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VfGH vom 09.10.2003, g41/03

VfGH vom 09.10.2003, g41/03

Sammlungsnummer

17018

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit der im Abfallwirtschaftsgesetz vorgesehenen Verlängerung einer Anpassungsfrist für einzelne Deponien "durch Verordnung" wegen Verstoßes gegen das bundesverfassungsrechtliche Rechtsschutzsystem

Spruch

§ 45a Abs 5 letzter Satz und die Wortfolge "durch Verordnung" in § 45a Abs 7 des Bundesgesetzes vom über die Vermeidung und Behandlung von Abfällen (Abfallwirtschaftsgesetz - AWG), BGBl. Nr. 325/1990, idF BGBl. I Nr. 90/2000 waren verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu B1676/01 und B1414/02 zwei Beschwerdeverfahren gegen Bescheide des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft anhängig, welche jeweils die Zurückweisung von Anträgen auf Verlängerung der Anpassungsfrist nach § 45a Abs 7 Abfallwirtschaftsgesetz (AWG) zum Gegenstand haben:

2. Die beiden vor dem Verfassungsgerichtshof beschwerdeführenden Gemeinden betreiben in Oberösterreich je eine vor dem bewilligte (nunmehr: Massenabfall-)Deponie.

2.1.1. Mit Eingabe vom beantragte die zu B1676/01 beschwerdeführende Gemeinde beim Landeshauptmann von Oberösterreich für die von ihr betriebene Massenabfalldeponie eine Verlängerung der in § 45a Abs 1 Z 2 AWG mit festgelegten Anpassungsfrist betreffend das (in § 5 Z 7 der Deponieverordnung, BGBl. 164/1996, normierte) Verbot der Deponierung bis zum Zeitpunkt der Verfüllung der rechtskräftig genehmigten Einlagerungsmenge, längstens jedoch bis zum .

2.1.2. Bereits im Jahr 2000 richtete die nunmehr zu B1414/02 beschwerdeführende Gemeinde ein gleichsinniges, (aber noch) auf § 31d Abs 7 Wasserrechtsgesetz 1959 (WRG) gestütztes Begehren an den Landeshauptmann von Oberösterreich.

2.2.1. Diese Anträge wies der Landeshauptmann von Oberösterreich mit den Bescheiden vom (B1414/02) und vom (B1676/01) als unzulässig zurück: Eine allfällige Verlängerung der Anpassungsfrist habe gemäß § 45a Abs 7 AWG durch Verordnung zu erfolgen, auf deren Erlassung aber kein (in einem Verwaltungsverfahren durchsetzbarer) Anspruch bestünde.

2.2.2. Den dagegen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft erhobenen Berufungen blieb der Erfolg versagt:

Mit Bescheiden vom (B1676/01) und vom (B1414/02) bestätigte der Bundesminister - im zuletzt genannten Bescheid unter Berufung auf den (im Zeitpunkt der Bescheiderlassung zwar kundgemachten, allerdings noch nicht in Kraft getretenen) § 76 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) - die erstinstanzlichen Bescheide.

3. In den gegen diese Bescheide des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft gemäß Art 144 B-VG erhobenen Beschwerden erachten sich die beschwerdeführenden Gemeinden in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz, Freiheit der Erwerbsausübung und Unversehrtheit des Eigentums insbesondere wegen Anwendung des für verfassungswidrig erachteten § 45a Abs 1 Z 2 AWG verletzt und beantragen die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

4. Bei Behandlung der Beschwerden sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 45a Abs 5 letzter Satz und der Wortfolge "durch Verordnung" im § 45a Abs 7 AWG, BGBl. 325/1990, idF BGBl. I 90/2000 entstanden. Er hat daher mit Beschluss vom von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren gegen die genannten Gesetzesstellen eingeleitet. Hiezu haben ihn die folgenden Erwägungen bestimmt:

4.1.1. Die in Prüfung gezogene Regelung fand erstmals im Zuge der so genannten Wasserrechtsgesetznovelle Deponien, BGBl. I 59/1997, durch die § 31d Abs 3 bis 7 WRG neu erlassen wurde, Eingang in die Rechtsordnung. Die WRG-Novelle Deponien hat die Anpassung (am ) bestehender Deponien an den (durch die Deponieverordnung, BGBl. 164/1996, für nach dem AWG zu genehmigende Neuanlagen festgelegten) Stand der Technik zum Gegenstand.

Mit der (- von einigen, hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen - am in Kraft getretenen) so genannten AWG-Novelle Deponien, BGBl. I 90/2000, wurde diese Regelung im Wesentlichen inhaltsgleich in das AWG (§45a) (unter gleichzeitiger Aufhebung des § 31d Abs 3 bis 7 WRG) übernommen und ist seit Erlassung des AWG 2002 in dessen § 76 enthalten.

4.1.2. Auf das Wesentliche zusammengefasst war bzw. ist in den genannten gesetzlichen Bestimmungen vorgesehen, dass Betreiber von am bestehenden, abfall- oder wasserrechtlich genehmigten Deponien bis der Wasserrechtsbehörde mitzuteilen hatten, ob die Deponie bis aufgelassen wird oder welchem Deponietyp die Anlage durch Anpassung an den Stand der Technik entsprechen soll (§31d Abs 3 lita und b WRG; vgl. in der Folge: § 45a Abs 1 Einleitungssatz AWG bzw. § 76 Abs 1 AWG 2002).

Ab waren von allen Deponiebetreibern insbesondere die Anforderungen der Deponieverordnung betreffend Deponieeinrichtungen, Deponiepersonal, Abfalleinbau, Emissions- und Immissionskontrolle, Kontrolle des Deponiekörpers, Dokumentation und Deponieaufsicht einzuhalten (näher § 31d Abs 3 litc Z 1 WRG; vgl. später § 45a Abs 1 Z 1 lita AWG bzw. § 76 Abs 1 Z 1 lita AWG 2002). Wurde die Deponie weiter betrieben, waren ab vor allem die Maßnahmen der Deponieverordnung betreffend Qualitätskriterien für Bodenaushub- und Baurestmassendeponien, Verbot der Deponierung bestimmter Abfälle auf diesen Deponien, Wasserhaushalt, Deponiegasbehandlung und Sonderbestimmungen für verfestigte Abfälle einzuhalten (näher § 31d Abs 3 litc Z 2 WRG bzw. § 45a Abs 1 Z 1 litb AWG, § 76 Abs 1 Z 1 litb AWG 2002).

Ab sind auch die Maßnahmen hinsichtlich Qualitätskriterien für (die Zuordnung von Abfällen zu) Reststoff- und Massenabfalldeponien, Verbot der Deponierung auf diesen Deponien, Gesamtbeurteilung von Abfällen, Eingangskontrolle, Identitätskontrolle und Rückstellproben einzuhalten (§31d Abs 3 litc Z 3 WRG; § 45a Abs 1 Z 2 AWG; § 76 Abs 1 Z 2 AWG 2002).

Für die drei Anpassungsstufen gemäß § 31d Abs 3 litc WRG (später: § 45a Abs 1 AWG bzw. § 76 Abs 1 AWG 2002) konnte die (Wasserrechts-)Behörde - ausgenommen das Verbot der Deponierung gemäß § 5 Deponieverordnung - mit Bescheid eine Nachfrist gewähren (§31d Abs 5 WRG; § 45a Abs 5 AWG und § 76 Abs 5 AWG 2002). § 31d Abs 7 WRG (später: § 45a Abs 7 AWG bzw. § 76 Abs 7 AWG 2002) ermächtigte den Landeshauptmann, das in § 5 Z 7 Deponieverordnung normierte Verbot der Deponierung (5 Masseprozent TOC) unter bestimmten Voraussetzungen mit Verordnung bis längstens hinauszuschieben.

4.1.3. Der für die Beurteilung der vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpften Bescheide maßgebliche § 45a AWG idF BGBl. I 90/2000 lautet(e) (die als verfassungswidrig erkannten Gesetzesstellen sind hervorgehoben):

"Bestehende Deponien

§45a. (1) Betreiber von am bestehenden, nach § 29 Abs 1 genehmigten oder wasserrechtlich bewilligten, noch nicht ordnungsgemäß stillgelegten oder geschlossenen Deponien haben entsprechend dem der gemäß Wasserrechtsgesetz 1959 in der Fassung BGBl. I Nr. 59/1997 zuständigen Behörde bis zum mitgeteilten Deponietyp folgende Anforderungen des Standes der Deponietechnik einzuhalten:

1. a) die Anforderungen betreffend Deponieeinrichtungen, Deponiepersonal, Abfalleinbau, Emissions- und Immissionskontrolle und Kontrolle des Deponiekörpers, Dokumentation und Deponieaufsicht, soweit sie sich nicht auf die in Z 2 genannten Anforderungen beziehen; für noch nicht bewilligungsgemäß abgedeckte Schüttbereiche zusätzlich die Anforderungen betreffend Deponieoberflächenabdeckung; für noch nicht ausgebaute bewilligte Deponieabschnitte zusätzlich die Anforderungen betreffend Vorflut, Standsicherheit, Deponierohplanum, Deponiebasisdichtung, Basisentwässerung und Qualitätssicherung;

b) die Anforderungen betreffend Zuordnung von Abfällen zu Bodenaushub- oder Baurestmassendeponien, Verbot der Deponierung auf Bodenaushub- oder Baurestmassendeponien, Wasserhaushalt, Deponiegasbehandlung (soweit reaktive deponiegasbildende Abfälle abgelagert wurden oder werden) und besondere Bestimmungen für verfestigte Abfälle, ferner - soweit dies die Überwachung der Einhaltung des Konsenses betrifft - die Anforderungen betreffend Gesamtbeurteilung von Abfällen, besondere Bestimmungen zur Gesamtbeurteilung, Eingangskontrolle, Identitätskontrolle und Rückstellproben;

2. ab die Anforderungen betreffend Zuordnung von Abfällen zu Reststoff- oder Massenabfalldeponien, Verbot der Deponierung, Gesamtbeurteilung von Abfällen, besondere Bestimmungen zur Gesamtbeurteilung, Eingangskontrolle, Identitätskontrolle und Rückstellproben.

(2) Der Deponiebetreiber einer Bodenaushub-, Baurestmassen-, Reststoff- oder Massenabfalldeponie hat bis spätestens eine angemessene Sicherstellung gemäß § 30b Abs 8 zu leisten.

(3) Die gemäß Abs 1 Z 2 erforderlichen Anpassungsmaßnahmen sind dem Landeshauptmann spätestens sechs Monate vor dem genannten Termin anzuzeigen; § 30d Abs 7 bis 9 gilt sinngemäß. Abweichungen von den nach § 29 Abs 18 verordneten Anforderungen können in sinngemäßer Anwendung des § 29 Abs 20 gewährt werden. Davon ausgenommen ist das Verbot der Deponierung. Anpassungsmaßnahmen bedürfen keiner Genehmigung, soweit dadurch nicht fremde Rechte (§12 Abs 2 Wasserrechtsgesetz 1959) ohne Zustimmung der Betroffenen in Anspruch genommen werden.

(4) Hat der Deponiebetreiber eine unwiderrufliche Erklärung gemäß § 31d Abs 3 lita Wasserrechtsgesetz 1959 in der Fassung BGBl. I Nr. 59/1997 abgegeben, sind die in § 31d Abs 3 lita Wasserrechtsgesetz 1959 in der Fassung BGBl. I Nr. 59/1997 genannten Anforderungen einzuhalten.

(5) Auf Deponien, die den in Abs 1 genannten Anforderungen nicht entsprechen, dürfen bis zur erfolgten Anpassung keine Abfälle eingebracht werden. Auf Antrag des Anpassungspflichtigen hat die Behörde in besonders gelagerten Einzelfällen, deren Ursachen nicht vom Deponiebetreiber zu vertreten sind, eine nach den Umständen des Falles angemessene Nachfrist zu gewähren. Der Antrag ist spätestens sechs Monate vor Ablauf der Anpassungsfrist zu stellen. Durch den Antrag wird der Ablauf der Anpassungsfrist bis zur rechtskräftigen Entscheidung gehemmt. Ein Antrag auf Fristerstreckung hinsichtlich des Verbots der Deponierung (§5 Deponieverordnung, BGBl. Nr. 164/1996) ist nicht zulässig.

(6) Nicht dem Deponietyp oder nicht dem bisherigen Konsens entsprechende Abfälle dürfen nach Maßgabe des Abs 1 nicht weiter abgelagert werden. Der Landeshauptmann kann mit Bescheid feststellen, inwieweit die genehmigten oder bewilligten Abfälle dem mitgeteilten Deponietyp entsprechen. Der Landeshauptmann kann ferner mit Bescheid zulassen, dass die dem bisherigen Konsens entsprechenden Abfälle nach einer dem Stand der Technik entsprechenden Vorbehandlung abgelagert werden dürfen, wenn dies dem gewählten Deponietyp entspricht und nachteilige Auswirkungen auf die Erfordernisse des § 30b Abs 4 nicht zu erwarten sind; die Ablagerung dieser vorbehandelten Abfälle darf nur erfolgen, soweit die Anpassung der Deponie an den Stand der Deponietechnik gemäß Abs 1 Z 2 abgeschlossen ist.

(7) Der Landeshauptmann kann unter Bedachtnahme auf die wasser- und abfallwirtschaftlichen Erfordernisse durch Verordnung die Anpassungsfrist gemäß Abs 1 Z 2 für das in § 5 Z 7 Deponieverordnung, BGBl. Nr. 164/1996, normierte Verbot der Deponierung für noch nicht ordnungsgemäß stillgelegte oder noch nicht geschlossene Deponien bis zur Verfüllung der rechtskräftig genehmigten Einlagerungsmenge, längstens jedoch bis , verlängern, wenn

1. a) die rechtskräftige Genehmigung der Deponie nach dem und vor dem nach § 29 oder nach dem Wasserrechtsgesetz 1959 erteilt wurde,

b) die Deponie zumindest den Anforderungen der Richtlinien für Mülldeponien des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft und des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie aus dem Jahre 1988 entspricht,

c) die Anpassung an den Stand der Technik gemäß Abs 1 Z 1 bis abgeschlossen ist,

d) die insgesamt abgelagerte Menge pro Deponie ab dem nicht mehr als 500 000 t beträgt und die jährlich abgelagerte Menge nicht größer als die Durchschnittsmenge der Kalenderjahre 1994 bis 1996 ist und

e) das jeweilige Bundesland bis die Verpflichtung der Nachsorge (Finanzierung von Maßnahmen wie zB Instandhaltung der erforderlichen Infrastruktur, Sickerwassererfassung oder Gasbehandlung) für die vom Verbot der Deponierung gemäß § 5 Z 7 Deponieverordnung, BGBl. Nr. 164/1996, ausgenommenen Deponien nach deren Stilllegung oder Schließung übernommen hat, oder

2. a) auf den betroffenen Deponien nur Abfälle aus demselben Bundesland gelagert werden,

b) der im selben Bundesland eingesammelte Restmüll im überwiegenden Ausmaß einer thermischen Behandlung unterzogen wird und

c) die Voraussetzung nach Z 1 litc erfüllt ist."

4.1.4. Das AWG (und damit auch der soeben wiedergegebene § 45a) ist gemäß § 91 Abs 4 und 5 AWG 2002, BGBl. I 102, am außer Kraft getreten. Gleichzeitig ist das AWG 2002, dessen § 76 eine dem § 45a AWG nahezu wortgleiche Anpassungsbestimmung für bestehende Deponien enthält, in Kraft getreten (§91 Abs 1 AWG 2002).

4.2. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Einleitungsbeschluss mit näherer Begründung vorläufig von der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen aus und hegte gegen diese Gesetzesbestimmungen das Bedenken, dass die dort vorgesehene Verlängerung der Anpassungsfrist "durch Verordnung" der Bundesverfassung und speziell dem bundesverfassungsgesetzlichen Rechtsschutzsystem widerspricht. Er fasste seine Bedenken im Prüfungsbeschluss wie folgt zusammen:

"Die ausdrückliche gesetzliche Anordnung der Verwendung der Verordnungsform für die im Einzelfall vorgesehene Verlängerung der Anpassungsfrist für Deponien im § 45a Abs 7 AWG ebenso wie der Ausschluss einer bescheidmäßigen Erledigung eines entsprechenden Antrages auf Fristerstreckung in § 45a Abs 5 letzter Satz AWG dürften sohin nicht nur der verfassungsrechtlich gebotenen, 'strengen' (VfSlg. 3892/1961) Unterscheidung zwischen generellen und individuellen verwaltungsbehördlichen Normen widersprechen. Sondern darüber hinaus geht der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass auch der verfassungsrechtlich gemäß Art 132 B-VG gebotene Rechtsschutz bei Verletzung der Entscheidungspflicht durch Verwaltungsbehörden in verfassungswidriger Weise dadurch unterlaufen wird, dass die im Einzelfall rechtsgestaltende Entscheidung über die Fristverlängerung durch Verordnung getroffen werden soll, deren Erlassung durch Rechtsbehelfe nicht erzwungen werden kann."

5. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie vorweg die abfallwirtschaftliche Bedeutung bzw. Notwendigkeit der Vorbehandlung von biologisch abbaubaren Abfällen vor deren Deponierung hervorhebt und beantragt, dass der Verfassungsgerichtshof aussprechen wolle, dass der letzte Satz des § 45a Abs 5 und die Wortfolge "durch Verordnung" in § 45a Abs 7 des Abfallwirtschaftsgesetzes, BGBl. 325/1990, idF BGBl. I 90/2000 nicht verfassungswidrig waren, indem sie den vom Verfassungsgerichtshof geäußerten Bedenken wie folgt entgegnet:

"3. Zur verfassungsrechtlich gebotenen Unterscheidung zwischen generellen und individuellen verwaltungsbehördlichen Normen

3.1. Nach § 45a Abs 7 AWG kann der Landeshauptmann das gesetzliche Verbot der Ablagerung von Abfällen durch Verordnung erstrecken. Der Gesetzgeber hat dabei bewusst - im Unterschied zur Fristgewährung nach § 45a Abs 5 AWG - zur Rechtsverwirklichung die Erlassung einer Verordnung vorgesehen; nach Ansicht der Bundesregierung erfolgte dies zu Recht:

3.2. § 45a Abs 1 Z 2 AWG dient der Verwirklichung einer gesamthaften Ordnung der Abfallwirtschaft. Dies gilt auch für die nach § 45a Abs 7 AWG mit Verordnung vorzusehende Ausnahmeregelung. Beide Regelungen, sowohl die gesetzliche Vorgabe des § 45a Abs 1 Z 2 AWG als auch die Ausnahmeregelung nach § 45a Abs 7 AWG, enthalten Vorgaben an die Qualität von abzulagernden Abfällen insbesondere im Hinblick auf die Verringerung des Treibhauseffektes und den Schutz des Grundwassers.

3.3. Was nun die Frage der Zuordnung eines Aktes der Verwaltung zu einer bestimmten Rechtssatzform - Verordnung oder Bescheid - betrifft, so ist zunächst zu bemerken, dass dem Gesetzgeber grundsätzlich - innerhalb verfassungsrechtlicher Schranken - eine gewisse Beurteilungsprärogative zukommt (vgl. Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht [1998] Rn. 783).

Die Ausnahmeregelung nach § 45a Abs 1 Z 2 iVm Abs 7 AWG stellt eine abfallwirtschaftsrechtliche Maßnahme mit Lenkungseffekt dar, deren primärer Regelungszweck darin besteht, sicherzustellen, dass die Anforderungen an abzulagernde Abfälle den umweltpolitischen Vorgaben entsprechen. Es handelt sich daher um eine sachbezogene Regelung. Die Regelung der Qualität von Abfällen steht eindeutig im Vordergrund. Adressat einer Ausnahmeregelung von § 45a Abs 7 AWG ist aber nicht nur - wovon allerdings der Verfassungsgerichtshof vorläufig auszugehen scheint - der Deponiebetreiber allein, Adressaten sind vielmehr alle Personen, die mit diesen Abfällen umgehen. Neben dem Betreiber von Deponien sind dies auch andere an der Abfallwirtschaft Beteiligte, etwa die Vertragspartner von Deponiebetreibern (Anlieferer, Abfallsammler) sowie Abfallerzeuger, die Abfälle entweder weiterhin direkt der Deponie übergeben können oder aber zunächst einer Verbrennung oder mechanisch-biologischen Behandlung zuführen müssen.

'Sachbezogene' Regelungen bzw. Regelungen von 'Angelegenheiten' sind in Verordnungsform zu treffen (vgl. Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht³ [1996] 157 zur Zulassung von Baustoffen; vgl. weiters Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht [1998] Rn. 788 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Verbot der Prostitution in individuell bestimmten Häusern).

3.4. Der Landeshauptmann hat bei Erlassung einer Verordnung nach § 45a Abs 7 Einleitungssatz AWG 'auf die wasser- und abfallwirtschaftlichen Erfordernisse' Bedacht zu nehmen; dabei hat er eine Reihe von umweltrechtlichen und -politischen Voraussetzungen zu prüfen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Ablagerung von - nach allenfalls erforderlicher Vorbehandlung - inerten, nachsorgearmen Abfällen den Prinzipien der Nachhaltigkeit und der Vorsorge, des Bundesverfassungsgesetzes über einen umfassenden Umweltschutz und den Zielen der Abfallwirtschaft, insbesondere zum Schutz des Klimas und des Grundwassers, am weitesten entspricht. Der Verordnungsgeber hat aber auch die möglichst weit gehende Umsetzung der Entsorgungsautarkie und des Prinzips der Nähe sowie die Planungen der Bundesländer hinsichtlich der Beseitigungsanlagen für nicht gefährliche Abfälle und die faktischen Gegebenheiten (vorhandene Vorbehandlungskapazitäten) in seine Überlegungen einzubeziehen.

Für die Erlassung einer Verordnung gemäß § 45a Abs 7 AWG war daher wesentlich, dass keine ausreichenden (Vor-)Behandlungskapazitäten in angemessener Entfernung (Prinzip der Nähe) der jeweiligen Deponie, für welche das Deponieverbot gemäß § 5 Z 7 Deponieverordnung aufgeschoben werden soll, vorhanden sind. Dabei sind insbesondere inländische Kapazitäten zu berücksichtigen.

Folgende Vorbehandlungskapazitäten werden - nach dem Kenntnisstand des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft - mit zur Verfügung stehen:

Bundesland am anfallender

vorhandene Restabfall im

Kapazitäten (t/a) Jahr 2001 (t)

Burgenland 45.000 66.611

Kärnten 80.000 146.806

Niederösterreich 457.000 446.861

Oberösterreich 1.014.000 289.056

Salzburg 224.900 152.954

Steiermark 374.000 289.880

Tirol 13.500 171.800

Vorarlberg 0 97.757

Wien 700.000 571.952

In Oberösterreich wären somit ausreichende Vorbehandlungskapazitäten vorhanden (was der Erlassung einer Verordnung nach § 45a Abs 7 AWG bzw. § 76 Abs 7 AWG 2002 durch den Landeshauptmann von Oberösterreich wohl entgegenstünde).

Nur wenn die Überprüfung der wasser- und abfallwirtschaftlichen Erfordernisse zum Ergebnis führt, dass eine Verordnung erlassen werden kann, hat der Landeshauptmann in einem weiteren Schritt zu überprüfen, welche Deponien in seinem Bundesland, in deren angemessener Entfernung keine ausreichenden Vorbehandlungskapazitäten vorhanden sind, die Kriterien gemäß § 45a Abs 7 Z 1 bzw. § 45a Abs 7 Z 2 AWG erfüllen.

Für diese Deponien kann der Landeshauptmann - unter allfälligem Ausschluss bestimmter Deponien auf Grund der wasserwirtschaftlichen Erfordernisse (etwa Wasserschutzgebiet; Heilquellenschutzgebiet) - eine Verordnung erlassen. Zweckmäßigerweise werden diese Deponien in der Verordnung gesondert angeführt.

3.5. Die flächendeckende Errichtung und Inbetriebnahme von Vorbehandlungsanlagen bis zu einem fix vorgegebenen Datum () ist schon allein wegen des sehr großen Investitionsvolumens (die Errichtung einer Verbrennungsanlage kostet ab 65 Mio. Euro) und der erforderlichen Genehmigungen ein sehr ambitioniertes Vorhaben. Es war daher die Einräumung eines Übergangszeitraumes ( bis ) notwendig, der bundesländerspezifisch unter Bedachtnahme der abfall- und wasserwirtschaftlichen Erfordernisse genutzt werden kann oder muss. Eine Verordnung des Landeshauptmannes nach § 45a Abs 7 AWG weist somit nach Ansicht der Bundesregierung auch Elemente einer planerischen, gebietsbezogenen Maßnahme auf. Gebietsbezogene Regelungen werden im österreichischen Recht überwiegend mit Verordnung getroffen (vgl. etwa aus der Rechtsprechung zur Qualifikation als Verordnung von Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen, VfSlg. 12.926/1991, von Bodenmarkierungen, VwSlg. 12.524, einer Kundmachung des Bürgermeisters über die beabsichtigte Aufstellung eines Bebauungsplanes für ein bestimmtes Gebiet, VfSlg. 14.045/1995 vgl. Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht [1998] Rn. 789).

Auch dieser Umstand spricht somit dafür, die in § 45a Abs 7 AWG vorgesehene Ausnahmeregelung in Verordnungsform zu treffen.

Eine Verordnung nach § 45a Abs 7 AWG stellt eine regionale gesamtabfall- und wasserwirtschaftliche Maßnahme dar. Die Auswirkungen der Ausnahmeregelung auf individuell bekannte Deponiebetreiber sind nur sekundäre Folge einer primär sachbezogenen Regelung; dies steht einer gesetzlichen Grundlage, die die Erlassung einer Verordnung vorsieht, nicht entgegen.

3.6. Die Erfordernisse in § 45a Abs 7 Z 1 lita bis e AWG sollen lediglich sicherstellen, dass die Ausnahmeverordnung nur für solche Deponien genutzt werden kann, die einen hohen technischen Standard aufweisen und deren Nachsorge gesichert ist. Die Begrenzung der Ablagerungsmenge soll allfälligem 'Mülltourismus' vorbeugen. Die Bundesregierung vermag daher der vorläufigen Auffassung des Verfassungsgerichtshofes, wonach eine Verlängerung der Anpassungsfrist 'durch Verordnung' der Bundesverfassung und speziell dem bundesverfassungsrechtlichen Rechtsschutzsystem widerspreche, nicht zu folgen.

4. Zum verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutz bei Verletzung der Entscheidungspflicht

4.1. Dem zweiten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, wonach bei Erlassung einer Verordnung der verfassungsrechtlich gemäß Art 132 B-VG gebotene Rechtsschutz gegen Verletzung der Entscheidungspflicht unterlaufen werde, ist Folgendes entgegenzuhalten:

4.2. 'Art 132 B-VG gewährt Rechtsschutz in den Fällen, in denen jemand einen Rechtsanspruch darauf hat, dass eine Verwaltungsbehörde einen Bescheid erlässt [...]. Voraussetzung ist also, dass der Betroffene ein subjektives Recht auf Tätigwerden der Behörde hat' (so - stellvertretend für viele Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht3 [2002] 401).

4.3. Rechtsschutz nach Art 132 B-VG kommt - dies ist unbestritten - in dieser Angelegenheit (§45a Abs 7 AWG) nicht in Betracht.

4.4. Es bestand aber entgegen der vom Verfassungsgerichtshof vertretenen vorläufigen Rechtsansicht auch kein Anlass für die Gestaltung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausnahmeregelung nach § 45a Abs 7 AWG mit der Möglichkeit des Rechtsschutzes nach Art 132

B-VG.

Daran ändert auch die Betroffenheit des Deponiebetreibers nichts.

Regelungsinhalt von § 45a Abs 7 AWG ist nämlich nicht eine 'Betriebsverlängerung' der Deponie über den hinaus (vgl. den oz. do. Beschluss Seite 9 oben), sondern vielmehr die Qualität der abzulagernden Abfälle. In den Konsens zum Betrieb der Anlage betreffend die Ablagerungsmenge, den Umfang der Deponie usw. wird hingegen nicht eingegriffen.

Die Bundesregierung verweist in diesem Zusammenhang auf das System der Flächenwidmung nach den Raumordnungsgesetzen der Länder. Auch dieses Rechtsgebiet ist durch ein 'bloßes' Verordnungsmodell (Flächenwidmungsplan) charakterisiert und sieht keine Einräumung von Parteistellung und subjektiven Rechten und keine Erlassung von Bescheiden vor.

Andere vergleichbare 'bloße' Verordnungsmodelle sind etwa im Stadterneuerungsgesetz, BGBl. Nr. 287/1974 und im Wasserrechtsgesetz 1959, BGBl. Nr. 215, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 156/2002, vorgesehen (vgl. § 1 des Stadterneuerungsgesetzes:

Erklärung zum Assanierungsgebiet durch Verordnung, § 33f WRG:

Festlegung von Nutzungsbeschränkungen oder Anordnung von Reinhaltemaßnahmen durch Verordnung).

4.5. Bestünde ein Rechtsanspruch der Deponiebetreiber auf Erlassung eines Ausnahmebescheides bis , wäre der Landeshauptmann in seiner Planung massiv eingeschränkt und könnte nicht ausreichend auf die abfallwirtschaftlichen Erfordernisse im Bundesland eingehen. Er könnte nicht landesweit agieren, sondern nur einzelfallbezogen. Auch bestünde die Gefahr, dass fertig errichtete Vorbehandlungsanlagen jahrelang nicht oder nicht ausreichend genutzt werden. Die mangelnde Planungsmöglichkeit könnte einen schweren volkswirtschaftlichen Schaden nach sich ziehen.

5. Zur überschießenden Wirkung eines Ausspruches, dass § 45a Abs 5 letzter Satz AWG verfassungswidrig war

5.1. § 45a Abs 5 letzter Satz AWG schließt die Gewährung einer Nachfrist hinsichtlich sämtlicher in § 5 der Deponieverordnung angeführter Verbote der Deponierung (vgl. § 5 Z 1 bis 10 der Deponieverordnung) durch Bescheid aus.

In § 45a Abs 7 AWG wollte der Gesetzgeber nun die Möglichkeit schaffen, nur ein bestimmtes Deponierungsverbot, nämlich jenes nach § 5 Z 7 der Deponieverordnung, erst zu einem späteren Zeitpunkt wirksam werden zu lassen.

5.2. Ein Ausspruch, dass § 45a Abs 5 letzter Satz AWG verfassungswidrig war, wäre daher insofern überschießend, als damit auch für alle anderen Verbote der Deponierung nach § 5 der Deponieverordnung die Gewährung einer Nachfrist durch Bescheid nicht mehr ausgeschlossen gewesen wäre.

Dies war aber nicht die Intention des Gesetzgebers; dieser wollte keinesfalls die bescheidmäßige Gewährung einer Nachfrist für alle Verbote der Deponierung vorsehen, zumal für die Einhaltung der Verbote für bestehende Deponien ohnehin eine mehr als sechsjährige Übergangsfrist eingeräumt worden ist."

6. Die Landeshauptleute, die nach § 45a Abs 7 AWG (nunmehr: § 76 Abs 7 AWG 2002) zur Erlassung einer die Frist für das Deponierungsverbot erstreckenden Verordnung ermächtigt worden sind, wurden vom Verfassungsgerichtshof um Mitteilung gebeten, ob derartige Verordnungen erlassen wurden bzw. aus welchen Gründen von einer Erlassung abgesehen wurde und ob Deponiebetreiber versuchten, eine Fristerstreckung im Antragsweg zu erreichen. Aus den Antworten ergibt sich folgendes Bild:

Nur im Bundesland Tirol gibt es (bisher) eine - noch auf Basis des § 31d Abs 7 WRG erlassene - derartige Verordnung für insgesamt sechs Deponien mit einer Verlängerung der Anpassungsfrist bis .

In den Bundesländern Wien und Vorarlberg sind auf Basis des nunmehr geltenden § 76 Abs 7 AWG 2002 derartige Verordnungen geplant, ohne dass (bislang) ein (formelles) Ansuchen von Deponiebetreibern vorliegt.

In Oberösterreich - jenem Bundesland, aus welchen die zwei Anlassbeschwerden stammen - ebenso wie im Burgenland wurden formelle Anträge von Deponiebetreibern auf Fristerstreckung jeweils zurückgewiesen. Der Landeshauptmann von Oberösterreich teilte mit, dass die Voraussetzungen für eine Verordnung gemäß § 45a Abs 7 Z 1 lite AWG (nunmehr: § 76 Abs 7 Z 1 lite AWG 2002; Übernahme der Nachsorgeverpflichtung durch das Land Oberösterreich) und Z 2 litb [Verpflichtung zur thermischen Behandlung der im Bundesland eingesammelten Siedlungsabfälle "im überwiegenden (d.h. mehr als 50 %-igem) Ausmaß"] fehlten.

Aus den Ländern Salzburg und Kärnten wird von Anfragen von Deponiebetreibern wegen einer Fristerstreckung berichtet; ein Antrag auf Fristersteckung wurde in weiterer Folge nicht gestellt. Insgesamt geht man im Land Salzburg - betonend, dass es sich bei der Entscheidung über ein Begehren auf Fristerstreckung auch um eine "politische Entscheidung" handelt - zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass das Deponierungsverbot ab dem Jahr 2004 eingehalten werden kann.

In Niederösterreich und in der Steiermark wurden bislang keine (formellen) Anträge auf Fristerstreckung an den Landeshauptmann gerichtet. Der Landeshauptmann von Steiermark teilte mit, dass sich die gesamte private und öffentliche Entsorgungswirtschaft auf die gesetzlich normierte Anpassungsfrist bis 2004 eingestellt und im Hinblick darauf Investitionen getätigt habe, "die bei einer Verlängerung der Frist zu massivsten Problemen bei diesen Betrieben führen würde (negative Absaugeffekte zu Lasten der dem Stande der Technik entsprechenden Abfallbehandlung und dadurch Durchbrechung des einheitlichen österreichischen Wirtschaftsgebietes)".

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Keine der Verfahrensparteien ist den Annahmen des Verfassungsgerichtshofes entgegengetreten, dass die Beschwerden zulässig sind und dass er bei deren Beurteilung die in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen anzuwenden hat. Da auch sonst nichts hervorgekommen ist, was einer meritorischen Erledigung hindernd entgegenstünde, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, dass die Verwendung der Verordnungsform für die Verlängerung der gesetzlichen Anpassungsfrist für einzelne Deponien dem bundesverfassungsgesetzlichen Rechtsschutzsystem widerspricht, trifft zu:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat seinem Verständnis des verfassungsrechtlichen Rechtsschutzkonzepts von jeher (vgl. VfSlg. 2071/1950, 6490/1971, 9499/1982, 9873/1983, 10.882/1986) die Unterscheidung der Verordnung als eine an die Allgemeinheit überhaupt oder an nach Gattungsmerkmalen bezeichnete Gruppen der Bevölkerung gerichtete Rechtsnorm vom individuellen Verwaltungsakt, dem Bescheid, zugrunde gelegt. Stets (vgl. nur VfSlg. 1685/1948 unter Verweis auf VfSlg. 313/1924, ferner VfSlg. 3820/1960, 3859/1960) ging er davon aus, dass Bescheide nicht in Form von generellen Normen, "also auch nicht in Form von Verordnungen erlassen werden" dürfen. In VfSlg. 1685/1948 führte er aus: "Die Unterscheidung der generellen Verordnung von den individuellen Akten der Vollziehung gehört seit jeher zu den fundamentalen Grundsätzen der demokratischen Verfassung"; und VfSlg. 3820/1960 zufolge wird "[d]ieser der gesamten Verfassungsrechtsordnung eigentümliche Grundsatz ... durch die Vorschriften des B.-VG. über den Verwaltungsgerichtshof und den Verfassungsgerichtshof besonders deutlich. Andernfalls wäre den individuell bestimmten Adressaten solcher in die Form genereller Vorschriften gekleideter Normen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der Beschwerde bei den beiden Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts verwehrt". Demzufolge wurde in VfSlg. 3859/1960 ausgesprochen, dass eine individuelle verwaltungsbehördliche Festsetzung, die "in die Form einer Kundmachung gekleidet" wird, der Verfassung widerspricht, "die es nicht zuläßt, Bescheide in der Form der Verordnung zu erlassen". Bekräftigt wurde diese Auffassung in VfSlg. 3892/1961:

"Der verfassungsrechtlichen Ordnung der Verwaltung durch das Bundes-Verfassungsgesetz liegt die strenge Unterscheidung zwischen generellen und individuellen Normen zugrunde. Diesem fundamentalen Grundsatz tragen die Rechtsschutzeinrichtungen Rechnung. Eine Übertragung von Einrichtungen des Rechtsschutzes gegen Individualakte der Verwaltung auf deren generelle Tätigkeit ist bei der grundsätzlichen Verschiedenheit dieser beiden Tätigkeiten einem nur einfachen Gesetze verwehrt. Die von der Bundesverfassung vorgesehenen Rechtsschutzeinrichtungen zwingen zu dem Schluß, daß diese Materie im Prinzip abschließend und vollständig geregelt ist ..."

Zwar wurde das vom Verfassungsgerichtshof in der geschilderten Judikatur wahrgenommene Rechtsschutzdefizit, das bei Verwendung der Form der Verordnung für die Erlassung individueller Verwaltungsakte entstand, vom Verfassungsgesetzgeber im Wege der B-VG-Novelle BGBl. 302/1975 dadurch gemindert, dass gemäß Art 139 Abs 1 dritter Satz B-VG unter bestimmten, auf ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis abstellenden Voraussetzungen auch Verordnungen von Einzelpersonen beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden können. Gleichwohl "liegt ein 'Mißbrauch der Form' durch den einfachen Gesetzgeber vor, was zur Verfassungswidrigkeit der betreffenden gesetzlichen Regelung führt", wenn "Rechtsakte mit Rechtswirkungen ausgestattet sind, für deren Erzeugung die Verfassung nicht die Form der [Verordnung], sondern ... die Form des Bescheides vorsieht ..." (so Mayer, Die Verordnung, 1977, S 22; ähnlich Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1998, Rz 783).

2.2. Zwar ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber als tatbestandliche Grundlage für die Erlassung einer Verordnung die Verhältnisse eines Einzelfalles heranzieht. § 45a Abs 7 AWG ermächtigt jedoch den Landeshauptmann, die gesetzliche Anpassungsfrist (d.i. der gemäß § 45a Abs 1 Z 2 AWG) für konkrete einzelne Deponien bis längstens zu verlängern. Dass es sich dabei um eine Betriebsverlängerung für individuell zu bezeichnende Deponien bzw. um einen rechtsgestaltenden individuellen Verwaltungsakt für den Betreiber einer entsprechenden Deponie handelt, zeigen die gesetzlich angeordneten Voraussetzungen für die Verlängerung der Anpassungsfrist: Vom Gesetzgeber wird nämlich auf die rechtskräftige Genehmigung der jeweiligen Deponie einschließlich der Verfüllung der für diese rechtskräftig genehmigten Einlagerungsmenge abgestellt, ferner auf den Umfang der insgesamt abgelagerten Menge "pro Deponie ab dem ", auf die für jede Deponie zwangsläufig gesondert zu betrachtende Anpassung an den Stand der Technik sowie darauf, dass die jeweilige Deponie den Anforderungen der ministeriellen Richtlinien für Mülldeponien entspricht, sowie dass das jeweilige Bundesland die Verpflichtung zur Nachsorge für derartige Deponien im Einzelfall übernommen hat. Alternativ wird vom Gesetzgeber darauf abgestellt (§45a Abs 7 Z 2 AWG), dass "auf den betroffenen Deponien", welche ebenfalls dem Stand der Technik genügen müssen, "nur Abfälle aus demselben Bundesland gelagert werden".

Wie die geschilderte Aufzählung der - teils kumulativ, teils alternativ angeordneten, immer aber auf einzelne, konkrete Deponien bezogenen - Voraussetzungen für eine Verlängerung der Anpassungsfrist an das Deponierungsverbot gemäß § 5 Z 7 Deponieverordnung, BGBl. 164/1996, bis längstens erweist, ist es schlechthin ausgeschlossen, dass der Landeshauptmann gestützt auf die Ermächtigung des § 45a Abs 7 AWG allgemein für alle Deponien im Lande oder für bestimmte Gruppen nach Gattungsmerkmalen umschriebener Deponien im Lande die Verlängerung der Anpassungsfrist anordnet. Die vom Gesetzgeber aufgestellten Bedingungen für eine derartige Verlängerung der Anpassungsfrist sind nämlich derart beschaffen, dass sie ein rechtlich geschütztes Interesse jedes Deponiebetreibers auf Fristverlängerung im Einzelfall begründen, weil und sodass die Anpassungsfrist für eine bestimmte Deponie lediglich aufgrund einer verfahrensrechtlich abgesicherten, entsprechenden einzelfallbezogenen Feststellung der gesetzlichen Voraussetzungen vom Landeshauptmann verlängert werden darf.

2.3. Die (für die den Anlass des vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahrens bildenden Beschwerdefälle) maßgebliche Sach- und Rechtslage zeigt mit aller Deutlichkeit, dass das verfassungsrechtliche Rechtsschutzsystem vom Gesetzgeber verletzt wird, wenn er für individuell adressierte verwaltungsbehördliche Akte die Form der Verordnung vorsieht: Obwohl § 45a Abs 7 AWG (wegen der in dieser Bestimmung normierten Voraussetzungen für eine verwaltungsbehördliche Verlängerung der Anpassungsfrist) eine Verlängerung der Anpassungsfrist nur für einzelne, individuell bezeichnete Deponien bzw. deren Betreiber zulässt, besitzt der einzelne Deponiebetreiber auch bei Vorliegen aller Voraussetzungen keine rechtliche Möglichkeit, die (bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen im Ermessen der Behörde gelegene) Verweigerung der Verlängerung von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts überprüfen zu lassen. Dadurch, dass der Gesetzgeber die Einzelfallentscheidung der Verlängerung der Anpassungsfrist für einzelne Deponien ausdrücklich einer Verordnung vorbehielt, hat er in verfassungswidriger Weise seine Rechtsschutzverpflichtung gegenüber einer im Einzelfall abweislich entscheidenden oder rechtswidrigerweise überhaupt untätig gebliebenen Verwaltung (vgl. Art 132 B-VG) verletzt.

Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 13.223/1992 ausgesprochen und in VfSlg. 13.699/1994 bekräftigt, dass eine gesetzliche Regelung verfassungswidrig ist, die trotz Eingriffs in die Rechtssphäre eines Betroffenen keine Möglichkeit vorsieht, die Rechtmäßigkeit des Eingriffs zu bekämpfen und durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts überprüfen zu lassen. Wenn es diesen Erkenntnissen zufolge verfassungswidrig ist, "staatliche

Entscheidungen ... der zwingend vorgesehenen Rechtskontrolle dadurch

... [zu entziehen], daß die Erlassung der verfassungsgesetzlich

vorgesehenen Rechtssatzform des Bescheides ausgeschlossen wird", gilt dies auch für die vorliegenden Fälle und deren Rechtsgrundlage:

Mangels eines für die verwaltungsbehördliche Einzelfallentscheidung gesetzlich (anstelle der Verordnung) vorgesehenen Bescheides kann verfassungswidrigerweise die negative Entscheidung ebenso wenig wie die Untätigkeit der Verwaltung auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden.

2.4. Wenn die Bundesregierung dagegen in ihrer Äußerung von einem Gestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers bei der Wahl der Rechtsform ausgeht, so ist ihr zwar insoweit Recht zu geben, als bestimmte Verwaltungsakte (mit Doppelwirkung) nicht nur eine spezifische Rechtswirkung für einzelne Adressaten besitzen, sondern darüber hinaus auch rechtliche Wirkungen für nach Gattungsmerkmalen beschriebene Personenkreise äußern sollen. Keine derartige Gestaltungsfreiheit besitzt allerdings der einfache Gesetzgeber, wenn er - wie im vorliegenden Fall - eine Regelung trifft, die ihrer Art nach ausschließlich auf einzelne Deponien bezogen ist, sodass darauf beruhende Verwaltungsakte rechtliche Wirksamkeit jeweils nur für den betreffenden Deponiebetreiber entfalten.

Der Verfassungsgerichtshof vermag der Bundesregierung auch nicht zu folgen, wenn diese die Verlängerung der Anpassungsfrist für konkrete Deponien nicht nur für den jeweiligen Deponiebetreiber gelten lässt, sondern als Adressaten des Verwaltungsaktes "alle Personen" ansieht, "die mit diesen Abfällen umgehen". Wie nämlich bereits der Einleitungssatz des § 45a AWG zeigt, bezieht sich die die verpflichtenden Anforderungen an Deponien umschreibende und deren Anpassung zeitmäßig gestuft festlegende Gesetzesvorschrift insgesamt ausschließlich auf die "Betreiber von am bestehenden ... Deponien". Demgemäß wurde auch für den Aufschub sonstiger Anpassungspflichten der Deponiebetreiber in § 45a Abs 5 AWG ausdrücklich über deren Antrag abzuwickelnde und bescheidmäßig zu erledigende Verwaltungsverfahren vorgesehen. Angesichts der den Deponiebetreibern erwachsenden und durch Verwaltungsakt des Landeshauptmannes hinsichtlich ihrer Befristung erstreckten Anpassungspflichten ist der Bundesregierung auch nicht zu folgen, wenn sie darin eine in Verordnungsform zu treffende, weil "sachbezogene" oder planerische Regelung sieht. Der Umstand, dass für die Verlängerung der den einzelnen Deponiebetreiber treffenden Anpassungspflichten auf die Verhältnisse der konkreten Deponie abgestellt wird, ändert nichts daran, dass die durch den Verwaltungsakt des Landeshauptmannes eingeräumte Verlängerung der Anpassungsfrist keineswegs aus planerischen Überlegungen begründet wird, sondern ausschließlich den Betreiber der Deponie rechtlich begünstigt, ohne dass darin eine generelle Adresse zu sehen ist, die allein die Verordnungsform rechtfertigen würde.

Auch die dem Landeshauptmann bei seiner Entscheidung aufgetragene "Bedachtnahme auf die wasser- und abfallwirtschaftlichen Erfordernisse" kann keinesfalls, wie die Bundesregierung darzutun versucht, eine ausschließlich im öffentlichen Interesse gelegene und daher durch generelle Norm zu treffende Entscheidung des Landeshauptmannes begründen. Vielmehr hat dieser jeweils in einzelfallbezogenen konkreten Verwaltungsverfahren zu untersuchen, ob auf die einzelnen Deponien die in Z 1 oder 2 des § 45a Abs 7 AWG aufgezählten Voraussetzungen zutreffen. Lediglich bei Bejahung dieser Voraussetzungen ist er verpflichtet, das ihm obliegende Ermessen (vgl. § 45a Abs 7 AWG: "Der Landeshauptmann kann unter Bedachtnahme ...") gemäß Art 130 Abs 2 B-VG "im Sinne des Gesetzes", d.h. "unter Bedachtnahme" auf die genannten allgemeinen "wasser- und abfallwirtschaftlichen Erfordernisse" zu üben und eine dementsprechend begründete Entscheidung in Form eines Bescheides zu treffen.

2.5. Angesichts dieses, vom Verfassungsgerichtshof der Vorschrift des § 45a Abs 7 AWG entnommenen Regelungsinhalts zeigt sich, dass eine Verlängerung der Anpassungsfrist "durch Verordnung", wie sie der Gesetzgeber im § 45a Abs 7 AWG ausschließlich vorsieht, der Bundesverfassung und speziell dem bundesverfassungsrechtlichen Rechtsschutzsystem widerspricht. Dieselben verfassungsrechtlichen Bedenken treffen aber auch auf den letzten Satz des § 45a Abs 5 AWG zu, weil durch diese Norm ein Antrag des jeweiligen Deponiebetreibers auf Fristerstreckung hinsichtlich des Verbots der Deponierung und damit eine bescheidmäßige Verlängerung der Anpassungsfrist vom Gesetzgeber zugunsten der durch § 45a Abs 7 AWG vorgesehenen und als verfassungswidrig erkannten Verordnung ausgeschlossen wird.

Da das AWG gemäß § 91 Abs 4 und 5 AWG 2002, BGBl. I 102, mit außer Kraft getreten ist, hatte der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 4 B-VG festzustellen, dass der letzte Satz des § 45a Abs 5 und die Wortfolge "durch Verordnung" im § 45a Abs 7 des Bundesgesetzes von über die Vermeidung und Behandlung von Abfällen (Abfallwirtschaftsgesetz - AWG), BGBl. 325/1990, idF BGBl. I 90/2000 verfassungswidrig waren.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung dieser Feststellung beruht auf Art 140 Abs 5 zweiter Satz

B-VG.

Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Fundstelle(n):
IAAAE-27464