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VfGH vom 18.06.2014, G5/2014

VfGH vom 18.06.2014, G5/2014

19882

Leitsatz

Kein Widerspruch der Regelung des VwGVG über die Ausnahme von Bestimmungen des AVG von der sinngemäßen Anwendung im Verwaltungsgerichtsverfahren gegen die Verpflichtung des Verwaltungsgerichtes zur Entscheidung in der Sache selbst; keine Einschränkung der den Verwaltungsgerichten eingeräumten Befugnis und Pflicht zur Erlassung einer reformatorischen Entscheidung; auch Zurückweisung eines verfahrenseinleitenden Antrags wegen entschiedener Sache oder wegen Fehlens sonstiger Prozessvoraussetzungen als Inhalt einer Sachentscheidung möglich; keine unterschiedliche Entscheidungsbefugnis des Verwaltungsgerichtes und des Verwaltungsgerichtshofes

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Antrag und Vorverfahren

1. Beim Landesverwaltungsgericht Tirol ist ein nunmehr als Beschwerdeverfahren geführtes Berufungsverfahren gegen einen Bescheid des Bezirkshauptmannes Imst anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Mit Schriftsatz vom stellte das Zollamt Innsbruck bei der Bezirkshauptmannschaft Imst einen Feststellungsantrag gemäß § 10 Altlastensanierungsgesetz, BGBl 299/1989, in der geltenden Fassung. Gegen den in der Folge ergangenen Bescheid des Bezirkshauptmannes Imst vom erhob die Gemeinde Sautens Berufung. Der Landeshauptmann von Tirol wies diese Berufung mit Bescheid vom als unbegründet ab.

1.2. Gegen den abweisenden Berufungsbescheid erhob die Gemeinde Sautens Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, der den Berufungsbescheid mit Erkenntnis vom , 2009/07/0139, teilweise aufhob. Der Verwaltungsgerichtshof begründete seine aufhebende Entscheidung damit, dass der Feststellungsantrag des Zollamtes "soweit er sich auf die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Seitenabdichtung der Deponie bezog" wegen res iudicata zurückzuweisen gewesen wäre.

1.3. Im fortgesetzten Verfahren erließ der Landeshauptmann von Tirol bis zum Ablauf des keinen Ersatzbescheid, weshalb das antragstellende Verwaltungsgericht gemäß Art 151 Abs 51 Z 8 B VG zur Weiterführung des Verfahrens zuständig wurde.

1.4. Aus Anlass dieses fortgesetzten Berufungsverfahrens stellt das Landesverwaltungsgericht Tirol gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lita B VG den Antrag an den Verfassungsgerichtshof, die Wortfolge "sowie des IV. Teiles" in § 17 VerwaltungsgerichtsverfahrensgesetzVwGVG, BGBl I 33/2013, als verfassungswidrig aufzuheben.

1.4.1. Zur Präjudizialität führt das antragstellende Verwaltungsgericht aus, § 17 VwGVG regle abschließend, welche Normen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes – AVG für das verwaltungsgerichtliche Verfahren anzuwenden seien. Eine "andere Bestimmung, auf deren Grundlage eine Zurückweisung eines Antrages wegen entschiedener Sache möglich wäre", sei nicht ersichtlich. Die Anfechtung beschränke sich auf die Wortfolge "sowie des IV. Teiles" in § 17 VwGVG, damit solle nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden werden, "als Voraussetzung für den Anlassfall" sei.

1.4.2. Das Landesverwaltungsgericht Tirol legt seine Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung in Hinblick auf Art 130 Abs 4 B VG und das in Art 7 B VG verankerte Sachlichkeitsgebot wie folgt dar:

"Im vorliegenden Fall ist die Sache im Sinne des § 28 Abs 2 VwGVG entscheidungsreif. Zu Folge der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes erweist sich der Antrag des Zollamts, soweit damit die Beitragspflicht nach dem AISAG für die Seitenabdeckung der ehemaligen Hausmülldeponie festgestellt werden soll, als nicht zulässig, da auf Grund der rechtskräftigen Entscheidung der Bezirkshauptmannschaft Imst vom , 4 U 684/3 eine res iudicata vorliegt.

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hätte daher den Antrag des Zollamts wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Dies ist allerdings auf Grundlage des § 17 VwGVG nicht möglich, zumal die diesbezügliche Regelung des § 68 Abs 1 AVG vom Verwaltungsgericht nicht anzuwenden ist.

Da § 17 VwGVG die Anwendung des IV. Teils des AVG, sohin auch des § 68 Abs 1 AVG, pauschal ausschließt, verbliebe lediglich die Möglichkeit festzustellen, dass die Bezirkshauptmannschaft Imst auf Grund der Sperrwirkung des Bescheides vom zur (neuerlichen) Entscheidung über den Antrag des Zollamts vom nicht zuständig gewesen ist. Diese mangelnde Zuständigkeit könnte allenfalls amtswegig (§27 VwGVG) durch eine schlichte Behebung des diesbezüglichen Teils des Bescheides vom releviert werden, die Bezirkshauptmannschaft Imst hätte dann aber in weiterer Folge mit einem zusätzlichen Bescheid den hier maßgeblichen Teil des Antrages zurückzuweisen.

Damit würde das Landesverwaltungsgericht allerdings gegen die durch Art 130 Abs 4 B VG bzw § 28 Abs 2 VwGVG statuierte Verpflichtung zur Entscheidung in der Sache verstoßen. Wie sich schon aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1618 der Beilagen XXIV. GP, Seite 14) ergibt, ist in Art 130 Abs 4 B VG abschließend geregelt, in welchen Fällen das Verwaltungsgericht meritorisch zu entscheiden hat; in diesen Fällen darf es daher nicht kassatorisch entscheiden. Soweit daher der Sachverhalt entscheidungsreif ist, ist dem Verwaltungsgericht schon unmittelbar aus den Bestimmungen des B VG eine kassatorische Entscheidung verboten. Aus diesem Grund scheitert im vorliegenden Fall die Möglichkeit, das verwaltungsgerichtliche Verfahren nur durch eine Behebung eines Teils des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Imst zu beenden, an der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Entscheidung in der Sache. Insofern widerspricht die angefochtene Einschränkung in § 17 VwGVG dem Art 130 Abs 4 B VG.

Weiters bestehen Bedenken hinsichtlich des sich aus Art 7 B VG ergebenden Sachlichkeitsgebots: Der Verwaltungsgerichtshof als Kontrollinstanz der Verwaltungsgerichte hat zu Folge des § 62 Abs 1 VwGG das AVG zwar genauso subsidiär zu den Bestimmungen des VwGG anzuwenden, andererseits ist in § 62 Abs 1 VwGG keine weitere Einschränkung vorgesehen. Damit stehen dem Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich auch die Bestimmungen des IV. Teiles des AVG zur Verfügung, nicht jedoch den Verwaltungsgerichten. Eine sachliche Begründung für diese Differenzierung ist nicht erkennbar. Auch steht dieses unterschiedliche Repertoire verfahrensrechtlicher Regelungen in einem Konfliktverhältnis zur in § 63 Abs 1 VwGG statuierten Verpflichtung der Verwaltungsgerichte zur Herstellung des der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Zustandes, wenngleich diese Verpflichtung auch nach dem Wortlaut der Bestimmung auf die Anwendung der den Verwaltungsgerichten zu Gebote stehenden rechtlichen Mittel beschränkt ist.

Auf Grund der eindeutigen Verpflichtung der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung in der Sache ist daher eine Bestimmung entsprechend dem § 68 Abs 1 AVG zur Lösung des vorliegenden Falls nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts aus verfassungsrechtlicher Sicht unentbehrlich. Auch gebietet eine nach dem Sachlichkeitsgebot orientierte Sichtweise, dass dem Verwaltungsgericht jedenfalls die verfahrensrechtlichen Regelungen zur Verfügung stehen, die es zur bestmöglichen Erfüllung der Verpflichtung nach § 63 Abs 1 VwGG benötigt.

Einzige Möglichkeit zur Lösung dieses Widerspruchs ist daher, den in § 17 VwGVG statuierten Ausschluss der Anwendbarkeit des IV. Teils des AVG als verfassungswidrig aufzuheben – und damit den Verwaltungsgerichten eine ähnlich umfassende subsidiäre Anwendungsmöglichkeit des AVG zu eröffnen wie dies für den VwGH gemäß § 62 Abs 1 VwGG der Fall ist."

2. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken im Wesentlichen wie folgt entgegentritt:

"1. Zu den vorgebrachten Bedenken:

[…]

1.1. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art 130 Abs 4 B VG:

Das antragstellende Verwaltungsgericht zieht aus dem Umstand, dass § 17 VwGVG den IV. Teil des AVG von der Anwendung im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten ausnimmt, die Schlussfolgerung, es könne einen verfahrenseinleitenden Antrag nicht durch Zurückweisung erledigen. Dies trifft jedoch aus folgenden Gründen nicht zu:

§28 Abs 1 VwGVG lautet:

'(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.'

Die Erläuterungen (2009 BlgNR 24. GP, 6) führen zu dieser Bestimmung aus:

'Zu § 28:

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, soll die Rechtssache durch das Verwaltungsgericht in Form eines Erkenntnisses erledigt werden. Eine Zurückweisung der Beschwerde kommt auch wegen entschiedener Sache in Betracht, wenn Anbringen die Abänderung eines der Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren.'

Daraus ergibt sich zunächst, dass Beschwerden gemäß § 28 Abs 1 VwGVG auch wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden können, weshalb ein Bedürfnis danach, in § 17 VwGVG auch § 68 Abs 1 AVG für anwendbar zu erklären, insoweit von vornherein nicht besteht.

Im Anlassfall geht es allerdings nicht um die Zurückweisung einer Beschwerde, sondern um die Zurückweisung des das vorangehende Verwaltungsverfahren einleitenden Antrages. Nach Ansicht des antragstellenden Verwaltungsgerichtes kann es eine solche, im Anlassfall gebotene Zurückweisung deswegen nicht vornehmen, weil es in § 17 VwGVG unterlassen worden sei, auch § 68 Abs 1 AVG für anwendbar zu erklären. Dies wiederum habe zur Folge, dass die Verwaltungsgerichte ihrer Verpflichtung gemäß Art 130 Abs 4 B VG, in der Sache selbst zu entscheiden, in Fällen wie dem Anlassfall nicht nachkommen könnten.

In seinen Überlegungen spaltet das antragstellende Verwaltungsgericht die von ihm zu treffende Entscheidung gedanklich in eine ersatzlose Behebung des verwaltungsbehördlichen Bescheides und eine gewissermaßen in derselben 'juristischen Sekunde' erfolgende Zurückweisung des das Verwaltungsverfahren einleitenden Antrags auf. Es erscheint dem antragstellenden Verwaltungsgericht zwar zulässig und geboten, den verwaltungsbehördlichen Bescheid (gemäß § 28 Abs 1 VwGVG) ersatzlos zu beheben; die ebenfalls erforderliche Zurückweisung des das Verwaltungsverfahren einleitenden Antrags scheitere jedoch an der mangelnden Anwendbarkeit des § 68 Abs 1 AVG. Eine derartige Deutung des § 28 Abs 1 VwGG verkennt jedoch nach Ansicht der Bundesregierung den Gegenstand der vom Verwaltungsgericht nach dieser Bestimmung zu treffenden Entscheidung. Auch für die Vorbildbestimmung des § 66 Abs 4 AVG ist nämlich anzunehmen (Hengstschläger/Leeb, AVG [2007], § 66 Rz. 61, […]), dass '[z]ur Sache iSd § 66 Abs 4 AVG [...] auch das Vorliegen der (aller) Prozessvoraussetzungen () [gehört], weil davon auszugehen ist, dass es von der Behörde, welche die angefochtene Sachentscheidung getroffen hat, (implizit) festgestellt wurde (Hengstschläger³ Rz 516). Daher kann die Berufungsbehörde stets auch dieser Frage nachgehen und beispielsweise prüfen, ob der Berufungswerber im gegenständlichen Verfahren Parteistellung besitzt, ob entschiedene Sache vorliegt etc ().'

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher auch mehrfach ausgesprochen, dass dann, wenn die Behörde erster Rechtsstufe eine Sachentscheidung fällt, obwohl das Parteianbringen wegen entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen wäre, die Rechtsmittelbehörde die Berufung gegen den Bescheid mit der Maßgabe abzuweisen hätte, dass der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides auf 'Zurückweisung wegen entschiedener Sache' zu lauten habe (zB Zl. 92/05/0063 mwH). Eine Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrags wegen entschiedener Sache erfolgt im Berufungsverfahren also unter Inanspruchnahme der Kompetenz der Berufungsbehörde 'zur Entscheidung in der Sache selbst' gemäß § 66 Abs 4 AVG und nicht durch ersatzlose Behebung gemäß § 66 Abs 4 AVG unter gleichzeitiger Anwendung des § 68 Abs 1 AVG.

Nichts anderes kann jedoch für die Kompetenz des Verwaltungsgerichtes gemäß § 28 Abs 1 VwGVG gelten: Auch das Verwaltungsgericht hätte die Beschwerde gegen den Bescheid mit der Maßgabe abzuweisen – also eine Sachentscheidung im Sinne des Art 130 Abs 4 B VG zu treffen –, dass der das Verwaltungsverfahren einleitende Antrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wird. Einer Anwendbarerklärung des § 68 Abs 1 AVG im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten bedarf es zu diesem Zweck nicht. Bei dieser Auslegung des Gesetzes – die nach Ansicht der Bundesregierung die einzig richtige ist – ist jedoch den Bedenken des antragstellenden Verwaltungsgerichtes der Boden entzogen.

1.2 Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz:

Das antragstellende Verwaltungsgericht hält es für unsachlich, dass das AVG auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof durch § 62 Abs 1 VwGG in vollem Umfang für (subsidiär) anwendbar erklärt ist, im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten gemäß § 17 VwGVG dagegen nur mit Ausnahme seines IV. Teiles.

Dass die Nichtanwendbarkeit des § 68 Abs 1 AVG im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten nach richtiger Auffassung weder eine Zurückweisung der Beschwerde wegen entschiedener Sache noch eine Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrages ausschließt, wurde bereits unter Punkt 1.1 dargetan.

Im Übrigen verkennt das antragstellende Verwaltungsgericht, dass die Anwendbarkeit des AVG im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bzw. den Verwaltungsgerichten keine 'grundsätzliche', sondern eine unbedingte ist, letzteres allerdings nur insoweit, als im jeweiligen Verfahrensgesetz nicht anderes bestimmt ist. Was namentlich § 68 AVG betrifft, scheidet eine durch § 62 Abs 1 VwGG vermittelte Anwendung dieser Bestimmung im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof schon deswegen aus, weil die Zurückweisung wegen entschiedener Sache in § 34 Abs 1 VwGG eigens geregelt ist, Durchbrechungen der Rechtskraft von Erkenntnissen und Beschlüssen des Verwaltungsgerichtshofes lediglich die Folge einer Wiederaufnahme (§45 VwGG) oder einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§46 VwGG) sein können und von Amts wegen in diese Rechtskraft lediglich ausnahmsweise (§45 Abs 4 VwGG) eingegriffen werden kann. Dass das AVG in den §§62 Abs 1 VwGG und 17 VwGVG einmal in vollem Umfang und einmal mit Ausnahme seines IV. Teiles für anwendbar erklärt wird, ist also im Ergebnis normativ bedeutungslos und lediglich eine Formulierungsfrage.

Die vom antragstellenden Verwaltungsgericht im Hinblick auf den unterschiedlichen Umfang, in welchem das AVG im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bzw. den Verwaltungsgerichten anwendbar ist, vorgebrachten Bedenken sind demnach unbegründet. Relevante Unterschiede bestehen nämlich nicht."

3. Im Zuge des Vorverfahrens wurden auch die Landesregierungen eingeladen, Äußerungen zu erstatten. Die Tiroler Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den im Antrag dargelegten Bedenken wie folgt entgegentritt:

"1. Motive für den Ausschluss des IV. Teiles des AVG im § 17 VwGVG

Ohne auf die Rechtsetzungstechnik bei der Regelung des Verfahrensrechtes für die Verwaltungsgerichte auf der Grundlage des Art 136 Abs 2 B VG näher einzugehen, ist grundsätzlich festzuhalten, dass in Ergänzung des Prozessrechtes des VwGVG im § 17 VwGVG die sinngemäße subsidiäre Anwendung von Bestimmungen des AVG in Verfahren über Beschwerden nach Art 130 Abs 1 B VG angeordnet ist. Dabei wird die grundsätzliche (subsidiäre) Geltung des AVG mit Ausnahme bestimmter Bestimmungen, nämlich im hier maßgeblichen Zusammenhang des gesamten IV. Teiles, angeordnet. Der IV. Teil des AVG enthält Bestimmungen, die im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten entweder nicht zur Anwendung kommen sollten, da sie nicht das Verfahren der Verwaltungsgerichte betreffen, oder im VwGVG eine gesonderte Regelung erfahren haben.

Wie den Erläuterungen zum VwGVG an anderer Stelle (vgl. die EB RV 2009 BlgNR XXIV. GP zu den §§32 und 33) entnommen werden kann, bezweckte der Gesetzgeber mit dem Ausschluss der Bestimmungen des IV. Teiles insbesondere die Vermeidung von Auslegungsproblemen, die sich aus der subsidiären Anwendbarkeit des AVG ergeben könnten. Einen Ausschluss der Berücksichtigung der materiellen Rechtskraft von Entscheidungen, insbesondere der Möglichkeit bzw. Verpflichtung, einen Parteiantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, hatte der Gesetzgeber damit jedenfalls nicht vor Augen.

2. Geltung der materiellen Rechtskraft und dessen Abänderung durch § 68 AVG

§68 AVG wurde bei dessen Entstehung in der Weise aufgebaut, dass die grundlegende Vorschrift über die materielle Rechtskraft der res iudicata als Abs 1 an die Spitze gestellt wurde und die Abs 2 bis 4, welche die Ausnahmen von diesem Grundsatz enthalten, angereiht wurden (vgl. dazu Leeb, Bescheidwirkungen und ihre subjektiven Grenzen nach dem AVG (2010) 13 mwN). Ohne Begriff und Inhalt der Rechtskraft näher beleuchten zu wollen, ist festzuhalten, dass etwa Merkl die Rechtskraft als eine begriffsnotwendige Eigenschaft des Rechts ansah und für ihn das positive Recht nur dazu diente, die Bedingungen der Abänderung festzusetzen (vgl. Leeb, 10 und die Nachweise dort). In dieser Form ist auch § 68 AVG zu verstehen, nämlich als eine gesetzliche Grundlage dafür, in die (materielle) Rechtskraft von Bescheiden einzugreifen. Dieses Konzept beinhaltet demgemäß auch im § 68 Abs 1 AVG eine gesetzliche Anordnung für die Erledigung von Anbringen, denen die entschiedene Sache entgegensteht. Legt man nun Merkls These von der Unabänderlichkeit einer Rechtsnorm außerhalb einer positivrechtlichen Ausnahme dem § 68 Abs 1 AVG zugrunde, kommt man zum Schluss, dass die ausdrückliche gesetzliche Anordnung der Zurückweisung nicht erforderlich ist, um derartige Anbringen in dieser Weise erledigen zu können (so auch Leeb, 14, in Anm 102, gestützt auf Werndl, 'Unwiederholbarkeit' als Rechtskraftwirkung, in Holoubek/Lang (Hrsg), Rechtskraft im Verwaltungs- und Abgabenverfahren [2008] 150 f, wonach die ausdrückliche Anordnung in § 68 Abs 1 AVG – Anbringen von Beteiligten, denen die entschiedene Sache entgegensteht, sind zurückzuweisen – nur deklarativ ist).

3. Zurückweisung wegen res iudicata im verwaltungsgerichtlichen Verfahren

Der Gesetzgeber hat bei der Regelung des Verfahrensrechtes für die Verwaltungsgerichte das rechtliche Institut der Rechtskraft vorgefunden und vorausgesetzt, wie sich insbesondere auch aus dem Wiederaufnahmetatbestand des § 32 Abs 1 Z 4 VwGVG ausdrücklich ableiten lässt (nachträgliches Bekanntwerden einer Entscheidung, welche im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte). Das Erfordernis einer gesonderten Regelung für die Behandlung von Anbringen, denen die entschiedene Sache entgegensteht, war daher nicht gegeben.

Umgelegt auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass das Fehlen einer dem § 68 Abs 1 letzter Halbsatz AVG entsprechenden ausdrücklichen Anordnung einer Entscheidung durch das Verwaltungsgericht in der im Antrag dargelegten Weise nicht entgegenstünde.

4. Sachentscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte aufgrund des § 28 VwGVG

Die Verwaltungsgerichte erkennen gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B VG über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Die Ausgestaltung der Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte in Verfahren über derartige Beschwerden, insbesondere die Festlegung, wann in der Sache selbst zu entscheiden ist, ergibt sich auf Verfassungsebene aus Art 130 Abs 4 B VG, auf einfachgesetzlicher Ebene abschließend aus § 28 VwGVG.

Die Frage, wie das Verwaltungsgericht im Fall der Rechtswidrigkeit eines Bescheides aufgrund einer inhaltlichen Entscheidung der Verwaltungsbehörde anstelle einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache zu erkennen hat, ist somit allein in Anwendung des § 28 VwGVG iVm Art 130 Abs 4 B VG zu lösen.

Ein Rückgriff auf Bestimmungen des AVG, die ja lediglich das Verfahren vor den Verwaltungsbehörden regeln, ist dabei weder vorgesehen noch erforderlich, da § 28 VwGVG dem Verwaltungsgericht die Möglichkeit eröffnet, in der im Antrag dargelegten Weise zu entscheiden. Dies ist auch den EB RV 2009 BlgNR XXIV. GP zu § 28 VwGVG zu entnehmen, wonach aufgrund von § 28 auch die Zurückweisung der Beschwerde wegen entschiedener Sache in Betracht kommt. Anderes kann nicht gelten, wenn aufgrund einer Beschwerde über ein Anbringen zu entscheiden ist, das bereits auf der Ebene der Verwaltungsbehörde wegen entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen wäre."

II. Rechtslage

1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des VerwaltungsgerichtsverfahrensgesetzesVwGVG in seiner Stammfassung BGBl I 33/2013 lauten wie folgt (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"1. Hauptstück

Allgemeine Bestimmungen

Anwendungsbereich

§1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes."

"3. Abschnitt

Verfahren vor dem Verwaltungsgericht

Anzuwendendes Recht

§17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§1 bis 5 sowie des IV. Teiles , die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl Nr 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl Nr 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl Nr 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte."

"4. Abschnitt

Erkenntnisse und Beschlüsse

Erkenntnisse

§28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

[…]"

"Beschlüsse

§31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.

(2) An seine Beschlüsse ist das Verwaltungsgericht insoweit gebunden, als sie nicht nur verfahrensleitend sind.

(3) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind § 29 Abs 1 zweiter Satz, Abs 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse."

2. Der im IV. Teil des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes – AVG in seiner bislang unverändert gebliebenen wiederverlautbarten Fassung BGBl Nr 51/1991 enthaltene § 68 Abs 1 lautet:

"IV. Teil

Rechtsschutz

1. Abschnitt

Berufung

[…]

2. Abschnitt

Sonstige Abänderung von Bescheiden

Abänderung und Behebung von Amts wegen

§68. (1) Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, sind, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen."

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag auf Aufhebung einer generellen Norm nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Für den Verfassungsgerichtshof besteht kein Zweifel, dass das antragstellende Verwaltungsgericht in dem bei ihm anhängigen Verfahren für die Ermittlung des anzuwendenden Verfahrensrechtes § 17 VwGVG im Allgemeinen und dessen einschränkende Wortfolge "sowie des IV. Teiles" im Speziellen (zumindest) denkmöglich anzuwenden hat. Auch die Bundesregierung (wie auch die Tiroler Landesregierung) hat in ihrer Äußerung die Präjudizialität der angefochtenen Wortfolge nicht angezweifelt.

1.2. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2. Nach den Angaben des antragstellenden Verwaltungsgerichtes ist die bei ihm anhängige Sache entscheidungsreif. Der das Verwaltungsverfahren einleitende Antrag des Zollamtes auf Feststellung der Beitragspflicht nach dem Altlastensanierungsgesetz sei nicht zulässig, weil es bereits eine rechtskräftige Entscheidung des Bezirkshauptmannes Imst in dieser Sache gebe und daher res iudicata vorliege. Das Landesverwaltungsgericht Tirol meint in der Folge, den Antrag des Zollamtes wegen entschiedener Sache zurückweisen zu müssen. Eben dies sei aber – so die Prämisse des antragstellenden Verwaltungsgerichtes – in dem bei ihm anhängigen Berufungsverfahren (nunmehr: Beschwerdeverfahren) auf Grund der Wortfolge "sowie des IV. Teiles" in § 17 VwGVG ausgeschlossen. Es könne nur den erstinstanzlichen Bescheid des Bezirkshauptmannes Imst beheben und dem Bezirkshauptmann Imst gleichzeitig auftragen, einen neuen (zurückweisenden) Bescheid zu erlassen. Dieses Ergebnis widerspreche der aus Art 130 Abs 4 B VG resultierenden Verpflichtung des Verwaltungsgerichtes, grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden.

2.3. Diese vom antragstellenden Verwaltungsgericht geäußerten Bedenken gegen die Wortfolge "sowie des IV. Teiles" in § 17 VwGVG treffen nicht zu. Das Landesverwaltungsgericht Tirol verkennt die Rechtslage (insbesondere die Bestimmung des § 28 VwGVG), weil § 17 VwGVG einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache bei falscher Beurteilung der Prozessvoraussetzungen durch die Verwaltungsbehörde – also etwa bei einer Fallkonstellation wie dem beim Landesverwaltungsgericht Tirol anhängigen Anlassfall – nicht entgegensteht:

2.3.1. Aus Art 130 Abs 4 B VG ergibt sich die Pflicht des Verwaltungsgerichtes, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2); in Verwaltungsstrafsachen besteht stets die Verpflichtung zur Entscheidung in der Sache selbst. In diesen Fällen ist das Verwaltungsgericht von Verfassungs wegen verpflichtet, eine reformatorische und nicht eine "kassatorische" (also aufhebende und zurückverweisende) Entscheidung zu treffen.

Die mit den Vorgaben des Art 130 Abs 4 B VG korrespondierende, einfachgesetzliche Verfahrensbestimmung für das verwaltungsgerichtliche Verfahren findet sich in § 28 VwGVG. Danach hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Liegen die in Art 130 Abs 4 B VG genannten Voraussetzungen vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs 2 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden. Unter bestimmten, in § 28 Abs 3 VwGVG genannten Voraussetzungen kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss den bei ihm angefochtenen Bescheid aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen.

2.3.2. Art 130 Abs 4 B VG und § 28 VwGVG verlangen somit grundsätzlich, dass das Verwaltungsgericht eine reformatorische Entscheidung mittels Erkenntnisses erlässt. Insofern unterscheidet sich – worauf auch die Bundesregierung unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetzes 2013, RV 2009 BlgNR 24. GP, hinweist – die dem Verwaltungsgericht gemäß § 28 VwGVG zukommende Entscheidungsbefugnis in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden nicht von jener, die einer Berufungsbehörde nach § 66 Abs 4 AVG zukommt: Im Verwaltungsverfahren impliziert die Sachentscheidung einer unterinstanzlichen Behörde die Bejahung der Prozessvoraussetzungen, diese sind somit "Sache" des Berufungsverfahrens und können von der nach § 66 Abs 4 AVG entscheidenden Berufungsbehörde anders als von der Unterinstanz beurteilt werden (vgl. etwa Thienel/Schulev-Steindl , Verwaltungsverfahrensrecht 5 , 274). Wenn der Sachentscheidung der erstinstanzlichen Behörde res iudicata entgegenstand oder eine sonstige Prozessvoraussetzung fehlte, hat die Berufungsbehörde nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs 4 AVG die Berufung mit der Maßgabe abzuweisen, dass der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides auf "Zurückweisung wegen entschiedener Sache" (oder Zurückweisung wegen Fehlens einer sonstigen Prozessvoraussetzung) zu lauten hat (vgl. zB , mwN).

Der Verfassungsgerichtshof pflichtet der Bundesregierung bei, dass auf gleiche Weise bei der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nach § 28 VwGVG vorzugehen ist. Das Verwaltungsgericht hat in jenem Falle, dass der Sachentscheidung der Verwaltungsbehörde res iudicata entgegenstand oder eine sonstige Prozessvoraussetzung fehlte, keine prozessuale, sondern eine meritorische und (grundsätzlich auch) reformatorische Entscheidung in Form eine Erkenntnisses zu treffen. § 28 VwGVG gebietet dem Verwaltungsgericht – bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art 130 Abs 4 B VG –, die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrages zum Inhalt seiner Sachentscheidung zu machen, wenn im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hervorkommt, dass es schon bei Bescheiderlassung durch die belangte Behörde an einer Prozessvoraussetzung mangelte. Der Tiroler Landesregierung ist darin zuzustimmen, dass sich diese Kompetenz zur Sachentscheidung unmittelbar aus der – mit Art 130 Abs 4 B VG übereinstimmenden – Bestimmung des § 28 VwGVG ergibt, der bezüglich des Inhalts der vom Verwaltungsgericht zu treffenden Sachentscheidung keine Einschränkungen macht. Inhalt einer solchen Sachentscheidung kann es daher auch sein, dass der verfahrenseinleitende Antrag wegen entschiedener Sache oder wegen Fehlens einer sonstigen Prozessvoraussetzung zurückgewiesen wird.

§17 VwGVG trifft Vorkehrungen für die vor den Verwaltungsgerichten anzuwendenden Verfahrensregeln, ist aber nicht als Einschränkung der den Verwaltungsgerichten durch Art 130 Abs 4 B VG und § 28 VwGVG eingeräumten Befugnis und Pflicht, grundsätzlich eine reformatorische Entscheidung zu erlassen, zu verstehen.

2.3.3. Aus diesen Gründen liegt der vom antragstellenden Verwaltungsgericht geltend gemachte Widerspruch der Wortfolge "sowie des IV. Teiles" in § 17 VwGVG zu Art 130 Abs 4 B VG nicht vor; die angefochtene Wortfolge steht einer Sachentscheidung, wie sie vom antragstellenden Verwaltungsgericht beabsichtigt wird, nicht entgegen.

2.4. Das antragstellende Verwaltungsgericht äußert gegen die angefochtene Wortfolge auch Bedenken in Hinblick auf Art 7 B VG. Es sei sachlich nicht zu begründen, dass der Verwaltungsgerichtshof als Kontrollinstanz der Verwaltungsgerichte gemäß § 62 Abs 1 VwGG das AVG subsidiär ohne jegliche Einschränkungen, die Verwaltungsgerichte aber die Bestimmungen des IV. Teils des AVG nicht anzuwenden haben.

Auch diesen vorgebrachten Bedenken liegt dasselbe Verständnis der §§17 und 28 VwGVG zugrunde, wie es das antragstellende Verwaltungsgericht in Hinblick auf den gerügten Verstoß gegen Art 130 Abs 4 B VG dargelegt hat. Aus den unter Punkt 2.3. dargelegten Gründen sind diese Bestimmungen aber nicht dahin zu verstehen, dass sie einer meritorischen und (grundsätzlich auch) reformatorischen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes entgegenstehen, wenn die (erstinstanzliche) Verwaltungsbehörde trotz des Fehlens einer Prozessvoraussetzung (zB trotz Vorliegens rei iudicatae) eine Sachentscheidung getroffen hat.

Da – wie unter Punkt 2.3. dargelegt – die Bestimmungen des Art 130 Abs 4 B VG und § 28 VwGVG dem Verwaltungsgericht ermöglichen, eine Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrages wegen entschiedener Sache oder des Fehlens einer anderen Prozessvoraussetzung zum Inhalt seiner Sachentscheidung zu machen, unterscheidet sich insoweit die Entscheidungsbefugnis des Verwaltungsgerichtes nicht von jener des Verwaltungsgerichtshofes (sofern dieser in der Sache selbst entscheidet), sodass sich die Frage der sachlichen Rechtfertigung unterschiedlicher Verfahrensbestimmungen im vorliegenden Zusammenhang gar nicht erst stellt.

Aus diesen Gründen gehen auch die gleichheitsrechtlichen Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Tirol ins Leere.

IV. Ergebnis

1. Der Antrag, die Wortfolge "sowie des IV. Teiles" in § 17 VwGVG, BGBl I 33/2013, wegen Verstoßes gegen Art 130 Abs 4 B VG und das aus Art 7 B VG resultierende Sachlichkeitsgebot als verfassungswidrig aufzuheben, ist daher abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2014:G5.2014