TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 12.12.2016, G63/2016

VfGH vom 12.12.2016, G63/2016

Leitsatz

Kein Verstoß der Regelung über die Möglichkeit der vorzeitigen gerichtlichen Verwertung sichergestellter oder beschlagnahmter Gegenstände oder Vermögenswerte wegen unverhältnismäßiger Aufbewahrungskosten gegen das Eigentumsrecht und die Unschuldsvermutung; Eigentumseingriff im öffentlichen Interesse an einer effizienten Strafverfolgung gelegen; kein Abspruch über die Schuld oder Unschuld der von der Veräußerung betroffenen Person

Spruch

I. Der Antrag wird, soweit er sich auf die Wortfolge "oder lassen sie sich nur mit unverhältnismäßigen Kosten aufbewahren" in § 115e Abs 1 StPO sowie auf § 115e Abs 2 letzter Satz StPO, jeweils idF BGBl I 35/2012, bezieht, abgewiesen.

II. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit vorliegendem, auf Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, § 115e StPO zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1. Die – zur Gänze – angefochtene (und hervorgehobene) Bestimmung des § 115e StPO idF BGBl I 35/2012 weist folgenden Wortlaut auf:

" § 115e. (1) Unterliegen sichergestellte (§110 Abs 1 Z 3) oder beschlagnahmte (§115 Abs 1 Z 3) Gegenstände oder Vermögenswerte einem raschem Verderben oder einer erheblichen Wertminderung oder lassen sie sich nur mit unverhältnismäßigen Kosten aufbewahren, so kann das Gericht diese auf Antrag der Staatsanwaltschaft auf die im § 377 angeordnete Weise veräußern. Die Verwertung hat jedoch solange zu unterbleiben, als die Gegenstände für Beweiszwecke benötigt werden (§110 Abs 4).

(2) Personen, die von der Veräußerung betroffen sind, sind vor der Verwertung, gegebenenfalls unter sinngemäßer Anwendung des § 83 Abs 5 zu verständigen. Der Erlös tritt an die Stelle der veräußerten Gegenstände. Die Verwertung wegen unverhältnismäßiger Aufbewahrungskosten unterbleibt, wenn rechtzeitig ein zur Deckung dieser Kosten ausreichender Betrag erlegt wird.

(3) Über die Verwertung hat das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls zugleich mit der Beschlagnahme zu entscheiden. "

2. Die angefochtene Bestimmung wurde mit dem 2. Stabilitätsgesetz 2012 (2. StabG 2012), BGBl I 35, eingeführt. Die Erläuterungen zur RV 1685 BlgNR 24. GP, 35, führen zu dieser Vorschrift aus:

"Zu Z 2 (§115e):

Nachdem das nationale System der vermögensrechtlichen Anordnungen, dessen Effizienz, aber auch das Thema der Verwertung und Vollstreckung in den letzten Jahren im Zentrum nationaler und internationaler Begutachtungen standen und dabei auch Kritik formuliert wurde (z.B. Bericht des Rechnungshofs 'Geldwäschebekämpfung und Vermögensabschöpfung' (Reihe Bund 2008/12) an den Nationalrat vom (III 11 d.B. XXIV GP), GRECO Evaluierungsbericht zur Korruptionsbekämpfung in Österreich betreffend Abschöpfung (der Erträge von Korruption) u.a. vom und Länderprüfung Österreichs durch die Financial Action Task Force (FATF) im Sommer 2009), berief das Bundesministerium für Justiz im September 2011 eine Arbeitsgruppe 'vermögensrechtliche Anordnungen' ein, deren Teilnehmerkreis sich aus Vertreterinnen und Vertretern der vier Oberlandesgerichts- und Oberstaatsanwaltschaftssprengel, des Bundeskriminalamtes, von Eurojust und Europol (Criminal Assets Bureau CARIN) sowie des international beachteten und sehr erfolgreichen niederländischen Büros für Vermögensabschöpfung zusammensetzte. Im Rahmen der Erörterung bestehender Problembereiche wurde für die Phase des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens neben der teils mangelnde[n] Spezialisierung der handelnden Akteure einhellig insbesondere moniert, dass die (längerfristige) Verwahrung von sichergestellten bzw. beschlagnahmten Vermögenswerten oftmals zu organisatorischen Problemen führe und teils mit enormen Kosten verbunden ist. Dabei würden die betroffenen Vermögenswerte (z.B. Personenkraftwägen, Wertpapiere, usw.) im Verhältnis zur Dauer eines Strafverfahrens bis zu seiner rechtskräftigen Erledigung auch in vielen Fällen einem (relativ) raschen Wertverlust unterliegen. Sodann wurden seitens des Bundesministeriums für Justiz aber auch seitens des Bundesministeriums für Inneres Überlegungen in Richtung einer frühzeitigen Verwertungsmöglichkeit erörtert, um zu erreichen, dass Gegenstände auch vor Rechtskraft einer Gerichtsentscheidung veräußert werden können und damit auch eine Aufwandsminimierung in der Praxis zu erreichen.

Diese Möglichkeit soll mit der Bestimmung des § 115e StPO geschaffen werden, wonach sichergestellte (§110 Abs 1 Z 3 StPO) oder beschlagnahmte (§115 Abs 1 Z 3 StPO) Gegenstände oder Vermögenswerte, die einem raschem Verderben oder einer erheblichen Wertminderung unterliegen oder sich nur mit unverhältnismäßigen Kosten aufbewahren lassen, auf Antrag der Staatsanwaltschaft auf die im § 377 StPO angeordnete Weise vom Gericht veräußert werden können. Die unter Berücksicht[ig]ung des Verhältnismäßigkeitsgebots (§5 StPO) zu treffende Entscheidung auf Verwertung soll jedoch solange unterbleiben, als die Gegenstände für Beweiszwecke benötigt werden (§110 Abs 4 StPO). Personen, die von der Veräußerung betroffen sind, sollen vor der Verwertung verständigt werden, wobei dies zur Vermeidung von Verzögerungen gegebenenfalls unter sinngemäßer Anwendung des § 83 Abs 5 StPO erfolgen kann […]. Für den Fall, dass sichergestellte Vermögenswerte einer gerichtlichen Entscheidung über die Beschlagnahme zuzuführen sind, […] soll das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegebenenfalls zugleich mit der Beschlagnahme über die Verwertung zu entscheiden haben."

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Gegen den Antragsteller wurde seitens der Staatsanwaltschaft Eisenstadt Anklage wegen des Vorwurfs des in zahlreichen Angriffen begangenen, teils im Versuchsstadium verbliebenen Verbrechens der Schlepperei gemäß § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 2 (idF BGBl I 144/2013) und Abs 4 1. Fall FremdenpolizeiG 2005 und § 15 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen eingebracht; in der Anklageschrift beantragte die Staatsanwaltschaft überdies, gemäß § 20 Abs 3 StGB den Verfall von € 30.000,– anzuordnen.

Mit Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt vom , Z 25 Hv 3/16i 125, wurde über Antrag der Staatsanwaltschaft Eisenstadt der auf den Antragsteller zugelassene PKW der Marke BMW 535D Lim gemäß § 115 Abs 1 Z 3 StPO gerichtlich beschlagnahmt (Spruchpunkt 1.) und das Verwertungsverfahren nach §§115e, 377 und 379 StPO iVm § 280 EO eingeleitet (Spruchpunkt 2.), da für die Aufbewahrung unverhältnismäßig hohe Kosten entstünden; ferner wurde darauf hingewiesen, dass die Verwertung gemäß § 115e Abs 2 StPO unterbleibe, wenn rechtzeitig ein zur Deckung der Aufbewahrungskosten ausreichender Betrag von € 4.000,– erlegt werde (Spruchpunkt 3.).

2. Gegen diesen Beschluss erhob der Antragssteller am Beschwerde und stellte aus deren Anlass unter einem den vorliegenden, auf Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG gestützten Antrag. Darin legt der Antragsteller seine Bedenken wie folgt dar:

2.1. Das Gericht habe sich bei der Einleitung des Verwertungsverfahrens betreffend den in Rede stehenden PKW auf § 115e StPO gestützt, weshalb diese Vorschrift präjudiziell sei. Da es die Bestimmung des § 115e StPO gestatte, Vermögensgegenstände, die im Eigentum des Angeklagten stehen, "exekutiv zu verwerten, noch bevor das Strafgericht im Hauptverfahren die […] erhobenen Beschuldigungen geprüft […], über die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft entschieden […] und auch noch bevor das Strafgericht über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung des Verfalls (zu dessen Sicherung die Beschlagnahme und Verwertung des PKWs erfolgen soll) überhaupt entschieden" habe, eine Verletzung seiner verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte.

2.2. Die angefochtene Bestimmung greife in "massiver Weise" in das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums ein, weshalb § 115e StPO an der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu Art 5 StGG und Art 1 1. ZPEMRK zu messen sei.

Für den durch § 115e StPO angeordneten Eingriff fehle jedwedes öffentliche Interesse, der Eingriff erweise sich als unverhältnismäßig, weil "noch vor der Entscheidung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten [und] noch vor der Entscheidung über einen allfälligen Verfall vollendete Tatsachen geschaffen" würden. Diese "Tatsachen" würden den von einer Beschlagnahme und Verwertung betroffenen Angeklagten in seinem Vermögen schädigen.

Exekutive Verwertungen seien "erfahrungsgemäß damit verbunden, dass eine Veräußerung unter dem tatsächlichen Zeitwert des Gegenstandes" erfolge. Sollte der Angeklagte schließlich freigesprochen werden, "wäre dieser […] mehrfach in seinem Eigentum geschädigt": Die beschlagnahmte Sache hätte er verloren, der an deren Stelle tretende Veräußerungserlös würde ihm zwar zukommen, dieser läge erfahrungsgemäß aber deutlich unter dem tatsächlichen Wert des betreffenden Gegenstandes; die Schadensdifferenz könne auch nicht aus dem Titel der Amtshaftung gegen die Republik Österreich geltend gemacht werden, da die staatlichen Organe gesetzeskonform – und daher nicht rechtswidrig – gehandelt hätten, sodass ein Amtshaftungsanspruch nicht bestehe.

Ferner bringt der Antragsteller vor, dass der massive Eingriff in das Eigentum eines Angeklagten bereits vor dessen rechtskräftiger Verurteilung zudem einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 EMRK darstelle, weshalb sich die angefochtene Bestimmung auch aus diesem Grund als verfassungswidrig erweise.

Aus den vorgenannten Gründen begehrt der Antragsteller, § 115e StPO zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Zulässigkeit des Antrages nicht bestreitet, aber den geltend gemachten Bedenken mit näherer Begründung entgegentritt. Für den Fall der Aufhebung beantragt die Bundesregierung, eine Frist von einem Jahr zu bestimmen.

Im Einzelnen bringt die Bundesregierung vor:

3.1. Hinsichtlich der Bedenken des Antragstellers im Hinblick auf Art 5 StGG und Art 1 1. ZPEMRK weist die Bundesregierung darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Eigentumsbeschränkungen nach Art 5 StGG und Art 1 1. ZPEMRK zulässig seien, sofern dadurch nicht der Wesensgehalt des Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums berührt werde, sie im öffentlichen Interesse lägen und nicht unverhältnismäßig seien.

3.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sei die Beschlagnahme von Gegenständen oder Vermögenswerten im Rahmen der Strafverfolgung als Eigentumsbeschränkung zu qualifizieren und den Nutzungsregelungen gemäß Art 1 Abs 2 1. ZPEMRK zuzuordnen. Bei derartigen Nutzungsregelungen sei es – wie bei Eigentumseingriffen gemäß Art 1 Abs 1 1. ZPEMRK – erforderlich, dass sie im Allgemeininteresse bzw. im öffentlichen Interesse liegen und dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit zwischen dem eingesetzten Mittel und dem verfolgten Ziel entsprechen.

3.2.1. Eigentumsbeschränkungen, die der Sicherung von eventuell zu konfiszierendem, unrechtmäßig erlangten Eigentum oder der Sicherstellung zivilrechtlicher Ansprüche der Opfer dienen, lägen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte grundsätzlich im Allgemeininteresse bzw. im öffentlichen Interesse.

3.2.2. Um die Verhältnismäßigkeit zu wahren, seien beschlagnahmte Gegenstände im Falle eines Freispruches im der Beschlagnahme zugrunde liegenden Strafverfahren jedenfalls wieder auszuhändigen; dass es auf Grund der Beschlagnahme oder Konfiszierung zu finanziellen Einbußen (zB wegen eintretender Wertverluste oder eines Verkaufs unter dem ursprünglichen Wert) komme, führe noch nicht zur Unverhältnismäßigkeit, derartige (in der Regel zu erwartende) Verluste seien jedoch auf das Unvermeidliche zu beschränken.

3.3. Nach Ansicht der Bundesregierung werde § 115e StPO diesen Anforderungen gerecht: Die Bestimmung ermögliche es, zur Sicherung vermögensrechtlicher Anordnungen, wie beispielsweise des Verfalles oder der Konfiskation, beschlagnahmte Gegenstände und Vermögenswerte unter bestimmten Voraussetzungen vorzeitig gerichtlich zu verwerten.

3.3.1. Vor dem Hintergrund der angeführten Rechtsprechung würden die mit der angefochtenen Bestimmung verfolgten Ziele einer vorzeitigen Verwertbarkeit bestimmter beschlagnahmter Gegenstände – nämlich die Sicherstellung der Effektivität allfälliger vermögensrechtlicher Anordnungen sowie der Schutz des Betroffenen als Ausfolgungsberechtigten vor unverhältnismäßigen Verlusten für den Fall des Unterbleibens der vermögensrechtlichen Anordnungen – im öffentlichen Interesse liegen, zumal dem Gesetzgeber bei der Entscheidung, welche Ziele er mit seinen Regelungen verfolgt, innerhalb der verfassungsrechtlichen Schranken ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukomme.

3.3.2. Aus der Verpflichtung des Gerichtes, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 115e StPO die Veräußerung einzuleiten, ergebe sich, dass das Gericht für die bestmögliche Erhaltung des Wertes sichergestellter oder beschlagnahmter Gegenstände Sorge zu tragen habe. Bei der Beurteilung der Voraussetzungen sei eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem zu erwartenden Wertverlust bzw. den anfallenden Aufbewahrungskosten und der Aufbewahrungsdauer zugrunde zu legen, wobei das Gericht bei seiner Entscheidung gemäß § 5 StPO an das Verhältnismäßigkeitsgebot gebunden sei, wonach es unter mehreren zielführenden Zwangsmaßnahmen jene zu ergreifen habe, die die Rechte des Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt.

Im Übrigen habe selbst bei Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen des § 115e StPO die vorzeitige Verwertung gemäß § 115e Abs 1 letzter Satz StPO zu unterbleiben, solange die Gegenstände für Beweiszwecke benötigt werden; zudem könne der Betroffene gemäß § 115e Abs 2 StPO die vorzeitige Verwertung wegen unverhältnismäßiger Aufbewahrungskosten durch rechtzeitige Erlegung eines zu deren Deckung ausreichenden Betrages verhindern. Bei Wegfall der Voraussetzungen für die Sicherstellung oder Beschlagnahme gemäß §§113 Abs 3 und 115 Abs 6 StPO habe die vorzeitige Verwertung zu unterbleiben. Schließlich sei eine zur Sicherung eines etwaig anzuordnenden Verfalles erfolgte Beschlagnahme auch im Fall des Erlages des gemäß § 115 Abs 5 StPO vom Gericht bestimmten Deckungsbetrages aufzuheben.

Die angefochtene Bestimmung stelle somit sicher, dass eine vorzeitige Verwertung nur zulässig ist, wenn diese zur Erreichung der genannten Ziele unbedingt erforderlich ist. § 115e StPO erweise sich daher nach Auffassung der Bundesregierung auch als verhältnismäßig.

Der Umstand, dass der Ausfolgungsberechtigte im Fall einer vorzeitigen Verwertung nicht mehr die Sache selbst, sondern den an deren Stelle tretenden Verwertungserlös erhalte, bewirke ebenfalls keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Eigentumsrecht des Ausfolgungsberechtigten; § 115e StPO gewährleiste, dass mit der Sicherstellung oder Beschlagnahme kein unverhältnismäßiger wirtschaftlicher Verlust beim Betroffenen entsteht, wie dies auch der Europäische Gerichtshofes für Menschenrechte verlange. Im Falle einer vorzeitigen Verwertung zur Vermeidung unverhältnismäßiger Aufbewahrungskosten habe es der Betroffene durch Erlag eines entsprechenden Kostendeckungsbeitrags in der Hand, diese abzuwenden.

Der mit der angefochtenen Norm verbundene Eigentumseingriff sei daher im öffentlichen Interesse gelegen und verhältnismäßig.

3.4. Zu den Bedenken des Antragstellers im Hinblick auf Art 6 Abs 2 EMRK führt die Bundesregierung aus, dass die Unschuldsvermutung Personen in verschiedener Hinsicht vor Vorverurteilungen bzw. der Zuweisung von Schuld schütze, solange nicht eine entsprechende gerichtliche Feststellung erfolgt ist, wobei die Unschuldsvermutung nicht nur das strafgerichtliche Beweisverfahren, sondern auch gerichtliche Entscheidungen iZm dem Strafverfahren betreffe.

Handlungen oder objektive Tatsachen als Unrecht zu deklarieren, ohne dabei schuldhafte Begehung vorauszusetzen, sei mit dem Gebot der Unschuldsvermutung grundsätzlich vereinbar; eine Abschöpfungsanordnung verstoße daher dann nicht gegen das Gebot der Unschuldsvermutung, wenn sich die Höhe der Abschöpfung nach den Einnahmen aus kriminellen Handlungen bemisst, selbst wenn diese kriminellen Handlungen nicht notwendigerweise zu einer Verurteilung geführt hätten.

Da die vorzeitige Verwertung sichergestellter oder beschlagnahmter Gegenstände und Vermögenswerte gemäß § 115e StPO einerseits die Effektivität allfälliger vermögensrechtlicher Anordnungen sicherstelle, andererseits den Betroffenen als Ausfolgungsberechtigten vor unverhältnismäßigen Verlusten für den Fall des Unterbleibens der vermögensrechtlichen Anordnung schütze, sei mit der vorzeitigen Verwertung von vornherein keine Entscheidung über die Schuld des Beschuldigten bzw. Angeklagten verbunden. Ein Verstoß gegen das Gebot der Unschuldsvermutung gemäß Art 6 Abs 2 EMRK komme daher insoweit nicht in Betracht.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1.1. Gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG idF BGBl I 114/2013 erkennt der Verfassungsgerichtshof seit (Art151 Abs 54 Z 5 B VG) über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

Nach § 62a Abs 1 erster Satz VfGG idF BGBl I 78/2016 kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

1.1.2. Der vorliegende Antrag wurde aus Anlass der Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt, mit dem unter anderem das Verwertungsverfahren hinsichtlich des oben bezeichneten, auf den Antragsteller zugelassenen Fahrzeuges (vorzeitig) eingeleitet wurde, gestellt. Es handelt sich dabei um eine in erster Instanz von einem ordentlichen Gericht entschiedene Rechtssache iSd Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG.

Dem Antragsteller kommt in diesem Verfahren Parteistellung zu, womit er zur Antragstellung gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG berechtigt ist; auch erfolgte die Antragstellung – ausweislich der Aktenlage – rechtzeitig.

1.2. Ein Antrag nach Art 140 Abs 1 B VG hat gemäß § 62 Abs 1 erster Satz VfGG stets ein hinreichend bestimmtes Begehren zu enthalten (vgl. zB VfSlg 11.888/1988, 14.040/1995, 14.634/1996 und 17.570/2005).

Der Antragsteller nennt in seinem Antrag zwar keine bestimmte Fassung des § 115e StPO, deren Aufhebung er begehrt; da diese Bestimmung aber seit ihrer Erlassung durch BGBl I 35/2012 nicht geändert wurde, lässt sich aus dem Antrag zweifelsfrei erschließen, dass er sich auf diese Fassung bezieht (vgl. VfSlg 19.684/2012).

1.3.1. Ein Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG kann gemäß § 62 Abs 2 VfGG überdies nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw. die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG setzt daher voraus, dass die angefochtenen Bestimmungen in der vor dem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache präjudiziell sind (vgl. zB ua.; , G498/2015 ua.).

1.3.2. Die gerichtliche Anordnung der frühzeitigen Verwertung des unter einem beschlagnahmten Fahrzeuges des antragstellenden Beschuldigten, aus deren Anlass der vorliegende Antrag gestellt wird, gründet auf § 115e StPO. Diese Regelung normiert drei Fälle, in denen eine frühzeitige Verwertung eines sichergestellten oder – wie im vorliegenden Fall – beschlagnahmten Gegenstandes zulässig ist, wobei der erste Fall einen raschen Verderb, der zweite Fall eine erhebliche Wertminderung des Gegenstandes bzw. Vermögenswertes und der dritte – im Anlassfall angenommene – Fall die außer Verhältnis zu geraten drohenden Kosten der Aufbewahrung betrifft.

Laut Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt würden bei längerer Verwahrdauer des mit einem Zeitwert von rund € 15.000,– veranschlagten Fahrzeuges und täglichen Verwahrkosten von € 10,– angesichts des im Entscheidungszeitpunkt nicht abschätzbaren Abschlusses des Verfahrens unverhältnismäßig hohe Kosten entstehen. Da der Anlassfall somit die frühzeitige Verwertung eines beschlagnahmten Gegenstandes wegen unangemessen hoher Aufbewahrungskosten betrifft, wurde dieser Tatbestand vom Landesgericht Eisenstadt angewendet.

Da die angegriffene Bestimmung nach ihrem Wortlaut drei Fälle regelt, in denen eine vorzeitige Verwertung von sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenständen gerichtlich angeordnet werden darf, und eine bloße Aufhebung des dritten, die Verwertung wegen unverhältnismäßiger Aufbewahrungskosten betreffenden Tatbestandes die beiden anderen in dieser Norm geregelten Fallgruppen unberührt lässt, ist der Antrag unter dem Blickwinkel der aus Anlass des bekämpften Gerichtsbeschlusses vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken nur bezüglich der Wortfolge "oder lassen sie sich nur mit unverhältnismäßigen Kosten aufbewahren" in § 115e Abs 1 und des damit im untrennbaren Zusammenhang stehenden letzten Satzes des § 115e Abs 2 StPO zulässig. Nur diese Wortfolge ist präjudiziell und sie steht mit den anderen Tatbeständen des § 115e Abs 1 StPO nicht in einem untrennbaren Zusammenhang. Auch der letzte Satz des § 115e Abs 2 StPO steht nur mit der genannten Wortfolge, also dem dritten Tatbestand des § 115e Abs 1 StPO, in einem untrennbaren Zusammenhang.

1.4. Soweit sich der Antrag auf die Wortfolge "oder lassen sie sich nur mit unverhältnismäßigen Kosten aufbewahren" in § 115e Abs 1 StPO sowie Abs 2 letzter Satz leg.cit. bezieht, ist er daher – da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind – zulässig; im Übrigen ist der Antrag unzulässig.

2. In der Sache

1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2. Soweit zulässig, ist der Antrag nicht begründet:

2.1. Der Antragsteller erblickt eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art 1 1. ZPEMRK) sowie der gemäß Art 6 Abs 2 EMRK gewährleisteten Unschuldsvermutung im Wesentlichen darin, dass die angefochtene Bestimmung des § 115e StPO eine Verwertung von in jemandes Eigentum stehenden Gegenständen und Vermögenswerten, die sichergestellt oder beschlagnahmt wurden, zulässt, noch bevor das Strafgericht über die Anklage oder den Verfall entschieden hat; dies stelle einen nicht im öffentlichen Interesse gelegenen, unverhältnismäßigen Eingriff in die genannten Rechte dar, wobei auch der Umstand, dass der Eigentümer Anspruch auf den Erlös aus der Verwertung im Falle des Unterbleibens des Verfalles habe, dies nicht zu ändern vermöge, da der Veräußerungserlös erfahrungsgemäß deutlich niedriger sei als der tatsächliche Wert des veräußerten Gegenstandes.

2.2. Zur behaupteten Verletzung des Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art 1 1. ZPEMRK):

Eine Regelung wie die vorliegende, wonach sichergestellte oder beschlagnahmte Gegenstände oder Vermögenswerte, die sich nur mit unverhältnismäßigen Kosten aufbewahren lassen, auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom Gericht auf bestimmte Art und Weise veräußert werden können, gestattet einen Eigentumseingriff, der, um nach Art 5 StGG und Art 1 1. ZPEMRK verfassungsmäßig zu sein, u.a. im öffentlichen Interesse liegen muss (zB VfSlg 15.577/1999 und 17.071/2003) und nicht unverhältnismäßig sein darf (zB VfSlg 14.500/1996, 18.838/2009).

§115e Abs 1 3. Fall StPO dient der Vermeidung unverhältnismäßiger Kosten für die Aufbewahrung von im Zuge eines Strafverfahrens sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenständen und Vermögenswerten und liegt damit im öffentlichen Interesse an einer effizienten Strafverfolgung, zumal die Kosten für die Aufbewahrung erhebliche Ausmaße annehmen können und die –gegebenenfalls längere Zeit andauernde – Aufbewahrung auch zu organisatorischen Problemen führen kann (vgl. die Erläut. zur RV zum 2. Stabilitätsgesetz 2012, 1685 BlgNR 24. GP, 11 und 35; Oshidari , WK-StPO, 2013, § 115e, Rz 1 und 8).

Die durch § 115e Abs 1 3. Fall StPO vorgesehene Möglichkeit der vorzeitigen gerichtlichen Verwertung sichergestellter oder beschlagnahmter Gegenstände und Vermögenswerte zur Vermeidung hoher Aufbewahrungskosten ist auch nicht unverhältnismäßig, kommt sie doch nur dann zum Tragen, wenn die Kosten der Aufbewahrung zum Wert des Gegenstandes außer Verhältnis stehen bzw. in ein Missverhältnis zu geraten drohen. Überdies ist eine (vorzeitige) Verwertung gemäß § 115e Abs 1 letzter Satz StPO ausgeschlossen, wenn und solange die Gegenstände für Beweiszwecke (vgl. dazu § 110 Abs 4 StPO) benötigt werden; dies gilt selbst dann, wenn deren Aufbewahrung unverhältnismäßige Kosten verursacht. Schließlich haben Personen, die von der Veräußerung betroffen sind, die Möglichkeit, die vorzeitige Verwertung wegen unverhältnismäßiger Aufbewahrungskosten abzuwenden, indem sie rechtzeitig einen zur Deckung dieser Kosten ausreichenden Betrag erlegen (§115e Abs 2 letzter Satz StPO).

Die angefochtene Bestimmung verstößt daher – entgegen der Ansicht des Antragstellers – nicht gegen das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums.

2.3. Zur behaupteten Verletzung der Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 EMRK:

2.3.1. Der Antragsteller erblickt im Umstand, dass die angefochtene Bestimmung eine Verwertung sichergestellter oder beschlagnahmter Gegenstände oder Vermögenswerte vor der rechtskräftigen Verurteilung zulässt, überdies eine Verletzung der Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 EMRK.

2.3.2. Auch in dieser Hinsicht sind die Bedenken des Antragstellers nicht begründet:

Das rechtsstaatliche Gebot der Unschuldsvermutung schützt von Strafverfolgung betroffene Personen vor Vorverurteilung bzw. der Zuweisung der Schuld, solange diese nicht gerichtlich festgestellt wurde. Der Schutzbereich des Art 6 Abs 2 EMRK umfasst nicht bloß das gerichtliche Beweisverfahren, sondern auch andere gerichtliche Entscheidungen im Kontext des Strafverfahrens, durch die der betreffenden Person vor einer allfälligen Verurteilung eine Behandlung wie einem Schuldigen zuteil wird; schon (etwa im Zuge von Kosten- oder Haftentschädigungsentscheidungen geäußerte) Vermutungen des Gerichts über die Schuld dieser Person – ohne dahingehende Verurteilung bzw. trotz eines Freispruches – verletzen Art 6 Abs 2 EMRK (vgl. Grabenwarter/Pabel , Europäische Menschenrechtskonfention 6 , 2016, § 24 Rz 139 ff., mwN).

Wie auch die Bundesregierung zutreffend ausführt, wird mit der Entscheidung über eine vorzeitige gerichtliche Verwertung sichergestellter oder beschlagnahmter Gegenstände oder Vermögenswerte, die die Voraussetzung des § 115e Abs 1 3. Fall StPO erfüllen, nicht über die Schuld oder Unschuld des von der (möglichen) Veräußerung Betroffenen abgesprochen. Die in Rede stehende Entscheidung über die Zulässigkeit einer vorzeitigen gerichtlichen Verwertung sichergestellter bzw. beschlagnahmter Gegenstände oder Vermögenswerte spricht – abgesehen von der Frage, ob die für eine Sicherstellung oder Beschlagnahme notwendigen Voraussetzungen in diesem Zeitpunkt nach wie vor erfüllt sind – ausschließlich über das Vorliegen der in § 115e Abs 1 3. Fall StPO genannten Voraussetzung, nämlich unverhältnismäßige Aufbewahrungskosten, ab. Damit wird lediglich über den Wert der sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenstände oder Vermögenswerte in Relation zu den mit der Aufbewahrung verbundenen Kosten entschieden, nicht aber darüber, ob die von der Veräußerung betroffene Person schuldig ist. Vielmehr soll die vorzeitige gerichtliche Verwertung die Effektivität vermögensrechtlicher Anordnungen sicherstellen, den finanziellen und organisatorischen Aufwand der Strafverfolgungsbehörden verringern und nicht zuletzt auch den (potentiell zu Unrecht) von der Veräußerung Betroffenen vor vermeidbaren (Wert-)Verlusten schützen. Da diesem im Falle des Unterbleibens der vermögensrechtlichen Anordnung oder des Wegfalles der Voraussetzungen für die Sicherstellung bzw. Beschlagnahme ein Ausfolgungsanspruch zusteht, erhält er die sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenstände oder Vermögenswerte – respektive den an deren Stelle getretenen Veräußerungserlös – zurück, sodass mit einer Entscheidung gemäß § 115e (Abs1 3. Fall) StPO gerade nicht dergestalt (endgültig) disponiert wird, dass dies einer Schuldzuweisung gleichkäme.

Eine Entscheidung, die die vorzeitige gerichtliche Verwertung von sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenständen oder Vermögenswerten gemäß § 115e (Abs1 3. Fall) StPO zulässt, spricht also weder ausdrücklich noch implizit über die Schuld der davon betroffenen Person(en) ab, weshalb mit einer solchen Entscheidung schon denkmöglich keine Verletzung der Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 EMRK einhergehen kann. Der Verfassungsgerichtshof vermag daher auch unter diesem Gesichtspunkt keine Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Norm zu erkennen.

V. Ergebnis

1. Die vom Antragsteller erhobenen Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 115e StPO treffen nicht zu. Der Antrag ist daher abzuweisen, soweit er die Wortfolge "oder lassen sie sich nur mit unverhältnismäßigen Kosten aufbewahren" in § 115e Abs 1 sowie Abs 2 letzter Satz StPO ("Die Verwertung wegen unverhältnismäßiger Aufbewahrungskosten unterbleibt, wenn rechtzeitig ein zur Deckung dieser Kosten ausreichender Betrag erlegt wird.") betrifft.

2. Im Übrigen ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen.

3. Dem Antragsteller sind die begehrten Kosten nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines Antrages nach Art 140 Abs 1 Z 1 litd B VG Sache des zuständigen ordentlichen Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (vgl. ; , G25/2016).

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:G63.2016