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VfGH vom 10.10.2002, g42/02

VfGH vom 10.10.2002, g42/02

Sammlungsnummer

16689

Leitsatz

Verletzung des Gleichheitsrechtes durch die rückwirkende Beseitigung einer Bestimmung im Sozialversicherungsrecht der Bauern betreffend den Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit; keine sachliche Rechtfertigung eines derart plötzlichen und intensiven Eingriffs in erworbene Rechtspositionen

Spruch

1. Die Wortfolge "rückwirkend mit Ablauf des " in § 280 Abs 2 Z 1 des Bundesgesetzes über die Sozialversicherung der in der Land- und Forstwirtschaft selbständig Erwerbstätigen (Bauern-Sozialversicherungsgesetz - BSVG), BGBl. Nr. 559/1978, idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 101/2001 (24. Novelle zum BSVG) wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Die aufgehobene Bestimmung ist auch in den beim Obersten Gerichtshof zu den Zlen. 10 ObS 24/02f (G115/02), 10 ObS 226/01k (G168/02), 10 ObS 145/02z (G176/02) sowie 10 ObS 146/02x (G315/02) anhängigen Revisionsverfahren und in den beim Oberlandesgericht Linz zu den Zlen. 12 Rs 6/02t (G101/02), 12 Rs 5/02w (G102/02), 12 Rs 56/02w (G103/02), 12 Rs 368/01a (G104/02), 12 Rs 403/01y (G105/02), 12 Rs 38/02y (G106/02), 11 Rs 83/02h (G158/02), 12 Rs 90/02w (G170/02), 12 Rs 100/02 (G192/02), 12 Rs 91/02t (G197/02), 11 Rs 101/02f (G199/02) sowie 12 Rs 124/02w (G209/02) sowie beim Oberlandesgericht Graz zu den Zlen. 8 Rs 139/02a (G319/02) und 8 Rs 138/02d (G320/02) anhängigen Berufungsverfahren nicht mehr anzuwenden.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

2. Im übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Vor der 16. Novelle zum BSVG war bei der Führung desselben land(forst)wirtschaftlichen Betriebes durch Ehegatten auf gemeinsame Rechnung und Gefahr nur ein Ehegatte pflichtversichert, wobei in erster Linie jener Ehegatte von der Pflichtversicherung ausgenommen war, der bereits anderweitig sozialversichert oder als Beamter tätig gewesen ist; traf dies auf beide Ehegatten oder keinen von ihnen zu, so war nur jener Ehegatte pflichtversichert, der dem Versicherungsträger bekanntgegeben wurde. Unterblieb dies, dann sah das Gesetz eine Sonderregelung vor, nach welcher letztlich (subsidiär) der ältere Ehegatte pflichtversichert gewesen ist (§2a BSVG idF bis zur 16. Novelle zum BSVG).

2. Seit der 16. Novelle zum BSVG, BGBl. Nr. 678/1991, besteht gem. § 2a die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung für beide Ehegatten, und zwar nicht nur dann, wenn der landwirtschaftliche Betrieb auf gemeinsame Rechnung und Gefahr von Ehegatten geführt wird, sondern auch dann, wenn ein Ehegatte im landwirtschaftlichen Betrieb des anderen hauptberuflich tätig ist.

Diese Erweiterung der Pflichtversicherung betraf der Sache nach hauptsächlich in der Landwirtschaft tätige Frauen, die aufgrund der früheren Regelung häufig unversichert geblieben waren und für die ein eigener Pensionsanspruch geschaffen werden sollte (vgl. AB 313, XVIII. GP S 2).

Die Übergangsbestimmung des ArtIII Abs 2 BSVG idF BGBl. Nr. 678/1991 sah jedoch vor, daß Personen, die zwar ab dem dieser Pflichtversicherung unterlegen wären, aber zu diesem Zeitpunkt das 50. Lebensjahr bereits vollendet hatten und am nicht der Pflichtversicherung unterlagen, bis spätestens bei der SVA der Bauern einen Antrag auf Befreiung von der Pflichtversicherung stellen konnten. ArtIII Abs 2 BSVG wurde in der Folge durch § 247 Abs 1 Z 1 iVm. Abs 14 idF der 18. Novelle zum BSVG, BGBl. Nr. 337/1993, rückwirkend zum dahingehend novelliert, daß der Personenkreis, welcher die Befreiung von der Pflichtversicherung in Anspruch nehmen konnte, erweitert wurde: An die Stelle des 50. trat das 45. Lebensjahr; die Antragsfrist wurde bis verlängert.

3. Mit der 18. BSVG-Novelle, BGBl. Nr. 337/1993, wurde in § 122c BSVG die "vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit" geschaffen. Als erwerbsunfähig galt nach Vollendung des 55. Lebensjahres die (der) Versicherte, die (der)

"infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der (die) Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat und wenn dessen (deren) persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war".

Die Wartezeit für diese Pension hat 120 Versicherungsmonate betragen (§111 Abs 3 Z 2 litb BSVG), die innerhalb der letzten 240 Kalendermonate vor dem Stichtag vorliegen mußten (§111 Abs 4 Z 3 BSVG). Darüber hinaus mußte eine versicherte Person besondere Deckungserfordernisse erfüllen, nämlich das Vorliegen von 24 Beitragsmonaten der Pflichtversicherung innerhalb der letzten 36 Kalendermonate vor dem Stichtag oder das Vorliegen von 36 Beitragsmonaten der Pflichtversicherung in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag (§122c Abs 1 Z 2 BSVG).

3.1. Mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201, wurde die Wartezeit für diese Pension ab insofern verschärft, als in § 111 BSVG anstelle der bis dahin notwendigen 120 Versicherungsmonate innerhalb von 240 Kalendermonaten vor dem Stichtag 180 Beitragsmonate innerhalb der letzten 360 Kalendermonate erworben werden mußten.

Gleichzeitig wurde § 255 Abs 21 BSVG mit folgendem Wortlaut in Kraft gesetzt:

"Für weibliche Versicherte, die am das 55. Lebensjahr bereits vollendet haben, ist § 122c iVm § 111 BSVG in der am geltenden Fassung weiterhin anzuwenden."

Durch das ASRÄG 1997, BGBl. I Nr. 139, wurde vorgesehen, daß weibliche Versicherte lediglich innerhalb der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag 72 Beitragsmonate nachweisen mußten. Der regelwidrige körperliche Zustand mußte bereits 20 Wochen andauern (§122c Abs 1 Z 1 BSVG).

3.2. Durch die Z 16 der 23. BSVG-Novelle, BGBl. I Nr. 176/1999, wurde der Ausdruck "55. Lebensjahr" in § 255 Abs 21 BSVG durch den Ausdruck "50. Lebensjahr" ersetzt.

Die Erläuternden Bemerkungen, 1911 BlgNR XX. GP, führen dazu folgendes aus:

"Durch die 18. Novelle zum BSVG, BGBl. Nr. 337/1993, ist es zu einer Neuregelung der Wartezeit für die vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit gekommen; danach war die Wartezeit für die vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit erfüllt, wenn am Stichtag 120 Versicherungsmonate vorlagen. Durch das der budgetären Konsolidierung dienende Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201, wurde diese Wartezeit auf 180 Beitragsmonate innerhalb der letzten 360 Kalendermonate vor dem Stichtag verlängert. Weiters ist ausdrücklich auch eine spezielle Wartezeit zu erfüllen, die ursprünglich 24 Beitragsmonate der Pflichtversicherung innerhalb der letzten 36 Kalendermonate vor dem Stichtag oder 36 Beitragsmonate der Pflichtversicherung innerhalb der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag betrug. Zusätzlich wurde durch das Strukturanpassungsgesetz 1996 diese Anspruchsvoraussetzung dahingehend geändert, daß nunmehr 72 Beitragsmonate der Pflichtversicherung innerhalb der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag nachzuweisen sind.

Diese Verschärfungen der Anspruchsvoraussetzungen tr[e]ff[en] vor allem ältere Bäuerinnen, welche die auf Grund des ArtIII Abs 2 BSVG in der Fassung des BGBl. Nr. 337/1993 für sie bis offengestandene Möglichkeit, sich von der Pflichtversicherung nach dem BSVG befreien zu können, nicht in Anspruch nahmen. Viele Bäuerinnen haben sich für die Pflichtversicherung in der 'Bäuerinnenpension' entschieden, auf Grund der Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen ist jedoch für die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit der Zugang zur Leistung erschwert. Dieser Folge soll durch die vorgeschlagene Änderung entgegengewirkt werden."

Die mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 vorgenommene Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen für die vorzeitige Alterspension bei dauernder Erwerbsunfähigkeit wurde somit für Bäuerinnen, welche am das 55. Lebensjahr bereits vollendet hatten, nicht wirksam, sondern es wurde für diesen Personenkreis vielmehr die frühere Rechtslage aufrechterhalten; durch die 23. BSVG-Novelle wurde die in § 255 Abs 21 für das Weitergelten der früheren Rechtslage maßgebliche Altersgrenze auf das 50. Lebensjahr herabgesetzt.

4. Mit dem Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2000 (SVÄG 2000), BGBl. I Nr. 43/2000, wurde § 122c BSVG mit aufgehoben.

An seine Stelle trat in § 124 BSVG ein neuer Absatz 2, in dem die Erwerbsunfähigkeit im wesentlichen wie im aufgehobenen § 122c BSVG formuliert wurde, jedoch mit der Maßgabe, daß die Altersgrenze auf das 57. Lebensjahr angehoben und zusätzlich darauf abgestellt wurde, ob die Weiterarbeit mittels einer zumutbaren Änderung der sachlichen und personellen Ausstattung des Betriebs möglich ist; diese Bestimmung lautet:

"Als erwerbsunfähig gilt auch der (die) Versicherte, der (die) das 57. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei ist die Möglichkeit einer zumutbaren Änderung der sachlichen und personellen Ausstattung seines (ihres) Betriebes zu berücksichtigen."

5.1. § 255 Abs 21 BSVG blieb jedoch weiterhin in Geltung; die durch das Strukturanpassungsgesetz 1996 aus Vertrauensschutzgründen vorgesehene Begünstigung für ältere Bäuerinnen in Form der Weitergeltung des § 122c BSVG in seiner ursprünglichen Fassung blieb diesen somit erhalten.

5.2. Durch § 280 Abs 2 Z 1 BSVG in der Fassung der 24. Novelle zum BSVG, BGBl. I Nr. 101/2001, kundgemacht am , wurde § 255 Abs 21 BSVG aufgehoben; § 280 Abs 2 Z 1 BSVG in dieser Fassung lautet:

"(2) Es treten außer Kraft:

1. rückwirkend mit Ablauf des § 255 Abs 21;

2. ..."

Weiters wurde mit dieser Novelle § 280 Abs 3 BSVG geschaffen, der folgendermaßen lautet:

"(3) Auf Personen, die durch das In-Kraft-Treten des § 2a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 678/1991 der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz unterliegen, gemäß ArtIII Abs 2 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 678/1991 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 337/1993 berechtigt waren einen Antrag auf Befreiung von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung zu stellen, einen solchen Antrag jedoch nicht gestellt haben, ist zur Erfüllung der Wartezeit für eine Erwerbsunfähigkeitspension bei Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit nach § 124 Abs 2 die Bestimmung des § 111 Abs 3 Z 2 litb in Verbindung mit Abs 4 Z 3 in der am in Geltung gestandenen Fassung weiterhin anzuwenden."

Dies bedeutet, daß für die genannten älteren Bäuerinnen die Altersgrenze um zwei Jahre angehoben wurde, die Wartezeitbestimmungen hingegen beibehalten wurden.

Begründend wird hiezu in den Gesetzesmaterialien (EB 626 BlgNR XXI. GP) folgendes ausgeführt:

"Die Übergangsbestimmung des § 255 Abs 21 BSVG zu § 122c BSVG verfolgt den Zweck, dass Personen, die das Anfallsalter für eine vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen durch die Verlängerung der Wartezeit im Zuge des Strukturanpassungsgesetzes 1996 für diese Pension bereits erreicht haben, von dieser Verschärfung nicht betroffen sein sollten. Durch diese Übergangsbestimmung sollte lediglich bewirkt werden, dass für den gegenständlichen Personenkreis die Wartezeitbestimmung in der am geltenden Fassung weiterhin anzuwenden [ist]. Durch das Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2000, BGBl. I Nr. 43/2000, wurde mit Wirkung ab die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 122c BSVG aufgehoben, sodass für die Anwendung dieser Übergangsbestimmung kein Raum mehr bleibt. Es wird daher vorgeschlagen, § 255 Abs 21 BSVG ausdrücklich aufzuheben und stattdessen vorzusehen, dass bei bisher von dieser Bestimmung umfasst gewesenen Fällen für künftige Erwerbsunfähigkeitspensionen gemäß § 124 Abs 2 BSVG die Wartezeitbestimmungen, wie sie für die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit in der am geltenden Fassung anzuwenden waren, gelten.

Von dieser Maßnahme sind rund 400 bis 600 Frauen betroffen:

Es entstehen jährliche Mehraufwendungen von maximal 30 Millionen Schilling über einen Zeitraum von maximal fünf Jahren."

II. 1. Mit Antrag vom (und weiteren Anträgen) beantragt der OGH die Aufhebung des § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF der 24. BSVG-Novelle, BGBl. I Nr. 101/2001.

2. Die Sozialversicherungsanstalt der Bauern hatte mit Bescheiden vom 8. November, 30. November und jeweils Anträge der im Zeitpunkt der Antragstellung im 56. bzw. 57. Lebensjahr stehenden Klägerinnen auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit mit der Begründung abgelehnt, § 122c BSVG sei gem. § 274 Abs 2 BSVG idF des SVÄG 2000 mit Ablauf des außer Kraft getreten, sodaß ein Leistungsanspruch zu den in Betracht kommenden Stichtagen nicht (mehr) festgestellt werden könne. Die Bescheide wurden mit Klage bekämpft; das Erstgericht wies diese ab; das Berufungsgericht gab den Klagen statt; dagegen erhob die beklagte SVA der Bauern Revision und Rekurs.

Der OGH führt in seinem Antrag zunächst aus, er habe zwar bereits in zwei Entscheidungen vom ausgesprochen , daß hinsichtlich der Weitergeltung des § 255 Abs 21 BSVG trotz Aufhebung des § 122c BSVG keineswegs mit Sicherheit ein Redaktionsversehen angenommen werden könne. Aus der Weitergeltung könne vielmehr der Schluß gezogen werden, daß einer bestimmten Personengruppe weiterhin § 122c BSVG zugute kommen solle. Es sei nicht Aufgabe der Gerichte, durch "zu weitherzige Interpretation rechtspolitische Aspekte zu berücksichtigen", die den Gesetzgeber bisher (bewußt oder unbewußt) nicht dazu veranlaßt hätten, Gesetzesänderungen vorzunehmen.

Der OGH müsse jedoch die durch die am im Bundesgesetzblatt kundgemachte 24. BSVG-Novelle eingetretene Rechtsänderung wahrnehmen; gegen die durch diese Novelle mit Ablauf des verfügte, somit rückwirkende, Aufhebung des § 255 Abs 21 BSVG hegt der OGH folgende Bedenken:

"Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Judikatur in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass das Vertrauen in die Rechtsordnung unter bestimmten Voraussetzungen durch den Gleichheitsgrundsatz geschützt ist. So hat der Gerichtshof bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von gesetzlichen Regelungen, durch die in Pensionsansprüche mindernd eingegriffen wurde, dem Vertrauensschutz unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes bedeutendes Gewicht zugemessen (vgl VfSlg 11.309 ua). In diesem Sinn hat der Verfassungsgerichtshof aber auch stets die Bindung gesetzlich verfügter Rückwirkungen an den Gleichheitsgrundsatz betont. Rechtsnormen zielen auf die Steuerung menschlichen Verhaltens. Diese Funktion können Rechtsvorschriften freilich nur dann erfüllen, wenn sich die Normunterworfenen bei ihren Dispositionen grundsätzlich an der geltenden Rechtslage orientieren können. Daher können gesetzliche Vorschriften mit dem Gleichheitsgrundsatz in Konflikt geraten, weil und insoweit sie die im Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage handelnden Normunterworfenen nachträglich belasten. Das kann bei schwerwiegenden und plötzlich eintretenden Eingriffen in erworbene Rechtspositionen, auf deren Bestand der Normunterworfene mit guten Gründen vertrauen konnte, zur Gleichheitswidrigkeit des belastenden Eingriffes führen (vgl VfSlg 12.186, 11.309 ua).

In seiner neueren Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass die rückwirkende Inkraftsetzung einer in Rechtspositionen eingreifenden Regelung mit dem Gleichheitsgrundsatz dann nicht vereinbar ist, wenn die Normunterworfenen durch einen Eingriff von erheblichem Gewicht in einem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht wurden und nicht etwa besondere Umstände diese Rückwirkung verlangen, etwa indem sie sich als notwendig erweist, um eine sonst eintretende Gleichheitswidrigkeit zu vermeiden. Ob und inwieweit im Ergebnis ein sachlich nicht gerechtfertigter und damit gleichheitswidriger Eingriff vorliegt, hängt also vom Ausmaß des Eingriffes und vom Gewicht der für die Rückwirkung sprechenden Gründe ab (VfSlg 13.896, 12.688 mwN ua).

Im Sinne dieser Judikatur bestehen begründete Bedenken gegen die Bestimmung des § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF der 24. BSVG-Nov wegen Verstoßes gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot. Das erst am kundgemachte und über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (!) rückwirkende Außerkrafttreten der Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG stellt einen Eingriff von erheblichem Gewicht dar. Dies wird am Beispiel der Klägerinnen deutlich, die im Vertrauen auf die Rechtslage einen Pensionsantrag gestellt haben, dem durch die erst nach der Entscheidung des Berufungsgerichtes geänderte Rechtslage plötzlich die Grundlage entzogen wurde. Dieser rückwirkende Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen stellt offenkundig einen Eingriff in die Rechtsposition der Klägerinnen von erheblichem Gewicht dar (vgl VfSlg 12.688), zumal mit der Inanspruchnahme einer vorzeitigen Alterspension in der Regel auch die Beendigung der bisherigen Erwerbstätigkeit verbunden ist (vgl § 122c Abs 2 BSVG).

Andererseits fehlt es nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes an triftigen Gründen, die einen derartigen Eingriff sachlich zu rechtfertigen vermöchten, etwa indem sie sich als notwendig erweisen, um andere Gleichheitswidrigkeiten zu vermeiden (VfSlg 12.186 ua). Nach den Erläuternden Bemerkungen zur RV 626 BlgNR XXI. GP, 10 f verfolgt die Übergangsbestimmung des § 255 Abs 21 BSVG zu § 122c BSVG den Zweck, dass Personen, die das Anfallsalter für eine vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen durch die Verlängerung der Wartezeit im Zuge des Strukturanpassungsgesetzes 1996 für diese Pension bereits erreicht haben, von dieser Verschärfung nicht betroffen sein sollten. Durch diese Übergangsbestimmung in der am geltenden Fassung weiterhin anzuwenden ist. Durch das Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2000, BGBl I Nr. 43/2000, wurde mit Wirkung ab die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 122c BSVG aufgehoben, sodass für die Anwendung dieser Übergangsbestimmung kein Raum mehr bleibt. Es wurde daher vorgeschlagen, § 255 Abs 21 BSVG ausdrücklich aufzuheben und stattdessen vorzusehen, dass bei bisher von dieser Bestimmung umfasst gewesenen Fällen für künftige Erwerbsunfähigkeitspensionen gemäß § 124 Abs 2 BSVG die Wartezeitbestimmungen, wie sie für die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit in der am geltenden Fassung anzuwenden waren, gelten. Von dieser Maßnahme sind rund 400 bis 600 Frauen betroffen (RV aaO).

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl VfSlg 13.020) kann auch ein offensichtlicher Redaktionsfehler des Gesetzgebers nicht als Rechtfertigung für eine ausschließlich die betroffene Gruppe rückwirkend belastende Regelung angesehen werden. Im Übrigen führt gerade die rückwirkende Außerkraftsetzung des § 255 Abs 21 BSVG zu Gleichheitswidrigkeiten. Damit wurde nämlich die Frage der Berechtigung des Pensionsbegehrens im Ergebnis von der Zufälligkeit der Dauer des vor den Sozialgerichten geführten Verfahrens und dem Zeitpunkt der letztinstanzlichen Entscheidung abhängig gemacht. So haben Versicherte in vergleichbarer Situation (beispielsweise die am geborene Klägerin im Verfahren 10 ObS 220/01b mit Stichtag ) die Leistung aufgrund des früheren Zeitpunktes der letztinstanzlichen Entscheidung zugesprochen erhalten.

Diese gegen die rückwirkende Außerkraftsetzung der Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG geäußerten Bedenken bestehen auch unter dem Aspekt des in Art 5 StGG und Art 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK enthaltenen Eigentumsschutzes."

3.1. In der Folge stellte das OLG Linz aus Anlaß von bei ihm anhängigen Leistungsstreitverfahren Anträge auf Aufhebung des § 280 Abs 2 Z 1 BSVG. Diese Anträge sind zu den hg. Zahlen G 57, 60, 91 und 97-99/02 protokolliert. Die Bedenken gleichen jenen, die der OGH in dem zu G42/02 protokollierten Antrag vorgebracht hat.

3.2. Beim Verfassungsgerichtshof sind ferner weitere Gesetzesprüfungsanträge des OGH sowie der OLG Linz und Graz anhängig, mit denen jeweils wegen derselben Bedenken die Aufhebung des § 280 Abs 2 Z 1 BSVG begehrt wird. Diese Anträge konnten jedoch wegen des fortgeschrittenen Prozeßgeschehens nicht mehr in das vorliegende Verfahren einbezogen werden (vgl. aber die Ausdehnung der Anlaßfallwirkung im Spruch). Im einzelnen handelt es sich um die beim OGH zu den Zlen. 10 ObS 24/02f (G115/02), 10 ObS 226/01k (G168/02), 10 ObS 145/02z (G176/02) sowie 10 ObS 146/02x (G315/02) anhängigen Revisionsverfahren sowie in den beim Oberlandesgericht Linz zu den Zlen. 12 Rs 6/02t (G101/02), 12 Rs 5/02w (G102/02), 12 Rs 56/02w (G103/02), 12 Rs 368/01a (G104/02), 12 Rs 403/01y (G105/02), 12 Rs 38/02y (G106/02), 11 Rs 83/02h (G158/02), 12 Rs 90/02w (G170/02), 12 Rs 100/02 (G192/02), 12 Rs 91/02t (G197/02), 11 Rs 101/02f (G199/02) sowie 12 Rs 124/02w (G209/02) und in den beim Oberlandesgericht Graz zu den Zlen. 8 Rs 139/02a (G319/02) und 8 Rs 138/02d (G320/02) anhängigen Berufungsverfahren gestellten Anträge dieser Gerichte.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - gem. § 463 Abs 1 iVm § 187 Abs 1 ZPO (§35 Abs 1 VfGG) zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen - Anträge erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

Gemäß Art 89 Abs 2 B-VG hat ein zur Entscheidung in zweiter Instanz zuständiges Gericht, falls es gegen die Anwendung eines Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken hat, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung dieses Gesetzes zu beantragen (vgl. auch Art 140 Abs 1 erster Satz B-VG).

Wie der Verfassungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen hat, hält er sich nicht für berechtigt, bei der Prüfung der Frage, ob die Vorschrift, deren Verfassungswidrigkeit behauptet wird, für die Entscheidung des Gerichtes präjudiziell ist, das Gericht an eine bestimmte Auslegung zu binden und damit auf diese Art der gerichtlichen Entscheidung indirekt vorzugreifen. Ein Mangel der Präjudizialität liegt daher nur dann vor, wenn die zur Prüfung beantragte Bestimmung ganz offenbar und schon begrifflich überhaupt nicht - dh. denkunmöglich - als eine Voraussetzung des vom antragstellenden Gericht zu fällenden Urteils in Betracht kommen kann (vgl. VfSlg. 6278/1970 und die dort angeführte Rechtsprechung, ferner zB VfSlg. 7999/1977, 8136/1977, 8318/1978, 8871/1980, 9284/1981, 9811/1983, 9911/1983, 10.296/1984, 10.357/1985, 10.640/1985, 11.565/1987, 12.189/1989).

Im vorliegenden Fall ist nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität der zur Aufhebung beantragten Gesetzesstelle zweifeln ließe.

Allerdings richten sich die Bedenken der antragstellenden Gerichte - darin dem "Leitantrag" des OGH zu G42/02 folgend - ausschließlich gegen die in dem (am kundgemachten) § 280 Abs 2 Z 1 BSVG angeordnete Rückwirkung der Aufhebung des § 255 Abs 21 BSVG. Gegen die Abschaffung der zuletzt erwähnten Übergangsregelung mit Ablauf des Tages der Kundmachung der 24. Novelle zum BSVG werden verfassungsrechtliche Bedenken nicht vorgetragen:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat das antragstellende Gericht die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bzw. gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung sprechenden Bedenken im einzelnen darzulegen (§62 Abs 1, zweiter Satz, sowie § 57 Abs 1, zweiter Satz, VfGG; vgl. zB VfSlg 12.564/1990, 13.809/1994). Dies bedeutet, daß Normenprüfungsanträge nur dann zulässig sind, wenn sie ein gewisses Mindestmaß an Begründung enthalten. Das Fehlen dieser Darlegung ist kein behebbares Formgebrechen, sondern ein Prozeßhindernis (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 9716/1983, 13.230/1992).

Die Darlegung entsprechender Bedenken zählt somit zu den Inhaltserfordernissen eines zulässigen Gesetzesprüfungsantrages iS des Art 140 B-VG.

Es kann auch keine Rede davon sein, daß § 280 Abs 2 Z 1 BSVG insoweit eine untrennbare Einheit bildet, daß daraus die Wortfolge "rückwirkend mit Ablauf des " nicht gesondert aufgehoben werden könnte. Es bliebe danach vielmehr kein Torso, sondern ein dem Gesetzgeber durchaus zusinnbares Ergebnis, nämlich die Aufhebung des § 255 Abs 21 BSVG übrig, die - mangels einer nach Aufhebung der bezeichneten Wortfolge anders lautenden gesetzlichen Anordnung - als mit Ablauf des in Kraft getreten gälte.

Soweit daher die Aufhebungsanträge über die im Spruch genannte Wortfolge hinausgehen, aber insoweit verfassungsrechtliche Bedenken nicht vorgetragen wurden, sind sie als unzulässig zurückzuweisen.

Da sonst keine Verfahrenshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die Anträge im übrigen als zulässig.

2. In der Sache:

2.1. Die Bundesregierung hat in dem zu G42/02 geführten Verfahren eine Äußerung erstattet, in der sie nach Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum sog. "Vertrauensschutzprinzip" zunächst ganz allgemein die Sachlichkeit der angefochtenen Bestimmung darzutun sucht; zur Frage der Rückwirkung führt die Bundesregierung aus:

"[...] Als grundlegender Unterschied zwischen der Rechtslage des § 122c i.V.m. § 255 Abs 21 BSVG und § 124 i.V.m. § 123 und § 280 Abs 3 BSVG ist das Anfallsalter für Frauen (das 55. bzw. 57. Lebensjahr) hervorzuheben. Da sich § 255 Abs 21 BSVG auf Frauen bezieht, die am das 50. Lebensjahr bereits vollendet haben, konnten zum Zeitpunkt der formellen Aufhebung nur Frauen (bzw. im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auch Männer) betroffen sein, die am zwei Monate vor Vollendung ihres 54. Lebensjahres standen.

Diese 'Verschlechterung' in der Rechtsposition wird durch die Beibehaltung der günstigeren Wartezeitregelung durch § 280 Abs 3 BSVG kompensiert, sodass die rückwirkende Aufhebung des § 255 Abs 21 BSVG insgesamt keinen derart intensiven Eingriff in Rechtspositionen der Versicherten bewirkt, der im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes als gleichheitswidrig zu qualifizieren wäre.

[...] Zwar mag es zutreffen, dass die in Betracht kommenden Personen im Hinblick auf die in § 255 Abs 21 BSVG getroffene Regelung im Zeitpunkt ihrer Antragstellung damit gerechnet haben, unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen einen Pensionsanspruch erworben zu haben und dass sie in dieser Erwartung durch die Beseitigung dieser Bestimmung aufgrund des § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF BGBl. I Nr. 101/2001 enttäuscht wurden. Eine solche Enttäuschung kann aber jede Änderung der Rechtslage bewirken. Die Bundesregierung hat bereits oben dargelegt, dass die Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG in erster Linie jenen Frauen zugute kommen sollte, die sich - aufgrund der Änderungen durch die 16. Novelle zum BSVG - für den Aufbau eines eigenen Pensionsanspruches entschieden haben. Im vorliegenden Fall ist zu bedenken, dass zu jenem Zeitpunkt, in dem sich die Antragsteller für eine Pflichtversicherung nach dem BSVG entschieden haben, sie nicht davon ausgehen konnten, dass die in § 122c BSVG normierte vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit keiner Novellierung unterzogen werden würde und die Voraussetzungen ihrer Gewährung jedenfalls unberührt blieben. Die den Antragstellern aufgrund des Gleichheitssatzes zukommende Vertrauensposition ist nicht deshalb verletzt worden, weil im Zeitpunkt ihrer Antragstellung die von ihnen begehrte Pension noch Bestandteil der Rechtsordnung war. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass sich eine allfällige zu schützende Vertrauensposition darauf bezieht, dass im Falle des Eintrittes einer Erwerbsunfähigkeit unter bestimmten Voraussetzungen eine soziale Absicherung besteht. Dass eine solche Absicherung allein durch Gewährung einer Pension nach § 122c BSVG besteht, lässt sich nach Auffassung der Bundesregierung daraus nicht ableiten. Nach der nunmehr geltenden Rechtslage besteht die Möglichkeit, eine Erwerbsunfähigkeitspension gemäß § 123 BSVG zu beantragen, die im Wesentlichen - wie oben aufgezeigt - von jener nach § 122c iVm. § 255 Abs 21 BSVG nicht abweicht.

[...] Insbesondere ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass sich eine schutzwürdiges Vertrauen der Versicherten nicht primär darauf beziehen kann, durch einen Pensionsantritt ab einem bestimmten Alter eine Pension in bestimmter Höhe zu erhalten, sondern darauf, entsprechend versorgt zu sein. Aus diesem Grund können Regelungen, durch die die Zeit des Pensionsantrittes oder die Höhe der Pension geändert werden, nicht von vornherein als verfassungsrechtlich unzulässig qualifiziert werden. Vielmehr kann in solchen Fällen von einen verfassungswidrigen Eingriff nur dann gesprochen werden, wenn der Eingriff vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung unsachlich erscheint. Nach Auffassung der Bundesregierung kann sich ein schutzwürdiges Vertrauen nur darauf beziehen, dass die Versorgung der Normunterworfenen im Falle einer Erwerbsunfähigkeit gesichert ist, nicht aber darauf, dass die Versorgung nur durch die Zuerkennung einer vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit (§122c BSVG) gewährleistet ist. Aus diesem Grund können Bestimmungen, die eine Versorgung im Falle einer Erwerbsunfähigkeit auf andere gleichwertige Weise sichern, nicht als verfassungswidrig angesehen werden.

[...] Darüber hinaus ist zu beachten, dass es nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum das Gesetzgebers liegt, eine einmal erlassene begünstigende Regelung wieder zurück zu nehmen (VfSlg. 11.288/1997). Im Hinblick auf die Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit (§122c BSVG) ergab sich im vorliegenden Fall für den Gesetzgeber die Notwendigkeit, die ursprünglich getroffene Begünstigung der Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG zu beseitigen. Der Gesetzgeber ist offenbar davon ausgegangen, dass nach Aufhebung des § 122c BSVG keine sachlichen Gründe zu erkennen seien, die eine weitere Zuerkennung von Leistungen nach § 255 Abs 21 BSVG rechtfertigen würden. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kann dem Gesetzgeber aber nicht allein deshalb entgegengetreten werden, weil mit der getroffenen Regelung im Einzelfall Härten verbunden sein mögen (VfSlg. 9645/1983, 11.288/1987).

[..] Insoweit das antragstellende Gericht eine Gleichheitswidrigkeit deshalb als gegeben ansieht, weil die rückwirkende Außerkraftsetzung des § 255 Abs 21 BSVG bewirke, dass die Frage der Berechtigung des Pensionsbegehrens von der Zufälligkeit der Dauer das Verfahrens vor den Sozialgerichten abhängig gemacht werde, ist diesem Vorbringen entgegenzuhalten, dass auch bei einer Rechtsänderung pro futuro die Dauer eines Verfahrens und damit die Anwendung der jeweils geltenden Rechtslage von Zufälligkeiten abhängig macht.

In diesem Zusammenhang ist auch auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Übergangsbestimmungen hinzuweisen. So hat der Verfassungsgerichtshof zB anlässlich der Prüfung der Übergangsvorschrift des Slzbg. Raumordnungsgesetzes 1992, LGBl. Nr. 98, ausdrücklich ausgesprochen, dass vom Standpunkt des Gleichheitssatzes gegen eine solche Übergangsbestimmung nichts einzuwenden ist, 'mag es durch diese Regelung auch bei Fällen - wie dem vorliegendem Beschwerdefall - zu Härten kommen, weil ein bereits vor längerer Zeit gestellter Antrag auf Grund der Dauer des Rechtsschutzverfahrens nunmehr dem im Vergleich zur vorhergehenden Rechtslage restriktiven Regime des § 24 Abs 3 ROG 1992 zu unterstellen ist' (VfSlg. 14.268/1995).

Die in diesem Erkenntnis zum Ausdruck kommende Wertung kann nach Ansicht der Bundesregierung auf den vorliegenden Fall übertragen werden, sodass festgehalten werden kann, dass auch dieses im Beschwerdevorbringen dargelegte Bedenken nicht die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung zu begründen vermag.

[...] Nach Auffassung der Bundesregierung ist somit die rückwirkende Aufhebung der Übergangsbestimmung des § 255 Abs 21 BSVG mit Ablauf des sachlich gerechtfertigt und mit den Art 2 StGG und Art 7 B-VG vereinbar.

Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass aus Sicht der Bundesregierung eine Verfassungswidrigkeit des § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF BGBl. I Nr. 101/2001 nicht gegeben ist."

2.2. Auch die Sozialversicherungsanstalt der Bauern und die Klägerinnen der Anlaßverfahren haben je eine Äußerung erstattet; die klagenden Parteien bringen in ihrem Schriftsatz weitere Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen vor.

2.3. Soweit die Anträge zulässig sind, sind sie auch begründet:

2.3.1. Soweit die Bundesregierung ganz allgemein die Sachlichkeit der Aufhebung des § 255 Abs 21 BSVG darzutun sucht, ist darauf mangels diesbezüglicher Bedenken der antragstellenden Gerichte nicht weiter einzugehen.

2.3.2. Entscheidend ist vielmehr, ob der Gesetzgeber diese Aufhebung rückwirkend vornehmen durfte. Es trifft daher die in diesem Zusammenhang vorgetragene Argumentation der Bundesregierung, jede Änderung der Rechtslage könne eine Enttäuschung einer Pensionserwartung bewirken bzw. die Antragsteller hätten zu jenem Zeitpunkt, als sie sich für die Pensionsversicherung nach dem BSVG (also gegen einen Ausnahmeantrag) entschieden hätten, nicht davon ausgehen können, daß § 122c BSVG keiner Novellierung unterzogen werde, nicht den Kern der Sache:

a) Die Rückwirkung der Aufhebung des § 255 Abs 21 BSVG trifft ausschließlich jenen Personenkreis, der in der Zeit vor der Kundmachung der 24. Novelle zum BSVG einen Pensionsantrag gestützt auf diese Bestimmung gestellt und die Anspruchs-voraussetzungen tatsächlich erfüllt hat.

Gemäß § 104 Abs 1 BSVG gilt der Versicherungsfall bei Leistungen aus dem Versicherungsfall des Alters mit Erreichung des Anfallsalters, bei Leistungen aus dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit spätestens mit der Antragstellung als eingetreten. Der für die Feststellung der Leistung maßgebliche Stichtag ist gem. § 104 Abs 2 BSVG der Tag der Antragstellung, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Antragstag folgende Monatserste.

b) Mit der Erreichung der Altersgrenze und der Antragstellung war daher ein Pensionsanspruch nach § 255 Abs 21 iVm § 122c (alt) BSVG in jedem von der Rückwirkung der Aufhebung betroffenen Fall bereits effektuiert und bedurfte lediglich noch der bescheidmäßigen Erledigung.

c) Die rückwirkende Aufhebung des § 255 Abs 21 BSVG bewirkte daher nicht etwa (bloß) eine Enttäuschung einer Erwartungshaltung oder von Dispositionen, die im Hinblick auf die erworbene Anwartschaft bereits vorgenommen wurden (vgl. dazu etwa VfSlg. 11.288/1987, 11.665/1988), sondern sie beseitigte bereits entstandene (und bloß noch nicht bescheidmäßig zuerkannte) Ansprüche.

2.3.3. Für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorgangsweise kommt es nicht darauf an, daß das Vertrauen der Normunterworfenen, gegen Erwerbsunfähigkeit versichert zu sein, nach dem Vorbringen der Bundesregierung im Hinblick auf die (gleichzeitige) Novellierung des § 124 Abs 2 BSVG ohnehin nicht enttäuscht worden sei: Die durch die bereits gestellten Anträge effektuierten Ansprüche konnten nämlich nicht in gleicher Weise (und mit unverändertem Ergebnis) auf § 124 Abs 2 BSVG gestützt werden, der (abgesehen von einer Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen) einerseits das frühestzulässige Anfallsalter um zwei Jahre hinausschob und andererseits nicht in gleicher Weise rückwirkend in Geltung gesetzt worden, sondern - in Ermangelung einer ausdrücklich anderslautenden gesetzlichen Anordnung - erst mit Ablauf des in Kraft getreten ist.

2.3.4. Auch trifft der Hinweis der Bundesregierung, auch bei einer Rechtsänderung pro futuro mache die Dauer eines Verfahrens die Anwendung der Rechtslage von Zufälligkeiten abhängig, im Leistungsrecht der Sozialversicherung nicht zu, wie die Maßgeblichkeit des Stichtages erweist, weshalb der Hinweis der Bundesregierung auf eine zum Raumordnungsrecht ergangene Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes in diesem Zusammenhang völlig fehl geht. Gerade die Rückwirkungsanordnung führte - wie die antragstellenden Gerichte zu Recht betonen - zu einer unsachlichen Verschiedenbehandlung jener Personen, deren auf § 255 Abs 21 BSVG gestütztes Pensionsverfahren im Zeitpunkt der Kundmachung der 24. Novelle zum BSVG (zufällig) bereits abgeschlossen gewesen ist, im Verhältnis zu jenen, die noch nicht im Besitz eines Zuerkennungsbescheides waren oder denen seitens der Sozialversicherungsanstalt im Hinblick auf die beabsichtigte gesetzgeberische Maßnahme einfach kein Zuerkennungsbescheid ausgestellt wurde.

2.3.5. Für die Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung der Aufhebung des § 255 Abs 21 BSVG spricht auch nicht etwa der Gesichtspunkt der Bereinigung eines bloßen Redaktionsversehens: Vom Vorliegen eines solchen Redaktionsversehens bei Erlassung des SVÄG 2000 kann nach dem erklärten Zweck der Norm (nämlich der bewußten Aufrechterhaltung einer günstigeren früheren Rechtslage für einen bestimmten Personenkreis aus Vertrauensschutzgründen) auch unter Berücksichtigung der Absicht des Gesetzgebers des SVÄG 2000 nicht ausgegangen werden, sodaß sich aus dieser Vorgeschichte kein Argument für einen erweiterten gesetzgeberischen Spielraum in der Rückwirkungsfrage gewinnen läßt.

2.3.6. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind rückwirkende Gesetzesänderungen, die die Rechtsposition der Rechtsunterworfenen mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtern, im Lichte des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebotes nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig (vgl. zB VfSlg. 12.186/1989, 12.322/1990, 12.479/1990, 12.673/1991, 12.688/1991, 12.944/1991, 13.020/1992, 13.197/1992, 13.461/1993, 13.980/1994, 14.149/1995, 14.515/1996, 14.861/1997 und 15.060/1997). Der Gerichtshof bleibt bei seiner Ansicht, daß für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher Gesetzesänderungen die Gravität des Eingriffs sowie das Gewicht der für diesen Eingriff sprechenden Gründe maßgeblich sind (VfSlg. 15.231/1998).

Dieser aus dem Gleichheitssatz erfließende Vertrauensschutz bedarf nach der Rechtsprechung schon dann der besonderen Beachtung, wenn Personen bereits während ihrer aktiven Berufstätigkeit ihre Lebensführung auf den Bezug einer später anfallenden Pension eingerichtet haben (vgl. VfSlg. 11.288/1987 und 11.665/1988). Dem Vertrauensschutz kommt nämlich gerade im Pensionsrecht besondere Bedeutung zu (VfSlg. 12.568/1990).

Die rückwirkende Beseitigung des § 255 Abs 21 BSVG führte zu einem derart plötzlichen und intensiven Eingriff in erworbene Rechtspositionen, der einem Eingriff in eine bereits angefallene Pensionsleistung zwar noch nicht gleich-, aber doch in einer Weise nahekommt, daß die gesetzgeberische Maßnahme aus verfassungsrechtlicher Sicht besonders schwerwiegender Gründe zu ihrer Rechtfertigung bedarf.

Solche Gründe vermochte die Bundesregierung, deren Argumentation sich - abgesehen von den vorstehend bereits behandelten Argumenten - auf der allgemeineren Ebene der verfassungsrechtlichen Grenzen von Eingriffen in pensionsrechtliche Anwartschaften bewegt, nicht darzutun.

2.4. Die Bedenken der antragstellenden Gerichte erweisen sich daher als zutreffend.

Die im Spruch genannte Wortfolge des § 280 Abs 1 Z 2 BSVG in der im Spruch genannten Fassung war daher wegen Widerspruchs zu dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz als verfassungswidrig aufzuheben.

2.5. Im Hinblick auf weitere bei ihm anhängige Prüfungsanträge hat der Verfassungsgerichtshof beschlossen, von der ihm gemäß Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen und die Anlaßfallwirkung auch für die im Spruch näher bezeichneten, beim OGH, dem OLG Linz und dem OLG Graz anhängigen Verfahren herbeizuführen. Eine weitere Behandlung dieser Anträge erübrigt sich folglich (vgl. VfSlg. 11.918/1988, 14.503/1996, 15.133/1998).

2.6. Der Ausspruch, daß bisherige Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, gründet sich auf Art 140 Abs 6 B-VG.

3. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG sowie § 2 Abs 1 Z 4 BGBlG, BGBl. Nr. 660/1996.

4. Dies konnte gem. § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.