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VfGH vom 30.11.1987, g49/87

VfGH vom 30.11.1987, g49/87

Sammlungsnummer

11550

Leitsatz

Denkmögliche Anwendung des § 63 Abs 3 im Anlaßverfahren betreffen die Untersagung der Ausübung einer Kontrollfunktion in einem Aufsichtsrat gem. § 63 Abs 2 - Präjudizialität einiger Worte in § 63 Abs 3; Unsachlichkeit der Ausnahmebestimmung, die nur die Interessen des Bundes als Dienstgeber als rechtfertigend für die Ausübung einer Kontrollfunktion in einem Aufsichtsrat ansieht; Aufhebung einiger Worte in § 63 Abs 3 als verfassungswidrig

Spruch

1. In § 63 Abs 3 des BG vom , BGBl. Nr. 305, über das Dienstverhältnis der Richter und Richteramtsanwärter (Richterdienstgesetz-RDG), wird die Wortfolge "dies im unmittelbaren Bundesinteresse gelegen ist oder" als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Vorschriften treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

2. Im übrigen wird das Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien untersagte dem Richter des Landesgerichtes Eisenstadt Dr. F S mit Bescheid vom , Z Jv 7051-1b/85, die von diesem am gemeldete Nebenbeschäftigung als Mitglied des Aufsichtsrates der Burgenländischen Elektrizitätswirtschafts-Aktiengesellschaft

(BEWAG).

2. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte Dr. F S aus, daß er die Tätigkeit im Aufsichtsrat der erwähnten Kapitalgesellschaft auf Grund seiner politischen Funktion als Mitglied des Burgenländischen Landtages ausübe. Ihm dürfe das verfassungsmäßig gewährleistete Recht auf freie Ausübung seines Mandates durch § 63 RDG nicht genommen werden.

Mit Bescheid vom , Z 2145/5-III 4/85, gab der Bundesminister für Justiz der Berufung nicht Folge.

Begründend wurde ua. ausgeführt, daß auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 63 Abs 3 RDG zu verneinen sei; dieser Feststellung wurde eine ausführliche Begründung angefügt.

3. Der Richter Dr. F S stellte mit Schreiben vom an den Bundesminister für Justiz den Antrag, ihm gemäß § 63 Abs 3 RDG die Ausübung seiner Aufsichtsratsfunktion bei der BEWAG zu genehmigen.

Der Bundesminister für Justiz gab dem Ansuchen, dem Richter Dr. F S gemäß § 63 Abs 3 RDG zu gestatten, daß er dem Aufsichtsrat der Burgenländischen Elektrizitätswirtschafts-Aktiengesellschaft (BEWAG) angehöre, mit Bescheid vom , Z 2145/6-III 4/85, nicht Folge.

In der Begründung wurde ausgeführt, daß die Tätigkeit bei der BEWAG entgeltlich ausgeübt werde, daß diese Tätigkeit nicht im unmittelbaren Bundesinteresse gelegen sei, daß sie nicht der Förderung humanitärer Bestrebungen oder wirtschaftlicher Verhältnisse von öffentlichen Bediensteten oder deren Angehörigen diene. Schließlich wurde ausgeführt, daß die Ausübung eines politischen Mandates nicht auch die Tätigkeit im Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft umfasse, die im Eigentum eines Bundeslandes stehe.

4. Gegen diese unter 2. und 3. angeführten Bescheide des Bundesministers für Justiz vom und vom richtet sich die auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde des Richters Dr. F S, in der dieser die Verletzung der verfassungsgesetzlich geschützten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art 7 Abs 1 B-VG, auf ungeschmälerte Ausübung der politischen Rechte durch öffentlich Bedienstete gemäß Art 7 Abs 2 B-VG und freie Mandatsausübung nach Art 22 der Burgenländischen Landesverfassung (L-VG) in Verbindung mit Art 95 B-VG und Art 26 L-VG geltend macht, ferner anregt, § 63 Abs 3 RDG auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt.

5. Der VfGH hat aus Anlaß der von Dr. F S erhobenen Beschwerden gemäß Art 140 Abs 1 B-VG mit Beschluß vom , B785, 786/85, ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 63 Abs 3 RDG eingeleitet.

6. § 63 RDG hat folgenden Wortlaut:

"§63. (1) Der Richter darf neben seinem Amt keiner Beschäftigung nachgehen und keine Stellung annehmen, die der Würde seines Amtes widerstreiten oder die ihn in der Erfüllung seiner Dienstpflichten behindern oder die Vermutung der Befangenheit in Ausübung des Dienstes hervorrufen könnten.

(2) Dem Richter ist untersagt, dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft anzugehören.

(3) Ausnahmsweise kann das Bundesministerium für Justiz gestatten, daß ein Richter dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft ohne Entgelt angehört, wenn dies im unmittelbaren Bundesinteresse gelegen ist oder es sich um Gesellschaften handelt, die ausschließlich die Förderung humanitärer Bestrebungen oder wirtschaftlicher Verhältnisse von öffentlich Bediensteten oder deren Angehörigen zum Zwecke haben.

(4) Jede erwerbsmäßige Nebenbeschäftigung ist der Dienststelle zu melden."

7. Der Beschluß vom 1. Dezember ist im wesentlichen wie folgt begründet:

"Der VfGH geht vorläufig davon aus, daß keine sachliche Rechtfertigung dafür zu finden ist, einem Richter ausnahmsweise zu gestatten, für den Bund im unmittelbaren Bundesinteresse eine Kontrollfunktion im Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft auszuüben, ihm aber die Ausübung einer solchen Kontrollfunktion im Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft im unmittelbaren Landes- oder Gemeindeinteresse ausnahmslos zu verwehren."

8. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den Antrag stellte, der VfGH möge aussprechen, daß § 63 Abs 3 RDG nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird. Für den Fall der Aufhebung möge der VfGH gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

Sie regt an, die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit auf die Wortfolge "dies im unmittelbaren Bundesinteresse gelegen ist oder" einzuschränken.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Der Bundesminister für Justiz entschied zwar in dem mit Bescheid zweiter Instanz vom abgeschlossenen Verfahren nur über die Untersagung der Tätigkeit des Richters gemäß § 63 Abs 2 RDG. Hiebei faßte er jedoch die Möglichkeit der nachträglichen Genehmigung gemäß § 63 Abs 3 RDG ins Auge und begründete besonders ausführlich, warum die Voraussetzungen hiefür nicht vorlägen. Die bel. Beh. wendete demnach § 63 Abs 3 RDG denkmöglich auch bei Erlassung dieses Bescheides an und der VfGH hätte daher im Sinne des Art 140 Abs 1 B-VG diese Gesetzesstelle bei der Prüfung des Bescheides anzuwenden. § 63 Abs 3 RDG ist daher auch für die Prüfung dieses Bescheides präjudiziell.

2. Der VfGH ist in Übereinstimmung mit der Bundesregierung der Auffassung, daß sich seine im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 63 Abs 3 RDG ausschließlich gegen die Wortfolge "dies im unmittelbaren Bundesinteresse gelegen ist oder" richten. Zwischen dieser Wortfolge und dem übrigen Wortlaut des § 63 Abs 3 RDG besteht kein untrennbarer Zusammenhang. Der verbleibende Teil des Gesetzes würde durch die auf diese Wortfolge eingeschränkte Aufhebung auch keinen grundsätzlichen Bedeutungswandel erfahren.

Das Gesetzesprüfungsverfahren war sohin, soweit es sich nicht auf die angeführte Wortfolge bezieht, einzustellen, weil eine mögliche Verfassungswidrigkeit des Gesetzes ausschließlich in dieser Wortfolge ihren Sitz hat.

Hinsichtlich dieser Wendung ist jedoch das Gesetzesprüfungsverfahren, da auch die übrigen Voraussetzungen vorliegen, zulässig.

3. Nach Ansicht der Bundesregierung macht der Bundesgesetzgeber von seinen ihm eingeräumten rechtspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten keinen den Gleichheitsgrundsatz verletzenden Gebrauch, wenn er den den Bund als Dienstgeber unmittelbar berührenden Interessen eine größere Bedeutung beimißt als den Interessen anderer Gebietskörperschaften. Im Rahmen einer dienstrechtlichen Regelung erscheint nach Meinung der Bundesregierung eine an der Dienstgeberpersönlichkeit orientierte Differenzierung durchaus sachlich.

Der VfGH ist der Auffassung, daß - ungeachtet des bundesstaatlichen Aufbaues der Republik Österreich - kein sachlicher Grund dafür besteht, daß der Bundesgesetzgeber einem Richter oder Verwaltungsbeamten die Tätigkeit in einem Aufsichtsrat (oder Vorstand) einer Kapitalgesellschaft in unmittelbarem Bundesinteresse ausnahmsweise ermöglicht, eine solche im öffentlichen Interesse ausgeübte Tätigkeit aber ausnahmslos untersagt, auch wenn es sich um die Interessen eines Landes handelt, also nur die Interessen des Bundes als Dienstgeber als rechtfertigende öffentliche Interessen ansieht, nicht aber gleichartige Interessen anderer Gebietskörperschaften.

Auch die Bundesregierung konnte die Sachlichkeit einer solchen Regelung nicht aufzeigen. Die Anknüpfung an die Dienstgebereigenschaft des Bundes genügt hiefür jedenfalls nicht.

Die vom VfGH im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken treffen daher zu.

Die Wortfolge "dies im unmittelbaren Bundesinteresse gelegen ist oder" in § 63 Abs 3 RDG war sohin als verfassungswidrig aufzuheben.

4. Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art 140 Abs 5 und 6 B-VG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG 1953 idF. BGBl. 297/1984 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Fundstelle(n):
VAAAE-27639