen") erscheinen, nicht jedoch in anderen Medien. (Ob diese Regelung dem Gleichheitsgrundsatz entspricht, hat der VfGH hier nicht zu erörtern, da seine Prüfungsbefugnis durch den gestellten Prüfungsantrag beschränkt ist (vgl. zB VfSlg. 8687/1979)).

Für "Kontaktmagazine" stellt die Wiedergabe von Kontaktadressen voraussetzungsgemäß den wichtigsten Inhalt dar, demgegenüber sonstige Veröffentlichungen an Bedeutung wesentlich zurücktreten. Es ist daher insbesondere im Interesse des Jugendschutzes adäquat, sie durch die angefochtene Regelung zur Gänze von Jugendlichen fernzuhalten, auch wenn dadurch Erwachsenen der Erwerb dieser Druckwerke erschwert werden mag.

c) aa) Der Antragsteller erblickt in der bekämpften Regelung auch eine Verletzung des Eigentums- und des Gleichheitsrechtes. Der Eingriff sei unangemessen schwer; es werde nämlich der Ankauf von Kontaktmagazinen nicht bloß durch Jugendliche verboten, sondern auch Erwachsenen der Erwerb dieser Druckschriften erschwert, da er nur an Orten möglich sei, wo sich Jugendliche nicht aufhalten dürfen.

bb) Zur Widerlegung dieser Bedenken genügt es, auf die vorstehende litb/bb zu verweisen.

d) aa) Schließlich trägt der Antragsteller noch das Bedenken vor, bei der angefochtenen Regelung handle es sich um ein verfassungsrechtlich verbotenes Maßnahmegesetz.

bb) Selbst wenn die eingangs (I.1.) erwähnte Druckschrift tatsächlich - wie im Antrag behauptet wird - nahezu das einzige Medium ist, das Kontaktadressen enthält, greift die angefochtene Gesetzesbestimmung doch nicht (unzulässigerweise) in den Bereich der Vollziehung ein.

Das Gesetz wendet sich nicht an individuell bezeichnete Personen, sondern an einen unbestimmten Personenkreis, nämlich an jeden derzeitigen und künftigen Herausgeber eines Kontaktmagazins; ob die Zahl der tatsächlich betroffenen Normadressaten groß oder klein ist, ist dabei unerheblich. Das Gesetz ist keineswegs auf den Einzelfall abgestellt (vgl. zB VfSlg. 2470/1953).

e) Die vorgebrachten Bedenken treffen also allesamt nicht zu.

Der Antrag war mithin abzuweisen.

3. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.