VfGH vom 26.02.2009, g43/08
Sammlungsnummer
18704
Leitsatz
Abweisung der Anträge eines UVS auf Aufhebung einer Regelung des Bundesstraßen-Mautgesetzes über das In-Kraft-Treten des durch die Novelle 2007 herabgesetzten Strafrahmens für Mautprellerei; keine Derogation des Günstigkeitsprinzips des Verwaltungsstrafrechts
Spruch
Die Anträge werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg
(in der Folge: UVS Vorarlberg) sind Berufungen gegen zwei Straferkenntnisse anhängig, mit denen die Berufungswerber wegen Nichtentrichtung der zeitabhängigen Maut (Mautprellerei iSd § 20 Abs 1 des Bundesgesetzes über die Mauteinhebung auf Bundesstraßen (Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 - BStMG), BGBl. I 109/2002, (in der Folge: BStMG) bestraft worden sind. Aus Anlass dieser Berufungsverfahren beantragt der UVS Vorarlberg gemäß Art 140 B-VG, der Verfassungsgerichtshof wolle die Worte "1 und" in § 33 Abs 6 BStMG idF BGBl. I 82/2007 als verfassungswidrig aufheben (diese Anträge sind zu G44/08 und G65/08 protokolliert).
2. Weiters behängen beim UVS Vorarlberg neun Berufungsverfahren gegen Straferkenntnisse wegen Mautprellerei im Sinne des § 20 Abs 2 BStMG (Nichtentrichtung der fahrleistungsabhängigen Maut). Aus Anlass dieser Verfahren beantragt der UVS Vorarlberg die Aufhebung der Worte "und 2" in § 33 Abs 6 BStMG idF BGBl. I 82/2007 (diese Anträge sind zu G43/08, G45/08, G48/08, G51/08, G52/08, G53/08, G54/08, G72/08 und G121/08 protokolliert).
3. Sämtliche den Anträgen zugrunde liegenden Tatvorwürfe beziehen sich auf einen Zeitpunkt vor In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes BGBl. I 82/2007, mit dem (unter anderem) der Strafrahmen für die Verwaltungsübertretung der Mautprellerei iSd § 20 Abs 1 und 2 BStMG herabgesetzt wurde. Die in den Anlassverfahren angefochtenen Straferkenntnisse erster Instanz sind jedoch nach In-Kraft-Treten dieser Novelle - dh. nach dem - erlassen worden. In dem dem Antrag zu G65/08 zugrunde liegenden Verfahren wurde das Straferkenntnis erster Instanz zwar mit datiert, aber erst nach dem zugestellt, so dass auch dieses Straferkenntnis bei Anwendung des § 1 Abs 2 Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. 52, (in der Folge: VStG) als nach dem "gefällt" gilt (vgl. ).
4. Die einschlägige Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
Vor der Änderung durch BGBl. I 82/2007 hatte § 20 BStMG folgenden Wortlaut:
"Mautprellerei
§20. (1) Kraftfahrzeuglenker, die Mautstrecken benützen, ohne die nach § 10 geschuldete zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben, begehen eine Verwaltungsübertretung und sind mit Geldstrafe von 400 € bis zu 4000 € zu bestrafen.
(2) Kraftfahrzeuglenker, die Mautstrecken benützen, ohne die nach § 6 geschuldete fahrleistungsabhängige Maut ordnungsgemäß zu entrichten, begehen eine Verwaltungsübertretung und sind mit Geldstrafe von 400 € bis zu 4000 € zu bestrafen.
(3) Taten gemäß Abs 1 und 2 werden straflos, wenn der Mautschuldner fristgerecht die in der Mautordnung festgesetzte Ersatzmaut zahlt."
In Art 1 Z 22 des Bundesgesetzes BGBl. I 82/2007 wurde folgende Novellierungsanordnung getroffen:
"22. In § 20 Abs 1 und 2 werden jeweils die Wortfolgen 'Geldstrafe von 400 € bis zu 4000 €' durch die Wortfolgen 'Geldstrafe von 300 € bis zu 3000 €' ersetzt."
Der mit "In-Kraft-Treten" übertitelten Bestimmung des § 33 BStMG wurden mit BGBl. I 82/2007 folgende Absätze 5 und 6 angefügt (der angefochtene Teil ist hervorgehoben):
"(5) § 8 Abs 4 und § 9 Abs 4 letzter Satz in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 82/2007 treten mit in Kraft.
(6) Die Bestimmungen des § 19 Abs 1, des § 19 Abs 4 letzter Satz, des § 20 Abs 1 und 2 und des § 21 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 82/2007 sind auf Verwaltungsübertretungen anzuwenden, die nach ihrem In-Kraft-Treten begangen werden."
§ 1 VStG lautet:
"§1. (1) Als Verwaltungsübertretung kann eine Tat (Handlung oder Unterlassung) nur bestraft werden, wenn sie vor ihrer Begehung mit Strafe bedroht war.
(2) Die Strafe richtet sich nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, daß das zur Zeit der Fällung des Bescheides in erster Instanz geltende Recht für den Täter günstiger wäre."
5. Der UVS Vorarlberg vertritt die Auffassung, dass im Hinblick auf § 33 Abs 6 BStMG idF BGBl. I 82/2007 der durch die zitierte Novelle geänderte - mildere - Strafsatz nur auf Verwaltungsübertretungen angewendet werden dürfe, die nach dem In-Kraft-Treten dieser Novelle begangen wurden. Er meint, die genannte In-Kraft-Tretens-Bestimmung habe dadurch dem in § 1 Abs 2 VStG normierten "Günstigkeitsprinzip" derogiert. Die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Teile dieser In-Kraft-Tretens-Bestimmung liege darin, dass mit ihr eine von den allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechts (hier: jener des § 1 Abs 2 VStG) abweichende Bestimmung getroffen worden sei, ohne dass die in Art 11 Abs 2 B-VG normierte Voraussetzung gegeben sei, wonach die abweichende Regelung "zur Regelung des Gegenstandes erforderlich" sein müsse. Im Übrigen verletze die angefochtene Vorschrift auch den Gleichheitssatz, weil keine sachliche Rechtfertigung dafür bestehe, Personen, die eine Übertretung des § 20 BStMG begangen haben, hinsichtlich der Rückwirkung der günstigeren Strafnorm schlechter zu stellen als Personen, die andere Verwaltungsübertretungen begangen haben.
6. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Zulässigkeit der Anträge außer Streit stellt und ausführt, dass der durch BGBl. I 82/2007 eingefügte Abs 6 des § 33 BStMG den Zweck habe, die durch die Novelle erfolgten Änderungen "einzubegleiten" und sicherzustellen, dass eindeutig geregelt ist, auf welche Sachverhalte die neue Rechtslage anzuwenden ist. Dies betreffe insbesondere die Regelungen über die verringerte Höhe der Ersatzmaut und die verlängerte Frist zur Entrichtung der Ersatzmaut (§19 BStMG) sowie den Straftatbestand des § 21 leg.cit. ("Verletzung der Informations- und Anhaltepflicht", wobei diesbezüglich zu beachten sei, dass § 8 Abs 4 leg.cit. betreffend die Informationspflicht erst mit in Kraft tritt und dessen Verletzung daher auch erst ab diesem Zeitpunkt strafbar ist). Demgegenüber habe die Novelle nicht beabsichtigt, in Bezug auf § 20 BStMG von der allgemeinen Regelung des § 1 Abs 2 VStG zweiter Halbsatz abzuweichen, wonach sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht richtet, es sei denn, dass das zur Zeit der Fällung des Bescheides erster Instanz geltende Recht für den Täter günstiger wäre. Vielmehr sollte § 1 Abs 2 VStG weiterhin uneingeschränkt zur Anwendung gelangen. Um dies zukünftig klarzustellen, sei beabsichtigt, eine Bestimmung über die rückwirkende Änderung des § 33 Abs 6 BStMG zu erlassen, durch die den Bedenken des antragstellenden UVS Rechnung getragen und Rechtssicherheit geschaffen werden soll.
Eine solche Änderung des § 33 BStMG ist bisher nicht erfolgt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Anträge erwogen:
1. Die vom UVS Vorarlberg vertretene Auslegung, dass § 33 Abs 6 BStMG die Anwendung des "Günstigkeitsprinzips" des § 1 Abs 2 VStG ausschließe, ist unzutreffend. § 33 Abs 6 BStMG stellt lediglich eine In-Kraft-Tretens-Regelung dar, die unter anderem festlegt, auf welche Tatsachen ("Verwaltungsübertretungen") die durch BGBl. I 82/2007 geschaffene Fassung der Strafnorm des § 20 leg.cit. erstmals allgemein anzuwenden ist. Ein Widerspruch zwischen § 1 Abs 2 VStG und § 33 Abs 6 BStMG idF BGBl. I 82/2007 besteht schon deswegen nicht, weil die letztgenannte Bestimmung keine Aussage zu Verwaltungsübertretungen trifft, die vor ihrem In-Kraft-Treten begangen wurden. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass dem § 1 Abs 2 VStG durch § 33 Abs 6 BStMG derogiert wurde.
2. Da bereits die Prämisse für das Antragsvorbringen nicht zutrifft, sind die Anträge abzuweisen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Fundstelle(n):
TAAAE-27511