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VfGH vom 08.10.2003, g47/03

VfGH vom 08.10.2003, g47/03

Sammlungsnummer

17012

Leitsatz

Keine Gleichheitsverletzung durch die Beschränkung des Anspruchs auf Kriegsgefangenenentschädigung für Kriegsgefangene der mittelost- und osteuropäischen Staaten auf Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland; keine Überschreitung des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der am geborene österreichische Staatsbürger R. S., welcher seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat und sich vom bis in russischer Kriegsgefangenschaft befand, beantragte am die Gewährung einer Entschädigung nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz. Der Antrag wurde mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom wegen des Fehlens des gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland abgelehnt, die den Bescheid außer kraft setzende Klage mit Urteil des Erstgerichts vom abgewiesen. Nach Erhebung der Berufung, in welcher der Kläger die Verfassungswidrigkeit der den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland als Anspruchsvoraussetzung vorsehenden Vorschrift vorbrachte, erließ die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten am einen (unangefochten gebliebenen) weiteren Bescheid, mit dem sie dem Kläger ab eine Kriegsgefangenenentschädigung in Höhe von monatlich € 29,07 zuerkannte.

Das Berufungsgericht stellte hinsichtlich des Zeitraumes ab dem im Hinblick auf eine entsprechende Klagseinschränkung die Wirkungslosigkeit des Ersturteils fest und gab der Berufung des Klägers hinsichtlich des strittig verbliebenen Zeitraumes vom bis nicht Folge und führte in seiner Begründung ua. aus, dass eine gesetzliche Regelung, die den Anspruch auf eine zur Entschädigung einer mit besonderen Härten verbundenen Situation dienende pauschalierte Leistung an eine Nahebeziehung des Anspruchsberechtigten zum Inland binde und dabei auf dessen Aufenthalt abstelle, als solche keine verfassungsrechtlichen Bedenken erwecke.

Gegen diese Entscheidung richtete sich die Revision des Klägers an den Obersten Gerichtshof aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne eines Zuspruches der begehrten Kriegsgefangenenentschädigung auch für den Zeitraum vom bis . Hilfsweise wurde ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die Revision ist zu 10 ObS 3/03 beim Obersten Gerichtshof anhängig.

2. Aus Anlass dieses Verfahrens stellt der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom gemäß Art 89 Abs 2 B-VG iVm Art 140 Abs 1 und 4 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag auszusprechen, dass im Budgetbegleitgesetz 2001, BGBl. I Nr. 142/2000, Art 70 (Bundesgesetz, mit dem eine Entschädigung für Kriegsgefangene eingeführt wird [Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz]) idF des Versorgungsrechts-Änderungsgesetz 2002 - VRÄG 2002, BGBl. I Nr. 70/2001, die - durch das Bundesgesetz, mit dem das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz geändert wird, BGBl. I Nr. 40/2002, aufgehobene - Bestimmung des § 3 verfassungswidrig war.

3. Die §§1 bis 3 des in Art 70 Budgetbegleitgesetz 2001, BGBl. I Nr. 142/2000 enthaltenen Bundesgesetzes, mit dem eine Entschädigung für Kriegsgefangene eingeführt wird (Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz - KGEG), haben idF des Versorgungsrechts-Änderungsgesetzes 2002 - VRÄG 2002, BGBl. I Nr. 70/2001, folgenden Wortlaut (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"Personenkreis

§ 1. Österreichische Staatsbürger, die

1. im Verlauf des Zweiten Weltkrieges in Kriegsgefangenschaft mittelost- oder osteuropäischer Staaten (wie Albaniens, Bulgariens, Polens, der ehemaligen Sowjetunion, Rumäniens, der ehemaligen Tschechoslowakei, des ehemaligen Jugoslawiens) gerieten, oder

2. während der Besetzung Österreichs durch die Alliierten Mächte von einer ausländischen Macht aus politischen oder militärischen Gründen in Österreich festgenommen und durch mittelost- oder osteuropäische Staaten angehalten wurden, oder

3. sich auf Grund politischer Verfolgung oder drohender politischer Verfolgung im Sinne des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947, außerhalb des Gebietes der Republik Österreich befanden und aus den in Z 2 angeführten Gründen von einer ausländischen Macht festgenommen und nach Beginn des Zweiten Weltkrieges durch mittelost- oder osteuropäische Staaten angehalten wurden,

haben Anspruch auf eine Leistung nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.

Ausschlussbestimmung

§ 2. Von der in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Geldleistung sind Personen ausgeschlossen, deren Verhalten in Wort oder Tat mit den Gedanken und Zielen eines freien, demokratischen Österreich unvereinbar war.

Anspruchsvoraussetzungen

§ 3. Die im § 1 genannten Personen haben Anspruch auf eine Leistung nach diesem Bundesgesetz, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben."

II. 1. Nach einer Darstellung des bisherigen Verfahrensgeschehens begründet der Oberste Gerichtshof seine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der bekämpften Gesetzesbestimmung folgendermaßen:

"In seiner Rechtsrüge vertritt der Kläger den Standpunkt, die in § 3 KGEG idF BGBl I Nr 70/2001 normierte Beschränkung des Kreises der Anspruchsberechtigten auf Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland verstoße gegen das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz (Art7 B-VG, Art 2 StGG), weil keine wesentlichen Unterschiede im Tatsachenbereich vorlägen, die eine Ungleichbehandlung österreichischer Staatsangehöriger rechtfertigen würden. Da Entschädigungen nach dem KGEG primär der Abgeltung von zugunsten der Republik Österreich erbrachten Leistungen und erlittenen seelischen und körperlichen Schmerzen in der Kriegsgefangenschaft dienten, könne der jetzige gewöhnliche Aufenthalt kein sachliches Kriterium für die Frage der Anspruchsberechtigung sein.

Damit werde auf einen (willkürlichen) Umstand abgestellt, der mehr als fünfzig Jahre nach dem entschädigungspflichtigen Ereignis mehr oder weniger zufällig eintrete und in keinem objektiven Zusammenhang mit Grund und Zweck der Entschädigung stehe. Die Unsachlichkeit der Differenzierung zeige auch ein Vergleich mit verwandten Rechtsvorschriften (§228 ASVG,§ 3 KOVG, § 4 OFG), die jeweils auf die österreichische Staatsbürgerschaft, nicht jedoch (auch) auf den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland abstellten. Angesichts der Problemlosigkeit der Überweisung von Zahlungen speziell in das EU-Ausland sei es auch nicht nachvollziehbar, welche Schwierigkeiten eine (nicht?) differenzierende Lösung mit sich brächte. Letztlich sei auch darauf hinzuweisen, dass dem Gesetzgeber die verfassungsrechtliche Problematik bezüglich des § 3 KGEG idF BGBl I Nr 70/2001 bewusst geworden sei. Mit dem Bundesgesetz BGBl I Nr 40/2001 sei die Differenzierung nach dem gewöhnlichen Aufenthalt mit Wirkung vom l.1.2002 aufgehoben worden. Warum dies für Zeiten davor nicht gelten solle sei nicht einsichtig. Aus diesen Gründen werde angeregt, ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich des § 3 KGEG idF BGBl I Nr 70/2001 beim Verfassungsgerichtshof einzuleiten. Aus Gründen anwaltlicher Vorsicht werde auch auf das allgemeine Diskriminierungsverbot des § 12 EG verwiesen, gegen das § 3 KGEG idF BGBl I Nr 70/2001 unter dem Aspekt verstoße, dass die Mobilität von EG-Bürgern behindert werde, weil sie bei einem Wohnsitzwechsel von einem Mitgliedstaat in einen anderen den Verlust einer Entschädigung nach dem KGEG erleiden.

...

In den Gesetzesmaterialien (RV 311 BlgNR 21. GP zu Art 70, AB 369 B1gNR 21. GP) wird die Bestimmung nicht erläutert. Sie wurde mit dem Bundesgesetz, mit dem das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz geändert wird, BGBl I Nr 40/2002, aufgehoben. In der Regierungsvorlage dazu (944 BlgNR 21. GP 2) wird es als Problem angesehen, dass geschätzt etwa 1.000 Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, keinen Anspruch auf Kriegsgefangenenentschädigung haben; dieser Personenkreis sollte - neben den Kriegsgefangenen der Westalliierten - in die Anspruchsberechtigung nach dem KGEG einbezogen werden.

Im Hinblick auf die mit dem Bundesgesetz BGBl I Nr 40/2002 in das KGEG aufgenommenen Übergangsbestimmungen (§§21a, 23 Abs 3 KGEG) ist auf den Kläger im Zeitraum bis offensichtlich der § 3 KGEG idF vor der Novellierung durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 40/2002 anzuwenden. Die vom Verfassungsgerichtshof geforderte Präjudizialität ist somit nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs gegeben.

Der Anwendung dieser Norm steht auch nicht eine offenkundig unmittelbar anzuwendende Norm des Gemeinschaftsrechts entgegen, deren Anwendungsvorrang die Präjudizialität ausschließen würde (VfSlg 15.368). Nach ihrem Art 4 Abs 4 ist die Verordnung (EWG) des Rates Nr 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, weder auf die Sozialhilfe noch auf Leistungssysteme für Opfer des Krieges und seiner Folgen anzuwenden. Art 12 und Art 39 Abs 2 EG verbieten innerhalb des Anwendungsbereiches des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit; ein solcher Fall liegt nicht vor.

Unter dem Blickwinkel der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG, Art 2 StGG) ist für den Obersten Gerichtshof ein sachlicher Grund für die in § 3 KGEG idF vor der Novellierung durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 40/2002 vorgenommene Differenzierung zwischen österreichischen Staatsbürgern mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und solchen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland nicht zu ersehen. Insoweit teilt der Oberste Gerichtshof die in den Revisionsausführungen angestellten verfassungsrechtlichen Bedenken. Schon in der Revisionsschrift wird darauf hingewiesen, dass "verwandte" Rechtsvorschriften (§228 ASVG,§ 3 KOVG, § 4 OFG), die jeweils auf die österreichische Staatsbürgerschaft abstellen, einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nicht als Anspruchsvoraussetzung fordern. Lediglich das Bundesgesetz vom über finanzielle Hilfeleistungen an Spätheimkehrer, BGBl Nr 128/1958, nimmt in seinem § 1 Abs 3 auf das Erfordernis eines Wohnsitzes im Inland Bezug, und zwar grundsätzlich zum Datum des Inkrafttreten des Gesetzes (); spätere Wohnsitzänderungen sind demnach auch hier für die Anspruchsberechtigung unmaßgeblich.

Im Hinblick auf die angesprochenen verfassungsrechtlichen Bedenken sieht sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen, zumal § 3 KGEG idF vor der Novellierung durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 40/2002 unter Bedachtnahme auf den eindeutigen Wortlaut nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung materiell beseitigt werden kann.

Die Aspekte, die den Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , G112/99, bewogen haben, das Abstellen auf einen gewöhnlichen Aufenthalt in § 2 Abs 1 UVG als innerhalb des rechtspolitischen Spielraums des Gesetzgebers liegend anzusehen (rasch durchführbaren Verfahrens, Möglichkeit der Kontrolle von Missbräuchen), treffen im vorliegenden Fall nicht zu."

2. Die Bundesregierung hat hiezu eine Äußerung erstattet, in welcher sie beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle den Antrag des Obersten Gerichtshofes abweisen und aussprechen, dass die angefochtene Bestimmung nicht verfassungswidrig war. Zu den Bedenken führt sie Folgendes aus:

"Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt das Verständnis des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes gemäß Art 7 Abs 1 B-VG iVm. Art 2 StGG in einem den Gesetzgeber bindenden allgemeinen Sachlichkeitsgebot. Demnach setzt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber 'insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen' (VfSlg. 10.084/1984). Dem einfachen Gesetzgeber kommt bei der Verfolgung seiner politischen Zielvorstellungen ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Grundsätzlich hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen, ob bei der Erlassung eines Gesetzes die Verfolgung eines bestimmten Zieles etwa aus wirtschaftspolitischen oder sozialpolitischen Gründen zweckmäßig ist. Er kann dem Gesetzgeber nur dann entgegentreten, wenn dieser Ziele verfolgt, die keinesfalls als im öffentlichen Interesse liegend anzusehen sind (VfSlg. 9911/1983, 12.009/1989).

Dem Gesetzgeber kommt daher nach Ansicht der Bundesregierung auch in der Frage, in welchem Umfang er die unterschiedlichen Erscheinungsformen kriegs- und verfolgungsbedingter Haft in Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg als entschädigungswürdig erachtet, ein weiter - letztlich auch wohl von politischen Bewertungen geprägter - Beurteilungsspielraum zu. Auch eine stufenweise Einführung von Entschädigungszahlungen liegt in diesem Gestaltungsspielraum (siehe , G312/01).

Die - als Anerkennung der mit besonderen Härten verbundenen Situation der Anspruchsberechtigten (vgl. EB 311 BlgNR XXI. GP, zu Art 70 des Budgetbegleitgesetzes 2001) - nach dem KGEG geleistete Entschädigung wird in Form einer von der Dauer der Kriegsgefangenschaft abhängigen monatlichen Geldleistung in Höhe von € 14,53 bis € 36,34 erbracht. Es handelt sich somit um eine symbolische Geldleistung, die als staatliche Transferleistung allein aus dem Budget, d.h. aus Steuergeldern, finanziert wird. Wie weiters aus den Erläuterungen zur Stammfassung des KGEG hervorgeht, wurden bei der Einführung der Kriegsgefangenenentschädigung die großen wirtschaftlichen Belastungen der Anspruchsberechtigten bei ihrer Heimkehr nach Österreich berücksichtigt. Aus diesem Grund und budgetären Erwägungen folgend wurde die Entschädigung zunächst auf Personen beschränkt, die auf Grund ihres Aufenthaltes eine aktuelle örtliche Nahebeziehung zu Österreich haben.

Der Gesetzgeber ist im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes von einer Durchschnittsbetrachtung ausgegangen und hat für den Regelfall, nämlich die in Österreich lebenden ehemaligen Kriegsgefangenen, eine pauschalierende Regelung getroffen (siehe zur Zulässigkeit einer Durchschnittsbetrachtung das bereits erwähnte Erkenntnis des , G312/01). Wenn dabei möglicherweise einzelne Härtefälle auftreten, wird dadurch das KGEG nicht gleichheitswidrig. Überdies ist der Gesetzgeber auch nicht gehalten, Leistungen in unbeschränkter Weise zu gewähren (VfSlg. 5972/1969, 14.694/1996).

In einem zweiten Schritt hat der Gesetzgeber die Ausdehnung des Kreises der Anspruchberechtigten mit getroffen. Diese Ausdehnung umfasst unter anderem auch jene ehemaligen Kriegsgefangenen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, und die vom Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung auf ca. 1.000 Personen geschätzt werden (neben ca. 50.000 sogenannten Westgefangenen und ca. 1.000 zivilinternierten Personen). Die dem Budget daraus erwachsenden Mehrkosten betragen etwa € 10 Mio. Für den Entfall der Bestimmung des § 3 KGEG mit waren ebenso wie für die Ausdehnung des KGEG auf in Gefangenschaft westalliierter Staaten gehaltener Personen, ausschließlich politische und budgetäre Erwägungen maßgebend.

Wenn der OGH in seinem Gesetzesprüfungsantrag darauf hinweist, dass in dem KGEG 'verwandten' Rechtsvorschriften wie z.B. dem KOVG und OFG ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland nicht gefordert werde, so ist ihm entgegenzuhalten, dass zwar alle drei Leistungssysteme mit Kriegsfolgen bzw. Verfolgungstatbeständen im Zusammenhang stehen, aber gänzlich unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen. Im Unterschied zu den symbolischen Leistungen des KGEG sehen das KOVG und das OFG zahlreiche - weit über das KGEG hinausgehende - Ansprüche versorgungsrechtlichen Charakters für erlittene Gesundheitsschädigungen und zur Sicherung des Lebensunterhaltes vor, an denen ein existenzieller Bedarf der Betroffenen besteht.

Das vom OGH aufgeworfene Bedenken kann daher von der Bundesregierung nicht geteilt werden."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

Gemäß Art 89 Abs 2 B-VG hat der Oberster Gerichtshof, wenn er gegen die Anwendung eines Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken hat, die Aufhebung dieses Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen (vgl. auch Art 140 Abs 1 erster Satz B-VG).

Da im Verfahren Prozesshindernisse weder behauptet noch sonst hervorgekommen sind, erweist sich der vorliegende Antrag als zulässig.

2. Zur Sache selbst:

2.1. Gemäß den Materialien zum Budgetbegleitgesetz 2001 sollte - im zeitlichen Zusammenhang mit der Gewährung von Entschädigungsleistungen an ehemalige Zwangsarbeiter des NS-Regimes - österreichischen Staatsbürgern, die während des 2. Weltkrieges in Kriegsgefangenschaft osteuropäischer Staaten gerieten oder während der Besetzung Österreichs von einer ausländischen Macht festgenommen und in osteuropäischen Staaten angehalten wurden, "als pauschalierte Entschädigung und Anerkennung ihrer mit besonderen Härten verbundenen Situation eine monatliche Geldleistung" gewährt werden (EB 311 BlgNR XXI. GP, 240).

Gemäß § 4 Abs 1 KGEG in der Stammfassung wird die Geldleistung zwölf Mal jährlich in Höhe von S 200,-- bei mindestens dreimonatiger Gefangenschaft (€ 14,53 idF Art 8 Z 4 VRÄG 2002, BGBl. I Nr. 70/2001, mit Wirkung ), S 300,-- bei mindestens zweijähriger Gefangenschaft (€ 21,80 idF Art 8 Z 4 VRÄG 2002, BGBl. I Nr. 70/2001, mit Wirkung ), S 400,-- bei mindestens vierjähriger Gefangenschaft bzw. S 500,-- bei mindestens sechsjähriger Gefangenschaft (€ 29,07 bzw. € 36,34 idF Art 8 Z 4 VRÄG 2002, BGBl. I Nr. 70/2001, mit Wirkung ) gewährt.

In seiner Stammfassung räumte das KGEG einen Anspruch auf Kriegsgefangenenentschädigung nur solchen österreichischen Staatsbürgern ein, die "im Verlauf des Zweiten Weltkrieges in Kriegsgefangenschaft mittelost- oder osteuropäischer Staaten (wie Albaniens, Bulgariens, Polens, der ehemaligen Sowjetunion, Rumäniens, der ehemaligen Tschechoslowakei, des ehemaligen Jugoslawiens) gerieten" (§1 Z 1), oder "während der Besetzung Österreichs durch die Alliierten Mächte von einer ausländischen Macht aus politischen oder militärischen Gründen in Österreich festgenommen und in mittelost- oder osteuropäischen Staaten angehalten wurden" (§1 Z 2) oder sich auf Grund (drohender) politischer Verfolgung iSd. OFG "außerhalb des Gebietes der Republik Österreich befanden und aus den in Z 2 angeführten Gründen von einer ausländischen Macht festgenommen und nach Beginn des Zweiten Weltkrieges in osteuropäischen Staaten angehalten wurden" (§1 Z 3). Ferner sah § 3 KGEG vor, dass die in § 1 genannten Personen über einen Anspruch auf eine Kriegsgefangenenentschädigung nur dann verfügen, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.

Mit Art 8 Z 2 VRÄG 2002, BGBl. I Nr. 70/2001, wurde in § 1 Z 2 der Ausdruck "in mittelost- oder osteuropäischen Staaten" durch die Formulierung "durch mittelost- oder osteuropäische Staaten" ersetzt (eine ähnliche Wortlautänderung wurde auch in Z 3 vorgenommen). Schließlich wurde mit dem Bundesgesetz, mit dem das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz geändert wird, BGBl. I Nr. 40/2002, § 1 Z 1 dahingehend neu gefasst, dass mit Wirkung vom im Verlauf des 1. oder 2. Weltkrieges als Kriegsgefangene angehaltene - ohne jede Differenzierung - eine Entschädigung erhalten. In § 1 Z 2 und Z 3 KGEG wurde auch die Voraussetzung einer Anhaltung durch mittelost- bzw. osteuropäische Staaten gestrichen. § 3 KGEG wurde - ebenfalls mit Wirkung vom - ersatzlos aufgehoben. Nach den Materialien sollten nunmehr auch Kriegsgefangene der Westalliierten, zivilinternierte Personen, die außerhalb Österreichs festgenommen wurden, sowie Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland in den Personenkreis der Anspruchsberechtigten nach dem KGEG einbezogen werden (vgl. RV 944 BlgNR XXI. GP, 1).

2.2. Gegen § 3 KGEG vor seiner Aufhebung durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 40/2002 hegt der Oberste Gerichtshof das Bedenken, dass die Differenzierung zwischen österreichischen Staatsbürgern mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und solchen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland unter dem Blickwinkel des Art 7 B-VG, Art 2 StGG unsachlich sei.

Die Bundesregierung hält dem entgegen, dass mit dem KGEG die große wirtschaftliche Belastung der Anspruchsberechtigten bei ihrer Heimkehr nach Österreich berücksichtigt und aus diesem Grund - sowie budgetären Erwägungen folgend - die Entschädigung zunächst auf Personen beschränkt worden sei, die durch ihren Aufenthalt eine aktuelle örtliche Nahebeziehung zu Österreich hätten; der Gesetzgeber sei im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes von einer Durchschnittsbetrachtung ausgegangen und habe für den Regelfall (nämlich die in Österreich lebenden Kriegsgefangenen) eine pauschalierende Regelung getroffen.

2.3. Dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G308/01 ua., das die Rechtslage der Stammfassung betraf, lagen Anträge des Oberlandesgerichts Innsbruck zugrunde, mit denen begehrt wurde, die Wortfolge "[m]ittelost- oder osteuropäischer Staaten (wie Albaniens, Bulgariens, Polens, der ehemaligen Sowjetunion, Rumäniens, der ehemaligen Tschechoslowakei, des ehemaligen Jugoslawiens)" in § 1 Z 1 KGEG der Stammfassung wegen Unsachlichkeit der Differenzierung zwischen "Ost-" und "Westgefangenen" als verfassungswidrig aufzuheben. Der Gerichtshof wies die Anträge unter anderem mit folgender Begründung ab:

"Dem Gesetzgeber kommt in der Frage, in welchem Umfang er die unterschiedlichen Erscheinungsformen kriegs- und verfolgungsbedingter Haft und Anhaltung im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg als entschädigungswürdig erachtet, ein weiter - letztlich auch wohl von politischen Bewertungen geprägter - Beurteilungsspielraum zu. In welchem Ausmaß die der zur Prüfung gestellten Entschädigungsregelung allenfalls zugrunde liegende politische Bewertung geteilt wird, ist jedenfalls keine Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm.

Es kann dem Gesetzgeber daher aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn er vorweg - mit Blick auf die Entschädigung für die Sklaven- und Zwangsarbeiter des nationalsozialistischen Regimes (vgl. hiezu AB 255 BlgNR XXI. GP, Allgemeiner Teil, zum Versöhnungsfonds-Gesetz) - nur jenen Kriegsgefangenen eine Entschädigung zukommen lassen wollte, die typischerweise unter vergleichbaren menschenunwürdigen Bedingungen angehalten wurden. Es läßt sich auch nicht sagen, daß der Gesetzgeber die historischen Gegebenheiten grob verkannt hätte, wenn er davon ausgegangen ist, daß eine derartige Vergleichbarkeit in erster Linie bei den ehemaligen Kriegsgefangenen der ost- und mittelosteuropäischen Staaten besteht.

Für welchen Zeitraum es dem Gesetzgeber unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten gestattet wäre, eine Begünstigung der hier zu beurteilenden Art für bloß eine Gruppe der ehemaligen Kriegsgefangenen zu gewähren, muß aus Anlaß dieses Verfahrens nicht abschließend geklärt werden, weil mittlerweile die Entschädigungszahlungen mit Wirkung vom auf alle Kriegsgefangenen ausgeweitet wurden (s. oben Pkt. III.2.1.) und der Gesetzgeber durch diese Art der stufenweisen Einführung seinen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum - vor dem Hintergrund seiner oben wiedergegebenen Motive - keinesfalls überschritten hat."

2.4. Im genannten Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass dem Gesetzgeber bei der Beurteilung, ob und in welchem Umfang er Kriegsgefangene entschädigt, ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt. Beschränkt der Gesetzgeber bei Einführung der Kriegsgefangenenentschädigung den Kreis anspruchsberechtigter Personen vorweg auf eine bestimmte Gruppe von Kriegsgefangenen, um mit einem weiteren Schritt den Personenkreis auch auf andere Kriegsgefangene auszuweiten, kann dem Gesetzgeber aus verfassungsrechtlicher Sicht - wie ebenfalls dem obgenannten Erkenntnis zu entnehmen ist - nicht entgegen getreten werden. Gleiches gilt, wenn er im Rahmen dieser stufenweisen Einführung zunächst (ua.) nur jene Kriegsgefangenen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, bedacht hat.

Aber auch der verfassungsrechtlich zulässige Zeitraum, innerhalb dessen der anspruchsberechtigte Personenkreis auf lediglich jene Kriegsgefangenen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland beschränkt bleiben darf, ist im vorliegenden Fall nicht überschritten worden. In Anbetracht des Umstands, dass die angefochtene Anspruchsvoraussetzung bereits mit Wirkung vom , also nur ein Jahr nach Inkrafttreten des KGEG durch das Budgetbegleitgesetz 2001, wegfiel, kann dem Gesetzgeber insgesamt nicht vorgeworfen werden, er habe mit dieser stufenweisen Einführung seinen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum verlassen.

2.5. Der Antrag war daher abzuweisen.

3. Dies konnte ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).