VfGH vom 29.02.2016, G534/2015
Leitsatz
Keine Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung des FremdenpolizeiG 2005 über die Voraussetzung (des Nachweises) der fristgerechten Ausreise für die Verkürzung oder Aufhebung eines Einreiseverbotes; Möglichkeit der Erwirkung der Gegenstandslosigkeit des Einreiseverbotes im Wege der Beantragung eines humanitären Aufenthaltstitels bei gebotener Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens auf Grund maßgeblicher Rechtsprechung des VwGH
Spruch
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
1. Mit seinem zu G534/2015 protokollierten, auf Art 89 iVm Art 135 Abs 4 B VG gestützten Antrag begehrt das Bundesverwaltungsgericht, (näher bezeichnete Teile des) § 60 Abs 1 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 68/2013, nämlich
"a) § 60 Abs 1 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG), BGBl I Nr 100/2005 idF BGBl I Nr 68/2013, zur Gänze, in eventu
b) die Wortfolge ', wenn der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat. Die fristgerechte Ausreise hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen' in § 60 Abs 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr 100/2005 idF BGBl I Nr 68/2013, in eventu
c) die Worte 'fristgerecht' und 'fristgerechte' in § 60 Abs 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr 100/2005 idF BGBl I Nr 68/2013"
als verfassungswidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1. Das Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 121/2015, lautet auszugsweise (der [in Teilen] angefochtene § 60 Abs 1 FPG gilt idF BGBl I 68/2013):
"8. Hauptstück
Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Fremde
1. Abschnitt
Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Drittstaatsangehörige
Rückkehrentscheidung
§52. (1)-(7) […].
(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.
(9)-(11) […].
Einreiseverbot
§53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.
(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs 1 ist, vorbehaltlich des Abs 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige
1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl Nr 159, iVm § 26 Abs 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl I Nr 120/1997, gemäß § 99 Abs 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl Nr 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§81 oder 82 des SPG, gemäß den §§9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl Nr 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;
2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;
3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs 3 genannte Übertretung handelt;
4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;
5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;
6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;
7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;
8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK nicht geführt hat oder
9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.
(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn
1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;
2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;
3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;
4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;
5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§278f StGB);
7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.
(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.
(5) Eine gemäß Abs 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.
(6) Einer Verurteilung nach Abs 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.
[…]
Frist für die freiwillige Ausreise
§55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs 2 BFA-VG aberkannt wurde.
(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs 1 ist mit Mandatsbescheid (§57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.
[…]
Verkürzung, Gegenstandslosigkeit und Aufhebung
§60. (1) Das Bundesamt kann ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs 2 auf Antrag des Drittstaatsangehörigen unter Berücksichtigung der für die Erlassung der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung oder des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblichen Umstände verkürzen oder aufheben, wenn der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat. Die fristgerechte Ausreise hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen.
(2) Das Bundesamt kann ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs 3 Z 1 bis 4 auf Antrag des Drittstaatsangehörigen unter Berücksichtigung der für die Erlassung der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung oder des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblichen Umstände verkürzen, wenn der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat und seither einen Zeitraum von mehr als die Hälfte des seinerzeitigen Einreiseverbotes im Ausland verbracht hat. Die fristgerechte Ausreise hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen.
(3) Die Rückkehrentscheidung wird gegenstandslos, wenn einem Drittstaatsangehörigen
1. der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird;
2. ein Aufenthaltstitel gemäß §§55 bis 57 AsylG 2005 erteilt wird.
[…]
5. Abschnitt: Gemeinsame Verfahrensbestimmungen für Ausweisung und Aufenthaltsverbot
[…]
Gegenstandslosigkeit und Aufhebung
§69. (1) Eine Ausweisung wird gegenstandslos, wenn der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung (§70) nachgekommen ist.
(2) Ein Aufenthaltsverbot ist auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.
(3) Das Aufenthaltsverbot tritt außer Kraft, wenn einem EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird."
2. Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 70/2015, lautet auszugsweise:
"7. Hauptstück: Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen
1. Abschnitt:
Aufenthaltstitel
[…]
Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK
§55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine 'Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl I Nr 189/1955) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vor, ist eine 'Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen.
[…]
2. Abschnitt:
Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln
Antragstellung und amtswegiges Verfahren
§58. (1)-(9) […].
(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt. […]
Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen
§60. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Drittstaatsangehörigen nicht erteilt werden, wenn
1. gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§52 iVm 53 Abs 2 oder 3 FPG besteht, […]."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Beschwerdeführer im Anlassverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist nigerianischer Staatsangehöriger. Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde zunächst im Instanzenzug vom unabhängigen Bundesasylsenat abgewiesen. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof abgelehnt. Angesichts einer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung wurden gegen den Beschwerdeführer des Anlassverfahrens auch ein auf zehn Jahre befristetes Rückkehrverbot sowie – unter Setzung einer 14 tägigen Frist für die freiwillige Ausreise – eine Rückkehrentscheidung und ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen.
In der Folge stellte der Beschwerdeführer des Anlassverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie einen Antrag auf Aufhebung des gegen ihn bestehenden Aufenthalts- bzw. Einreiseverbotes. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag auf Aufhebung des Einreiseverbotes gemäß § 60 Abs 1 FPG, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 68/2013, mit der Begründung ab, dass die Verkürzung bzw. Aufhebung des Einreiseverbotes einerseits eine fristgerechte Ausreise, andererseits eine Änderung der für das Einreiseverbot maßgeblichen Umstände voraussetze; der Antragsteller habe nicht nachgewiesen, Österreich fristgerecht bzw. überhaupt verlassen zu haben. Den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 Abs 1 AsylG 2005 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als unzulässig zurück.
2. In seiner in der Folge erhobenen, auf Art 131 Abs 1 Z 1 B VG gestützten Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht bringt der Beschwerdeführer des Anlassverfahrens zusammengefasst vor, dass es – wie sich aus Art 11 Abs 3 und Art 5 lita sowie b der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (im Folgenden: Rückführungs-Richtlinie), ABl. L 348/2008, ergebe – aus unionsrechtlichen Gründen auch vor Verlassen des Bundesgebietes möglich sein müsse, ein Einreiseverbot aufzuheben.
3. Anlässlich der Behandlung dieser Beschwerde äußert das Bundesverwaltungsgericht Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit von (näher bezeichneten Teilen des) § 60 Abs 1 FPG im Hinblick auf das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK, das Sachlichkeitsgebot sowie das Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander nach ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung (im Folgenden: BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung), BGBl 390/1973.
3.1. Zur Präjudizialität führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass es § 60 Abs 1 FPG in seinem Verfahren anzuwenden habe, habe sich doch die belangte Behörde bei Erlassung ihres Bescheides auf diese Bestimmung gestützt.
Den Anfechtungsumfang des Hauptantrages begründet das Bundesverwaltungsgericht mit Hinweis darauf, dass der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.713/2012 die Vorgängerbestimmung des § 60 Abs 1 FPG idF BGBl I 38/2011 mit der Begründung zur Gänze aufgehoben habe, dass diese Bestimmung die Voraussetzungen für die Verkürzung, Gegenstandslosigkeit und Aufhebung eines Einreiseverbotes abschließend geregelt habe und die Regelung in einem untrennbaren Zusammenhang stehe.
Den ersten Eventualantrag stellt das Bundesverwaltungsgericht für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof befinde, die Anfechtung des gesamten Abs 1 des § 60 FPG wäre zur Rechtsbereinigung nicht geeignet, weil dadurch Aufhebungsanträge überhaupt nicht mehr vorgesehen wären. Der zweite Eventualantrag solle den Fall abdecken, dass der Verfassungsgerichtshof zwar das Erfordernis einer fristgerechten Ausreise als verfassungswidrig erachte, nicht aber ein – unabdingbares – Erfordernis einer vorherigen – wenn auch nicht fristgerechten, so doch tatsächlich vollzogenen – Ausreise.
3.2. In der Sache begründet das Bundesverwaltungsgericht seine Bedenken gegen § 60 Abs 1 FPG hinsichtlich des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK zusammengefasst wie folgt: Der Verfassungsgerichtshof habe mit VfSlg 19.713/2012 die Vorgängerregelung des § 60 Abs 1 FPG idF BGBl I 38/2011 im Kern deswegen aufgehoben, weil Drittstaatsangehörige gar keine Möglichkeit gehabt hätten, die Aufhebung eines Einreiseverbotes zu beantragen. Die nunmehr geltende Fassung der Bestimmung würde Drittstaatsangehörigen zwar ermöglichen, die Aufhebung (bzw. Verkürzung) bestehender Einreiseverbote bestimmter Dauer zu beantragen, dies allerdings stets nur unter der Voraussetzung des Nachweises der zuvor fristgerecht erfolgten Ausreise aus dem Bundesgebiet.
Diese Voraussetzung führe aber dazu, dass Einreiseverbote im Ergebnis oftmals "unbehebbar" wären und zwar unabhängig von den Gründen, aus denen ein Drittstaatsangehöriger das Bundesgebiet nicht fristgerecht verlassen hat bzw. keine fristgerechte Ausreise nachweisen kann; insbesondere würden auch Fälle erfasst, in denen Ausreisepflichtige ihrer Ausreiseverpflichtung unverschuldet gar nicht nachkommen könnten (zB beim Fehlen von Dokumenten, insbesondere Heimreisezertifikaten) oder in denen eine Ausreise mit nur unwesentlicher Verspätung erfolgte (zB am Tag nach Ablauf der Ausreisefrist).
Durch eine Abweisung des Antrages auf Aufhebung eines Einreiseverbotes bewirkte Eingriffe in das Privat- und Familienleben des Antragstellers seien zwar im Sinne von Art 8 Abs 2 EMRK gesetzlich vorgesehen, aber in einer demokratischen Gesellschaft dann nicht notwendig, wenn eine Abweisung eines Antrages auf Aufhebung eines Einreiseverbotes allein mangels fristgerechter Ausreise des Antragstellers selbst in jenen Fällen erfolgt, in denen dies seinem schützenswerten Privat- oder Familienleben widerspricht und die ursprünglichen Gründe für das Einreiseverbot weggefallen sind.
3.3. Das Bundesverwaltungsgericht hegt weiter Bedenken gegen § 60 Abs 1 FPG im Hinblick auf ArtI Abs 1 des BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung. Ein Einreiseverbot nach § 60 Abs 1 FPG diene der Gefahrenabwehr, weshalb es bei Wegfall der Gefahr nicht mehr sachlich gerechtfertigt sei. Das aus ArtI Abs 1 des BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung folgende Sachlichkeitsgebot verpflichte demnach dazu, bei der nachträglichen Überprüfung eines Einreiseverbotes im Sinne einer Einzelfallprüfung zu berücksichtigen, ob ein Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder andere der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele weiterhin gefährden würde. Zwar sei im Erfordernis einer fristgerechten Ausreise durchaus ein sachliches Kriterium zur Beurteilung der Haltung des Betroffenen zur österreichischen Rechtsordnung zu erblicken. Dieses Erfordernis dürfe aber keine ausnahmslos notwendige Voraussetzung für eine Aufhebung eines Einreiseverbotes nach § 60 Abs 1 FPG darstellen. Dass im Einzelfall eine neuerliche Abwägung der ursprünglichen Gründe für das Einreiseverbot und eine Aufhebung des Einreiseverbotes möglich sein müsse, ergebe sich bereits aus VfSlg 19.713/2012. Im Falle einer verspäteten oder unterbliebenen Ausreise zwingend eine Gefährdung anzunehmen, widerspräche nicht nur Art 8 EMRK, sondern auch dem Sachlichkeitsgebot.
Zwar sehe Art 11 Abs 3 der Rückführungs-Richtlinie vor, dass die Aufhebung eines Einreiseverbotes voraussetze, dass der betroffene Drittstaatsangehörige nachweisen kann, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten "unter uneingeschränkter Einhaltung einer Rückkehrentscheidung" verlassen zu haben. Die Bestimmung gestatte aber auch eine Aufhebung aus humanitären oder sonstigen Gründen bzw. sehe dies vor. Zudem räumten Art 4 und 5 der Rückführungs-Richtlinie Umsetzungsspielraum ein. Die Rückführungs-Richtlinie erlaube also, Aufhebungsmöglichkeit und fristgerechte Ausreise zu entkoppeln. Bei Zugrundelegung eines anderen Auslegungsergebnisses sei zweifelhaft, ob Art 11 der Rückführungs-Richtlinie selbst mit Art 8 EMRK bzw. Art 7 GRC zu vereinbaren sei.
3.4. In Bezug auf das Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung führt das Bundesverwaltungsgericht zunächst aus, dass die Möglichkeiten zur Aufhebung von Aufenthaltsverboten gegenüber EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern oder begünstigten Drittstaatsangehörigen nach § 69 Abs 2 FPG nicht an den Nachweis einer fristgerechten Ausreise gebunden und damit günstiger ausgestaltet seien als diejenigen für Einreiseverbote gegenüber sonstigen Drittstaatsangehörigen nach § 60 Abs 1 FPG. Diese Unterscheidung sei – anders als in anderen Fällen, in denen der Verfassungsgerichtshof gesetzliche Differenzierungen zwischen begünstigten und sonstigen Drittstaatsangehörigen in Einzelfällen als sachlich gerechtfertigt befunden habe (vgl. zB VfSlg 18.968/2009, 19.160/2010) – sachlich nicht begründbar.
3.5. Schließlich sei in Konstellationen wie dem Anlassfall nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes eine Aufhebung des Einreiseverbotes auch auf keinem anderen Weg möglich. So komme die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht in Frage. Nach § 60 Abs 3 FPG werde eine Rückkehrentscheidung zwar gegenstandslos, wenn dem Betroffenen der Status eines Asylberechtigten zuerkannt oder ein Aufenthaltstitel gemäß der §§55 bis 57 AsylG 2005 erteilt wird, womit auch das Einreiseverbot gegenstandslos würde. Gemäß § 60 Abs 1 AsylG 2005 dürften einem Drittstaatsangehörigen aber keine Aufenthaltstitel erteilt werden, wenn gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot besteht.
4. Die beschwerdeführende Partei im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erstattete eine Äußerung, in der sie sich den Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts zu (Teilen des) § 60 Abs 1 FPG ausdrücklich nicht anschließt, sondern mit näheren Ausführungen Verstöße des § 60 Abs 1 AsylG 2005 (idF BGBl I 87/2012) gegen Art 8 EMRK und ArtI Abs 1 BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung behauptet. Einreiseverbote seien an Rückkehrentscheidungen gekoppelt. Nach § 60 Abs 2 Z 3 FPG wären Rückkehrentscheidungen, und damit aus systematischen Gründen auch Einreiseverbote, im Falle eines Aufenthaltstitels gemäß §§55 bis 57 AsylG 2005 gegenstandslos. Nach § 60 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 schließe eine Rückkehrentscheidung allerdings einen Aufenthaltstitel aus. Diese Rechtslage sei nicht nur verwirrend (bestehe ein Einreiseverbot, dürfe ein Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, werde er aber erteilt, sei das Einreiseverbot gegenstandslos), sondern auch verfassungswidrig. Eine Aufhebung dieser Bestimmung hält die beteiligte Partei allerdings nicht für geboten, weil in ihrem Fall ohnehin EU-Recht, insbesondere Art 5 und 11 Abs 3 der Rückführungs-Richtlinie sowie Art 24 GRC dem innerstaatlichen Recht vorgehe. Mit Blick auf ihr Privat- und Familienleben sei aus unionsrechtlichen Gründen das Einreiseverbot aufzuheben und/oder ein Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen zu erteilen (mit der Folge, dass das Einreiseverbot gegenstandslos wäre).
5. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen nicht bestreitet, in der Sache den im Antrag des Bundesverwaltungsgerichts erhobenen Bedenken aber entgegentritt.
Die Bundesregierung stellt zunächst die relevante Rechtslage wie folgt dar:
"3.1. Mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 – FrÄG 2011, BGBl I Nr 38/2011, wurde im FPG ein neues System aufenthaltsbeendender Maßnahmen geschaffen (vgl. ErlRV 1078 BlgNR 24. GP 1 f, 4 f). Dies erfolgte in Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (RückführungsRL). Die RückführungsRL verpflichtet die Mitgliedstaaten zu einer Harmonisierung ihrer Rechtsvorschriften über Rückkehr, Abschiebung, Anwendung von Zwangsmaßnahmen, Inhaftnahme und Einreiseverbote in Bezug auf illegal aufhältige Drittstaatsangehörige (vgl. Erwägungsgrund 20 der RückführungsRL).
3.2. Art 11 der RückführungsRL sieht die Einführung eines Einreiseverbots, das die Einreise in das Hoheitsgebiet sämtlicher Mitgliedstaaten und den dortigen Aufenthalt verbietet, vor. Das Einreiseverbot soll gewährleisten, dass die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen europäische Ausmaße erhält (vgl. Erwägungsgrund 14 der RückführungsRL).
Gemäß Art 11 Abs 1 UAbs1 der RückführungsRL gehen Rückkehrentscheidungen jedenfalls mit einem Einreiseverbot einher, wenn keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde. In anderen Fällen kann eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen (Art11 Abs 1 UAbs2 RückführungsRL). Das Einreiseverbot wird in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre; ein längeres Einreiseverbot ist zulässig, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche oder die nationale Sicherheit darstellt (Art11 Abs 2 RückführungsRL). Gemäß Art 11 Abs 3 RückführungsRL prüfen die Mitgliedstaaten die Aufhebung oder Aussetzung von Einreiseverboten gemäß Art 11 Abs 1 UAbs2 RückführungsRL, wenn die betroffenen Drittstaatsangehörigen nachweisen können, dass sie das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates unter uneingeschränkter Einhaltung einer Rückkehrentscheidung verlassen haben.
4.1. Aufgrund von Art 11 der RückführungsRL wurde die in § 53 FPG geregelte Maßnahme des Einreiseverbotes erlassen (vgl. ErlRV 1078 BlgNR 24. GP 29). Gemäß § 53 Abs 1 FPG kann das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) mit einer Rückkehrentscheidung mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen. Ein Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.
Ein Einreiseverbot ist gemäß § 53 Abs 2 FPG für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Wenn 'bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt', kann es gemäß § 53 Abs 3 FPG für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in besonderen Ausnahmefällen auch unbefristet erlassen werden.
4.2. Bei der Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes hat das Bundesamt gemäß § 53 Abs 2 FPG 'das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft'. § 53 Abs 2 FPG enthält eine demonstrative Aufzählung jener Umstände, die eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit bzw. ein Zuwiderlaufen anderer öffentlicher Interessen gemäß Art 8 Abs 2 EMRK in diesem Sinne darstellen. In § 53 Abs 3 FPG sind demonstrativ jene Fälle aufgezählt, in denen von einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgegangen und daher ein Einreiseverbot für bis zu zehn Jahren bzw. unbefristet erlassen werden kann (vgl. ErlRV 1078 BlgNR 24. GP 29).
Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes ist neben der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Drittstaatsangehörigen auch auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen und darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (vgl. VwSlg. 18.295 A/2011). Jeder Entscheidung des Bundesamtes über die Dauer eines Einreiseverbotes liegt daher eine Abwägung des Verhaltens und der Interessen des konkret betroffenen Drittstaatsangehörigen (an einer Wiedereinreise) mit den gegen eine Wiedereinreise sprechenden öffentlichen Interessen zugrunde. Sie beruht auf einer einzelfallabhängigen Interessensabwägung gemäß Art 8 Abs 2 EMRK (vgl. Oswald , Das Bleiberecht [2012] 114).
4.3. Die Dauer des Einreiseverbotes beginnt gemäß § 53 Abs 4 FPG mit dem Ablauf des Tages der Ausreise. Nach § 55 Abs 1 FPG (mit dem Art 7 der RückführungsRL umgesetzt wird) wird demgemäß mit einer Rückkehrentscheidung zugleich eine Frist für die (spätestmögliche) freiwillige Ausreise festgelegt. Diese beträgt gemäß § 55 Abs 2 FPG grundsätzlich 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides. Das Bundesamt kann jedoch eine längere Frist festsetzen, wenn 'im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen'. Unter dieser Voraussetzung kann gemäß § 55 Abs 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als den vorgesehenen 14 Tagen festgesetzt werden.
Der Drittstaatsangehörige muss die besonderen Umstände, die es rechtfertigen, ihm eine längere als eine bloß 14-tägige Vorbereitungszeit für seine Ausreise einzuräumen, nachweisen. Art 7 Abs 2 der RückführungsRL nennt als Umstände, die eine längere Vorbereitungszeit rechtfertigen, beispielhaft die bisherige Aufenthaltsdauer, das Vorhandensein schulpflichtiger Kinder und das Bestehen familiärer und sozialer Bindungen; die Erläuterungen zur Regierungsvorlage nennen im Anschluss daran die Dauer des bisherigen Aufenthaltes oder das Abschließen des bereits begonnenen Schulsemesters eines schulpflichtigen Kindes oder gleichwertige Gründe (vgl. ErlRV 1078 BlgNR 24. GP 31). Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich vor diesem Hintergrund um Umstände, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen sind.
Zudem müssen sie vorübergehender Natur sein (vgl. ). In Betracht kommen daher daneben auch die Erlangung allfällig notwendiger Visa oder die Organisation geeigneter Unterkunftsmöglichkeiten im Zielland.
Auch der Entscheidung des Bundesamtes über den spätestmöglichen Zeitpunkt der Ausreise liegt daher eine – im Lichte der Kriterien des Art 8 EMRK vorzunehmende (vgl. Oswald , aaO 113) – Interessenabwägung zu Grunde: Die Interessen des zur Ausreise verpflichteten Drittstaatsangehörigen an einem späteren Ausreisetermin sind gegen die – eine Rückkehrentscheidung tragenden – öffentlichen Interessen an der frühestmöglichen Ausreise abzuwägen.
5.1. Im Hinblick auf die Verpflichtung gemäß Art 11 Abs 3 Unterabsatz 1 der RückführungsRL betreffend Prüfung der Aufhebung oder Aussetzung eines Einreiseverbotes wurde durch das FrÄG 2011 mit § 60 Abs 1 FPG auch die Möglichkeit der nachträglichen Überprüfung und Verkürzung geschaffen (vgl. ErlRV 1078 BlgNR 24. GP 33). § 60 Abs 1 FPG in der Fassung des FrÄG 2011 lautete:
'(1) Die Behörde kann ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs 1 und 2 auf Antrag des Drittstaatsangehörigen unter Berücksichtigung der für die Erlassung der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung oder des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblichen Umstände auf die Hälfte des festgesetzten Zeitraumes herabsetzen, wenn der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat und seither einen Zeitraum von mehr als die Hälfte des seinerzeitigen Einreiseverbotes im Ausland verbracht hat. Die fristgerechte Ausreise hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen.'
Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (ErlRV 1078 BlgNR 24. GP 32 f) führten dazu aus:
'Der neue § 60 normiert, unter welchen Voraussetzungen die Dauer des 'kleinen' Einreiseverbotes herabgesetzt werden kann, die gesamte Rückkehrentscheidung gegenstandslos wird oder das Rückkehrverbot gegenstandslos oder aufgehoben wird.
Gemäß Abs 1 kann ein Einreiseverbot gemäß §§53 Abs 1 und 2 – also ein solches, was für die Dauer von höchsten fünf Jahren erlassen wurde – auf Antrag, auf die Hälfte des festgesetzten Zeitraumes herabgesetzt werden, wenn der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat und seither einen Zeitraum von mehr als die Hälfte des seinerzeitigen Einreiseverbotes durchgehend im Ausland verbracht hat und die für die Erlassung der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung oder des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblichen Umstände dem nicht entgegenstehen (Umsetzung des Art 11 Abs 3 iVm Abs 1 Unterabsatz 2 der RückführungsRL). […]
Die fristgerechte Ausreise aus dem Gebiet der Mitgliedstaaten hat der Drittstaatsangehörige in geeigneter Art und Weise nachzuweisen. […]'
5.2. Gemäß § 60 FPG in der Fassung des FrÄG 2011 war die Möglichkeit der nachträglichen Prüfung und Verkürzung eines Einreiseverbotes in zweierlei Hinsicht beschränkt: Zum einen ermächtigte die Bestimmung nicht zu einer gänzlichen Aufhebung des Einreiseverbotes, sondern ermöglichte lediglich die Herabsetzung der Dauer des Einreiseverbotes um die Hälfte des ursprünglich festgesetzten Zeitraumes. Zum anderen bestand auch diese Möglichkeit nur bei einem sogenannten 'kleinen Einreiseverbot' mit einer Dauer von höchstens fünf Jahren; ein die Dauer von fünf Jahren überschreitendes Einreiseverbot war von einer nachträglichen Überprüfung und Verkürzung ausgeschlossen. Im Übrigen war die Herabsetzung eines Einreiseverbotes bereits nach damaliger Rechtslage von der Voraussetzung abhängig, dass der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat.
5.3. Mit Erkenntnis VfSlg 19.713/2012 hob der Verfassungsgerichtshof § 60 Abs 1 FPG in der Fassung des FrÄG 2011 wegen Verstoßes gegen Art 8 EMRK auf. Der Verfassungsgerichtshof hielt den Umstand, dass ein Einreiseverbot nicht – nach neuerlicher Überprüfung – gänzlich aufgehoben werden konnte, für verfassungswidrig: Da die Bestimmung nur zu einer Verkürzung von Einreiseverboten ermächtigte, sei 'zu keinem späteren Zeitpunkt und in keiner Konstellation (auch dann, wenn die Betroffenen nicht auf Grund der Begehung von schweren Straftaten eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen) eine neuerliche Abwägung der Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt haben' möglich. Insofern mache es § 60 Abs 1 FPG unmöglich, der sich aus Art 8 EMRK ergebenden Verpflichtung nachzukommen, unter besonderen Umständen den Aufenthalt eines Fremden zu ermöglichen, und zwar insbesondere in Fällen, in denen die Gründe, die zur Erlassung eines Einreiseverbotes geführt haben, nachträglich weggefallen sind, sich die Familiensituation maßgeblich geändert hat oder einem gemeinsamen Familienleben im Heimatstaat des Fremden wesentliche Hindernisse entgegenstehen. Die Berücksichtigung solcher Umstände werde in allen Fällen unmöglich gemacht, weil auch Einreiseverbote bis zu fünf Jahren nicht aufgehoben, sondern nur bis auf die Hälfte herabgesetzt werden könnten. Somit sei es selbst für einen nicht straffällig gewordenen Fremden, über den ein Einreiseverbot von bis zu fünf Jahren verhängt wurde, für die Hälfte der Dauer dieses Einreiseverbotes unmöglich, in das Bundesgebiet zurückzukehren.
5.4.1. Im Hinblick auf dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes wurde die Möglichkeit der Prüfung und nachträglichen Änderung eines Einreiseverbotes durch das FNG-Anpassungsgesetz, BGBl I Nr 68/2013, grundlegend neu gestaltet:
Gemäß § 60 Abs 1 FPG in der Fassung des FNG-Anpassungsgesetzes kann das Bundesamt auf Antrag des Drittstaatsangehörigen ein gemäß § 53 Abs 2 FPG erlassenes – die Dauer von fünf Jahren nicht überschreitendes – Einreiseverbot unter Berücksichtigung der für die Erlassung der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung oder des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblichen Umstände verkürzen oder aufheben, wenn der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat. Der Drittstaatsangehörige hat die fristgerechte Ausreise nachzuweisen.
Der absolute Ausschluss einer nachträglichen Aufhebung wurde somit durch eine differenzierende Regelung ersetzt, die bei Einreiseverboten für die Dauer von bis zu fünf Jahren eine Verkürzung oder Aufhebung, bei Einreiseverboten für die Dauer von bis zu zehn Jahren eine Verkürzung zulässt. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (RV 2144 BlgNR 24. GP 24) des FNG-Anpassungsgesetzes führen zur Neufassung Folgendes aus:
'Die vorgeschlagenen Abs 1 und 2 ergehen in Reaktion auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes vom zu G74/12. Mit dieser Regelung soll nunmehr ein abgestuftes System der Aufhebung- und Verkürzungsmöglichkeit eines Einreiseverbotes geschaffen werden.
Einreiseverbote gemäß § 53 Abs 2 können auf Antrag des Drittstaatsangehörigen, der vom Ausland aus zu stellen ist, verkürzt oder zur Gänze aufgehoben werden. Wie bereits in der geltenden Rechtslage steht die Möglichkeit der Aufhebung und der Verkürzung nur in jenen Fällen zur Verfügung, in denen der Drittstaatsangehörige fristgerecht und damit freiwillig ausgereist ist. Eine fristgerechte Ausreise ist durch den Drittstaatsangehörigen nachzuweisen.
Einreiseverbote gemäß § 53 Abs 3 Z 1 bis 4 können auf Grund der Schwere der Straftaten, die dem Einreisverbot zugrunde liegen nur verkürzt werden. Durch diesen Verweis in Abs 2 soll das abgestufte System verdeutlicht werden, da Einreiseverbote, die sich auf in § 53 Abs 3 Z 5 bis 8 genannten besonders schweren Straftaten gründen einer Aufhebungs- und Verkürzungsmöglichkeit nicht zugänglich sind, da in diesen Fällen jedenfalls die Gründe des Art 8 Abs 2 EMRK überwiegen.'
5.4.2. Auf Grund eines Antrages eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 60 Abs 1 FPG hat das Bundesamt somit neuerlich zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung der Rückkehrentscheidung bzw. des Einreiseverbotes (nach den Kriterien des § 53 Abs 2 und Abs 3 FPG) nach wie vor gegeben sind. Das Bundesamt hat eine Gesamtbetrachtung der seit der Verhängung des Einreiseverbotes vorliegenden Sachlage vorzunehmen (vgl. Szymanski , in Schrefler-König/Szymanski [Hrsg.], Fremdenpolizei- und Asylrecht, § 60 FPG, Anm. 5). Auch sind allfällige Änderungen der familiären oder sozialen Umstände beim Antragsteller zu berücksichtigen (vgl. Oswald , aaO 117).
Das Bundesamt hat aufgrund eines Antrages nach § 60 Abs 1 FPG daher eine neuerliche Interessenabwägung vorzunehmen und festzustellen, ob bzw. inwieweit die Voraussetzungen für das jeweils festgesetzte Einreiseverbotes nach wie vor gegeben sind. Führt diese Abwägung zu einem anderen Ergebnis als jenem bei der Festsetzung des Einreiseverbots, ist es zu verkürzen oder – sofern es sich um ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs 2 FPG von höchstens fünf Jahren handelt – gänzlich aufzuheben. Voraussetzung dafür ist, dass der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten innerhalb der vom Bundesamt im Einzelfall festgesetzten Frist verlassen hat und diese fristgerechte Ausreise nachweist.
6.1. Auch während eines aufrechten Einreiseverbotes hat ein Drittstaatsangehöriger unter bestimmten Voraussetzungen und für einen bestimmten, befristeten Zeitraum die Möglichkeit der Wiedereinreise nach Österreich. Gemäß §§26a und 27a FPG kann einem Fremden während der Gültigkeitsdauer eines Einreiseverbotes auf Antrag ein Visum bzw. – bei Fremden, die nicht der Visumspflicht unterliegen – eine Bewilligung zur Wiedereinreise erteilt werden, wenn dies aus wichtigen öffentlichen oder privaten Gründen notwendig ist, die Gründe, die zur Erlassung des Einreiseverbotes geführt haben, dem nicht entgegenstehen und auch sonst kein Visumsversagungsgrund vorliegt. Mit der Erteilung des Visums bzw. der Bewilligung ist daher auch jeweils seine sachlich gebotene Gültigkeitsdauer festzulegen.
6.2. Mit einem solchen Visum bzw. einer solchen Bewilligung zur Wiedereinreise soll dem Fremden während eines aufrechten Einreiseverbotes eine Wiedereinreise auf kurze Zeit und für bestimmte konkrete Anlässe ermöglicht werden (vgl. ). Entsprechende konkrete Anlässe können im öffentlichen Interesse (zB eine Zeugenaussage in einem Strafprozess), jedoch auch im (rein) privaten Interesse des Antragstellers (zB eine lebensgefährliche Erkrankung eines Familienmitglieds) liegen (vgl. ErlRV 952 BlgNR 22. GP 22)."
5.2. In der Sache hält die Bundesregierung den Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts zusammengefasst Folgendes entgegen:
5.2.1. Vor dem Hintergrund der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Verfassungsgerichtshofes zum Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers bei in Art 8 EMRK eingreifenden aufenthaltsbeendenden Maßnahmen habe der Verfassungsgerichtshof zwar mit Erkenntnis VfSlg 19.713/2012 § 60 FPG idF FrÄG 2011 aufgehoben, weil diese Bestimmung in keinem Fall ermöglicht habe, ein Einreiseverbot nach neuerlicher Überprüfung der dafür maßgebenden Umstände zur Gänze aufzuheben. Das FNG Anpassungsgesetz, BGBl I 68/2013, habe die Möglichkeit, Einreiseverbote zu prüfen und nachträglich zu ändern, grundlegend neu gestaltet und dabei dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Rechnung getragen. Im Übrigen aber habe schon die nach § 60 FPG idF FrÄG 2011 mögliche Herabsetzung eines Einreiseverbotes bereits vorausgesetzt, dass der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat. Hiergegen habe der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 19.713/2012 keine verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert.
Die Möglichkeit, ein Einreiseverbot aufzuheben, hänge zwar davon ab, dass der Drittstaatsangehörige fristgerecht ausgereist ist. Jedoch sei die Antragstellung an keine Frist gebunden und setze auch nicht voraus, dass der Antragsteller bereits eine bestimmte Dauer des Einreiseverbotes im Ausland verbracht hat. Mit der fristgerechten Ausreise sei somit keine weitere Wartefrist für den Drittstaatsangehörigen verbunden. Vielmehr könne ein Drittstaatsangehöriger sofort nach seiner Ausreise eine Verkürzung oder Aufhebung des Einreiseverbotes gemäß § 60 Abs 1 FPG beantragen und dabei Gründe nach Art 8 EMRK, die eine Aufhebung oder Verkürzung des Einreiseverbotes rechtfertigen würden, umgehend geltend machen.
§60 Abs 1 FPG ermögliche somit, die Gründe für ein Einreiseverbot jederzeit neuerlich mit gegenläufigen Interessen des Drittstaatsangehörigen abzuwägen und das Einreiseverbot auf seine Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Die Regelung ziele damit vorwiegend auf Fälle ab, in denen die Gründe für ein Einreiseverbot nachträglich weggefallen sind oder sich die Situation des Drittstaatsangehörigen (zB im Hinblick auf seine familiären oder sozialen Umstände) sonst maßgeblich geändert hat. Die angefochtene Bestimmung entspreche damit Art 8 EMRK nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Verfassungsgerichtshofes.
Dass die Missachtung der Ausreisefrist eine Verkürzung oder Aufhebung eines Einreiseverbotes jedenfalls ausschließe, stelle eine verhältnismäßige Beschränkung des Rechts auf Privat- und Familienleben dar: Die Verknüpfung einer Aufhebung bzw. Verkürzung eines Einreiseverbotes mit der fristgerechten Ausreise diene unmittelbar der Effektuierung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes. Einreiseverbote wiederum sollten mögliche Gefährdungen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit oder anderer in Art 8 Abs 2 EMRK genannter öffentlicher Interessen verhindern. Folglich diene die Verknüpfung auch der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bzw. der Wahrung der sonstigen öffentlichen Interessen. Zudem setze die Maßnahme des Einreiseverbotes die unionsrechtliche Rückführungs-Richtlinie um, sodass die angefochtene Bestimmung schließlich auch bezwecke, eine gesamteuropäische Rückkehrpolitik effektiv durchzusetzen. Zur Erreichung dieser öffentlichen Interessen sei die Maßnahme aus einer Reihe von Gründen geeignet und verhältnismäßig. Bereits der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG und dem Einreiseverbot gemäß § 53 FPG selbst habe eine einzelfallabhängige Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK vorauszugehen. Zudem seien es primär diese Entscheidungen, die in den Schutzbereich des Art 8 EMRK eingreifen. Entscheidet das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl über einen Antrag auf Wiedereinreise gemäß §§26a und 27a FPG, über die Dauer eines Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs 2 und 3 FPG oder bemisst es die Frist für die freiwillige Ausreise nach § 55 Abs 2 FPG, so müsse es ebenso vorher Interessenabwägungen gemäß Art 8 EMRK durchführen.
Auch könne das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die reguläre 14 tägige Ausreisefrist gemäß § 55 Abs 3 FPG einmalig und unter Berücksichtigung der individuellen Situation des konkret Betroffenen verlängern, wobei der Drittstaatsangehörige den Ausreisetermin beeinflussen könne. Zudem dürfe ein Drittstaatsangehöriger gemäß §§26a und 27a FPG selbst während eines aufrechten Einreiseverbotes aus wichtigen Gründen und für einen ganz bestimmten und von vornherein kurz befristeten Zeitraum wieder nach Österreich einreisen.
Im Übrigen trage die angefochtene Bestimmung Art 11 Abs 3 der Rückführungs-Richtlinie Rechnung, wonach die Mitgliedstaaten die Aufhebung oder Aussetzung von Einreiseverboten gemäß Art 11 Abs 1 UAbs2 Rückführungs-Richtlinie prüfen, "wenn die betroffenen Drittstaatsangehörigen nachweisen können, dass sie das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates unter uneingeschränkter Einhaltung einer Rückkehrentscheidung verlassen haben". Demnach dürfe die Gesetzgebung die Aufhebung oder Aussetzung eines Einreiseverbotes davon abhängig machen, dass der Drittstaatsangehörige die Bedingungen der Rückkehrentscheidung uneingeschränkt eingehalten hat. Da gemäß § 55 Abs 1 FPG zugleich mit der Rückkehrentscheidung die Frist zur freiwilligen Ausreise festzulegen sei, zähle auch die Verpflichtung zur fristgerechten Ausreise zu diesen Bedingungen.
Vor diesem Hintergrund dürfe der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Verkürzung oder Aufhebung eines Einreiseverbotes, das die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bezwecke, von der Bereitschaft des Drittstaatsangehörigen abhängig machen, die geltenden Rechtsvorschriften und Verpflichtungen einzuhalten. Die angefochtene Bestimmung berücksichtige die Interessen des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die gemäß Art 8 EMRK eingeräumten Rechte.
5.2.2. Zum Sachlichkeitsgebot gemäß ArtI Abs 1 des BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung hält die Bundesregierung zunächst fest, dass eine nicht fristgerechte Ausreise – entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts – nicht dazu führe, dass "automatisch" von einer Gefährdung iSv § 52 Abs 2 oder Abs 3 FPG auszugehen sei. Die fristgerechte Ausreise stelle vielmehr eine Voraussetzung für die Verkürzung oder Aufhebung eines Einreiseverbotes dar, die es zunächst zu erfüllen gelte, und zwar unabhängig von der Frage des noch gegebenen Vorliegens von für ein Einreiseverbot sprechenden Gründen. Aus den Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der Voraussetzung einer fristgerechten Ausreise in Zusammenhang mit Art 8 EMRK folge auch, dass die angefochtene Bestimmung nicht gegen das Sachlichkeitsgebot verstoße.
5.2.3. Zum Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander nach ArtI Abs 1 des BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung führt die Bundesregierung aus, dass der Gesetzgeber entsprechend der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes weiten Spielraum habe, aufenthaltsbeendende Maßnahmen für Sachverhalte zu gestalten, auf die sich Unionsrecht nicht bezieht (weil kein unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht ausgeübt werde). Er sei daher berechtigt, rein innerstaatliche Sachverhalte nach eigenen Vorstellungen von einem geordneten Fremdenwesen sachlich zu regeln.
Vor diesem Hintergrund widerspreche es dem Gleichbehandlungsgebot nicht, EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige hinsichtlich der Voraussetzungen für die Aufhebung eines Aufenthalts- bzw. Einreiseverbotes anders zu behandeln als sonstige Drittstaatsangehörige. Denn erstere würden ihr unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht ausüben und seien deshalb in Österreich aufenthaltsberechtigt.
IV. Erwägungen
Der Antrag ist zulässig:
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 139 Abs 1 Z 1 B VG bzw. des Art 140 Abs 1 Z 1 lita B VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2. Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls denkmöglich, dass das Bundesverwaltungsgericht den mit seinem Hauptantrag angefochtenen § 60 Abs 1 FPG anzuwenden hat.
§60 Abs 1 FPG regelt – insoweit lassen sich die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes in VfSlg 19.713/2012 zur Vorgängerbestimmung auf den angefochtenen § 60 Abs 1 FPG übertragen – die Voraussetzungen für die Verkürzung oder Aufhebung eines Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs 2 FPG abschließend. § 60 Abs 1 FPG bildet dabei auch eine untrennbare Einheit im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe VfSlg 19.713/2012 und allgemein nur VfSlg 16.869/2003 mwN).
Der Hauptantrag des Bundesverwaltungsgerichts auf Aufhebung des § 60 Abs 1 FPG erweist sich daher – was auch die Bundesregierung nicht bestreitet – als zulässig.
Der Antrag ist jedoch nicht begründet:
2. Mit einer bescheidmäßigen Rückkehrentscheidung (§52 FPG) legt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl grundsätzlich zugleich eine – regelmäßig 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides betragende – Frist für die freiwillige Ausreise fest (§55 Abs 1 und 2 FPG) und kann damit ein Einreiseverbot (§53 Abs 1 FPG) verbinden, das einen Drittstaatsangehörigen anweist, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten. Grundsätzlich ist ein Einreiseverbot für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Die Dauer ist anhand des bisherigen Verhaltens des Drittstaatsangehörigen und der von seinem Aufenthalt allenfalls ausgehenden Gefahr für die in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zu bemessen, die insbesondere in den Fällen des § 53 Abs 2 Z 1 bis 9 FPG anzunehmen ist. Bei Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr ist ein Einreiseverbot ausnahmsweise für eine längere Dauer zu verhängen (§53 Abs 3 FPG), und zwar für höchstens zehn Jahre in den Fällen des § 53 Abs 3 Z 1 bis 8 FPG bzw. auch unbefristet in den Fällen des § 53 Abs 3 Z 5 bis 8 FPG.
3. Nach § 60 Abs 1 FPG kann das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Einreiseverbote gemäß § 53 Abs 2 FPG auf Antrag des Drittstaatsangehörigen unter Berücksichtigung der dafür maßgeblichen Umstände verkürzen oder aufheben, wenn der Drittstaatsangehörige nachweist, das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen zu haben.
3.1. Der Nachweis des Drittstaatsangehörigen, das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen zu haben, ist dabei zwingende Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zu einer näheren Prüfung kommt, ob eine Verkürzung oder Aufhebung des Einreiseverbotes in Betracht kommt. Mangelt es an einer fristgerechten Ausreise oder an einer Ausreise überhaupt, kommt nach § 60 Abs 1 FPG, wie auch die Bundesregierung in ihrer Äußerung bestätigt, die Berücksichtigung besonderer Umstände nach Verhängung des Einreiseverbotes nicht in Frage .
3.2. Das Bundesverwaltungsgericht sieht in dieser Regelung einen Verstoß gegen Art 8 EMRK. Denn die Aufhebung eines Einreiseverbotes sei damit von vorneherein auch in den Fällen nicht möglich, in denen der Drittstaatsangehörige aus nicht von ihm verschuldeten Gründen (etwa auf Grund des Fehlens von Dokumenten bzw. eines Heimreisezertifikates) daran gehindert gewesen ist, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht zu verlassen. Das Einreiseverbot würde in diesen Fällen damit unaufhebbar, auch wenn die Gründe für die Erlassung des Einreiseverbotes nachträglich weggefallen und im Hinblick auf Art 8 EMRK relevante Umstände beim Drittstaatsangehörigen eingetreten sind. Damit verstoße auch § 60 Abs 1 FPG gegen Art 8 EMRK, weil in den genannten Fallkonstellationen eine verfassungsrechtlich gebotene Interessenabwägung, wie sie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.713/2012 aus Art 8 EMRK abgeleitet habe, nicht möglich sei.
4. Die Bundesregierung hält diesem Vorbringen entgegen, dass es im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liege, die fristgerechte Ausreise (und ihren Nachweis durch den Drittstaatsangehörigen) zur zwingenden Voraussetzung einer nachträglichen Aufhebung oder Abänderung eines Einreiseverbotes zu machen. Die Verknüpfung der Möglichkeit auf Aufhebung bzw. Verkürzung eines Einreiseverbotes mit der fristgerechten Ausreise in § 60 Abs 1 FPG diene unmittelbar der Effektuierung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes. Die Regelung sichere damit auch jene öffentlichen Interessen im Sinne des Art 8 Abs 2 EMRK, die Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot schützen, und sei auch verhältnismäßig. Denn nicht nur gehe Rückkehrentscheidung (vgl. § 52 FPG) wie Einreiseverbot (vgl. § 53 FPG) jeweils eine eingehende Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK voraus; insbesondere müsse auch die Frist für die Ausreise nach § 55 Abs 2 und Abs 3 FPG unter Bedachtnahme auf die Interessen des Drittstaatsangehörigen gemäß Art 8 EMRK festgesetzt werden. Das Regelungssystem des § 55 FPG biete Gewähr dafür, dass die Frist für die freiwillige Ausreise jeweils unter Berücksichtigung der konkreten Situation des Drittstaatsangehörigen festgelegt werde. Im Übrigen verweist die Bundesregierung darauf, dass dem Drittstaatsangehörigen die Möglichkeit offen stehe, gemäß §§26a und 27a FPG auch während der Gültigkeitsdauer eines Einreise- oder Aufenthaltsverbotes ein Visum bzw. eine Bewilligung zur Wiedereinreise zu beantragen, wenn dies aus wichtigen privaten Gründen notwendig ist und dem die Gründe, die zur Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme geführt haben, nicht entgegenstehen.
4.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.713/2012 mit Hinweis auf seine Rechtsprechung und die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dargelegt hat, ist zwar aus Art 8 EMRK keine generelle Verpflichtung abzuleiten, dem Wunsch der Fremden, sich in einem bestimmten Mitgliedstaat aufzuhalten, nachzukommen (vgl. Grabenwarter/Pabel , Europäische Menschenrechtskonvention 5 , 2012, § 22 Rz 65); unter besonderen Umständen kann sich aus Art 8 EMRK aber eine Verpflichtung des Staates ergeben, den Aufenthalt eines Fremden zu ermöglichen (VfSlg 17.013/2003, 17.734/2005 und 18.517/2008). Dadurch ergeben sich für die Mitgliedstaaten Einschränkungen in ihrer Gestaltungsfreiheit in der Regelung des Einwanderungs- und Aufenthaltsrechts bis hin zur Pflicht, Einreise oder Aufenthalt zu gewähren (siehe VfSlg 19.713/2012).
Wie der Verfassungsgerichtshof ebenfalls in VfSlg 19.713/2012 dargelegt hat, folgt aus der sich aus Art 8 EMRK ergebenden Verpflichtung, unter besonderen Umständen den Aufenthalt eines Fremden zu ermöglichen, dass der Gesetzgeber grundsätzlich die Prüfung eines auf fünf Jahre befristeten Einreiseverbotes (§53 Abs 2 FPG) daraufhin zu ermöglichen hat, ob die Gründe, die zur Erlassung des Einreiseverbotes geführt haben, nachträglich weggefallen sind, sich die Familiensituation des Drittstaatsangehörigen maßgeblich geändert hat oder einem gemeinsamen Familienleben im Heimatstaat des Fremden wesentliche Hindernisse entgegenstehen. Der Verfassungsgerichtshof hat daher § 60 Abs 1 FPG idF BGBl I 38/2011 wegen Verletzung des Art 8 EMRK aufgehoben, weil diese Bestimmung diese Berücksichtigung solcher besonderen Umstände, die nach Verhängung des Einreiseverbotes eintreten oder zum Vorschein gelangen können, durch die Vornahme einer Interessenabwägung von vorneherein, das heißt für alle Fallkonstellationen unmöglich gemacht hat. Daher musste sich der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.713/2012 zur verfassungsrechtlichen Beurteilung (des Nachweises) der fristgerechten Ausreise, wie sie auch in § 60 Abs 1 FPG idF BGBl I 38/2011 wortgleich zum hier in Rede stehenden § 60 Abs 1 FPG enthalten war, nicht äußern.
4.2. Die vom Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.713/2012 aus Art 8 EMRK abgeleiteten Anforderungen an die Überprüfbarkeit von Einreiseverboten sind auch für die Beurteilung der hier in Rede stehenden Fallkonstellationen auf Grund des § 60 Abs 1 FPG in der – unter anderem in Reaktion auf dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes und im Zuge der Fremdenbehördenneustrukturierung neu gestalteten (vgl. FNG, BGBl I 87/2012 und FNG Anpassungsgesetz, BGBl I 68/2013) – geltenden Fassung maßgeblich. Dass § 60 Abs 1 FPG nunmehr in allen Fällen, in denen der Drittstaatsangehörige seine fristgerechte Ausreise nicht nachweisen kann, keine Möglichkeit vorsieht, die zuvor genannten besonderen Umstände, die nach Verhängung des Einreiseverbotes eintreten oder zum Vorschein gelangen, durch die Vornahme einer Interessenabwägung zu berücksichtigen, bedarf daher im Hinblick auf Art 8 EMRK eines entsprechenden, in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interesses und muss im Hinblick auf dieses öffentliche Interesse den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit genügen.
4.3. Die Bundesregierung weist zunächst zu Recht darauf hin, dass die Voraussetzung (des Nachweises) der fristgerechten Ausreise der Effektuierung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes und damit den entsprechenden legitimen Zielen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und dem Schutz des wirtschaftlichen Wohls des Landes dient.
4.4. Der fehlende Nachweis der fristgerechten Ausreise hindert nach § 60 Abs 1 FPG die an sich in dieser Bestimmung vorgesehene Überprüfung des Einreiseverbotes allerdings auch in den Fällen, in denen die (fristgerechte) Ausreise dem Drittstaatsangehörigen ohne sein Verschulden unmöglich gewesen ist.
Schon die Regelung des § 46a Abs 1 Z 3 iVm Abs 3 FPG zeigt aber, dass beim Vollzug des Fremdenrechts mit Fallkonstellationen zu rechnen ist, in denen eine zwangsweise Abschiebung des Drittstaatsangehörigen aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen unmöglich ist (siehe dazu G160 162/2014 und , G171/2014 ua.). Zu solchen Fallkonstellationen zählen beispielsweise auch solche, in denen die Empfangsstaaten eine Rücknahme des Drittstaatsangehörigen praktisch verweigern, in dem sie etwa keine Heimreisezertifikate zur Verfügung stellen. Solche Umstände können eine freiwillige Ausreise ebenso für den Drittstaatsangehörigen unvorhergesehen eine Zeit lang behindern oder überhaupt unmöglich machen wie eine Reihe weiterer Konstellationen denkbar sind, in denen nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eintretende Ereignisse bewirken, dass der Drittstaatsangehörige die festgesetzte Frist zur freiwilligen Ausreise aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen nicht einhalten kann. Das Bundesverwaltungsgericht weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass auch eine nur kurze Verzögerung der freiwilligen Ausreise – etwa auf Grund von wetterbedingten Behinderungen im öffentlichen Verkehr – zur Folge hat, dass für den betroffenen Drittstaatsangehörigen eine Aufhebung oder Verkürzung seines Einreiseverbotes nicht mehr in Betracht kommt.
Daran vermag zunächst der Hinweis der Bundesregierung auf § 55 Abs 3 FPG nichts zu ändern. Nach § 55 Abs 2 FPG beträgt die für die freiwillige Ausreise mit einer Rückkehrentscheidung zu setzende Frist 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. In einem solchen Fall des Überwiegens besonderer Umstände kann gemäß § 55 Abs 3 FPG "die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt."
Selbst wenn man davon ausgeht, dass insbesondere die Einholung entsprechender Heimreisezertifikate für den Drittstaatsangehörigen zur "Regelung seiner persönlichen Verhältnisse" zählt, dass dem Drittstaatsangehörigen weiters – im Hinblick auf den Verweis auf § 37 AVG – ein entsprechender Antrag auf Festsetzung einer längeren als 14-tägigen Frist eingeräumt ist, und dass schließlich eine längere Frist nach § 55 Abs 3 FPG auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren festgesetzt werden kann, vermag § 55 Abs 3 FPG die Konsequenzen aus § 60 Abs 1 Satz 1 letzter Halbsatz iVm Satz 2 FPG nicht abzuwenden. Denn zum einen würde die Bestimmung vom Drittstaatsangehörigen immer noch verlangen, dass er nicht nur jene persönlichen Verhältnisse schon im Verwaltungsverfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung – oder gegebenenfalls im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren – im Blick hat, die die Gesetzesmaterialien vor Augen haben (insbesondere "die Dauer des bisherigen Aufenthaltes oder das Abschließen des bereits begonnenen Schulsemesters eines schulpflichtigen Kindes oder gleichwertige Gründe", Erläut. zur RV 1078 BlgNR 24. GP, 31; auf Umstände im Inland wie Zielland stellt , ab), sondern bereits in diesem Stadium auch alle wesentlichen Fragen allenfalls erforderlicher Heimreisedokumente geklärt hat und dabei auch in der Lage ist, einen Termin für seine Ausreise bekannt zu geben, auch wenn der Heimatstaat die Kommunikation überhaupt verweigert. Zum anderen vermag § 55 Abs 3 FPG keine Abhilfe für jene Fälle zu bieten, in denen vom Drittstaatsangehörigen nicht zu vertretende Umstände zwischen Rechtskraft des Bescheides (gegebenenfalls der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung) und Ablauf der gesetzten Ausreisefrist eintreten.
In der möglichen Wiedereinreisebewilligung während der Gültigkeitsdauer eines Einreiseverbotes (siehe die §§26a und 27a FPG), die die Bundesregierung auch noch ins Spiel bringt, hat der Verfassungsgerichtshof schon in VfSlg 19.713/2012 keinen Ausgleich für eine fehlende Aufhebungsmöglichkeit eines Einreiseverbotes erblickt, weil solche Bewilligungen das Einreiseverbot nicht zu beseitigen vermögen und den Aufenthalt nur vorläufig und unter restriktiven Bedingungen ermöglichen.
Soweit die Bundesregierung auf das unionsrechtliche Rückführungsregime zur Stützung ihrer Auffassung verweist, reicht der Hinweis auf Art 11 Abs 3 und die UAbs3 und 4 der Rückführungs-Richtlinie, denen zufolge die Mitgliedstaaten abweichend vom in UAbs1 festgelegten Grundsatz in Einzelfällen aus humanitären Gründen oder (in bestimmten Kategorien von Fällen) aus sonstigen Gründen ein Einreiseverbot aufheben oder aussetzen können, ohne dass der Drittstaatsangehörige nachweisen kann, dass er das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter uneingeschränkter Einhaltung einer Rückkehrentscheidung verlassen hat.
4.5. Dem Bundesverwaltungsgericht ist nun insofern zuzustimmen, als § 60 Abs 1 FPG nach dem Gesagten in einem Spannungsverhältnis zu Art 8 EMRK steht, da er die Verkürzung oder Aufhebung eines Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs 2 FPG auch dann davon abhängig macht, dass der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat (und in der Lage ist dies nachzuweisen), wenn er durch nicht von ihm zu vertretende Gründe an der fristgerechten Ausreise gehindert war. Dieses Spannungsfeld lässt sich allerdings auflösen, wenn man die Möglichkeit des Drittstaatsangehörigen in die Betrachtung miteinbezieht, einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach den Bestimmungen der §§54 ff. AsylG 2005 zu stellen:
Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass aus § 60 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 (auf Grund seines Wortlautes) folgt, dass eine mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung gemäß § 52 iVm § 53 Abs 2 oder 3 FPG einen absoluten Versagungsgrund für sämtliche humanitäre Aufenthaltstitel darstellt. Nun hat (nachdem das Bundesverwaltungsgericht den Antrag beim Verfassungsgerichtshof bereits gestellt hatte) der Verwaltungsgerichtshof jüngst § 60 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 – auch aus Gründen des Art 8 EMRK und unter Hinweis auf VfSlg 19.713/2012 – dergestalt einschränkend interpretiert, dass selbst eine mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung gemäß § 52 iVm § 53 Abs 2 oder 3 FPG keinen Versagungsgrund für einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 darstellt, dessen Erteilung zur gebotenen Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK vorgesehen ist. Im Falle der Erteilung eines solchen humanitären Aufenthaltstitels werde eine Rückkehrentscheidung nach § 60 Abs 3 Z 2 FPG gegenstandslos und damit auch das an diese Rückkehrentscheidung anknüpfende (vgl. auch die Erläut. zur RV 2144 BlgNR 24. GP, 23 f.) Einreiseverbot (). Der Verwaltungsgerichtshof legt in der genannten Entscheidung mit Verweis auf die Gesetzesmaterialien (vgl. die Erläut. zur RV 1803 BlgNR 24. GP, 50) auch dar, dass § 58 Abs 10 AsylG 2005 so zu verstehen ist, dass Sachverhaltsänderungen zwischen der rechtskräftigen Entscheidung nach dem FPG bis zur Entscheidung des zugrunde liegenden Antrages auf Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art 8 EMRK erforderlich machen können.
Nach dieser für die Auslegung der asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen maßgeblichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Drittstaatsangehörigen damit aber bei zwingenden Gründen des Art 8 EMRK möglich, im Wege der Antragstellung nach § 55 AsylG 2005 die Gegenstandslosigkeit (§60 Abs 3 Z 2 FPG) eines – mangels fristgerechter Ausreise keiner Verkürzung oder Aufhebung nach § 60 Abs 1 oder 2 FPG zugänglichen – Einreiseverbotes zu erwirken.
4.6. Da es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einem betroffenen Drittstaatsangehörigen somit möglich ist, ein Einreiseverbot, das mangels fristgerechter Ausreise keiner Verkürzung oder Aufhebung nach § 60 Abs 1 FPG zugänglich ist, bei zwingenden Gründen des Art 8 EMRK im Wege der Antragstellung nach § 55 AsylG 2005 gegenstandslos werden zu lassen (so ausdrücklich ), treffen die Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts im Hinblick auf Art 8 EMRK nicht zu. Die gesetzlichen Regelungen in ihrer Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof gestatten es, der aus Art 8 EMRK folgenden Verpflichtung, unter besonderen Umständen den Aufenthalt eines Fremden zu ermöglichen, nachzukommen. Art 60 Abs 1 FPG steht dem, auch wenn er für sich nicht die Grundlage für eine solche Überprüfung bietet, nicht entgegen.
5. § 60 Abs 1 FPG widerspricht – entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts – auch nicht dem Gleichbehandlungs- und Sachlichkeitsgebot aus ArtI Abs 1 des BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung. Dem Bundesverwaltungsgericht ist zwar zuzugestehen, dass die Aufhebungsmöglichkeiten von Aufenthaltsverboten gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstige Drittstaatsangehörige nach § 69 FPG einerseits und von Einreiseverboten gegen sonstige Fremde nach § 60 FPG andererseits unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegen und dabei nur die letztgenannte Personengruppe eine fristgerechte Ausreise nachweisen muss. Der Verfassungsgerichtshof hat aber bereits mehrfach festgehalten, dass es sachlich gerechtfertigt ist, unionsrechtlich begünstigten Personen Aufenthaltstitel unter vereinfachten Bedingungen zu erteilen (siehe etwa VfSlg 18.269/2007, 19.160/2010). Es begegnet daher keinen gleichheitsrechtlichen Bedenken, wenn der Gesetzgeber – im Übrigen durch Art 11 Abs 3 der Rückführungs-Richtlinie vorgezeichnet – nur für sonstige Drittstaatsangehörige besondere Regelungen vorsieht, die – in sonst verfassungskonformer, insbesondere dem Art 8 EMRK entsprechender Weise – die Einhaltung ihrer fremdenrechtlichen Verpflichtungen durch solche Drittstaatsangehörige sicherstellen sollen.
V. Ergebnis
1. Die vom Bundesverwaltungsgericht ob der Verfassungsmäßigkeit von (Teilen des) § 60 Abs 1 FPG idF BGBl I 68/2013 erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher abzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2016:G534.2015
Fundstelle(n):
SAAAE-27721