VfGH vom 01.10.1988, G63/88

VfGH vom 01.10.1988, G63/88

Sammlungsnummer

11833

Leitsatz

GerichtsgebührenG; Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 31 Abs 1 litb - Gebührenerhöhung im Falle der Säumnis von 25% unabhängig vom Verschulden und ohne Bedachtnahme auf besondere Umstände des Einzelfalles; als überschießende Reaktion auf die Unterlassung des Abgabepflichtigen gleichheitswidrig

Spruch

§ 31 Abs 1 litb des BG vom über die Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren (Gerichtsgebührengesetz-GGG), BGBl. Nr. 501, war verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim VfGH sind zwei Beschwerden (protokolliert zu B134/87 und B207/87) gegen Bescheide von Präsidenten von Landesgerichten anhängig, mit welchen Berichtigungsanträgen gegen Zahlungsaufträge von Kostenbeamten betreffend gerichtliche Mehrgebühren (sowie einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in der zu B134/87 protokollierten Beschwerdesache) nicht Folge gegeben worden war.

2. Der VfGH hat aus Anlaß dieser zwei Beschwerden beschlossen, § 31 Abs 1 litb des BG vom über die Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren (Gerichtsgebührengesetz-GGG), BGBl. 501, gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3. Die Bundesregierung hat im Gesetzesprüfungsverfahren von Äußerungen in der Sache abgesehen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die Anlaßfälle betreffen Pauschalgebühren nach § 2 Z 1 GGG, und zwar solche nach deren litc (bei Überreichung der Rechtsmittelschrift im zivilgerichtlichen Verfahren zweiter und dritter Instanz).

2. § 31 Abs 1 GGG in der hier maßgeblichen Fassung vor der Nov. BGBl. 292/1987 lautete wie folgt (der in Prüfung gezogene Teil der Bestimmung ist hervorgehoben):

"Wird der Anspruch auf eine Gebühr mit der Überreichung der Eingabe (§2 Z 1 lita bis c, e, h, Z 2 und 7) begründet und ist die Gebühr nicht oder nicht vollständig beigebracht worden, so haben die zur Zahlung der Gebühr verpflichteten Personen den fehlenden Gebührenbetrag

a) ...

b) in den Fällen des § 2 Z 1 litc im Ausmaß von 125 % des jeweiligen Tarifansatzes

zu entrichten."

Die Vorschreibung des Mehrbetrages nach dieser Gesetzesstelle ist in den Anlaßfällen, in denen jeweils Rechtsmittelschriften eingebracht worden waren, auf die Zitierung des § 2 Z 1 litc in § 31 Abs 1 litb GGG gestützt worden. Die Bestimmung des § 31 Abs 1 litb GGG ist daher präjudiziell.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

3. Der VfGH hat seine Bedenken gegen die in Prüfung gezogene Bestimmung des § 31 Abs 1 litb GGG im Beschluß vom , B134/87 und B207/87, wie folgt dargelegt:

"Der VfGH hat in seiner jüngsten Rechtsprechung zu den Folgen verspäteter oder unterlassener Gebührenanzeigen nach § 31 Abs 1 lita in den Fällen des § 2 Z 1 lita und e GGG ( u.a.) ausgesprochen, daß eine gesetzliche Regelung, die dem Gebührenschuldner eine 50%-ige Erhöhung einer Abgabe ohne Berücksichtigung der Entschuldbarkeit seiner Versäumnis oder ihres sonstigen Gewichtes auferlegt, eine überschießende (exzessive) Reaktion auf die Unterlassung des Abgabepflichtigen darstellt, die den rechtspolitischen Spielraum des Gesetzgebers überschreitet und gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt. Im oben genannten Erkenntnis hat der VfGH insbesondere hervorgehoben, daß diese Bedenken bei - der Höhe nach unbegrenzten - Hundertsatzgebühren Platz greifen.

Die in Prüfung gezogene Regelung sieht für den Fall, daß eine Gebühr nicht oder nicht vollständig entrichtet wurde, eine Erhöhung um 25 % des jeweiligen Tarifansatzes vor. Diese Gebührenerhöhung scheint unabhängig vom Vorwurf eines Verschuldens und von einer Bedachtnahme auf besondere Umstände des Einzelfalles einzutreten. Es scheinen daher dieselben verfassungsrechtlichen Bedenken zu bestehen, wie sie im oben genannten Erkenntnis zur Aufhebung der Buchstaben 'a' und 'e' in § 31 Abs 1 lita GGG geführt haben. Die in Tarifpost 2 festgelegten Pauschalgebühren für das zivilgerichtliche Verfahren in zweiter und dritter Instanz nach litc des § 2 Z 1 GGG enthalten nämlich auch - anders als zB die an sich niedrigen festen Eingabengebühren nach der Z 2 des § 2 (s. dazu das Erkenntnis des ) - der Höhe nach nicht begrenzte Hundertsatzgebühren.

Den - vorläufigen - Bedenken des VfGH scheint nicht entgegenzustehen, daß das gerichtliche Gebührenrecht anders als das allgemeine Abgabenrecht keinen Verspätungszuschlag und keinen Säumniszuschlag vorsieht, welche die Funktion von Verzugszinsen erfüllen, wobei zumindest der Verspätungszuschlag offenbar auch den mit der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen verbundenen zusätzlichen Verwaltungsaufwand abdecken soll (s. hiezu u.a.). Das Fehlen dieser Zuschläge, die an Höhe bis zu 10 % (§135 BAO) und 2 % (§219 BAO) betragen, dürfte nämlich einen Mehrbetrag im Ausmaß von 25 % wohl nicht rechtfertigen. Es scheint somit eine - der Höhe nach unbegrenzte - zwingende Mehrgebühr von 25 % der jeweiligen Gebührenschuld auch nicht (mehr) der pauschalen Abgeltung des durch die Nichtentrichtung entstandenen Verwaltungsaufwandes zu dienen. Ebensowenig scheint das Ausmaß der Gebührenerhöhung dadurch zu rechtfertigen zu sein, daß hier besondere Regelungen über die Rechtzeitigkeit des Einlangens von Gerichtsgebühren (§31 Abs 3 GGG) vorhanden sind.

Zwar ist in § 31 Abs 2 litb GGG vorgesehen, daß die Haftung des Bevollmächtigten als Bürge und Zahler für den Mehrbetrag in den Fällen des § 2 Z 1 litc nie mit mehr als mit einem Gesamtbetrag von S 5.000,-- eintritt. Es scheint jedoch auch diese - nur für einen Teil der Gebührenpflichtigen geltende - Begrenzung an den gegen den Mehrbetrag als solchem gerichteten Bedenken nichts ändern zu können. Die Frage, ob die Haftungsbegrenzung mit S 5.000,-- im Sinne der bereits oben angeführten Rechtsprechung zu niedrigen festen Gebühren () zur Unbedenklichkeit der Norm führen könnte, stellt sich daher gar nicht.

Auch die in § 9 Abs 2 des gerichtlichen Einbringungsgesetzes 1962, BGBl. 288, vorgesehene - im Ermessen der Behörde stehende ('Gebühren ... können auf Antrag nachgesehen werden ...') - Möglichkeit eines Gebührennachlasses in besonderen Fällen scheint an der Unsachlichkeit der in Prüfung gezogenen Regelung nichts zu ändern."

4. Die Bundesregierung hat im Gesetzesprüfungsverfahren ausdrücklich erklärt, im Hinblick auf das - im Prüfungsbeschluß vom zitierte - Erkenntnis des (= VfSlg. 11295/1987), von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen.

Es ist auch sonst nichts hervorgekommen, was gegen die Richtigkeit der oben wiedergegebenen Bedenken spräche.

Die in Prüfung gezogene - durch die Nov. BGBl. 292/1987 ohne Übergangsbestimmung außer Wirksamkeit gesetzte Regelung war daher gleichheitswidrig, weil - zusammenfassend ausgedrückt - mit ihr dem Gebührenschuldner eine 25 %-ige Erhöhung einer Abgabe ohne Berücksichtigung der Entschuldbarkeit seiner Versäumnis oder ihres sonstigen Gewichtes auferlegt wird, was eine überschießende (exzessive) Reaktion auf die Unterlassung des Abgabepflichtigen darstellt, die den rechtspolitischen Spielraum des Gesetzgebers überschreitet.

III. Die übrigen Aussprüche beruhen auf Art 140 Abs 5 B-VG.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.