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VfGH vom 30.09.1999, g44/99

VfGH vom 30.09.1999, g44/99

Sammlungsnummer

15578

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der Kontrolle eines den Bund vertretenden obersten Organs der Vollziehung bei der Vergabe von Aufträgen durch das Bundesvergabeamt; keine Ausnahme des Bundesvergabeamtes vom System der rechtlichen und politischen Verantwortlichkeit der obersten Organe durch Einrichtung des BVA als erste und letzte Instanz; Fristsetzung für das Inkrafttreten der Aufhebung unter Berücksichtigung einer - angesichts der gemeinschaftsrechtlich gebotenen Kontrollmöglichkeit von Vergaben des Bundes - notwendigen völligen Umgestaltung des Rechtsschutzsystems

Spruch

I. 1. § 6 Abs 1 Z 1 des Bundesvergabegesetzes, BGBl. Nr. 462/1993, war verfassungswidrig.

2. § 11 Abs 1 Z 1 des Bundesvergabegesetzes 1997, BGBl. I Nr. 56/1997, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

II. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof sind Beschwerden gegen einen Bescheid des Bundesvergabeamtes (BVA) vom ,

F 18 - 22/96 anhängig. Diesem Bescheid liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

a) Aufgrund einer offenen Ausschreibung für die Lieferung und Montage eines "automatischen Öko-Punkte-Systems" hatte der Bundesminister (damals:) für öffentliche Wirtschaft und Verkehr am der Kapsch AG den Zuschlag erteilt. Am 16. September beantragte daraufhin ein übergangener Bieter beim BVA unter anderem die Feststellung, daß der Zuschlag für die Lieferung des automatischen Öko-Punkte-Systems samt Nebenleistungen unter Verletzung von Bestimmungen des BVergG erteilt wurde und daß der Zuschlag an das beim BVA beschwerdeführende Unternehmen zu erteilen gewesen wäre; weiters wurde die Aufhebung des Zuschlags beantragt.

Gleichzeitig wurden auch Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gestellt.

b) Mit Bescheid vom wies das BVA die Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zurück. Begründend führte es aus, die Erlassung einer einstweiligen Verfügung sei gemäß § 91 Abs 2 und 3 BVergG (nunmehr in der Sache unverändert § 113 Abs 2 und 3 des mit BGBl. I 56/1997 wiederverlautbarten BVergG 1997) nur bis zum Zeitpunkt des Zuschlags zulässig; im gegenständlichen Fall sei der Leistungsvertrag aber durch Schlußbrief und Gegenschlußbrief vom bereits zustandegekommen.

c) Mit Erkenntnis vom , B3486/96, (= VfSlg. 14889/1997) behob der Verfassungsgerichtshof über Antrag eines übergangenen Bieters diesen Bescheid wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter. Da nicht mit ausreichender Klarheit feststehe, ob das gemeinschaftsrechtliche Vergaberecht die Möglichkeit der Nichtigerklärung einer Zuschlagsentscheidung und die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegen deren Vollzug verlange, hätte das BVA den EuGH diesbezüglich um Vorabentscheidung ersuchen müssen.

d) Noch während des verfassungsgerichtlichen Verfahrens, das zur Aufhebung des die Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Bescheides vom führte, erledigte das BVA die Hauptsache, indem es mit Bescheid vom feststellte, daß die Vergabe nicht an den Bestbieter erfolgte (diese Entscheidung ist in CONNEX, Juli 1997, 29, publiziert; vgl. im übrigen die Darstellung des gesamten Vergabeverfahrens in Sachen "Ökopunkte" in der Entscheidungsbesprechung von Gutknecht, ÖZW 1998, 41 ff., insb. 46).

2. In dem nach der Aufhebung des Bescheides vom durch VfSlg. 14889/1997 fortgesetzten Verfahren erließ das BVA zu seinen Zahlen F 18 - 22/96 am einen Bescheid, mit dessen Spruchpunkt I es seinen in der Hauptsache ergangenen Bescheid vom aufhob und das durch diesen Bescheid beendete Verfahren gemäß "§69 Abs 1 Z 3 und Abs 3 AVG" wieder aufnahm. Überdies erledigte das BVA mit den Spruchpunkten II bis VI dieses Bescheides die Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

(In der Folge stellte das BVA mit Beschluß vom an den EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen, das bei diesem Gerichtshof unter der Zahl C-81/98 protokolliert ist (vgl. ÖZW 1998, 49 ff., mit Kommentar von Platzer)).

3. Gegen den Bescheid des BVA vom richten sich

a) eine Beschwerde des Bundes, vertreten durch den Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr (beim Verfassungsgerichtshof protokolliert zu B2418/97), wobei sich diese Beschwerde bloß gegen die Spruchpunkte II bis VI, also nicht gegen die Verfügung der Wiederaufnahme, sondern bloß gegen die Erledigung der Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung richtet und in der auch beantragt wurde, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, sowie

b) die Beschwerden mehrerer übergangener Bieter, die sich ausschließlich gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides, also gegen die Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem BVA wenden. Diese Beschwerden sind beim Verfassungsgerichtshof zu B2533/97 und B2541/97 protokolliert.

4. Bei Behandlung der Beschwerden entstanden beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Z 1 des § 6 Abs 1 BVergG in der Stammfassung BGBl. 462/1993 und der dieser Bestimmung entsprechenden Z 1 des § 11 Abs 1 BVergG 1997. Er hat daher beschlossen, diese Bestimmungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

Der Verfassungsgerichtshof ging davon aus, daß die in Prüfung genommenen Bestimmungen jeweils in ihrem normativen Zusammenhang mit dem Einleitungssatz des ersten Absatzes des § 6 bzw. § 11 und mit jenen Bestimmungen des 4. Teiles des Gesetzes, die das Nachprüfungsverfahren durch das BVA regeln, diese Behörde mit der Zuständigkeit ausstatten, Vergabeentscheidungen auch der obersten Organe der Bundesverwaltung zu kontrollieren.

II. Die in Prüfung genommenen Bestimmungen stehen in folgendem normativen Zusammenhang:

1. Das BVergG enthielt in seiner Stammfassung in seinen, den ersten Teil des Gesetzes bildenden §§1 bis 8 Bestimmungen über seinen Geltungsbereich, wobei sich der persönliche Geltungsbereich aus § 6 ergab. Dessen Abs 1 lautete (die in Prüfung genommene Formulierung ist hervorgehoben):

"Dieses Bundesgesetz gilt für die Vergabe von Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber, das sind

1. der Bund,

2. Stiftungen, Fonds und Anstalten, wenn sie zumindest teilrechtsfähig sind und von Organen des Bundes oder von Personen verwaltet werden, die hiezu von Organen des Bundes bestellt sind,

3. (Verfassungsbestimmung) Unternehmungen gemäß Artikel 126 b Abs 2 B-VG, soweit sie zu dem Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben, die nicht gewerberechtlicher Art sind, zu erfüllen, und die finanzielle Beteiligung des Bundes jene der anderen Rechtsträger überwiegt - für sonstige, der Rechnungshofkontrolle unterliegende Unternehmungen, soweit sie zu dem genannten Zweck gegründet wurden, obliegt die Regelung der Auftragsvergabe in Gesetzgebung und Vollziehung den Ländern -,

4. Sozialversicherungsträger und der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und

5. (Verfassungsbestimmung) die Verbundgesellschaft und die Sondergesellschaften gemäß dem Zweiten Verstaatlichungsgesetz, BGBl. Nr. 81/1947, in der jeweils geltenden Fassung - für die Landesgesellschaften und die Städtischen Unternehmungen nach dem Zweiten Verstaatlichungsgesetz sowie für Elektrizitätsversorgungsunternehmen gemäß dem Elektrizitätswirtschaftsgesetz, BGBl. Nr. 260/1975, und den Elektrizitätswirtschaftsgesetzen der Länder in der jeweils geltenden Fassung obliegt die Regelung der Auftragsvergabe in Gesetzgebung und Vollziehung den Ländern."

Durch die Novelle BGBl. 776/1996 erhielt die Z 2 des § 6 Abs 1 eine neue Fassung; im übrigen blieb die Bestimmung unverändert. Sie steht nunmehr aufgrund der Wiederverlautbarung durch BGBl. I 56/1997 als § 11 Abs 1 BVergG 1997 (nunmehr idF BGBl. I 80/1999) in Geltung.

Die Teile 2 und 3 des BVergG enthielten schon in der Stammfassung (wie auch jetzt) allgemeine Regelungen über das bei der Vergabe von Aufträgen einzuhaltende Verfahren (Teil 2) und besondere für Auftragsvergabeverfahren im Anwendungsbereich der entsprechenden Vergaberechtsrichtlinien der EG (also für Vergaben oberhalb der sogenannten Schwellenwerte) geltende Bestimmungen (Teil 3).

Der 4. Teil des BVergG regelte schon in der Stammfassung den Rechtsschutz. Unter anderem wurden eine Bundes-Vergabekontrollkommission (mit Schlichtungsaufgaben und der Kompetenz zur Erstellung unverbindlicher Empfehlungen und Gutachten) und ein Bundesvergabeamt eingerichtet. Dieses Bundesvergabeamt war zur Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens nach § 91 Abs 2 und 3 BVergG (nunmehr mit aufgrund der Novelle BGBl. 776/1996 leicht verändertem Inhalt:

§113 BVergG 1997) in zwei verschiedenen Konstellationen zuständig:

"(2) Bis zum Zeitpunkt des erfolgten Zuschlages ist das Bundesvergabeamt zum Zwecke der Beseitigung von Verstößen gegen dieses Bundesgesetz und die hiezu ergangenen Verordnungen zuständig

1. zur Erlassung einstweiliger Verfügungen sowie

2. zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen der vergebenden Stelle des Auftraggebers.

(3) Nach erfolgtem Zuschlag ist das Bundesvergabeamt zuständig, festzustellen, ob wegen eines Verstoßes gegen dieses Bundesgesetz oder die hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde. In einem solchen Verfahren ist das Bundesvergabeamt ferner zuständig, auf Antrag des Auftraggebers festzustellen, ob einem übergangenen Bewerber oder Bieter auch bei Einhaltung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes und der hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht erteilt worden wäre."

2. Das BVA ist als kollegiale Verwaltungsbehörde mit richterlichem Einschlag (Art20 Abs 2 und 133 Z 4 B-VG) eingerichtet (vgl. VfSlg. 14390/1995). Die seine Einrichtung betreffende Regelung enthält das 1. Hauptstück des 4. Teils des BVergG, dessen § 78 (nunmehr mit aufgrund der Novelle BGBl. 776/1996 leicht verändertem Wortlaut § 99 BVergG 1997) lautete:

"(1) Beim Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten sind eine Bundes-Vergabekontrollkommission und ein Bundesvergabeamt einzurichten. Bescheide des Bundesvergabeamtes unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg.

(2) (Verfassungsbestimmung) Die Bundes-Vergabekontrollkommission und das Bundesvergabeamt üben die ihnen auf Grund dieses Bundesgesetzes zugewiesenen Zuständigkeiten in erster und letzter Instanz aus.

(3) Die Bundesregierung kann mit Verordnung Außenstellen des Bundesvergabeamtes errichten, wenn dies nötig ist, um alle anfallenden Nachprüfungsverfahren in verwaltungsökonomischer Weise und ohne unnötige Verzögerung durchführen und abschließen zu können. Diese Außenstellen sind Teile des Bundesvergabeamtes.

(4) Das Bundesvergabeamt und die Bundes-Vergabekontrollkommission bestehen jeweils aus den Vorsitzenden und der erforderlichen Zahl von Stellvertretern sowie sonstigen Mitgliedern, die von der Bundesregierung für jeweils fünf Jahre zu bestellen sind; eine neuerliche Bestellung ist zulässig. Der Vorsitzende und seine Stellvertreter sind im Falle des Bundesvergabeamtes aus dem Richterstand zu ernennen und dürfen im Falle der Bundes-Vergabekontrollkommission weder der Auftragnehmer- noch der Auftraggeberseite angehören. Scheidet ein Mitglied vor Ablauf der Funktionsperiode aus, so hat die Bundesregierung für den Rest der Funktionsperiode unverzüglich ein neues Mitglied zu bestellen.

(5) Bei der Bestellung der sonstigen Mitglieder hat die Bundesregierung auf Vorschläge der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, der Bundesarbeitskammer sowie der Bundes-Architekten- und Ingenieurkonsulentenkammer Bedacht zu nehmen. Weiters ist darauf Bedacht zu nehmen, daß die Anzahl der Mitglieder der Auftragnehmer- und der Auftraggeberseite gleich ist. Zusätzlich ist mindestens je ein Vertreter der Bundes-Architekten- und Ingenieurkonsulentenkammer sowie der Bundesarbeitskammer zu bestellen. Bei der Bestellung der Vertreter der Auftragnehmerseite hat die Bundesregierung auf Vorschläge der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft Bedacht zu nehmen.

(6) Wer Mitglied der Bundes-Vergabekontrollkommission ist, kann nicht zugleich Mitglied des Bundesvergabeamtes sein.

(7) Die Mitglieder müssen eine mindestens fünfjährige einschlägige Berufserfahrung oder besondere Kenntnisse des Vergabewesens in rechtlicher, wirtschaftlicher oder technischer Hinsicht besitzen. Der Vorsitzende muß zudem über ein abgeschlossenes rechtswissenschaftliches Studium verfügen. Personen, die nicht zum Nationalrat wählbar sind, sind von der Bestellung ausgeschlossen.

(8) Unter Bedachtnahme auf die Abs 4 bis 7 ist für jedes Mitglied ein Ersatzmitglied zu bestellen, das im Falle der Verhinderung des Mitgliedes an dessen Stelle zu treten hat."

III. 1. a) In seinem

Einleitungsbeschluß hielt der Verfassungsgerichtshof die Beschwerden für zulässig. Er ging vorläufig davon aus, daß die Entscheidung über die Wiederaufnahme (Spruchpunkt I) und jene über die Erlassung einer einstweiligen Verfügung (Spruchpunkte II bis VI) trennbar sind und jede für sich isoliert angefochten werden kann, und meinte dazu:

"Dies dürfte hinsichtlich der Anfechtung der Erledigung über die einstweilige Verfügung nicht weiter zweifelhaft sein (vgl. z. B. VwSlg. 2455 A/1952), aber in der besonderen Konstellation des Verfahrens auch für die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens zutreffen. Denn durch diese Entscheidung wurde der die Hauptsache erledigende Bescheid vom aufgehoben und durch die Entscheidung über die Gewährung einer einstweiligen Verfügung wurde in diesem wiederaufgenommenen Verfahren die (nach Aufhebung des den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Bescheides vom durch den Verfassungsgerichtshof (vgl. oben Pkt. I.1.c)) erforderlich gewordene Provisorialentscheidung getroffen. Damit dürfte im vorliegenden Fall eine Beschränkung der Beschwerdeführung auf die Bekämpfung der Entscheidung über die Wiederaufnahme zulässig sein, was in Konstellationen nicht möglich sein dürfte, in denen für den Fall der Aufhebung der Entscheidung über die Wiederaufnahme zwei einander widersprechende Sachentscheidungen bestünden. (Auch der Verwaltungsgerichtshof hält es - ungeachtet des § 70 Abs 3 AVG - in bestimmten Konstellationen für zulässig, einen eine Wiederaufnahme verfügenden Bescheid für sich beim VwGH zu bekämpfen: VwSlg. 9277 A/1977.)

Auch dürfte der Instanzenzug erschöpft sein (vgl. z.B. VfSlg. 14390/1995, 14889/1997) und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen für die Durchführung der Verfahren zur Prüfung des angefochtenen Bescheides scheinen vorzuliegen."

b) Weiters nahm der Verfassungsgerichtshof an, daß er die in Prüfung genommene Bestimmung (und zwar sowohl in der Stammfassung wie auch in der Fassung der Wiederverlautbarung) bei der Beurteilung der Beschwerden anzuwenden hätte. Denn das BVA dürfte bei Erlassung des bekämpften Bescheides die Zuständigkeit zur Entscheidung über eine Vergabeentscheidung eines den Bund vertretenden obersten Organs der Verwaltung in Anspruch genommen haben, und diese Zuständigkeit dürfte sich aus der genannten Bestimmung ergeben. Angesichts des der Entscheidung VfSlg. 5592/1967 zugrundeliegenden Grundsatzes der Maßgeblichkeit der Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung über eine Wiederaufnahme für die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Wiederaufnahme nahm der Verfassungsgerichtshof vorläufig an, daß sich die Zuständigkeit des BVA zur Entscheidung über die Wiederaufnahme (Spruchpunkt I) insoweit auf die Bestimmung des § 11 Abs 1 Z 1 BVergG 1997 gründet, die Zuständigkeit zur Erlassung der Spruchpunkte II bis VI hingegen - angesichts der Übergangsbestimmung des § 103a Abs 3 Z 3 BVergG idF BGBl. 776/1996 - auf die (gleichlautende) Bestimmung in § 6 Abs 1 Z 1 BVergG in der Stammfassung, weshalb die Bestimmung in beiden Fassungen in Prüfung genommen wurde.

2. Im Verfahren wurde nichts vorgebracht und ist auch sonst nichts hervorgekommen, was gegen die vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes spräche. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

IV. 1. Seine Bedenken formulierte der Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluß folgendermaßen:

"a) Die in Prüfung genommene Bestimmung dürfte das BVA und damit eine Verwaltungsbehörde zur Kontrolle von Entscheidungen auch der obersten Organe der Bundesverwaltung berufen. Dies scheint - ungeachtet des Umstandes, daß es sich beim BVA, dessen Bescheide gemäß dem zweiten Satz des § 78 Abs 1 BVergG (dem der nunmehrige § 99 Abs 1 BVergG 1997 entspricht) nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliege, dem zwingend ein Richter als Vorsitzender angehört (§78 Abs 4 BVergG, nunmehr § 99 Abs 4 BVergG 1997) und bei dem auch die übrigen Mitglieder in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden sind (Art20 Abs 2 B-VG und die Verfassungsbestimmung des § 80 Abs 1 BVergG, nunmehr § 101 Abs 1 BVergG 1997), um eine kollegiale Verwaltungsbehörde mit richterlichem Einschlag iSd Art 133 Z 4 B-VG handelt (vgl. schon VfSlg. 14390/1995) - verfassungsrechtlich unzulässig zu sein. Denn auch für solche qualifizierte Verwaltungsbehörden gilt - wie der Verfassungsgerichtshof mehrfach zu Recht erkannt hat (vgl. etwa VfSlg. 8917/1980, 9164/1981, 9476/1982, 12220/1989) -, daß es von Verfassungs wegen unzulässig ist, sie einem obersten Organ der Vollziehung überzuordnen.

Als verfassungsrechtlich unzulässig erachtete der Verfassungsgerichtshof in Fortführung dieser Judikatur in seiner die Datenschutzkommission (DSK) und deren Zuständigkeit zur Entscheidung über Beschwerden wegen Verletzung von Bestimmungen des DSG betreffenden Entscheidung VfSlg. 13626/1993 auch eine Regelung, die eine Verwaltungsbehörde zur nachprüfenden Kontrolle von Entscheidungen eines obersten Organs der Verwaltung beruft:

Die DSK sei zur Überprüfung jenes Verhaltens einer bestimmten Stelle berufen, gegen das sich eine solche Beschwerde richtet, und zwar zur Überprüfung daraufhin, ob darin eine Verletzung von Bestimmungen des DSG oder aufgrund dieses Gesetzes erlassener Durchführungsbestimmungen gelegen ist, durch die ein Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt sein könnte. Insoweit komme somit der DSK eine Kontrollfunktion gegenüber jener Stelle zu, deren Verhalten in Beschwerde gezogen wird. In dieser Kontrollfunktion der DSK, insbesondere in der darin gelegenen Möglichkeit der Durchsetzung ihrer Rechtsanschauung liege eine Überordnung der DSK gegenüber jenen Stellen, gegen deren Verhalten die DSK angerufen wird:

'Soweit diese Überordnung gegenüber einem obersten Organ der Vollziehung (vor allem) iS des Art 19 Abs 1 B-VG (mit Ausnahme der Staatssekretäre; s. dazu Art 78 Abs 2 und 3 B-VG) besteht, steht sie mit der verfassungsrechtlich begründeten Stellung des betreffenden obersten Organes der Vollziehung in Widerspruch. Gleich wie es nämlich verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist, ohne bundesverfassungsgesetzliche Ermächtigung (vgl. etwa die bundesverfassungsrechtliche Grundlegung der Unabhängigen Verwaltungssenate durch Art 129a B-VG) durch einfaches Gesetz einen Instanzenzug gegen Bescheide eines obersten Organes vorzusehen oder sonst eine Verwaltungsbehörde zur Überprüfung von Bescheiden eines solchen obersten Organes zu berufen, muß es auch als verfassungsrechtlich unzulässig angesehen werden, eine Verwaltungsbehörde mit der nachprüfenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Verhaltens (auch) eines obersten Organes der Vollziehung in der Art zu betrauen, ...'

b) Nun ging es in den bisher vom Verfassungsgerichtshof in diesem Sinn entschiedenen Fällen stets um die Kontrolle gegenüber hoheitlichen Verwaltungsakten oberster Organe. Der Verfassungsgerichtshof ist jedoch vorläufig der Auffassung, daß auch die Nachprüfung von Entscheidungen, die von obersten Organen ohne Einsatz von Hoheitsgewalt gesetzt werden, durch Verwaltungsbehörden verfassungsrechtlich unzulässig ist, da weder Art 19 noch Art 20 B-VG insoweit zu differenzieren scheinen (vgl. Holoubek, Rechtsschutz und Kontrolle im Vergaberecht unter dem Blickwinkel der Anforderungen des EG-Rechts, in:

Gutknecht/Korinek/Holoubek, Das Vergaberecht der EG - Bestand und Anpassungsbedarf für Österreich, 1991, 81 ff., hic: 128).

Das BVA dürfte nicht bloß (wie dies Thienel, Vergabekontrollkommission und Vergabeamt nach dem BundesvergabeG, ÖZW 1993, 65 ff., insb. 67 f., anzunehmen scheint) berufen sein, außenwirksames privatrechtsförmiges Handeln vergebender Stellen im Hinblick auf bestimmte Rechtsfolgen zu beurteilen; vielmehr dürfte ihm die Kontrolle der von den öffentlichen Auftraggebern gesetzten Handlungen selbst übertragen sein. Entscheidet sich etwa ein Auftraggeber in rechtswidriger Weise für die Durchführung eines nicht offenen Verfahrens, für eine produktspezifische Angabe in einer Ausschreibung, für das Ausscheiden eines Alternativangebotes oder für den Widerruf einer Ausschreibung, so dürfte das BVA nicht dazu berufen sein, über Rechtsfolgen solcher Entscheidungen (wie etwa einen Teilnahmeanspruch des beschwerdeführenden Bieters an der Ausschreibung oder eine Schadenersatzverpflichtung) zu befinden, sondern über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung selbst und das mit der - gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen (vgl. etwa Art 2 Abs 1 der allgemeinen Rechtsmittelrichtlinie) - Konsequenz ihrer Aufhebung im Falle der Rechtswidrigkeit (vgl. § 91 Abs 2 BVergG, nunmehr § 113 Abs 2 BVergG 1997). In diesem Sinn sprach der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung betreffend die Zulässigkeit der Betrauung der UVS mit Aufgaben der vergabespezifischen Kontrolle (VfSlg. 14891/1997) von der 'Kontrolle von Entscheidungen, die im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung getroffen werden' und von der (dem UVS übertragenen) 'Kompetenz zur Kontrolle von Entscheidungen, die die ... vergebenden Stellen getroffen haben, also von Akten, die im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gesetzt wurden'.

Angesichts dieser Erwägungen geht der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, daß das BVA zur Kontrolle von Akten zuständig ist, die von den vergebenden Stellen gesetzt wurden. Da die Entscheidungen der vergebenden Stellen im Vergabeverfahren den obersten Organen der Bundesverwaltung zuzurechnen sein dürften, scheint die Betrauung des BVA mit derartigen Aufgaben der Vergabekontrolle auf die verfassungsrechtlich verpönte 'Überordnung gegenüber einem obersten Organ der Vollziehung' (VfSlg. 13626/1993) hinauszulaufen. Sie ist daher verfassungsrechtlich bedenklich, weshalb sich der Verfassungsgerichtshof zur Einleitung dieses Gesetzesprüfungsverfahrens entschlossen hat."

2. Die Bundesregierung trat dieser Auffassung entgegen und brachte u.a. vor:

"Gemäß § 113 Abs 2 Z 2 BVergG 1997 (entspricht dem identen § 91 Abs 2 Z 2 der Stammfassung des BVergG) ist das Bundesvergabeamt zuständig, bis zum Zeitpunkt des erfolgten Zuschlages 'rechtswidrige Entscheidungen der vergebenden Stelle des Auftraggebers' für nichtig zu erklären. Der Gerichtshof geht, offenbar in Anlehnung an diese Diktion des Gesetzes (vgl. zur Wortwahl auch § 117 BVergG 1997), davon aus, daß dadurch eine Nachprüfung von Entscheidungen oberster Organe durch Verwaltungsbehörden begründet wird. Die Bundesregierung weist darauf hin, daß das Gesetz hier bewußt den Wortlaut der von Österreich umzusetzenden Rechtsmittelrichtlinien (Richtlinie 89/665/EWG und 92/13/EWG) übernahm (vgl. dazu etwa Art 1 Abs 1 der Richtlinie 92/13/EWG). Dieser Begriff ist daher nicht in einen originär nationalen Kontext zu stellen, sondern in einem europäischen Sinn (gemeinschaftsrechtskonform) zu interpretieren. Vor dem Hintergrund der divergierenden Ausgestaltung des Vergaberechtsschutzes in den Mitgliedstaaten der Union führten die Rechtsmittelrichtlinien subjektive Rechte von Interessenten und Bietern ein (vgl. dazu EuGH Rs C-433/93, Kommission gegen Deutschland, Slg 1995, I-2303) und schrieben die Anfechtbarkeit der dem Vertragsabschluß vorausgehenden Einzelschritte im Vergabeverfahren ('Entscheidungen') vor (siehe dazu ausführlich Öhler, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in der Europäischen Union (1997), 80f). Wie Thienel, Vergabekontrollämter verfassungswidrig?, ZfV 1999 (in Druck), zu Recht darauf hinweist, ist nicht die (intern gefaßte) Entscheidung 'sondern erst die nach außen in Erscheinung tretende unzulässige Ausschreibung oder Gestaltung sonstiger Unterlagen' anfechtbar. Gegenstand der Vergabekontrolle ist weder ein Hoheitsakt noch der Akt der internen Willensbildung, sondern die Frage, ob der Auftraggeber die ihn aufgrund des Vergabegesetzes treffenden Handlungs- oder Unterlassungspflichten verletzt hat. Eine verfassungsrechtlich verpönte Kontrolle von (nach genuin österreichischem Verfassungsverständnis) 'Entscheidungen' oberster Organe findet sohin nicht statt.

...

Die besondere Stellung oberster Organe im Sinne des Art 19 Abs 1 B-VG wird nach hA (vgl. u.a. Mayer, B-VG2 (1997), Art 19, mwN der Lit und Jud) unter anderem darin gesehen, daß diese Organe keinem anderen Organ gegenüber weisungsgebunden sind, ein Instanzenzug über ein oberstes Organ hinaus ausgeschlossen ist, eine sachlich in Betracht kommende Oberbehörde nicht existiert und diese Organe nicht an Willenserklärungen anderer Organe gebunden werden dürfen. Einschränkungen dieser Rechtsstellung sind 'dann zulässig, wenn sie entweder ausdrücklich in der Bundesverfassung verankert sind oder aus ihr abgeleitet werden können' (Stolzlechner, Möglichkeiten und Grenzen der Bindung oberster Verwaltungsorgane bei der Verordnungserlassung, in: FS Winkler (1997), 1161 (1165f)). ...

Für den Bereich der Hoheitsverwaltung ist es unbestritten, daß die Kontrolle oberster Organe durch andere Verwaltungsbehörden ohne bundesverfassungsrechtliche Ermächtigung unzulässig ist (vgl. dazu etwa das auch im Prüfungsbeschluß zitierte Erkenntnis VfSlg 13626). Im Einleitungsbeschluß vertritt der Verfassungsgerichtshof nunmehr vorläufig die Ansicht, daß gleiches auch für den Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung gelte. Er leitet dies aus dem diesbezüglich tatsächlich nicht differenzierenden Wortlaut der Art 19 und 20 B-VG ab.

Nach Ansicht der Bundesregierung sind diese Überlegungen jedoch

im Ergebnis nicht zutreffend. Aus dem Fehlen einer expliziten

Regelung kann allein nicht auf die Unzulässigkeit geschlossen

werden. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß implizit aus

dem durch Art 17 B-VG festgelegten System für die

Privatwirtschaftsverwaltung die Zulässigkeit der Kontrolle

privatwirtschaftlicher Akte auch oberster Organe durch das

Bundesvergabeamt folgt. Nach Art 17 B-VG wird die 'Stellung des

Bundes ... als Träger von Privatrechten in keiner Weise berührt'.

Kelsen/Froehlich/Merkl, Die Verfassungsgesetze der Republik

Österreich, 5. Teil (1922), 84, führen dazu treffend aus, daß

'(s)ofern der Bund als ein solches Privatrechtssubjekt ... wie

irgendeine andere juristische Person auftritt, untersteht er, wie diese, den Gesetzen und Vollzugsakten, sei es des Bundes, sei es aber auch irgendeines Landes'. Daraus folgt, daß der Bund, der im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung regelmäßig durch oberste Organe vertreten wird, falls er als 'Privater' im Rechtsgeschäftsverkehr auftritt, immer (den auch von ihm selbst erlassenen) außenwirksamen Normen unterworfen ist. Gleichzeitig folgt daraus aber auch, daß die zur Vollziehung dieser Normen berufenen Gerichte und Verwaltungsbehörden auch die Einhaltung der in diesen Normen enthaltenen Pflichten prüfen dürfen. Wie Thienel, aaO, richtig bemerkt, muß, 'wenn das B-VG als geschäftsführende und vertretungsbefugte Organe im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung von Bund und Ländern die obersten Organe beruft, ... es auch zulässig sein, die privatwirtschaftlichen Akte dieser Organe zu überprüfen'.

Der Verfassungsgerichtshof dürfte in Anlehnung an die Auffassung Holoubeks ferner von der Ansicht ausgehen, daß eine Vergabekontrolle nur durch ordentliche Gerichte, den VwGH oder verfassungsgesetzlich verankerte Sonderbehörden - offensichtlich jedoch nicht durch das Bundesvergabeamt - zulässig sei. Die Bundesregierung möchte den unter 1. angeführten Bemerkungen zur Reichweite der Verfassungsbestimmung des § 78 Abs 2 BVergG (bzw. § 99 Abs 2 BVergG 1997) folgendes hinzufügen: Wie Thienel, aaO, ausführt, wäre eine derartige Sichtweise auch nicht mit der hA vereinbar, die davon ausgeht, daß es dem einfachen Gesetzgeber nicht verwehrt ist, Verwaltungsbehörden zur Entscheidung über zivilrechtliche Streitigkeiten (und um solche handelt es sich im Bereich des Vergaberechts) einzusetzen. Thienel fährt fort:

'Wenn nun die Verfassung einerseits in Art 17 B-VG die Privatrechtssubjektivität von Bund und Ländern normiert und sie insofern 'echten' Privaten gleichstellt, und zugleich die obersten Organe dieser Gebietskörperschaften zur Willensbildung und zur Vertretung der Gebietskörperschaften beruft (Art101, Art 104 Abs 1 B-VG), es anderseits aber dem einfachen Gesetzgeber weitgehend freistellt, mit der hoheitlichen Vollziehung der die Privatrechtssubjekte bindenden außenwirkenden Normen (des Zivilrechts wie des öffentlichen Rechts) Gerichte oder Verwaltungsbehörden zu betrauen, kann man dem Verfassungsgesetzgeber nicht zusinnen, daß er eine Vollziehung durch Verwaltungsbehörden ausschließen wollte, soweit es um die Prüfung der Einhaltung dieser außenwirkenden Normen durch privatwirtschaftliche Akte der Gebietskörperschaften geht, die durch oberste Organe gesetzt werden. Vielmehr spricht eine systematische Betrachtung des B-VG dafür, daß es dem Gesetzgeber freisteht, die Prüfung der Einhaltung der außenwirkenden Normen durch den privatwirtschaftlich handelnden Staat entweder den Gerichten oder den Verwaltungsbehörden zu übertragen, gleichgültig, durch welche Organe der Gebietskörperschaften die privatwirtschaftlichen Akte gesetzt werden.'

Weiters ist es nicht einsichtig, warum eine Kontrolle der Willensbildung oberster Organe bei Setzung privatwirtschaftlicher Akte durch ordentliche Gerichte zulässig sein soll, eine Kontrolle durch Verwaltungsbehörden aber verfassungsrechtlich verpönt. Da der Verfassungsgesetzgeber bei der Schaffung des Art 17 B-VG sowohl Gerichte als auch Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag (vgl. Art 131 Z 3 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl Nr 1/1920) vorgefunden hat und die Vergabekontrolle nicht zum Kernbereich des Zivilrechts zu zählen ist, ist vielmehr auch unter diesem Blickwinkel davon auszugehen, daß eine Zuweisung der Kontrollkompetenz sowohl an ordentliche Gerichte als auch an Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag zulässig ist. Würde man den Argumenten Holoubeks folgen, so wäre auch die Zuweisung der Vollzugskompetenz an ordentliche Gerichte unzulässig, weil jedenfalls mangels einer diesbezüglichen expliziten verfassungsrechtlichen Ermächtigung privatwirtschaftliche Akte oberster Organe nicht kontrolliert werden könnten. Letztlich ist die Zulässigkeit einer gerichtlichen Überprüfung von staatlichen Akten - auch oberster Organe - im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung die Konsequenz des Umstandes, daß der Staat in diesen Fällen so wie ein Privater am Rechtsverkehr teilnimmt."

3. Es ist - wie sich auch aus der bisherigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ergibt, die im Prüfungsbeschluß näher dargestellt ist, und auch von der Bundesregierung in ihrer Berechtigung nicht in Zweifel gezogen wird - verfassungsrechtlich unzulässig, kollegiale Verwaltungsbehörden mit richterlichem Einschlag einem obersten Organ der Vollziehung überzuordnen (vgl. VfSlg. 8917/1980, 9164/1981, 9476/1982, 12220/1989); einer solchen Überordnung kommt es gleich, wenn eine kollegiale Verwaltungsbehörde mit richterlichem Einschlag mit der Kompetenz ausgestattet ist, Entscheidungen oberster Organe nachprüfend zu kontrollieren und sie im Fall ihrer Rechtswidrigkeit zu beheben (VfSlg. 13626/1993).

Die Bundesregierung meint nun - im Anschluß an und unter Berufung auf Thienel, Vergabekontrollämter verfassungswidrig?, ZfV 1999, 332 ff. -, daß dies im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung nicht gelte. Da der Bund als Privatrechtssubjekt an die außenwirksamen Gesetze des Bundes und der Länder gebunden sei, dürften die zur Vollziehung dieser Gesetze berufenen Gerichte und Verwaltungsbehörden auch die Einhaltung der in diesen Gesetzen enthaltenen Vorschriften prüfen. Dieser Auffassung der Bundesregierung ist grundsätzlich zuzustimmen. So kann das privatrechtsförmige Tätigwerden einer Gebietskörperschaft Rechtsfolgen auslösen, über die andere Staatsorgane zu befinden haben: So werden etwa auch Grundstückstransaktionen, an denen der Bund beteiligt ist, auf ihre Übereinstimmung mit den grundverkehrsrechtlichen Vorschriften überprüft, und sind für genehmigungspflichtige Vorhaben Genehmigungen auch dann erforderlich, wenn es sich um Vorhaben von Gebietskörperschaften handelt.

Im vorliegenden Fall geht es aber um etwas anderes: Die Vergabekontrollbehörde hat bei Wahrnehmung ihrer Kompetenz nach § 91 Abs 2 BVergG (nunmehr: § 113 Abs 2 BVergG 1997) nicht außenwirksames privatrechtliches Handeln der obersten Organe im Hinblick auf seine Wirksamkeit und bestimmte Rechtsfolgen zu beurteilen oder eine gesetzlich vorgesehene Genehmigung zu erteilen oder zu versagen, sondern die in den einzelnen Schritten des Verfahrens nach außen zum Ausdruck kommenden Entscheidungen selbst zu beurteilen und, was gemeinschaftsrechtlich zwingend vorgesehen ist, gegebenenfalls aufzuheben. In diesem Sinne sprach der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 14891/1997 ausdrücklich von der Kontrolle von Entscheidungen, die die vergebenden Stellen getroffen haben, und ordnete mit seiner Entscheidung vom , B2103/97, die Regelungen über das von den vergebenden Stellen einzuhaltende Verfahren und die von diesen zu setzenden einzelnen Entscheidungen in einem solchen Verfahren ebenso wie die Kontrolle darüber gerade nicht der Zivilrechtskompetenz des Bundes zu.

Der Verfassungsgerichtshof verweist in diesem Zusammenhang auf die von ihm im Prüfungsbeschluß genannten Beispiele: Das BVA hat etwa zu beurteilen, ob das vergebende Organ sich zu Recht für die Durchführung eines nicht offenen Verfahrens der Vergabe entschieden hat, ob es zulässigerweise in der Ausschreibung produktspezifische Angaben gemacht hat oder ob es mit der Entscheidung, ein Alternativangebot auszuscheiden, rechtmäßig gehandelt hat. Kommt es bei seiner Beurteilung zum Ergebnis, daß sich das vergebende Organ in dem Sinn rechtswidrig verhalten hat, daß es die seine Entscheidungen determinierenden Vorschriften des Vergabegesetzes verletzt hat, so hat es die Entscheidung des vergebenden Organs, genauer gesagt: jenen Teilakt im Vergabeverfahren, in dem diese Entscheidung zum Ausdruck kommt, aufzuheben.

Es ist das BVA also nicht etwa zur Gewährung oder Versagung einer Genehmigung oder zur Beurteilung der Rechtsfolgen, die mit einem bestimmten Vorgehen der vergebenden Organe verbunden sind, berufen, sondern zur Kontrolle des jeweiligen Aktes selbst, und es hat diesen Akt im Fall seiner Rechtswidrigkeit aufzuheben. Genau das ist aber dann, wenn sich die Aufhebung auf einen Akt eines obersten Organs bezieht, eine durch die im Prüfungsbeschluß angeführte Entscheidung VfSlg. 13626/1993 verpönte Kontrolle eines obersten Organs durch ein im B-VG mit einer solchen Kontrollbefugnis nicht ausgestattetes Verwaltungsorgan.

V. 1. Im Prüfungsbeschluß wies der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich darauf hin, es werde im Gesetzesprüfungsverfahren zu erwägen sein, ob nicht der Umstand, daß § 78 Abs 2 BVergG bzw. nunmehr § 99 Abs 2 BVergG 1997 als Verfassungsbestimmung erlassen wurde, zu einem anderen Ergebnis führen könnte. In dieser Bestimmung ist unter anderem angeordnet, daß das BVA die ihm nach dem BVergG zukommenden Kompetenzen in erster und letzter Instanz ausübt.

Der Verfassungsgerichtshof verwies auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (972 BlgNR 18. GP), in denen zur fraglichen Bestimmung ausgeführt wurde:

"Mit Rücksicht auf das in Art 102 B-VG verankerte System der mittelbaren Bundesverwaltung bedarf aber die Ausübung der dem Bundesvergabeamt zugewiesenen Zuständigkeiten in erster und letzter Instanz der Erlassung einer Verfassungsbestimmung (vgl. VfSlg. 11403/1987).",

und legte seine vorläufige Auffassung dar, daß die genannte Verfassungsbestimmung keine darüber hinausgehende Bedeutung habe und insbesondere nicht geeignet sei, das BVA hinsichtlich der Wahrnehmung seiner Kompetenzen insgesamt aus den organisationsrechtlichen Bindungen der Bundesverfassung auszunehmen. Vielmehr dürfte die Verfassungsbestimmung harmonisierend mit dem übrigen Bundesverfassungsrecht zu verstehen sein. Es sei daher nicht anzunehmen, daß durch die Verfassungsbestimmung des § 78 Abs 2 BVergG bzw. § 99 Abs 2 BVergG 1997 die organisationsrechtliche Grundregel verändert wurde, derzufolge die Verwaltung durch jene obersten Organe der Vollziehung nach deren Willen geführt werden soll, die dem Parlament, dem Bundespräsidenten und gemäß Art 142 B-VG dem Verfassungsgerichtshof gegenüber für ihre Tätigkeit verantwortlich sind.

2. Die Bundesregierung trat dieser Auffassung entgegen. Ihrer Ansicht nach nehme der Verfassungsgerichtshof nicht ausreichend darauf Bedacht, daß mit der fraglichen Bestimmung - ungeachtet der Aussagen in den Erläuterungen - auf Verfassungsebene eine Ausübung der Befugnisse des BVA in letzter Instanz vorgesehen werde. Bereits aus dem Wortlaut des Textes folge, daß die Verfassungsbestimmung dazu diene, die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Wahrnehmung der dem BVA nach dem BVergG zugewiesenen Zuständigkeit zu verankern. Es sei angesichts des nicht differenzierenden Wortlautes davon auszugehen, daß durch diese Bestimmung "eine umfassende verfassungsrechtliche Absicherung des Bundesvergabeamtes" zur Wahrnehmung der ihm nach dem BVergG zugewiesenen Kompetenzen erfolgt sei. Eine den objektiven verfassungsrechtlichen Gehalt der Bestimmung reduzierende subjektive Interpretation der Verfassungsbestimmung (etwa im Sinne der Erläuterungen) finde im Wortlaut der Norm keine Deckung.

Unterstützend verwies die Bundesregierung auf VfSlg. 3415/1958 und meinte:

"In diesem Erkenntnis hielt der Gerichtshof den Einwand der Bundesregierung, daß § 5 Abs 2 lita AKG, idF BGBl. Nr. 105/1954, 'lediglich aus dem Grunde als Verfassungsbestimmung erlassen worden (sei), um ... die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zu begründen', aber nicht bezwecke, 'Beschwerdeführern den erhöhten Schutz eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes einzuräumen' für nicht begründet. Aus welchem Grund eine Verfassungsbestimmung erlassen wird, ist nach diesem Erkenntnis irrelevant, soweit nicht diese Motivation des Verfassungsgesetzgebers im Wortlaut der Bestimmung selbst ausdrücklich ihren Niederschlag findet. Im übrigen weist die Bundesregierung darauf hin, daß die Bezugnahme auf die Erläuterungen auch insoweit unzutreffend scheint, als in diesen lediglich ein Aspekt, warum eine Verfassungsbestimmung erlassen werden müsse, hervorgehoben wird. Daraus eine abschließende Aufzählung aller Beweggründe für die Notwendigkeit einer Verfassungsbestimmung ableiten zu wollen, erscheint nicht zulässig."

Folge man Interpretationsansätzen der "neueren Lehre", daß Begriffe unter Berücksichtigung ihres systematischen Zusammenhanges und ihres Sinnes zu verstehen seien, so ergebe sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen der Verfassungsbestimmung mit den anderen, insbesondere den in Prüfung genommenen Bestimmungen des Gesetzes, "daß der Verfassungsgesetzgeber eine umfassende verfassungsrechtliche Absicherung des Bundesvergabeamtes" vornahm. Dem Verfassungsgesetzgeber sei bei der gleichzeitigen Erlassung beider Bestimmungen wohl bewußt gewesen, daß die dem BVA zugewiesene Zuständigkeit sehr wohl auch die Kontrolle von Entscheidungen oberster Organe mitumfaßte. Damit habe der Verfassungsgesetzgeber diese Befugnis aber auch als zulässig angesehen und akzeptiert (Verweis auf ).

3. Die Auffassung der Bundesregierung läuft darauf hinaus, daß die Bestimmung, die ihrem Wortlaut nach verfassungsrangig anordnet, daß das BVA seine Kontrollaufgaben "in erster und letzter Instanz" auszuüben hat, dieses Staatsorgan bei Wahrnehmung seiner Zuständigkeiten im gesamten Aufgabenbereich von sämtlichen organisationsrechtlichen Regelungen des Bundesverfassungsrechts (einschließlich des Systems der umfassenden rechtlichen und politischen Verantwortlichkeit der obersten Organe) ausnimmt, daß - mit den Worten der Bundesregierung - "der Verfassungsgesetzgeber eine umfassende verfassungsrechtliche Absicherung des BVA vornahm".

Für eine derartige Annahme bietet aber weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte (vgl. die oben unter Pkt. V.1. wiedergegebenen Erläuterungen) einen Anhaltspunkt, und auch der systematische Zusammenhang kann eine solche Auffassung nicht stützen: Das BVergG enthält an verschiedenen Stellen Regelungen über die Einrichtung des BVA, seine Zusammensetzung, die Bestellung und die Rechtsstellung der Mitglieder, seine innere Einrichtung, seine Zuständigkeiten, über das durchzuführende Verfahren und über das Verhältnis zu anderen staatlichen Organen usw. Zwei dieser vielen Regelungen stehen im Verfassungsrang, die hier in Rede stehende, die eine Ausnahme von der Regel des Art 102 B-VG statuiert, und jene, die die Mitglieder in Ausübung ihres Amtes unabhängig und weisungsfrei stellt (§101 Abs 1, vormals: § 80 Abs 1). Der Verfassungsgesetzgeber hat sich deutlich erkennbar darauf beschränkt in den beiden von den Vefassungsbestimmungen erfaßten Fragen eine Ausnahme von den ansonsten bestehenden verfassungsrechtlichen Bindungen vorzusehen; angesichts dessen ist es nicht zulässig anzunehmen, daß die Verfassungsbestimmung des § 78 Abs 2 BVergG (nunmehr: § 99 Abs 2 BVergG 1997) auch andere Problembereiche betrifft. Für die von der Bundesregierung der Sache nach behauptete Ausstrahlungswirkung einer "umfassenden verfassungsrechtlichen Absicherung" gibt es somit keinen Anhaltspunkt.

VI. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich daher als zutreffend erwiesen, weshalb die noch geltende Bestimmung des § 11 Abs 1 Z 1 BVergG 1997 als verfassungswidrig aufzuheben war und zu erkennen war, daß die Bestimmung des § 6 Abs 1 Z 1 BVergG, BGBl. 462/1993, verfassungswidrig war.

VII. Bei der Festsetzung der Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung der derzeit geltenden Bestimmung der Z 1 des § 11 Abs 1 BVergG 1997 hat der Verfassungsgerichtshof den von der Bundesregierung hervorgehobenen Umstand berücksichtigt, daß das BVergG im Fall der Aufhebung der in Prüfung genommenen Bestimmung in einem sehr wichtigen Punkt, nämlich der gemeinschaftsrechtlich gebotenen Kontrollmöglichkeit von Vergaben des Bundes, betroffen wird und alternative Lösungsmöglichkeiten umfassende Vorbereitungsarbeiten erfordern, weil das Rechtsschutzsystem völlig umgestaltet werden müßte.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und des Ausspruchs, daß die frühere gesetzliche Regelung verfassungswidrig war, erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG iVm § 2 Abs 1 Z 4 BGBlG.

VIII. Die Entscheidung konnte

aufgrund des § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.