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VfGH vom 07.03.2017, G407/2016 ua

VfGH vom 07.03.2017, G407/2016 ua

Leitsatz

Kein Verstoß der Bestimmungen über Beitragszuschläge wegen Unterlassung der Meldung zur Sozialversicherung vor Arbeitsantritt gegen das Doppelbestrafungsverbot; Beitragszuschlag keine Strafe bzw keine Sanktion strafrechtlichen Charakters, sondern Pauschalersatz der Dienstgeber für den Verwaltungsaufwand der Krankenversicherungsträger zur Aufdeckung von Schwarzarbeit; kein Verstoß gegen das Eigentums- und Gleichheitsrecht im Fall der Inanspruchnahme eines Steuerberaters

Spruch

I.Die Anträge werden, soweit sie sich auf § 113 Abs 1 Z 1 und Abs 2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl 189/1955 idF BGBl I 31/2007, beziehen, abgewiesen.

II.Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Anträge

Mit den vorliegenden, auf Art 140 Abs 1 Z 1 lita B-VG gestützten Anträgen begehrt das Bundesverwaltungsgericht § 113 Abs 1 und § 113 Abs 2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (im Folgenden: ASVG), BGBl 189/1955 idF BGBl I 31/2007, in eventu § 113 Abs 1 Z 1 und § 113 Abs 2 leg.cit., als verfassungswidrig aufzuheben.

II.Rechtslage

1.§111 ASVG, BGBl 189/1955 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl I 113/2015, lautet auszugsweise wie folgt:

"Verstöße gegen melderechtliche Vorschriften

§111. (1) Ordnungswidrig handelt, wer als Dienstgeber oder sonstige nach § 36 meldepflichtige Person (Stelle) oder nach § 42 Abs 1 auskunftspflichtige Person oder als bevollmächtigte Person nach § 35 Abs 3 entgegen den Vorschriften dieses Bundesgesetzes

1. Meldungen oder Anzeigen nicht oder falsch oder nicht rechtzeitig erstattet oder

2. Meldungsabschriften nicht oder nicht rechtzeitig weitergibt oder

3. Auskünfte nicht oder falsch erteilt oder

4. gehörig ausgewiesene Bedienstete der Versicherungsträger während der Betriebszeiten nicht in Geschäftsbücher, Belege und sonstige Aufzeichnungen, die für das Versicherungsverhältnis bedeutsam sind, einsehen lässt oder

5. gehörig ausgewiesenen Bediensteten der Versicherungsträger einen Ausweis oder eine sonstige Unterlage zur Feststellung der Identität nicht vorzeigt oder

6. gehörig ausgewiesenen Bediensteten der Versicherungsträger die zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Auskünfte nicht erteilt.

(2) Die Ordnungswidrigkeit nach Abs 1 ist von der Bezirksverwaltungsbehörde als Verwaltungsübertretung zu bestrafen, und zwar

– mit Geldstrafe von 730 € bis zu 2 180 €, im Wiederholungsfall von 2 180 € bis zu 5 000 €,

– bei Uneinbringlichkeit der Geldstrafe mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen,

sofern die Tat weder den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet noch nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist. Unbeschadet der §§20 und 21 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 kann die Bezirksverwaltungsbehörde bei erstmaligem ordnungswidrigen Handeln nach Abs 1 die Geldstrafe bis auf 365 € herabsetzen, wenn das Verschulden geringfügig und die Folgen unbedeutend sind.

(3) – (5) […]"

2.§113 ASVG, BGBl 189/1955 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl I 31/2007, lautet auszugsweise wie folgt (die mit Haupt- und Eventualantrag angefochtenen Teile sind hervorgehoben):

"Beitragszuschläge

§113. (1) Den in § 111 Abs 1 genannten Personen (Stellen) können Beitragszuschläge vorgeschrieben werden, wenn

1. die Anmeldung zur Pflichtversicherung nicht vor Arbeitsantritt erstattet wurde oder

2. die vollständige Anmeldung zur Pflichtversicherung nach § 33 Abs 1a Z 2 nicht oder verspätet erstattet wurde oder

3. das Entgelt nicht oder verspätet gemeldet wurde oder

4. ein zu niedriges Entgelt gemeldet wurde.

(2) Im Fall des Abs 1 Z 1 setzt sich der Beitragszuschlag nach einer unmittelbaren Betretung im Sinne des § 111a aus zwei Teilbeträgen zusammen, mit denen die Kosten für die gesonderte Bearbeitung und für den Prüfeinsatz pauschal abgegolten werden. Der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung beläuft sich auf 500 € je nicht vor Arbeitsantritt angemeldeter Person; der Teilbetrag für den Prüfeinsatz beläuft sich auf 800 €. Bei erstmaliger verspäteter Anmeldung mit unbedeutenden Folgen kann der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung entfallen und der Teilbetrag für den Prüfeinsatz bis auf 400 € herabgesetzt werden. In besonders berücksichtigungswürdigen Fällen kann auch der Teilbetrag für den Prüfeinsatz entfallen.

(3) – (7) […]"

III.Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.Dem Antrag zu G407/2016 liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit Verwaltungsstraferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Güssing vom wurde T.H. einer Verwaltungsübertretung wegen Verletzung der Meldepflicht gemäß § 111 ASVG in insgesamt drei Fällen schuldig erkannt, weil sie es als Arbeitgeberin unterlassen habe, Arbeitnehmer vor Arbeitsantritt zur Pflichtversicherung anzumelden, und über sie eine Geldstrafe in Höhe von je € 730,– (Ersatzfreiheitsstrafe: 120 Stunden) verhängt.

Mit Bescheid der Burgenländischen Gebietskrankenkasse vom wurde über die Arbeitgeberin ein Beitragszuschlag nach § 113 Abs 1 Z 1 und Abs 2 ASVG in Höhe von € 1.300,– verhängt. Dagegen erhob sie am Einspruch (nunmehr: Beschwerde) an den Landeshauptmann. Am langte der Verfahrensakt beim, seit Einführung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51/2012, zuständigen Bundesverwaltungsgericht ein.

2.Dem Antrag zu G24/2017 liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit Verwaltungsstraferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom wurde D.P. einer Verwaltungsübertretung wegen Verletzung der Meldepflicht gemäß § 111 ASVG in drei Fällen schuldig erkannt, weil er es als Arbeitgeber unterlassen habe, Arbeitnehmer vor Arbeitsantritt zur Pflichtversicherung anzumelden, und über ihn eine Geldstrafe in Höhe von je € 365,– (Ersatzfreiheitsstrafe: je 56 Stunden) verhängt.

Mit Bescheid der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse vom wurde über den Arbeitgeber ein Beitragszuschlag nach § 113 Abs 1 Z 1 und Abs 2 ASVG in Höhe von € 2.300,– verhängt. Dies wurde damit begründet, dass dieselben drei Personen wie im Verwaltungsstraferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten bei der Verrichtung von Arbeiten am vom Prüforgan der Abgabenbehörde betreten worden seien, ohne dass diese Personen zuvor zur Pflichtversicherung gemäß § 33 Abs 1 und 1a ASVG angemeldet worden seien. Die gegen diesen Bescheid am erhobene Beschwerde wurde von der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse mit Beschwerdevorentscheidung abgewiesen. Dagegen richtet sich der am eingebrachte Vorlageantrag an das Bundesverwaltungsgericht.

Aus Anlass dieser Verfahren stellt das Bundesverwaltungsgericht die vorliegenden Gesetzesprüfungsanträge.

3.Das Bundesverwaltungsgericht hegt in seinen beiden Anträgen ob der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen jeweils gleichlautende Bedenken; es rügt einen "Verstoß gegen Art 6 EMRK in Verbindung mit Art 4 7. ZPEMR" und legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

"Das Bundesverwaltungsgericht hält die Regelung des § 113 Abs 1 und § 113 Abs 2 ASVG für verfassungswidrig, weil der Bundesgesetzgeber damit die ihm durch Art 6 EMRK in Verbindung mit Art 4 7. ZPEMRK gezogenen Grenzen bezüglich Doppelbestrafung wie auch Doppelverfolgung überschritten hat, da im gegenständlichen Fall auch eine Bestrafung nach § 111 ASVG vorliegt und eine solche Überschneidung der verwaltungsstrafrechtlichen Sanktionierung mit der Verhängung von Beitragszuschlägen wegen desselben Verstoßes regelmäßig vorkommt und von den relevanten Vorschriften – bei Vorliegen der jeweils einschlägigen Voraussetzungen – durchaus intendiert sein dürfte.

2. Darstellung von Literatur und Judikatur

'Als strafbare Handlungen werden in der österreichischen Rechtsordnung alle Verhaltensweisen verstanden, die – unabhängig davon, welche Behörden (Gerichte oder Verwaltungsbehörden) zu ihrer Ahndung berufen sind – mit Strafe bedroht sind. Dabei ist jedoch unbeschadet der vom Gesetzgeber jeweils gewählten Bezeichnung nicht jede Sanktion auf rechtswidriges Verhalten als Strafe aufzufassen. Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR sind bei der Entscheidung darüber, ob eine 'strafrechtliche Anklage' iS des Art 6 Abs 1 EMRK vorliegt oder nicht, die drei im Fall Engel, EuGRZ1976, 221, heraus gebildeten Gesichtspunkte zu beachten, von denen zwar nicht jeder für sich allein entscheidend ist, die aber in ihrem Zusammenhalt eine Anschuldigung zu einer strafrechtlichen machen können. Als Ausgangspunkt ist dabei die Frage zu beantworten, ob die gegenständlichen Bestimmungen im nationalen Recht dem Strafrecht zuzuordnen sind. Diesem Kriterium kommt idR keine große Bedeutung zu. Das zweite Kriterium betrifft den Charakter des Delikts; es ist also die Art der strafbaren Handlung zu untersuchen. Hat die in der Strafvorschrift angedrohte Sanktion sowohl abschreckenden (präventiven) als auch repressiven Charakter, ist anzunehmen, dass die strafbare Handlung in den Anwendungsbereich des Art 6 EMRK fällt. Das dritte Kriterium betrifft die Art und Schwere der aufzuerlegenden Strafe, wobei das zweite und das dritte Kriterium nicht notwendigerweise kumulativ, sondern auch alternativ auftreten können. Eine milde Strafe verliert dabei nicht notwendigerweise ihren strafrechtlichen Charakter. Für die Entscheidung über die Frage, ob eine 'strafrechtliche Anklage' vorliegt, kommt es also darauf an, ob das Vergehen dem nationalen Recht nach dem Strafrecht zuzuordnen ist, sowie auf die Art des Vergehens und die Art und Schwere der dafür angedrohten Sanktion. Der Begriff der strafbaren Handlung iS des das Verbot der Doppelverfolgung und Doppelbestrafung enthaltenden Art 4 7. ZPEMRK ist nach denselben Grundsätzen wie nach Art 6 EMRK auszulegen. Unter Tat ist das physische Verhalten einer Person zu verstehen, das juristisch eine strafbare Handlung begründet. Nach deutschem Verständnis ist 'Tat' iS von Art 103 Abs 3 GG der geschichtliche – und damit zeitlich und sachverhaltlich begrenzte – Vorgang, auf welchen Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll.' (Fellner, Zuschläge zu Geldleistungen als Strafsanktionen, RdW 2010/192).

Der VwGH prägte in ständiger Rechtsprechung seit 1958 bisher folgenden Rechtssatz zu § 113 ASVG: 'Die Auferlegung eines Beitragszuschlages nach § 113 Abs 1 ASVG ist nicht als Verwaltungsstrafe zu werten (Hinweis E BGH , A811/34, VwSlg 439 A/1935).' (z.B.: ZI. 0757/57)

Auch der OGH sieht dies in einer (freilich zum Begriff der 'Geldstrafen im Sinne des § 57 Z 2 KO' ergangenen) Entscheidung vom , 5 Ob 22/66, ähnlich:

'[...] Richtig ist, daß die Regelung des § 113 ASVG. über die Beitragszuschläge dem Abschnitt VIII des ersten Teiles des ASVG, der die Bezeichnung 'Strafbestimmungen' trägt, eingeordnet wurde. Daraus kann aber noch nicht abgeleitet werden, daß die Vorschreibung von Beitragszuschlägen als Strafe anzusehen ist. Der Abschnitt VIII des ersten Teiles des ASVG. enthält drei Gruppen von Maßnahmen: 1. Strafbare Tatbestände (§§114 und 115 ASVG.), deren Ahndung den Strafgerichten als Vergehen obliegt, 2. Verwaltungsübertretungen (§§111 und 112 ASVG.), deren Wahrnehmung den Bezirksverwaltungsbehörden im Verwaltungsstrafverfahren vorbehalten ist, und 3. die Vorschreibung von Beitragszuschlägen nach § 113 ASVG. durch den Versicherungsträger. Daß die Beitragszuschläge keinen Strafcharakter aufweisen, ergibt sich daraus, daß ihre Vorschreibung durch den Versicherungsträger gemäß § 410 Z 5 ASVG. im Verfahren in Verwaltungssachen (§§409 ff. ASVG.) erfolgt, das in der Regel keine Strafmaßnahmen zum Gegenstand hat und für das gemäß den Vorschriften der §§357, 358 ASVG. die Bestimmungen des AVG. Anwendung finden. Dazu kommt, daß auch ein Verschulden nicht die Voraussetzung für die Festsetzung und Einhebung eines Beitragszuschlages bildet. Desgleichen ergibt sich aus dem Wort kann im § 113 (1) und (2) ASVG. daß die Vorschreibung der Beitragszuschläge nicht obligat erfolgen muß, was gegen einen Strafcharakter spricht.

Die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zum ASVG. (599 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates VII. GP 47) führen aus, daß die Untersuchung und Bestrafung entsprechend den das österreichische Verwaltungsstrafrecht beherrschenden Grundsätzen in erster Instanz den Bezirksverwaltungsbehörden übertragen wird (§26 (1) VStG. 1950). Insofern wird von den einschlägigen Bestimmungen der reichsrechtlichen Vorschriften abgegangen, die auch die Verhängung von Verwaltungsstrafen im engeren Sinn den Versicherungsträgern übertragen ... Neben den Verwaltungsstrafen im engeren Sinn wird im § 113 ASVG. die Vorschreibung von Beitragszuschlägen durch den Versicherungsträger bei einer Unterlassung der Anmeldung zur Pflichtversicherung oder bei einer Meldung zu niedriger Entgelte vorgesehen. Aus den Erläuternden Bemerkungen in ihrem Zusammenhang geht somit hervor, daß der Gesetzgeber zwischen den gerichtlichen und den Verwaltungsstrafen einerseits und den Beitragszuschlägen andererseits unterscheidet und den Beitragszuschlägen keineswegs einen Strafcharakter zubilligen wollte. Den Beitragszuschlägen, die gemäß § 113 (4) ASVG. den 'beteiligten Versicherungsträgern' oder 'ihren Unterstützungsfonds' zufließen, kommt daher, wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt, die Qualifikation einer schadenersatzrechtlichen Verfügung (eines Ersatzes für den Verwaltungsmehraufwand) zu.

Zum gleichen Ergebnis gelangt man auf Grund der Vorschrift des § 64 (2) zweiter Satz ASVG., die die Vorschreibung der Verzugszinsen zu den Beiträgen, die Beitragszuschläge und sonstige Nebengebühren regelt, und damit die Beitragszuschläge den Nebengebühren gleichstellt.

Auch das Schrifttum (Ullmann, Die Strafbestimmungen im ASVG., Soziale Sicherheit 1960 S. 45, 46, Anonymus, Soziale Sicherheit 1964 S. 390, Dragaschnig - Schäfer, Die Krankenversicherung, 3. Aufl., Wien 1963 S. 36) und zum Teil die Rechtsprechung (Erkenntnisse des Bundesgerichtshofes vom , Slg. Nr 439 A, des VwGH. vom , VwGH. Slg. Nr 4760 A = SV-Slg. Nr 6592, ferner SV-SIg. Nr 11.739) verneinen den Strafcharakter des Beitragszuschlages. Der Zuschlag sei vielmehr als Ersatz des durch die Säumigkeit verursachten Verwaltungsaufwandes anzusehen.

Auch das Revisionsgericht hat in seiner Entscheidung vom , GIUNF. 5088, hinsichtlich der Frage der Rangordnung finanzrechtlicher Gebührensteigerungen zum Ausdruck gebracht, daß zwischen Strafen und sonstigen nachteiligen gesetzlichen Folgen, die keine Strafen sind, zu unterscheiden ist und daß Gebührensteigerungen nicht als Strafen anzusehen sind. Desgleichen bejaht Bartsch - Pollak, Konkursordnung[3] II. Band S. 278 Anm. 19 zu § 23 AO., daß Gebührenerhöhungen (Steigerungen von Gebühren) zu den Gebühren zählen. [...]'

Bezüglich der Entscheidung vom , Zl. 86/08/0051, ist dem RIS folgender Leitsatz zur verfassungsrechtlichen Fragestellung zu entnehmen:

'Bezüglich der verfassungsrechtlichen Bedenken der Bf ist ihr zunächst darin zuzustimmen, daß der im § 113 Abs 1 ASVG, idF vor und nach der 41ten Novelle zu diesem Gesetz, vorgesehene Beitragszuschlag zwar nicht als eine Verwaltungsstrafe, aber doch als eine andere Sanktion für Verstöße gegen gesetzliche Pflichten zu werten ist (Hinweis E17.3.1988, 87/08/0112, und E14.4.1988, 87/08/0140). Trotz dieses PÖNALEN CHARAKTERS handelt es sich bei der Vorschreibung von Beitragszuschlägen gem § 113 Abs 1 ASVG um keine STRAFRECHTLICHE ANKLAGE (criminal charge) iSd Art 6 Abs 1 MRK. Dies deshalb, weil diese Beitragszuschläge eine pauschalierte Abgeltung des durch die Säumigkeit des Beitragspflichtigen verursachten Mehraufwandes sind (Hinweis E , VfSlg 4687). Außerdem gibt es noch die Strafbarkeit für Meldeverstöße gem § 111 ASVG. Weiters stimmt der von der Bf angestellte Vergleich mit der vom VfGH mit seinen E vom , G42/85 und G109-111, sowie vom , G146-149/85, aufgehobenen Regelung des § 9 Abs 2 GebG nicht. Diese Regelung erwies sich ALS GEMESSEN AM GERECHTFERTIGTEN ANLIEGEN SO WEIT ÜBERSCHIEßENDE (EXZESSIVE) REAKTION AUF DIE UNTERLASSUNG DES ABGABEPFLICHTIGEN, DAß SIE DEN RECHTSPOLITISCHEN SPIELRAUM DES GESETZGEBERS ÜBERSCHREITET UND GEGEN DAS DEM GLEICHHEITSSATZINNEWOHNENDE GEBOT DER SACHLICHKEIT VERSTÖßT. Die oben angeführten Höchstgrenzen des Beitragszuschlages verhindern eine exzessive Reaktion auf Meldeverstöße. Schließlich wird durch die Vorschreibung eines Beitragszuschlages auch kein CIVIL RIGHT verletzt, weil diese Vorschreibung wie diejenige von Steuern im öffentlichen Interesse einschließlich der nötigen Abwägung gegenüber privaten Interessen erfolgt und deshalb offenkundig das genaue Gegenteil einer Entscheidung über CIVIL RIGHTS ist.'

In der Entscheidung des Zl. 2013/08/0117, ist dem Leitsatz folgender Text zu entnehmen, der als derzeit gebräuchlichster anzusehen ist:

'§113 Abs 1 ASVG ist ungeachtet der Überschrift 'Strafbestimmungen' des ersten Teiles, Abschnitt VIII, des ASVG nicht als Verwaltungsstrafe, sondern als eine (neben der Bestrafung nach §§111, 112 ASVG ermöglichte) wegen des durch die Säumigkeit des Meldepflichtigen verursachten Mehraufwandes in der Verwaltung sachlich gerechtfertigte weitere Sanktion für die Nichteinhaltung der Meldepflicht und damit als ein Sicherungsmittel für das ordnungsgemäße Funktionieren der Sozialversicherung zu werten. Die Frage des subjektiven Verschuldens des Dienstgebers ist daher (für das 'ob' der Vorschreibung) nicht zu untersuchen. Es kommt nur darauf an, dass objektiv ein Meldeverstoß verwirklicht wurde, gleichgültig aus welchen Gründen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , ZI. 2000/08/0186, und vom , Zl. 2004/08/0141).'

Folgt man dem Verweis im Erkenntnis des auf das BGH-Erkenntnis vom , A 811/34, VwSlg 439 A/1935, so kann man bezüglich Zuschlagszahlung nach § 33 Abs 2 AKVG 1929 folgenden Text dem Erkenntnis entnehmen:

'[...] Diese [Zuschlagszahlung] hat aber nicht zur Voraussetzung, dass der Arbeitgeber im Verschulden sei, wie auch der Zuschlagszahlung nicht die Eigenschaft einer Verwaltungsstrafe zukommt. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes, das im § 33 weder von einer Strafe noch von einer verschuldeten Verletzung der Anmeldepflicht spricht. [***] Die Zuschlagszahlung hat bloss die Bedeutung einer Erhöhung der Beitragsleistungen für den Fall, dass bestimmten Meldevorschriften nicht entsprochen wird, um so den schlechten Risken des Versicherungsträgers zu begegnen, die sich daraus ergeben, dass bei Nichtanmeldung die Versicherungspflicht in der Regel erst auftritt, wenn Versicherungsleistungen zu erbringen sind, welchem Risiko des Versicherungsträgers vor Inkrafttreten der 23. Novelle zum KVG durch die im § 32 alter Fassung ausgesprochene Haftungspflicht des Arbeitgebers Rechnung getragen war. Die belangte Behörde hatte demnach die Frage eines Verschuldens des Beschwerdeführers überhaupt nicht zu untersuchen. [...]'

Bemerkenswert ist die gestrichene Textpassage des Entwurfes – welcher im Akt des BGH Erkenntnisses im Staatsarchiv vorgefunden wurde – die sich in früheren Entscheidungen an der mit [***] markierten Stelle befand:

'Dass es sich bei der Zuschlagszahlung nicht um eine Strafe handelt, ergibt sich aber auch weiters daraus, dass die Bestimmungen über die Zuschlagszahlung nicht in die Strafbestimmungen des AKVG (§§70, 71) eingereiht sind, sowie daraus, dass die Verpflichtung zur Zahlung nicht von der Verwaltungsbehörde, sondern von der Krankenkasse auszusprechen ist.'

In einem rezenten Erkenntnis des ZI. Ra 2016/08/0134, hat dieser eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes aufgehoben, mit der Begründung, dass im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen für das Bundesverwaltungsgericht Verhandlungspflicht besteht. Als prozessrelevant sah der VwGH das Vorbringen der Beschwerdeführerin offenbar an, 'dass sich im Rahmen der Kontrolle – für die Beschwerdeführerin ebenfalls überraschend – herausgestellt habe, dass es sich bei ihrer unter dem Namen 'XXXX' zur Sozialversicherung gemeldeten Mitarbeiterin tatsächlich um Frau XXXX handle. [...] Es werde vorgebracht, dass sich Frau XXXX bei der Beschwerdeführerin unter Verweis des Personalausweises sowie der E-Card lautend auf 'XXXX' vorgestellt habe. Frau XXXX habe Frau XXXX, offenbar zum Zwecke der Erschleichung einer Anstellung, ihren Personalausweis und ihre E-Card übergeben. Somit sei Frau XXXX irrig als XXXX beschäftigt und zur Sozialversicherung angemeldet worden. Dass Frau XXXX die Identität von Frau XXXX zur Erzielung einer Einstellung missbraucht habe, sei nicht erkennbar gewesen und habe auch kein Anlass bestanden, an der Echtheit der vorgelegten Dokumente zu zweifeln.'

Weiters ist auf das Urteil des EGMR, Lucky Dev, vom , ZI. 7356/10, zu verweisen, das, zusammengefasst folgende wesentliche Aussagen enthält:

'Verfahren betreffend Zuschläge zu Abgabenschulden wegen Verletzung von Steuervorschriften sind Strafverfahren iS des Art 4. Dieser verbietet eine doppelte Strafverfolgung, soweit sich diese auf dieselben oder im wesentlichen dieselben Fakten beziehen. Art 4 verbietet nicht nur eine mehrfache Verurteilung wegen derselben Tat, sondern auch eine neuerliche Strafverfolgung nach einem Freispruch. Dass zwei Verfahren wegen derselben Tat gleichzeitig anhängig sind, verletzt den Art 4 nicht, wohl aber der Umstand, dass nach dem Abschluss eines Verfahrens das zweite Verfahren weiter geführt wird.'

3. Verstoß gegen Art 6 EMRK in Verbindung mit Art 4 7. ZPEMRK – Darstellung der Sicht des antragstellenden Richters

Der antragstellende Richter zieht aus der zuvor wiedergegebenen Judikatur folgende Schlüsse:

Nach den zuvor wiedergegebenen 'Engel-Kriterien' ist die Einordnung der Norm des § 113 Abs 1 ASVG zu prüfen. Zum 1. Kriterium (Ist die Norm nationalem Strafrecht zuzuordnen?) ist zwar einzuräumen, dass die Regelung nicht dem gerichtlichen Strafrecht zuzuordnen ist. Das ist jedoch nicht entscheidend, umfasst doch das österreichische Recht auch im Verwaltungsrecht Delikte, die einen strafrechtlichen Charakter aufweisen, aber dem gerichtlichen Straf- und Strafprozessrecht unterstellt sind. Augenfällig ist diesbezüglich die Einordnung des § 113 ASVG unter die Abschnittsüberschrift 'Strafbestimmungen' gemeinsam mit § 111 ASVG. Letzterer stellt ja eine verwaltungsstrafrechtliche Bestimmung dar, so dass angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber auch für § 113 ASVG eine entsprechende Zuordnung vorgenommen hat. Zum 2. Kriterium (Hat die Sanktion abschreckenden [präventiven] als auch repressiven Charakter?) nimmt der antragstellende Richter an, dass es sich um eine Sanktion handelt, die sowohl repressiven als auch präventiven Charakter hat. § 113 ASVG scheint ein Auffangtatbestand für jene Fälle zu sein, die einer Bestrafung nach § 111 ASVG mangels subjektiver Vorwerfbarkeit 'entgehen' konnten. Zum 3. Kriterium (Art und Schwere der aufzuerlegenden Strafe) ist festzuhalten, dass am Anlassfall erkennbar ist, dass bei der Nicht-Anmeldung eines Dienstnehmers der Beitragszuschlag eine Gesamthöhe von € 1.300 erreicht. Vergleicht man diesen Betrag mit jenen § 111 Abs 2 erster Teilstrich ASVG, der für die Geldstrafe bei Erstbegehung einen Strafrahmen von € 730 bis € 2.180 vorsieht, so orientiert sich der Betrag von € 1.300 definitiv nicht an der unteren Grenze. Umso bedenklicher stellt sich das Bild dar, dass im gegenständlichen Fall der Betrag nach § 111 ASVG fast gleich hoch ist wie jener nach § 113 ASVG. Daher ist aus Sicht des antragstellenden Richters bereits aufgrund des letzten Kriteriums allein, jedenfalls aber bei einer Gesamtschau aller drei 'Engel-Kriterien', von einer 'strafrechtlichen Anklage' im Sinne der Judikatur des EGMR zu Art 6 Abs 1 EMRK auszugehen.

Ausgehend davon ist zu beurteilen, ob es zu einer Doppelbestrafung im Sinne der Judikatur des EGMR zu Art 4 7. Prot. EMRK kommen könnte. Art 4 7. Prot. EMRK verbietet eine doppelte Strafverfolgung, soweit sich diese auf dieselben oder im Wesentlichen dieselben Fakten beziehen. Aus Sicht des antragstellenden Richters stellen sowohl § 111 ASVG als auch § 113 ASVG auf den Tatbestand des Meldeverstoßes und somit auf denselben Sachverhalt ab. Daher ist aus Sicht des antragstellenden Richters die Möglichkeit einer Doppelbestrafung bzw. Doppelverfolgung vorhanden.

Der bisherigen ständigen Rechtsprechung des VwGH und des OGH – und der bisherigen Nichtbehandlung durch den VfGH (E401/2016) – werden folgende Argumente durch den antragstellenden Richter entgegen gehalten:

1.) die Einordnung des § 113 ASVG erfolgt unter die Abschnittsüberschrift 'Strafbestimmungen', ebenso wie § 111 ASVG;

2.) das Vorliegen einer 'strafrechtlichen Anklage' nach den 'Engel-Kriterien' ist aus Sicht des antragstellenden Richters erfüllt;

3.) die in der VwGH-Rechtsprechung herangezogene Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1935, also einer Zeit, zu der die Judikatur des EGMR noch nicht abzusehen war, lässt die zugrundeliegende Logik überprüfungswürdig erscheinen;

4.) kein Vorliegen einer äußerst geringen Strafhöhe im Sinne des EGMR ist in diesem Fall gegeben (= €678 im Fall Morel/F; diese Entscheidung wird seitens des EGMR selbst in Jussila/FIN als Ausnahme dargestellt, da dort ein Steuerzuschlag von € 308,80 als 'strafrechtliche Anklage' gewertet wurde);

5.) das Verschwimmen der Konturen zwischen den §§111 ASVG und 113 ASVG, und somit beider Strafbestimmungen ineinander wird immer mehr verstärkt. Dies ergibt sich auch aus dem rezenten Erkenntnis des Zl. Ra 2016/08/0134. Hier wird das Bundesverwaltungsgericht verpflichtet, wegen widersprechender prozessrelevanter Behauptungen eine Verhandlung durchzuführen. Diese prozessrelevanten Behauptungen stellen jedoch Einwendungen auf Schuldebene dar, da es um das Erkennen der Personendivergenz zwischen Ausweis und tatsächlich arbeitender Person geht. Wie der OGH in oben zitierter Entscheidung schon festgehalten hat, bildet auch ein Verschulden nicht die Voraussetzung für die Festsetzung und Einhebung eines Beitragszuschlages. Denn nach § 113 ASVG reicht eine objektive Meldepflichtverletzung für die Verhängung eines Beitragszuschlages aus. Diese Verletzung ist durch Anmeldung der falschen Person auch objektivierbar. Da der VwGH in dieser Entscheidung eine Verschuldensprüfung dem Bundesverwaltungsgericht aufträgt, transferiert er diese von § 111 ASVG nach § 113 ASVG und entwickelt diesen durch seine Rechtsprechung zu einer Strafnorm fort. Das Fehlen der Verschuldensprüfung, und somit die Eliminierung strafrechtlicher Kerngarantien (siehe dazu M.A. Niggli/Chr. Riedo, Quasi-Strafrecht, Strafrecht im engeren und weiteren Sinne und 'Sozialethisches Unwerturteil', aus Amstutz/Hochreutener/Stoffel, Die Praxis des Kartellgesetzes im Spannungsfeld von Recht und Ökonomie, Zürich: Schulthess 2011) könnten der Grund für diese VwGH Entscheidung sein, rufen jedoch entsprechende Bedenken hinsichtlich Doppelbestrafung hervor.

6.) die bisherige Rechtsprechung zu § 113 ASVG scheint der nach den Engel-Kriterien gebotenen materiellen bzw. funktionellen Betrachtung nicht voll Rechnung zu tragen und beruht eher auf einer historischen, systematischen Betrachtung des § 113 ASVG. Dabei wird als Funktion der Sanktionsnorm eine reine Abgeltung des Verwaltungsaufwands im Sinne der Erläuterungen zur Regierungsvorlage unterstellt. Diese Funktion kann die Bestimmung aber angesichts mangelnder Fortentwicklung durch den Gesetzgeber (z.B. Verschiebung der Norm hinaus aus dem Abschnitt der Strafbestimmungen) und durch den VwGH (siehe Punkte 3 und 5) schon lange nicht mehr haben. Es erschließt sich dem antragstellenden Richter zudem nicht, wieso der Verwaltungsaufwand pro nicht gemeldeten Dienstnehmer um € 500 steigt, egal ob 1 Dienstnehmer nicht gemeldet wurde oder 100 nicht gemeldet wurden, durch diese 'blinde' Progression zeigt sich auch der Sanktionscharakter sehr deutlich.

4. Schlussfolgerung; Aufhebungsumfang

Aus den vorgetragenen Bedenken ergibt sich nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts die Verfassungswidrigkeit des § 113 Abs 1 und § 113 Abs 2 ASVG in der im Spruch genannten Fassung zur Gänze. Dieser Aufhebungsumfang ist geeignet, um die dargelegte Verfassungswidrigkeit zu bereinigen, weil es nach Aufhebung der in diesem Umfang angefochtenen Bestimmung zu keinen Doppelbestrafungen käme. Die Möglichkeit eines geringeren Aufhebungsumfangs wurde eventualiter als Spruchpunkt B begehrt, für den Fall, dass der Umfang unter Spruchpunkt A zu weit ist."

4.Im Antrag zu G24/2017 hegt das Bundesverwaltungsgericht gegen die angefochtenen Bestimmungen darüber hinaus Bedenken wegen Verstoßes gegen "Art5 StGG und Art 1 Abs 1 des 1. ZP zur EMRK sowie Art 7 Abs 1 B-VG" und legt diese wie folgt dar:

"Der [erkennende] Richter hegt nunmehr auch Bedenken, dass die Regelung des § 113 Abs 1 und 2 ASVG in das verfassungsrechtlich gewährleistete Eigentums-recht sowie in das verfassungsrechtlich gewährleistete Gleichheitsrecht eingreift. In einigen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes (im RIS zu finden) sind Beschwerdeführer zur Zahlung eines Beitragszuschlages verpflichtet worden, obwohl als Verursacher für die Verletzung der Meldepflicht der Steuerberater und sein nicht rechtzeitiges Handeln angegeben war. Somit würde jedoch jemandem, nämlich dem Beschwerdeführer, eine 'Haftung' oder ein 'Mehraufwand' für ein fremdes (Fehl-)Verhalten, nämlich jenes des Steuerberaters, auferlegt; die Rechtfertigung dafür ist nicht ersichtlich. Bezüglich dieses nunmehr neuen Vorbringens wird unter anderem auf die Judikatur des VfGH VfSlg 15.773/2000 und 15.784/2000 verwiesen.

[…]"

5.Der Verfassungsgerichtshof hat im Verfahren zu G407/2016 ein Vorverfahren geführt. Die Bundesregierung hat hiezu eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken – nach ausführlicher Darstellung der jeweiligen Fassung des § 113 ASVG seit dem Stammgesetz – wie folgt entgegentritt:

"II.

Zu den Prozessvoraussetzungen:

1. Gegenstand der beim antragstellenden Verwaltungsgericht anhängigen Bescheidbeschwerde ist ein Bescheid, mit dem eine Arbeitgeberin zu einem Beitragszuschlag verpflichtet wurde, weil diese die Anmeldung zur Pflichtversicherung nicht vor Arbeitsantritt erstattet hatte. Über diese Arbeitgeberin war aus diesem Grund zuvor eine Verwaltungsstrafe verhängt worden.

2. Grundlage des angefochtenen Bescheides ist § 113 Abs 1 Z 1 und Abs 2 ASVG; auch das antragstellende Verwaltungsgericht hat lediglich diese Bestimmung, nicht jedoch auch § 113 Abs 1 Z 2 bis 4 ASVG (betreffend sonstige Beitragszuschläge) anzuwenden. Es ist daher lediglich die Z 1 des § 113 Abs 1 ASVG präjudiziell, die mit dem übrigen Teil dieser Bestimmung auch nicht in einem untrennbaren Zusammenhang steht.

3. Insoweit der Antrag zu weit gefasst ist, ist er als unzulässig zurückzuweisen."

Den verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesverwaltungsgerichtes tritt die Bundesregierung wie folgt entgegen:

"[…]

2. Nach Auffassung des antragstellenden Bundesverwaltungsgerichtes stehe die angefochtene Bestimmung in Widerspruch zum Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art 4 7. ZPEMRK.

Die Bundesregierung weist der Vollständigkeit halber darauf hin, dass das Bundesverwaltungsgericht in einer anderen Rechtssache mit ausführlicher Begründung ausgesprochen hat, dass ein Widerspruch des § 113 Abs 1 und 2 ASVG zum Verbot der Doppelbestrafung nicht vorliegt und daher keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen bestehen (BVwG , I402 2104244-1).

3. Das antragstellende Verwaltungsgericht begründet dies – nach einer 'Darstellung von Literatur und Judikatur' – damit, dass es sich bei den Beitragszuschlägen gemäß § 113 Abs 1 und 2 ASVG im Lichte der sog. 'Engel-Kriterien' des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte um eine Strafe iSv. Art 6 EMRK handle, weil § 113 ASVG im Abschnitt VIII des zweiten Teils des ASVG 'Strafbestimmungen' eingereiht ist, die Beitragszuschläge präventiven und repressiven Charakter haben und einen 'Auffangtatbestand für jene Fälle' bilden, 'die einer Bestrafung nach § 111 ASVG mangels subjektiver Vorwerfbarkeit 'entgehen' konnten' und der Beitragszuschlag im Anlassfall 1 300 € betrage, was ihn als Verwaltungsstrafe qualifiziere.

Da sich die Beitragszuschläge gemäß § 113 ASVG wie auch die Verwaltungsstrafe gemäß § 111 ASVG auf einen Meldeverstoß beziehen, komme es in dieser Angelegenheit zu einer unzulässigen Doppelbestrafung.

4. Demgegenüber vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass es sich bei den Beitragszuschlägen nicht um eine Verwaltungsstrafe handle, und zwar ungeachtet dessen, dass § 113 ASVG in der Systematik des ASVG im Abschnitt betreffend 'Strafbestimmungen' eingereiht ist. Durch den Beitragszuschlag soll nämlich der dem Versicherungsträger entstandene Mehraufwand abgegolten werden (siehe mwN).

5.1. Für diese Rechtsauffassung spricht insbesondere, dass sich gemäß § 113 Abs 2 ASVG in der Fassung des SVÄG 2007 der Beitragszuschlag in den Fällen des Abs 1 Z 1 leg. cit. (Nichterstattung der Anmeldung zur Pflichtversicherung vor Arbeitsantritt) – und nur dieser Fall ist im vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahren präjudiziell – bei einer unmittelbaren Betretung durch die Prüforgane der Abgabenbehörden des Bundes (also dem Hauptanwendungsfall dieser Bestimmung) aus zwei Teilbeträgen zusammensetzt, nämlich einem für die Abgeltung der Kosten der gesonderten Bearbeitung und einem für die Abgeltung der Kosten für den Prüfeinsatz. Diese Funktion des Beitragszuschlags (Pauschalersatz für die den Sozialversicherungsträgern bzw. Behörden entstehenden Kosten) wird auch in den Erläuterungen betont (vgl. die oben Pkt. 1.3. wiedergegebene RV 77 BIgNR XXIII. GP 5).

5.2. Das ASVG behandelt den Beitragszuschlag konsequent seiner Funktion als pauschaler Kostenersatz (und nicht als Strafe) entsprechend:

Das zeigt sich etwa daran, dass § 113 Abs 6 ASVG eine schlüsselmäßige Aufteilung der eingehobenen Beitragszuschläge auf die beteiligten Versicherungsträger und sonstige Stellen vorsieht, während die in § 111 ASVG vorgesehenen Geldstrafen für Verstöße gegen melderechtliche Bestimmungen nach der allgemeinen Regelung des § 15 Z 1 VStG gewidmet sind.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist der Beitragszuschlag der Einhebung von Sozialversicherungsbeiträgen gleichgestellt: Gemäß § 113 Abs 7 iVm. §§83 und 112 Abs 3 ASVG gelten die Bestimmungen über die Eintreibung, die Sicherung, die Haftung und die Verjährung der Beiträge.

Dass der Beitragszuschlag nicht strafrechtlicher Natur ist, zeigt sich insbesondere auch darin, dass dieser – entsprechend seinem Charakter einer pauschalen Aufwandsentschädigung – dann nicht zu leisten ist, wenn dem Versicherungsträger kein entsprechender Mehraufwand entstanden ist (siehe Feik in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg.], Der SV-Komm § 113 ASVG Rz. 2 mwN; siehe etwa auch ).

5.3. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Qualifikation der Beitragszuschläge als Maßnahme des sozialversicherungsrechtlichen Verfahrens (und nicht als Verwaltungsstrafe) auch zur Folge, dass es bei der Frage, ob ein Beitragszuschlag eingehoben wird, auf ein Verschulden des Verpflichteten nicht ankommt (siehe wieder mwN; ).

Das antragstellende Verwaltungsgericht vermeint hingegen aktueller Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () den Auftrag an das Verwaltungsgericht zu entnehmen, es habe bei Vorschreibung eines Beitragszuschlages eine solche Verschuldensprüfung vorzunehmen. Ein derartiger Auftrag kann dem bezogenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes jedoch nicht entnommen werden.

Aber selbst wenn die Verhängung eines Beitragszuschlags von einem Verschulden des Meldepflichtigen abhängen würde, führt dies noch nicht zwangsläufig zur Qualifikation des Beitragszuschlags als 'Strafe' iSv. Art 6 EMRK. Das Vorkommen der Rechtsfigur des 'Verschuldens' ist nämlich nicht auf das Strafrecht beschränkt; so ist etwa im zivilrechtlichen Schadenersatzrecht die Verpflichtung zum Ersatz des Schadens von einem Verschulden des Schädigers abhängig (vgl. § 1294 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs – ABGB, JGS Nr 946/1811), ohne dass der Schadenersatzanspruch dadurch zu einer Strafe iSv. Art 6 EMRK würde. Die diesbezüglichen Argumente des antragstellenden Verwaltungsgerichtes vermögen die Qualifikation der Beitragszuschläge als 'Strafe' iSv. Art 6 EMRK demnach nicht zu begründen.

6.1. Die Bundesregierung übersieht nicht, dass den Beitragszuschlägen iSv. § 113 ASVG auf den ersten Blick vergleichbare Zahlungspflichten, wie etwa Erhöhungsbeiträge zu Agrarmarketingbeiträgen, nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Verfassungsgerichtshofes als Strafen iSv. Art 6 EMRK angesehen wurden (vgl. EGMR , Fall Steiniger v. Austria, Appl. Nr 21539/07, und , Fall Kloiber v. Austria, Appl. Nr 21565/07, bzw. VfSlg 19.906/2014).

6.2. Soweit ersichtlich, haben aber weder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte noch der Verfassungsgerichtshof eine solche Qualifikation hinsichtlich der Beitragszuschläge gemäß § 113 Abs 1 und 2 ASVG vorgenommen.

Nach Auffassung der Bundesregierung scheidet die Qualifikation dieser Beitragszuschläge als 'Strafen' iSv. Art 6 EMRK – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. Pkt. III.4.) – aus den zuvor (Pkt. III.5.) dargelegten Gründen aus, weil sie weder dem Strafrecht zugeordnet sind, noch pönalen Charakter besitzen, sondern – wie dies § 113 Abs 2 ASVG ausdrücklich bestimmt – einer pauschalen Abgeltung der Kosten für die gesonderte Bearbeitung und für den Prüfeinsatz, der dem Versicherungsträger aus Anlass einer verspäteten Anmeldung zur Pflichtversicherung entsteht, dienen und auch nur dann vorgeschrieben werden dürfen, wenn ein solcher Verwaltungsmehraufwand entsteht.

7. Die Bundesregierung vertritt daher die Ansicht, dass der Beitragszuschlag gemäß § 113 Abs 1 Z 1 und 2 ASVG auf Grund seines Charakters als pauschalierte Aufwandsentschädigung keine 'Strafe' iSv. Art 6 EMRK darstellt. Daraus folgt, dass die Vorschreibung eines Beitragszuschlags zusätzlich zur Verhängung einer Verwaltungsstrafe nicht in den Schutzbereich des Verbots der Doppelbestrafung des Art 4 7. ZPEMRK fällt.

8. Aber selbst wenn die Beitragszuschläge als 'Strafe' iSv. Art 6 EMRK zu qualifizieren wären und der Schutzbereich des Doppelbestrafungsverbotes damit eröffnet wäre, läge ein Verstoß gegen dieses Verbot nach Ansicht der Bundesregierung nicht vor, da nach der – neueren – Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die Verhängung einer Strafe und die zusätzliche Vorschreibung eines Zuschlags mit Strafcharakter (!) nicht zwangsläufig zu einer unzulässigen Doppelbestrafung iSv. Art 4 7. ZPEMRK führt (siehe EGMR , Fall A and B v. Norway, Appl. Nr 24130/11 und 29.758/11). Wenn aber eine kumulative Verhängung zweier Maßnahmen, die als 'Strafe' iSv. Art 6 EMRK zu qualifizieren sind, mit dem Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art 4 7. ZPEMRK vereinbar sein kann, muss dies umso mehr für die Verhängung einer Verwaltungsstrafe und eines Beitragszuschlags, der einem Aufwandersatz dient, gelten.

9. Aus der Überschrift zu A.IV.3. des Antrags geht hervor, dass das antragstellende Verwaltungsgericht auch Bedenken im Hinblick auf Art 6 EMRK hat. Eine diesbezügliche Begründung im Gesetzesprüfungsantrag fehlt jedoch, weshalb die Bundesregierung auf dieses Bedenken nicht einzugehen vermag.

10. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass § 113 Abs 1 und 2 ASVG

nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig ist."

IV.Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VfGG zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Anträge – erwogen:

1.Zur Zulässigkeit der Anträge

1.1.Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 139 Abs 1 Z 1 B-VG bzw. des Art 140 Abs 1 Z 1 lita B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2.Die Bundesregierung zieht in ihrer Äußerung (im Verfahren zu G407/2016) die Präjudizialität der Z 2 bis Z 4 des § 113 Abs 1 ASVG in Zweifel.

Mit diesem Vorbringen ist die Bundesregierung im Recht:

1.2.1.Die Z 2 des § 113 Abs 1 ASVG regelt die Vorschreibung von Beitragszuschlägen für den Fall, dass "die vollständige Anmeldung zur Pflichtversicherung nach § 33 Abs 1a Z 2 nicht oder verspätet erstattet wurde", Z 3 leg.cit. setzt voraus, dass "das Entgelt nicht oder verspätet gemeldet wurde" und Z 4 leg.cit. regelt jene Fälle, in denen "ein zu niedriges Entgelt gemeldet wurde".

1.2.2.Aus den Anträgen des Bundesverwaltungsgerichtes geht aber hervor, dass sich der jeweils bekämpfte Bescheid der Gebietskrankenkasse auf § 113 Abs 1 Z 1 und Abs 2 ASVG stützt und jeweils einen Sachverhalt betrifft, nach welchem Dienstnehmer, die nicht zur Sozialversicherung gemeldet waren, bei der Arbeit betreten wurden. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher zur Beurteilung dieser Rechtssachen nur die Z 1 des § 113 ASVG, nicht jedoch auch dessen Z 2 bis Z 4 anzuwenden. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Z 2 bis Z 4 des § 113 Abs 1 ASVG mit Z 1 in einem untrennbaren Zusammenhang stünden, weil es sich um unterschiedliche Tatbestände handelt, auf die sich auch der mitangefochtene Abs 2 nicht bezieht; ein solcher Zusammenhang wird vom antragstellenden Gericht im Übrigen auch nicht behauptet.

1.3.Die Anträge erweisen sich daher als unzulässig, soweit sie sich auch gegen die Z 2 bis Z 4 des § 113 Abs 1 ASVG richten.

1.4.Hingegen hat das Verfahren nichts ergeben, was an der Präjudizialität des § 113 Abs 1 Z 1 und Abs 2 ASVG zweifeln ließe; da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die Anträge insoweit als zulässig.

2.In der Sache

2.1.Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2.Das Bundesverwaltungsgericht hegt gegen die angefochtenen Bestimmungen Bedenken im Hinblick auf das Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art 4 7. ZPEMRK. Ferner meint das Bundesverwaltungsgericht in seinem Antrag zu G27/2017, dass die angefochtenen Bestimmungen "in das verfassungsrechtlich gewährleistete Eigentumsrecht sowie in das verfassungsrechtlich gewährleistete Gleichheitsrecht eingreifen", womit das Gericht – sich im Ausdruck vergreifend – offenbar meint, dass sie für den Fall des Zutreffens der Bedenken die genannten Grundrechte überdies verletzen würden.

2.3.Das Bundesverwaltungsgericht begründet seine Bedenken zusammengefasst damit, dass § 113 ASVG, ebenso wie § 111 leg.cit., unter den Abschnitt "Strafbestimmungen" (Abschnitt VIII des Zweiten Teiles des ASVG) eingeordnet sei. Auch das Vorliegen einer "strafrechtlichen Anklage" nach den "Engel-Kriterien" sei erfüllt. Darüber hinaus würde die in der "VwGH-Rechtsprechung herangezogene Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1935" die "zugrundeliegende Logik überprüfungswürdig erscheinen" lassen. Es liege auch die Voraussetzung einer äußerst geringen Strafhöhe iSd Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht vor, um das Vorliegen einer "strafrechtlichen Anklage" verneinen zu können. Das "Verschwimmen der Konturen" zwischen den §§111 und 113 ASVG werde immer mehr verstärkt. Die bisherige Rechtsprechung zu § 113 ASVG scheine der nach den "Engel-Kriterien" des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gebotenen materiellen bzw. funktionellen Betrachtung nicht voll Rechnung zu tragen.

2.4.Mit seinem Vorbringen ist das Bundesverwaltungsgericht nicht im Recht:

2.4.1.Zunächst ist dem Bundesverwaltungsgericht entgegenzuhalten, dass der in § 113 Abs 1 Z 1 ASVG geregelte Beitragszuschlag ebenso wenig eine Strafe darstellt wie Verzugszinsen, deren Höhe in den Fällen der Z 2 bis Z 4 des § 113 Abs 1 gemäß Abs 3 letzter Satz ASVG vom Beitragszuschlag nicht unterschritten werden darf. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht in diesem Zusammenhang auch, dass der Beitragszuschlag nach Z 1 – anders als eine Verwaltungsstrafe – nicht etwa der betreffenden Gebietskörperschaft (hier: dem Bund), sondern jenem Krankenversicherungsträger zufließt, der den Aufwand der Kontrolle nicht angemeldeter Beschäftigung ("Schwarzarbeit") zu tragen hat. Er knüpft in rechtlicher Hinsicht an ein bestehendes (zunächst aber nicht gemeldetes) Versicherungsverhältnis an und ist daher (anders als eine Verwaltungsstrafe) ein – im Einzelfall zu den Regelbeiträgen hinzutretender – Teil der vom Dienstgeber geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge.

2.4.2.Gemäß § 41a Abs 1 ASVG haben die Krankenversicherungsträger nämlich "die Einhaltung aller für das Versicherungsverhältnis maßgebenden Tatsachen zu prüfen". Gemeinsam mit der Sozialversicherungsprüfung ist vom Krankenversicherungsträger auch die Lohnsteuerprüfung nach § 86 des Einkommensteuergesetzes 1988 durchzuführen (sog. "Gemeinsame Prüfung der lohnabhängigen Abgaben" – GPLA).

2.4.3.Die Beschäftigung nicht zur Sozialversicherung angemeldeter Dienstnehmer ("Schwarzarbeit") ist nur durch derartige, unangemeldete Kontrollen am jeweiligen (potenziellen) Ort der Beschäftigung feststellbar. Dadurch unterscheidet sich dieser Tatbestand von jenem der nicht vollständigen Meldung oder der unrichtigen oder der verspäteten Entgeltmeldung iSd § 113 Abs 1 Z 2 bis Z 4 ASVG, denen gemeinsam ist, dass der Krankenversicherungsträger durch die Meldung zumindest von der Beschäftigung eines Dienstnehmers Kenntnis erlangt hat, weshalb ihm in der Folge im Falle von Meldepflichtverletzungen auch andere Ermittlungsmöglichkeiten als die Nachschau durch Bedienstete am Ort der Beschäftigung offenstehen (vgl. VfSlg 15.850/2000 – zur Sanktion des § 25 Abs 2 AlVG).

2.4.4.Das Vorliegen einer "strafrechtlichen Anklage" nach Art 6 Abs 1 EMRK ist nach der mit dem Fall Engel (EGMR , Fall Engel ua., Appl. 5100/71 ua.) beginnenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nach der Einordnung im innerstaatlichen Recht, nach der Natur des Vergehens und nach der Art und Schwere der Strafe zu beurteilen. Soweit das antragstellende Gericht auf die sog. "Engel-Kriterien" rekurriert, übersieht es zunächst, dass die Qualifikation als Straftatbestand durch den Gesetzgeber ausdrücklich zu erfolgen hätte. Der Umstand, dass der Abschnitt VIII des Zweiten Teils des ASVG, welcher die Gruppe von Bestimmungen von §§111 bis 113 ASVG enthält, mit "Strafbestimmungen" überschrieben ist, stellt für sich allein noch keine solche Qualifikation auch des § 113 ASVG dar, wie sich aus den Erläuterungen zur Stammfassung (ErlRV 599 BlgNR 7. GP, 47) ergibt, die zwischen den Strafbestimmungen und der Vorschreibung der Beitragszuschläge ausdrücklich unterscheiden. Die in der Abschnittsbezeichnung seither unverändert verwendete Mehrzahl "Strafbestimmungen" stammt offensichtlich daher, dass sich ursprünglich mit § 114 ASVG (Nichtabfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge) bis (Inkrafttreten des § 153c StGB bei gleichzeitiger Aufhebung des § 114 ASVG durch das Sozialbetrugsgesetz, BGBl I 152/2004), neben § 111 ASVG eine weitere Strafbestimmung in diesem Abschnitt befunden hat; der Umstand allein, dass der Gesetzgeber die Marginalrubrik des VIII. Abschnittes aus Anlass der Aufhebung dieser zweiten Strafbestimmung im ASVG nicht geändert hat, stellt jedoch keinen Akt der Qualifikation aller in diesem Abschnitt verbleibenden Vorschriften als solche des (Verwaltungs-)Strafrechts dar. Daher geht das diesbezügliche Vorbringen des Bundesverwaltungsgerichtes fehl.

2.4.5.Beim Beitragszuschlag gemäß § 113 Abs 2 ASVG handelt es sich – woran der Wortlaut des Gesetzes keine Zweifel lässt – um keine Sanktion strafrechtlichen Charakters, sondern um einen Pauschalersatz für den Verwaltungsaufwand, der durch Bereithaltung und den Einsatz von Personal zur Kontrolle von Arbeitsstätten iSd § 41a ASVG zwecks Aufdeckung von "Schwarzarbeit" entsteht (zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Umlegung eines solchen Verwaltungsaufwandes auf die Verursacher durch Beitragszuschläge nach § 113 ASVG [in einer früheren Fassung] vgl. VfSlg 4688/1964). Diese Kosten werden nach dem Willen des Gesetzgebers von jenen Dienstgebern zumindest teilweise getragen, bei denen die Beschäftigung von nicht gemeldeten Dienstnehmern aus Anlass einer "Prüfung nach § 41a ASVG" festgestellt wird (vgl. auch die Erläut. zur RV 77 BlgNR 23. GP, 5), und zwar im Verhältnis der Zahl der auf diese Weise unangemeldet beschäftigten Dienstnehmer. Die darin (auch) zum Ausdruck kommende (bei Schwarzarbeit in größerem Umfang auch durchaus empfindliche Höhe erreichende) Sanktionierung des Unterlassens der "Mindestangaben-Meldung" iSd § 33 Abs 1a ASVG soll offenkundig vermeiden helfen, dass sich ein Dienstgeber der Meldepflicht in der Hoffnung entzieht, die Beschäftigung werde dem Krankenversicherungsträger entweder gar nicht oder erst so spät zur Kenntnis gelangen, dass sich der tatsächliche Beginn der Beschäftigung oder die Höhe des Entgelts nicht oder nur mehr schwer überprüfen lassen; dass diese Kostenbeteiligung eine administrative Reaktion auf die Verletzung von Ordnungsvorschriften ist, macht sie noch nicht zur Strafnorm (vgl. dazu auch das Erkenntnis VfSlg 15.850/2000 – Verneinung des Strafcharakters einer Sanktion vergleichbaren Zwecks in § 25 Abs 2 AlVG für die Nichtmeldung einer Beschäftigung durch Bezieher von Arbeitslosengeld im Falle des Betretens bei der Beschäftigung).

2.4.6.Anders als das antragstellende Gericht meint, spricht – abgesehen von der Zuständigkeit der Gebietskrankenkasse, die nicht Strafbehörde ist – für das Vorliegen einer Verwaltungsstrafe schließlich auch nicht der Umstand, dass bei der Bemessung dieses Aufwandersatzes auf (in der Regel freilich atypische) Sachverhaltselelemente des Einzelfalles, die berücksichtigungswürdig sind, wie im Falle einer erstmaligen Unterlassung der Meldung mit unbedeutenden Folgen, eine Herabsetzung oder gar ein Erlass des Beitragszuschlages in Betracht kommt. Damit wird – im Gegenteil – deutlich, dass die Verhängung des Kostenbeitrages (zum Unterschied von einer Verwaltungsstrafe) nicht obligatorisch ist. Damit entspricht der Gesetzgeber weiters jenen Maßstäben, die der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung für vergleichbare Rechtsinstitute entwickelt hat: danach muss auch bei pauschalierenden Regelungen ein angemessenes Verhältnis zu den in Kauf genommenen Rechtsfolgen eingehalten (VfSlg 19.701/2012) und müssen von dem vom Gesetzgeber "eigentlich" gemeinten Regelfall der "Schwarzarbeit" abweichende, atypische Verhältnisse uU auch dadurch berücksichtigt werden, dass der Zuschlag ganz oder teilweise entfällt (vgl. zu dieser Anforderung VfSlg 11.295/1987 – Säumniszuschlag bei Gerichtsgebühren). Es trifft daher die Prämisse des antragstellenden Bundesverwaltungsgerichtes nicht zu, dass § 113 Abs 1 Z 1 ASVG eine Strafbestimmung darstellt, weshalb auch der Behauptung eines Verstoßes gegen das Doppelbestrafungsverbot des Art 4 des 7. ZPEMRK der Boden entzogen ist.

2.4.7.Schließlich trifft auch das nur zu G24/2017 ausgeführte Bedenken des Bundesverwaltungsgerichtes nicht zu, dass die angefochtenen Bestimmungen dem Dienstgeber im Falle der Betrauung eines Steuerberaters in einer gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums und das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verstoßenden Weise eine Haftung für fremdes Verschulden auferlegen würden: § 113 Abs 1 ASVG sieht vor, dass die Beitragszuschläge den "in § 111 Abs 1 genannten Personen oder Stellen" vorzuschreiben sind. § 111 Abs 1 ASVG nennt neben dem Dienstgeber alternativ eine bevollmächtigte Person nach § 35 Abs 3 ASVG, wozu auch ein Steuerberater oder ein Rechtsanwalt zählt. Eine Übertragung der den Dienstgeber treffenden gesetzlichen Meldepflichten auf solche Bevollmächtigte ist in der zuletzt genannten Bestimmung zwar ausdrücklich zugelassen, die rechtliche Wirksamkeit einer solchen Übertragung ist allerdings daran gebunden, dass diese Person dem zuständigen Versicherungsträger bekannt gegeben worden ist. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass die gesetzlichen (Melde-)Verpflichtungen solange in der Verantwortung des Dienstgebers bleiben, als eine solche Bekanntgabe an die Gebietskrankenkasse nicht erfolgt ist, und dass ein Dienstgeber, der sich ohne eine solche Bekanntgabe bei der Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten eines von ihm ausgewählten Gehilfen bedient, in beitragsrechtlicher Hinsicht für dessen Verschulden wie für sein eigenes in Anspruch genommen wird.

V.Ergebnis

1.Die ob der Verfassungsmäßigkeit des § 113 Abs 1 Z 1 und Abs 2 ASVG erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher insoweit abzuweisen.

2.Im Übrigen, also hinsichtlich der Z 2 bis Z 4 des § 113 Abs 1 ASVG, ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen.

3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2017:G407.2016
Schlagworte:
Sozialversicherung, Beitragszuschlag (Sozialversicherung) , Doppelbestrafungsverbot, Strafe (Verwaltungsstrafrecht), VfGH / Präjudizialität

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