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VfGH vom 09.12.1997, G403/97

VfGH vom 09.12.1997, G403/97

Sammlungsnummer

15040

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit des generellen Ausschlusses der steuerlichen Anerkennung von Rückstellungen für Dienstjubiläumsgelder im EStG 1988 idF des SteuerreformG 1993

Spruch

In § 9 Abs 4 EStG 1988, BGBl. Nr. 400/1988 idF des ArtI Z 6 des Steuerreformgesetzes 1993, BGBl. Nr. 818/1993, wird die Wortfolge "eines Dienst- oder" als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B322/96 ein Verfahren über eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, welcher folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

Die beschwerdeführende Aktiengesellschaft, ein Elektrizitätsversorgungsunternehmen, ist gemäß § 11a des Kollektivvertrages für Angestellte der Elektrizitätsversorgungsunternehmungen Österreichs verpflichtet, nach einer ununterbrochenen Dauer des Arbeitsverhältnisses von 25, 35 und 40 Jahren ein bzw. zwei bzw. drei Monatsgehälter als Jubiläumsgeld auszuzahlen. Gemäß § 198 HGB iVm ArtX Abs 1 Rechnungslegungsgesetz hat die Beschwerdeführerin hiefür eine Jubiläumsgeldrückstellung zu bilden. In ihrer Körperschaftsteuererklärung 1994 machte sie die Zuweisung zur Jubiläumsgeldrückstellung in der Höhe von S 3,259.000,- (laut Bescheid S 3,143.000,-) als Betriebsausgabe geltend.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die Finanzlandesdirektion für Oberösterreich die Berufung der beschwerdeführenden Aktiengesellschaft gegen den - die Bildung der Jubiläumsgeldrückstellung steuerlich nicht anerkennenden - Körperschaftsteuerbescheid 1994 ab, und zwar unter Hinweis auf die Bindung an das Legalitätsprinzip und auf den Umstand, daß für die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Abfertigungsrückstellungen und Rückstellungen für Jubiläumsgelder wesentliche betragsmäßige und damit sachliche Gründe sprächen.

2. Bei Behandlung der gegen diesen Bescheid gemäß Art 144 B-VG erhobenen und vom Verfassungsgerichtshof vorläufig für zulässig angesehenen Beschwerde sind Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "eines Dienst- oder" in § 9 Abs 4 Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. 400/1988, idF des ArtI Z 6 des Steuerreformgesetzes 1993, BGBl. 818/1993, entstanden. Der Gerichtshof hat daher beschlossen, diese Wortfolge von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3. Die Bundesregierung hat in diesem Verfahren eine Äußerung erstattet, in der sie beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge aussprechen, daß die in Prüfung gezogene Wortfolge nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird; im Falle der Aufhebung wolle für das Außerkrafttreten eine Frist von 18 Monaten bestimmt werden, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

II.Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. § 9 Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. 400/1988, (EStG 1988) idF des ArtI Z 6 Steuerreformgesetz 1993, BGBl. 818/1993, (im folgenden EStG) - nachfolgende Novellen ließen den § 9 EStG unberührt - lautet (die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben):

"Rückstellungen

§9. (1) Rückstellungen können nur gebildet werden für


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1.
Anwartschaften auf Abfertigungen,
2.
laufende Pensionen und Anwartschaften auf Pensionen,
3.
sonstige ungewisse Verbindlichkeiten,
4.
drohende Verluste aus schwebenden Geschäften.

(2) Rückstellungen im Sinne des Abs 1 Z 1 und 2 sind nach § 14 zu bilden.

(3) Rückstellungen im Sinne des Abs 1 Z 3 und 4 dürfen nicht pauschal gebildet werden. Die Bildung von Rückstellungen ist nur dann zulässig, wenn konkrete Umstände nachgewiesen werden können, nach denen im jeweiligen Einzelfall mit dem Vorliegen oder dem Entstehen einer Verbindlichkeit (eines Verlustes) ernsthaft zu rechnen ist.

(4) Rückstellungen für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anläßlich eines Dienst- oder eines Firmenjubiläums dürfen nicht gebildet werden."

ArtI Z 64 Steuerreformgesetz 1993, BGBl. 818/1993,

bestimmt:

"Die Z 5 und 6 sind erstmals auf die Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem enden. Pauschale Wertberichtigungen, die für Wirtschaftsjahre gebildet worden sind, die vor dem geendet haben, sind mit dem im Jahresabschluß des letzten dieser Wirtschaftsjahre angesetzten Betrag im folgenden Wirtschaftsjahr gewinnerhöhend aufzulösen. Soweit für Wirtschaftsjahre, die vor dem geendet haben, für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung Rückstellungen gebildet worden sind, die nicht der Z 6 dieses Bundesgesetzes entsprechen, gilt folgendes:

a) Die Rückstellungen sind mit jenem Betrag gewinnerhöhend aufzulösen, mit dem die Rückstellungen im Jahresabschluß für das letzte vor dem endende Wirtschaftsjahr angesetzt werden.

b) Die gewinnerhöhende Auflösung ist innerhalb jener vier Wirtschaftsjahre vorzunehmen, die auf das letzte vor dem endende Wirtschaftsjahr folgen. In dem nach dem endenden Wirtschaftsjahr sind mindestens 50 % jenes Betrages, der im Jahresabschluß für das letzte vor dem endende Wirtschaftsjahr angesetzt wurde, aufzulösen." (Lit. b erhielt ihre Fassung durch BGBl. 201/1996.)

§198 HGB idF des Rechnungslegungsgesetzes, BGBl. 475/1990, (RLG) der unter der Überschrift "Inhalt der Bilanz" steht, gebietet:

"(1) bis (7) ...

(8) Rückstellungen sind insbesondere zu bilden für


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1.
Anwartschaften und Abfertigungen,
2.
laufende Pensionen und Anwartschaften auf Pensionen,
3.
sonstige ungewisse Verbindlichkeiten,
4.
drohende Verluste aus schwebenden Geschäften.

Eine Verpflichtung zur Rückstellung besteht nicht, soweit es sich um Rückstellungen von untergeordneter Bedeutung handelt."

2. Im Prüfungsbeschluß nahm der Verfassungsgerichtshof an, daß er bei Prüfung des Bescheides § 9 Abs 4 EStG anzuwenden hätte, sodaß die in dieser Gesetzesstelle in Prüfung gezogene Wortfolge "eines Dienst- oder" präjudiziell sein dürfte. Die Bundesregierng bejahte in ihrer Äußerung die Präjudizialität der in Prüfung genommenen Wortfolge. Der Verfassungsgerichtshof tritt dieser Auffassung bei. Da auch alle übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das zu G403/97 protokollierte Verfahren zulässig.

3. Der Verfassungsgerichtshof hegte im Prüfungsbeschluß das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle mit dem aus dem Gleichheitssatz erfließenden Sachlichkeitsgebot der Bundesverfassung unvereinbar sei.

Er ging unter Hinweis auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Z 90/14/0073, und vom , Z 89/13/0007, sowie auf den Erlaß des Bundesministers für Finanzen vom , AÖF 198/1994, davon aus, daß aufgrund der bis 1993 in Geltung gestandenen Fassung des Einkommensteuergesetzes die Passivierung von Rückstellungen für Verpflichtungen zur Zuwendung anläßlich eines Dienstjubiläums grundsätzlich steuerwirksam zulässig war und führte weiter aus:

"Ab dem Wirtschaftsjahr 1994 (vgl. Z 64 Steuerreformgesetz 1993) dürfen gemäß § 9 Abs 4 EStG Rückstellungen für Verpflichtungen zu einer Zuwendung anläßlich eines Dienst- oder Firmenjubiläums generell nicht mehr gebildet werden. Gemäß § 9 Abs 1 EStG können Rückstellungen nur gebildet werden für Anwartschaften auf Abfertigungen (Z1), laufende Pensionen und Anwartschaften auf Pensionen (Z2), sonstige ungewisse Verbindlichkeiten (Z3) und drohende Verluste aus schwebenden Geschäften (Z4). Rückstellungen im Sinne des § 9 Abs 1 Z 1 und Z 2 EStG sind gemäß Abs 2 nach § 14 leg.cit. zu bilden. Gemäß Abs 3 dürfen Rückstellungen im Sinne des Abs 1 Z 3 und Z 4 nicht pauschal gebildet werden. Die Bildung dieser Rückstellungen ist außerdem nur dann zulässig, wenn konkrete Umstände nachgewiesen werden können, nach denen im jeweiligen Einzelfall mit dem Vorliegen oder dem Entstehen einer Verbindlichkeit (eines Verlustes) ernsthaft zu rechnen ist.

... Die Bildung von steuerwirksamen Rückstellungen ermöglicht dem Steuerpflichtigen, die Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer zu senken. § 9 Abs 1 Z 3 EStG räumt dem Steuerpflichtigen - bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs 3 - grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf Bildung einer Rückstellung für sonstige ungewisse Verbindlichkeiten ein.

Der Verfassungsgerichtshof ist vorläufig der Auffassung, daß Jubiläumsgelder und Treueprämien, die Dienstnehmern anläßlich einer gewissen Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit zu gewähren sind, als Belohnungen für langjährige Tätigkeiten anzusehen sind und insoweit die in Vorperioden erbrachten Arbeitsleistungen entlohnen. Jubiläumsgelder und Treueprämien dürften sohin durch die vor dem Bilanzstichtag liegenden Zeiträume wirtschaftlich verursacht sein (s. /0073, , Z 89/13/0007; vgl. auch BFH , BStBl. II 845). Beruht des weiteren die Gewährung von Jubiläumsgeldern und Treueprämien auf einer rechtsverbindlichen Verpflichtung - so wie zB im Beschwerdefall auf Kollektivvertrag - und ist im jeweiligen Einzelfall die konkrete Wahrscheinlichkeit des Eintrittes des Ereignisses gegeben, so lägen die Kriterien für steuerwirksam rückstellungsfähige sonstige ungewisse Verbindlichkeiten vor.

Zufolge der in Prüfung gezogenen Gesetzesstelle dürften jedoch - entgegen der Gesetzeslage vor dem Steuerreformgesetz 1993 - ausnahmslos Rückstellungen für Zuwendungen anläßlich eines Dienstjubiläums nicht mehr steuerwirksam gebildet werden, auch wenn die allgemeinen Voraussetzungen des § 9 Abs 1 Z 3 iVm Abs 3 EStG vorliegen.

... Zur getroffenen Neuregelung der Rückstellungsbildung im Steuerrecht sowie zur Unzulässigkeit der Rückstellungsbildung für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anläßlich eines Dienst- oder eines Firmenjubiläums wird in den Erläuterungen zu § 9 EStG, 1237 BlgNR 18. GP, folgendes ausgeführt:

' ...

Zur Neuregelung im einzelnen ist festzuhalten:

Zu Abs 1 und 3:

Grundsätzlich sollen nur die in § 198 Abs 8 HGB ausdrücklich angeführten Rückstellungen zum Abzug zugelassen werden. Die demonstrative Aufzählung des § 198 Abs 8 HGB wird für Belange der Steuerbilanz in eine taxative Aufzählung umgeformt. Damit ist eindeutig klargestellt, daß in der Steuerbilanz für Aufwandsrückstellungen kein Raum ist. Gleiches gilt für den ausdrücklichen Ausschluß einer steuerwirksamen Rückstellung für Jubiläumsgelder.

Zu Abs 2:

... Einzelrückstellungen sind steuerlich nur dann

anzuerkennen, wenn - und dies bereits zum Bilanzstichtag -

konkrete Umstände vorliegen, auf Grund derer mit dem Entstehen

einer Verbindlichkeit bzw. eines Verlustes ernsthaft zu rechnen

ist. Einzelrückstellungen sind selbstverständlich auch dann

zulässig, wenn eine Verbindlichkeit (ein Verlust) dem Grunde

nach bereits feststeht und lediglich das Ausmaß noch ungewiß

ist. ... '

... Es steht dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, im

Steuerrecht eine Passivierungspflicht und ein Passivierungsrecht vorzusehen oder (teilweise) zu beseitigen (VfSlg. 8457/1978). Wenn der Gesetzgeber aber die Möglichkeit der Passivierung nach einem bestimmten, dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden System gewährt, bedarf ein Abweichen von einem solchen System abermals einer sachlichen Rechtfertigung (vgl. VfSlg. 8457/1978, 9138/1981, 11368/1987, s. Korinek, Gedanken zur Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitsgrundsatz nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, in FS Melichar (1983) 49).

Es dürfte jedoch hinsichtlich der steuerlichen Behandlung von Rückstellungen für Jubiläumsgelder und Treueprämien keine sachliche Rechtfertigung für das Abweichen von den Grundsätzen des § 9 Abs 1 Z 3 EStG vorhanden sein. Geht man nämlich ... davon aus, daß die nach einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit an Dienstnehmer zu gewährenden Jubiläumsgelder und Treueprämien die Kriterien sonstiger ungewisser Verbindlichkeiten nach § 9 Abs 1 Z 3 EStG erfüllen können - dies dürfte in der Regel zumindest auf Jubiläumsgaben zutreffen, für deren Gewährung eine rechtswirksame und unwiderrufbare Verpflichtung besteht (s. auch /0073) -, dann scheint kein sachlicher Grund für das ausschließliche Verbot der steuerwirksamen Bildung von Rückstellungen für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anläßlich eines Dienstjubiläums im Vergleich mit der steuerlichen Behandlung von sonstigen ungewissen Verbindlichkeiten vorhanden zu sein.

... Aus den Erläuterungen geht hervor, daß mit der in § 9 EStG getroffenen Regelung hinsichtlich der steuerlichen Anerkennung von Rückstellungen die in den letzten Jahren deutlich ausgeweiteten Gestaltungsspielräume wieder eingeengt würden und daß damit eine wichtige Maßnahme im Sinne einer gleichmäßigen Besteuerung gesetzt werden sollte. Diese Maßnahme dürfte aber gerade dort kein geeigneter Rechtfertigungsgrund für die Sachlichkeit der Regelung sein, wo die Gewährung von Jubiläumsgeldern oder Treueprämien auf einer rechtswirksamen Verpflichtung - so wie zB im Beschwerdefall auf Kollektivvertrag - beruht, da hier ein solcher Spielraum nicht bestanden haben dürfte.

Insoweit steuerlich anzuerkennende Rückstellungen auf 'verbindlichkeitsnahe' Passivposten beschränkt werden sollen, scheint ein Unterschied im Hinblick auf die Verbindlichkeitsnähe zwischen Rückstellungen für Dienstnehmerjubiläen und den übrigen steuerwirksamen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten nicht zu bestehen (s. Engelmann, Die Rückstellungen nach der Steuerreform, SWK 1993, A 581).

... Wenn die belangte Behörde die Sachlichkeit der

angefochtenen Wortfolge damit verteidigt, daß Jubiläumsgelder

keine (ungewissen) Verbindlichkeiten seien, da der Anspruch erst

mit Eintritt des Ereignisses entstehe und daher kein

Erfüllungsrückstand vorliege, so sei, wie bereits ... ausgeführt,

darauf verwiesen, daß Jubiläumsgelder und Treueprämien langjährige Tätigkeiten und somit in Vorperioden erbrachte Arbeitsleistungen belohnen dürften, sohin durch vor dem Bilanzstichtag liegende Zeiträume wirtschaftlich verursacht scheinen. Wenn, wie der Verfassungsgerichtshof vorläufig annimmt, Jubiläumsgaben die Kriterien für ungewisse Verbindlichkeiten gemäß § 9 Abs 1 Z 3 EStG erfüllen, unterscheiden sie sich nicht von anderen ungewissen Verbindlichkeiten iS des § 9 Abs 1 Z 3 EStG.

Auch der Hinweis der belangten Behörde auf die Ausnahmeregelung des § 198 Abs 8 letzter Satz HGB - wie auch immer die belangte Behörde diese deuten mag - dürfte die in Prüfung gezogene steuerrechtliche Regelung sachlich nicht rechtfertigen, zumal Steuerbilanz und Handelsbilanz voneinander abweichen können (vgl. VfSlg. 8457/1978, 9518/1982, 13785/1994).

... Die in Prüfung gezogene Wortfolge, welche auch bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen des § 9 Abs 1 Z 3 iVm Abs 3 EStG generell die steuerwirksame Zuweisung zur Rückstellung für Dienstjubiläen verbietet, dürfte überschießend und damit sachlich nicht zu rechtfertigen sein.

Der Verfassungsgerichtshof hegt sohin das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Bestimmung in Widerspruch zu Art 7 B-VG steht."

4. Die Bundesregierung verteidigte die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmung unter anderem wie folgt:

"1. Bei Gewerbetreibenden, deren Firma im Firmenbuch eingetragen ist, wird der steuerliche Gewinn auf der Basis des grundsätzlichen Konzepts der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die steuerliche Gewinnermittlung definiert. Demnach ist unter Beachtung der Vorschriften des Einkommensteuergesetzes über die Gewinnermittlung der Gewinn nach Maßgabe der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung anzusetzen.

Nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung sind Rückstellungen für Schulden zu bilden, die am Bilanzstichtag dem Grunde nach noch nicht bestehen, mit deren Eintritt aber nach Auffassung eines 'ordentlichen Kaufmannes' ernstlich, d.h. mit größter Wahrscheinlichkeit, zu rechnen ist, oder die zwar nicht dem Grunde, wohl aber der Höhe nach ungewiß sind. Ein '§5-Ermittler' ist jedenfalls zur Rückstellungsbildung verpflichtet (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 1221/59, und vom , Zl. 1463/59).

Um die Bildung einer Rückstellung zu rechtfertigen, muß noch keine rechtsverbindliche Schuld am Bilanzstichtag vorliegen. Es genügt vielmehr die Gewißheit, daß ein wirtschaftlich das abgelaufene Wirtschaftsjahr betreffender Aufwand bestimmter Art ernsthaft droht, also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit voraussehbar ist, oder daß der Aufwand schon sicher und nur der Höhe nach unbestimmt ist, nicht aber schon die entfernte Möglichkeit einer Inanspruchnahme oder eines Verlustes (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , GZ 2551, 2662/77). Eine Rückstellung bedeutet weder die Bildung eines Fonds, aus dem später bestimmte Ausgaben bestritten werden sollen, noch eine echte Schuld gegenüber einem bestimmten Gläubiger. Sie stellt lediglich eine Korrektur des ausgewiesenen Gewinnes dar, die buchhalterisch als Schuld ausgewiesen werden muß (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , GZ 62/53) und die nur in der Höhe steuerlich zulässig ist, in der der Erfolg des betreffenden Wirtschaftsjahres voraussichtlich mit künftigen Ausgaben belastet wird (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , GZ 2551, 2662/77 und vom , GZ 14/1419, 1540 bis 1542/79).

Rückstellungen können nur für das Wirtschaftsjahr gebildet werden, in das der Betriebsvorgang fällt, der zur Entstehung der Schuld geführt hat (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , GZ 1847, 1899/53 und vom , GZ 1463/59). Die Bildung muß also dem Erfordernis der zeitabschnittsmäßig richtigen Erfolgsabgrenzung entsprechen, weil der Erfolg eines Wirtschaftsjahres nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung nur mit dem auf das betreffende Wirtschaftsjahr entfallenden Aufwand belastet werden darf (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , GZ 1058/63). Die Rückstellung ist somit zum frühestmöglichen Zeitpunkt, nämlich im Wirtschaftsjahr der Verursachung des Aufwandes zu bilden. Unterläßt ein Vollkaufmann die Bildung einer Rückstellung, entspricht die Bilanz nicht den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Buchführung und ist deshalb zu berichtigen (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , GZ 1463/59).

2. Die Zwecke der handelsrechtlichen und der

steuerrechtlichen Bilanzierungsvorschriften sind völlig verschieden. Dies wird auch vom Verfassungsgerichtshof so gesehen (VfSlg. 8457/1978). Die handelsrechtlichen Vorschriften über die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung dienen betriebswirtschaftlichen Zwecken sowie vor allem dem Gläubigerschutz, die steuerrechtlichen Vorschriften der Festlegung der Steuerbemessungsgrundlagen. Die Handelsbilanz und die Steuerbilanz können daher voneinander abweichen (vgl. in diesem Sinne auch VfSlg. 13785/1994). Nach der im Gesetzesprüfungsbeschluß nunmehr zum Ausdruck kommenden Ansicht des Verfassungsgerichtshofs muß dafür aber offensichtlich eine sachliche Rechtfertigung gegeben sein. Der konkreten sachlichen Rechtfertigung der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmung soll zunächst eine allgemeine Betrachtung des Verhältnisses von Maßgeblichkeits- und Leistungsfähigkeitsprinzip vorangestellt werden.

3. Primäres Ziel der steuerlichen Gewinnermittlung ist die sachgerechte Erfassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Schon von der erwähnten andersgearteten Zielsetzung her ist der handelsbilanzielle Gewinn ein Maßstab, der der Erfassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nur unzulänglich gerecht wird. Dazu treffen auch die vom Verfassungsgerichtshof zitierten Erläuterungen zur Regierungsvorlage, BlgNR 1237, 18. GP, ausführliche Aussagen. Aus steuersystematischer Sicht kann dies aber unter anderem deswegen hingenommen werden, weil eine Vielzahl handelsrechtlicher Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung lediglich die Zuordnung bestimmter Ertrags- bzw. Aufwandseffekte zu einer bestimmten (Jahres-) Periode betrifft. Das sich auf die Lebenszeit eines Unternehmens ergebende Gesamtergebnis wird sich demgegenüber weitgehend mit der Veränderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit innerhalb dieser Lebenszeit decken. So werden etwa gebildete Rückstellungen auf die gesamte Lebenszeit eines Unternehmens schlagend (also zum 'echten' Aufwand) oder - wegen Nichteintritts einer Verbindlichkeit - ertragswirksam aufgelöst. Auch - die Leistungsfähigkeit an sich schon früher steigernde - stille Reserven werden im Regelfall innerhalb dieser Zeitspanne realisiert und damit auch definitiver Gewinn. In der Steuerrechtswissenschaft wurde in theoretischer Weiterführung dieser Überlegungen die sogenannte Markteinkommenstheorie entwickelt (dazu Ruppe in Herrmann/Heuer/Raupach, Einführung zum EStG, Anm. 17). Demnach soll (nur) das am Markt erwirtschaftete Einkommen der Besteuerung unterliegen. Zerlegt man das Einkommen nun in Einzelbestandteile, so läßt sich aus dieser Theorie ableiten, daß am Markt erwirtschaftete Aktiva und Passiva steuerlich relevant sein sollen. Innerhalb der theoretischen Konzeption dieser Theorie liegt auch ein System, bei dem Aktiva und Passiva steuerlich nur bzw. erst dann berücksichtigt werden, wenn sie sich am Markt konkret manifestiert haben. Für die steuerliche Erfassung 'aktivischer' stiller Reserven bedeutet dies, daß sie erst bei Realisierung besteuert werden. Konsequenterweise kann dabei auch die steuerliche Erfassung 'passivischer' stiller Reserven - wie sie eben in Rückstellungen zum Ausdruck kommen - erst bei Realisierung - also bei Eintritt einer 'echten' Verbindlichkeit - angenommen werden. Dies hätte zur Konsequenz, daß Rückstellungen generell steuerlich nicht anzuerkennen wären. Eine Einschränkung des Maßgeblichkeitsprinzips auf Basis derartiger markteinkommenstheoretischer Überlegungen wäre jedenfalls als ein dem Sachlichkeitsgebot entsprechendes System zu werten.

4. Der Gesetzgeber ist bei Schaffung des § 9 EStG 1988 in der derzeit geltenden Fassung von den unter Pkt. 3 dargestellten Prämissen ausgegangen. Er hat sich dabei von sachlich begründeten Überlegungen leiten lassen. Wie aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage, BlgNR 1237, 18. GP, erhellt, ist die Änderung in bezug auf die steuerrechtliche Wirksamkeit von Rückstellungen darin motiviert, daß nach einer in den vergangenen Jahren unübersichtlich gewordenen Entwicklung durch eine zunehmende Verästelung 'traditioneller' Rückstellungstypen sowie durch mittelbare Auswirkungen anderer Rechtsbereiche auf die steuerliche Gewinnermittlung im Bereich der Rückstellungen eine grundsätzliche Neuorientierung notwendig geworden ist.

Wie aus den Erläuterungen weiters hervorgeht, wertet die Gesetzgebung das Institut der Rückstellung nicht allein aus der Sicht des 'Leistungsfähigkeitsprinzips', sondern geht einen Mittelweg. Ein im Hinblick auf die obigen Ausführungen jedenfalls dem Sachlichkeitsgebot entsprechendes System wäre es, sämtlichen Rückstellungen die steuerliche Anerkennung zu versagen. Der Gesetzgeber wollte allerdings ein System wählen, das einen weniger gravierenden Eingriff in das Maßgeblichkeitsprinzip bedeutet. Es soll durch die nunmehr taxative Aufzählung von steuerwirksamen Rückstellungen einerseits Klarheit in die Definition des steuerlichen Rückstellungsbegriffes gebracht werden und andererseits sollen steuerlich anerkannte Rückstellungen auf 'verbindlichkeitsnahe' (also im Sinne der Markteinkommenstheorie 'marktnahe') Passivpositionen beschränkt werden. Entgegen der auch in der Literatur vertretenen Auffassung (vgl. zB Kirchmayr, Nichtabzugsfähigkeit der Rückstellungen für Dienst-Jubiläumsgelder nach dem SteuerreformG 1993 verfassungswidrig?, ÖStZ 1994, S 295), verfolgt die Gesetzgebung aber mit der genannten Änderung nicht ausschließlich eine Klarstellung, sondern es werden darüber hinaus Aufkommenseffekte sowie die Objektivierung des steuerlich maßgeblichen Rückstellungsbegriffs angestrebt. Durch die Einengung der in den letzten Jahren deutlich ausgeweiteten und auch ausgenützten Gestaltungsspielräume wird weiters eine wichtige Maßnahme in Richtung einer Gleichmäßigkeit der Besteuerung gesetzt. Auch dieser skizzierte Mittelweg, nämlich die steuerliche Beachtlichkeit lediglich 'marktnaher' Verbindlichkeiten ist nach Auffassung der Bundesregierung als ein dem Sachlichkeitsgebot entsprechendes System einzustufen.

Nach Auffassung der Bundesregierung ist eine derartige Neuorientierung der Gesetzgebung insbesondere vor dem Hintergrund der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich."

Weiters bringt die Bundesregierung vor, daß unter den Rückstellungen jene für Aufwendungen aus Arbeitsverhältnissen eine Sonderstellung einnehmen, was sich aus der Vielschichtigkeit der Leistungsansprüche zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie aus der Regelungsdichte in Form von Gesetzen oder sonstigen lohngestaltenden Vorschriften ergäbe. Zu derartigen Leistungsansprüchen gäbe es eine reichhaltige widersprüchliche Rechtsprechung.

So habe der Verwaltungsgerichtshof die Rückstellung für Abfertigungsansprüche steuerlich nicht anerkannt (Erkenntnisse des , , Z 780/69, , Z 3430/78 und , Z 2349/79), zumal der Umstand einer möglichen Kündigung am Bilanzstichtag erheblich ungewiß sei. Dies treffe auch auf die kollektivvertraglichen Leistungen der Beschwerdeführerin aus Anlaß eines Arbeitsjubiläums zu. Ein realistischer Anspruch der Dienstnehmerin bzw. des Dienstnehmers entstehe daher nicht bereits mit Abschluß des Dienstvertrages, sondern erst mit Eintritt des den Anspruch realisierenden Ereignisses. Daher könne im Jubiläumsgeld auch nicht ein den Lohn- und Gehaltszahlungen vergleichbares Entgelt für Betriebstreue gesehen werden, das zeitanteilig verdient und angesammelt werde. Das Erreichen des Jubiläumsstichtages allein sei daher Voraussetzung für das Entstehen des Anspruches und nicht etwa bloß die Voraussetzung für die Fälligkeit angesammelter Ansprüche aus der bisher geleisteten Arbeit. Die Dienstnehmer hätten vor dem Anfall der Dienstjubiläen keinerlei klagbaren Anspruch auf Bezahlung eines Jubiläumsgeldes an den Dienstgeber und somit bei vorzeitiger Auflösung des Dienstverhältnisses auch keinen Anspruch auf einen aliquoten Teil davon.

Der Verwaltungsgerichtshof habe allerdings - aus dieser Sicht widersprüchlich - die Passivierungspflicht von zukünftigen Arbeitnehmer-Jubiläumszuwendungen bejaht (/0073). Dieses Erkenntnis habe sich jedoch auf die Rechtslage vor dem Steuerreformgesetz 1993 bezogen.

Die Bundesregierung verweist auch auf die Widersprüchlichkeit der Judikatur des Bundesfinanzhofes zur Jubiläumsgeldrückstellung, der zunächst in seiner früheren Judikatur (BFH, BStBl. 1960 III 347) eine Rückstellung für Jubiläumsgelder abgelehnt habe, jedoch in seinem Urteil vom (BFH, BStBl. 1987 II 845) zum Ergebnis gelangt sei, daß eine Verbindlichkeitsrückstellung zu bilden wäre.

Jubiläumsgelder hätten einerseits belohnenden Charakter und seien als einmalige Gehaltserhöhung mit fixen Gehaltsvorrückungen vergleichbar, für die Verbindlichkeitsrückstellungen nicht gebildet werden könnten, obwohl diese die Jubiläumsprämien, bei denen es sich um Promillebeträge handle, um ein Vielfaches überstiegen. Auch sei es fraglich, ob im Hinblick auf die Höhe der jährlichen Dotation überhaupt von einem Erfüllungsrückstand des Arbeitgebers gesprochen werden könne, zumal außerdem bei Beendigung des Dienstverhältnisses im Unterschied zB zu den Sonderzahlungen keinerlei Anspruch auf aliquote Leistung bestehe.

Jubiläumsprämien wiesen auch Elemente einer Treueprämie auf, die den Arbeitnehmer zur weiteren Betriebstreue anspornen sollten, und stünden daher mit künftigen Lohnzahlungen in Zusammenhang und schlössen Rückstellungen in früheren Lohnzahlungszeiträumen aus.

Schließlich wiesen Jubiläumsgelder auch Elemente einer sozialen Leistung auf, was isoliert gesehen ebenfalls keinen "Erfüllungsrückstand" in früheren Lohnzahlungszeiträumen begründen könne.

Auch hätten schon vor der Regelung des § 9 Abs 4 EStG eine Reihe von Gründen gegen die steuerliche Anerkennung von Jubiläumsgeldrückstellungen gesprochen. Es handle sich dabei jedenfalls um den Grenzfall einer Verbindlichkeitsrückstellung, wie die widersprüchlichen Aussagen der Höchstgerichte zeigen würden.

Regelungen, die (wie das 2. Abgabenänderungsgesetz) in der Einschränkung der steuerbegünstigten Bildung von Sozialkapital und der damit verbundenen Überdotierung zu Lasten der laufenden Gewinne motiviert seien, seien - unter Hinweis auf das zu § 14 EStG 1972 ergangene Erkenntnis VfSlg. 8457/1978 - nicht unsachlich. Es stünde dem Gesetzgeber im Steuerrecht frei, für künftige Pensionsverpflichtungen eine Passivierungspflicht und ein Passivierungsrecht vorzusehen oder (teilweise) zu beseitigen und derartige künftige Verpflichtungen nicht oder nur teilweise als Betriebsausgaben gewinnmindernd anzuerkennen, und zwar auch dann, wenn nach handelsrechtlichen Vorschriften eine derartige Passivierungspflicht bestünde.

Abschließend führt die Bundesregierung aus:

"... Zusammenfassend ist ... festzuhalten, daß nach Ansicht der Bundesregierung eine Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs 4 EStG 1988 idF BGBl. 818/1993 nicht vorliegt, weil die vorgenommene Unterscheidung zwischen Rückstellungen für Jubiläumsgelder einerseits und jenen für Abfertigungen, Pensionen sowie sonstige ungewisse Verbindlichkeiten andererseits durch die Ziele der Erhöhung des Aufkommens bzw. der Verringerung des Ausfalles an Steuereinnahmen, der Objektivierung des steuerlich maßgeblichen Rückstellungsbegriffes sowie der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sachlich gerechtfertigt ist.

Auch steht es der Gesetzgebung frei, gewählte Ziele in Abwägung mit anderen nur teilweise zu verfolgen und selbst gesetzte Ordnungssysteme auch wieder zu durchbrechen (vgl. VfSlg. 13785/1994 mwN). Weiters verfolgen das Handelsrecht einerseits und das Steuerrecht andererseits unterschiedliche Zielsetzungen, wobei von einem Vorrang steuerrechtlicher Vorschriften auszugehen ist. Da die Dienstzugehörigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern am Bilanzstichtag ungewiß ist und eine Verbindlichkeit des Steuerpflichtigen erst entsteht, wenn die Voraussetzung der Betriebszugehörigkeit erfüllt ist, sind Rückstellungen für Jubiläumsgelder nicht zu bilden, weil Rückstellungen nur für das Wirtschaftsjahr gebildet werden können, in das der Betriebsvorgang fällt."

5. Rückstellungen für Jubiläumsgelder sind gemäß § 198 Abs 8 HGB handelsrechtlich zwingend zu bilden (Erläuterungen zu § 198 HGB, 1270 BlgNR 17. GP) und waren vor Inkrafttreten der Steuerreform 1993 auch nach den allgemeinen Grundsätzen steuerlich anzuerkennen. Die in Prüfung gezogene Wortfolge des § 9 Abs 4 EStG, der mit dem Steuerreformgesetz 1993 eingeführt wurde, verbietet nunmehr die steuerwirksame Bildung von Jubiläumsgeldrückstellungen.

Der Verfassungsgerichtshof hegt, wie im Prüfungsbeschluß dargetan, das Bedenken, daß das generelle Verbot der steuerwirksamen Zuweisung zu Rückstellungen für Jubiläumsgelder in Hinblick auf § 9 Abs 1 Z 3 EStG überschießend und daher sachlich nicht gerechtfertigt ist.

6.1. Die Bundesregierung verteidigt die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle unter Hinweis auf die seinerzeitige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bildung von Rückstellungen für künftige Abfertigungen damit, daß ein realistischer Anspruch des Dienstnehmers nicht bereits mit Abschluß des Dienstvertrages, sondern erst mit Eintritt des Ereignisses entstehe und daher im Jubiläumsgeld kein Entgelt für Betriebstreue gesehen werden könne, das zeitanteilig verdient und angesammelt werde. Das Erreichen des Jubiläumsstichtages sei alleinige Voraussetzung für das Entstehen des Anspruches.

Weiters sei die Jubiläumsgabe eine punktuelle Gehaltserhöhung und es könne für Gehaltserhöhungen keine Rückstellung gebildet werden.

6.2. Dieser Auffassung vermag sich der Verfassungsgerichtshof nicht anzuschließen.

6.2.1. Eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist zu bilden, wenn eine Verbindlichkeit dem Grunde nach nicht mit Sicherheit, aber doch mit konkreter Wahrscheinlichkeit besteht oder entstehen wird oder wenn über die Höhe dieser Verbindlichkeit Ungewißheit besteht. Eine Rückstellung kann daher nur dann gebildet werden, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine künftige Belastung gegeben ist. Die bloße Möglichkeit einer Inanspruchnahme, also nur das Vorliegen eines Verpflichtungsgrundes allein, genügt für eine Rückstellung nicht. Mit der Inanspruchnahme muß ernstlich zu rechnen sein; dies bedeutet, daß am Bilanzstichtag mehr Gründe dafür als dagegen sprechen müssen (BFH , BStBl. 1985 II 44; vgl. Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuer-Handbuch EStG 1988, § 5 Tz 37.1; Doralt, EStG2, § 6 Tz 295). Es steht der Bildung einer Rückstellung nicht entgegen, wenn das Entstehen der Verpflichtung zur Leistung von ungewissen Ereignissen abhängt. Die Bildung der Rückstellung setzt außerdem voraus, daß die ungewisse Verbindlichkeit in der vor dem Bilanzstichtag liegenden Zeit wirtschaftlich verursacht worden ist (Quantschnigg/Schuch, EStG 1988, § 5 Tz 35).

6.2.2. All diese Voraussetzungen treffen auf Jubiläumsgaben zu, die Dienstnehmern anläßlich einer gewissen Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit aufgrund rechtsverbindlicher Zusagen zu gewähren sind. Sie sind Belohnungen für langjährige Tätigkeit von Arbeitnehmern und insoweit durch die vor dem Bilanzstichtag liegenden Zeiträume wirtschaftlich verursacht (s. /0073, , Z 89/13/0007; vgl. auch BFH , BStBl. 1987 II 845), als sie auf die von den Arbeitnehmern bis zu diesem Zeitpunkt erbrachten Leistungen entfallen. Die Treue wird nicht im Jahr des Jubiläums, sondern in all den Jahren der Dienstzeit erwiesen (Strobl, VwGH bejaht die Passivierungspflicht der zukünftigen Anteilnehmer-Jubiläumszuwendungen, ÖStZ 1994, 297). Die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers kann daher nicht stichtagsbezogen gesehen werden, weil der Arbeitnehmer durch das Aufrechterhalten des Arbeitsverhältnisses in der Vergangenheit seine Leistung bereits erbracht hat.

Auf die konkrete Wahrscheinlichkeit, daß es in Zukunft zu einer Leistung des Jubiläumsgeldes an den Arbeitnehmer kommen wird, kann aufgrund konkreter Umstände im Betrieb des Steuerpflichtigen, insbesondere der durchschnittlichen Dauer der Betriebszugehörigkeit der Arbeitnehmer in der Vergangenheit, geschlossen werden (/0125 und , Z 90/14/0073).

Dienstjubiläumsgelder, die auf einer rechtsverbindlichen Zusage beruhen, unterscheiden sich in nichts von sonstigen ungewissen Verbindlichkeiten gemäß § 9 Abs 1 Z 3 EStG (s. auch Kirchmayr, Nichtabzugsfähigkeit der Rückstellungen für Dienst-Jubiläumsgelder nach dem SteuerreformG 1993 verfassungswidrig? ÖStZ 1994, 295; vgl. Engelmann, Die Rückstellung nach der Steuerreform, SWK 1993 A 581). § 9 Abs 4 EStG differenziert jedoch in den Rechtsfolgen. Während die übrigen Rückstellungen für sonstige ungewisse Verbindlichkeiten als Einzelrückstellungen grundsätzlich steuerlich anerkannt sind, werden Rückstellungen für Dienstjubiläumsgelder von der steuerlichen Anerkennung generell ausgeschlossen.

7. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Prüfungsbeschluß annahm, steht es dem Gesetzgeber frei, im Steuerrecht für noch ungewisse Verbindlichkeiten eine Passivierungspflicht und ein Passivierungsrecht vorzusehen oder (teilweise) zu beseitigen (vgl. VfSlg. 8457/1978). Gewährt der Gesetzgeber aber die Möglichkeit der Passivierung nach einem bestimmten - dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden - System, bedarf ein Abweichen von einem solchen System abermals einer sachlichen Rechtfertigung.

7.1. Die Bundesregierung meint, daß sich Jubiläumsgelder von anderen "sonstigen ungewissen Verbindlichkeiten", die gemäß § 9 Abs 1 Z 3 EStG rückstellungsfähig sind, derart unterscheiden, daß ihre unterschiedliche steuerliche Behandlung in Hinblick auf die Ziele der Erhöhung des Aufkommens bzw. der Verringerung des Ausfalls an Steuereinnahmen, der Objektivierung des steuerlich maßgeblichen Rückstellungsbegriffes sowie der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sachlich gerechtfertigt werden könne.

7.2. Aus den Erläuterungen zu § 9 EStG (1237 BlgNR 18. GP) geht hervor, daß einerseits Klarheit in der Definition des steuerlichen Rückstellungsbegriffes geschaffen und andererseits steuerlich anerkannte Rückstellungen auf "verbindlichkeitsnahe" Passivposten beschränkt werden sollen; abgesehen von den damit verfolgten Aufkommenseffekten dienten diese beiden Maßnahmen der Objektivierung des steuerlich maßgeblichen Rückstellungsbegriffes; die in den letzten Jahren deutlich ausgeweiteten Gestaltungsspielräume sollten wieder eingeengt werden, wodurch eine wichtige Maßnahme im Sinne einer Gleichmäßigkeit der Besteuerung gesetzt würde.

7.3. Das Ziel der Objektivierung des steuerlich maßgeblichen Rückstellungsbegriffes rechtfertigt aber gerade dort nicht die Regelung, wo die Gewährung von Jubiläumsgaben auf einer rechtswirksamen Verpflichtung beruht, weil hier ein Gestaltungsspielraum nicht besteht, und es trägt daher diese Maßnahme auch nicht zur Gleichmäßigkeit der Besteuerung bei. Grund und Höhe der Verpflichtung können von der Finanzverwaltung auf ihre Sachgerechtigkeit überprüft werden (s. auch Kirchmayr aaO).

Insoweit die Bundesregierung "verbindlichkeitsnahe" als "marktnahe" im Sinne der Markteinkommenstheorie verstanden haben will, so ist ihr entgegenzuhalten, daß sich der Gesetzgeber bei der Regelung der Rückstellungen gerade nicht für diese Theorie entschieden hat, bei der, wie in der Äußerung ausgeführt, "die steuerliche Erfassung 'passivischer' stiller Reserven - wie sie eben in Rückstellungen zum Ausdruck kommen - erst bei Realisierung, also bei Eintritt einer 'echten' Verbindlichkeit angenommen werden" kann, sondern einen Mittelweg zwischen dieser Auffassung und dem Leistungsfähigkeitsprinzip gewählt hat. Rückstellungen für Dienstjubiläen unterscheiden sich auch in bezug auf ihre Verbindlichkeitsnähe nicht von Rückstellungen für sonstige ungewisse Verbindlichkeiten.

Es liegt auf der Hand, daß durch den Ausschluß der steuerwirksamen Bildung von Rückstellungen für Jubiläumsgelder ein Aufkommenseffekt erzielt wird, doch kann dies nicht in Form eines in sich nicht sachlichen Verbotes erfolgen (vgl. VfSlg. 11368/1987).

8.1. Weiters scheint es der Bundesregierung fraglich, ob in Hinblick auf die Höhe der jährlichen Dotation und mangels eines Anspruchs auf eine aliquote Leistung des Arbeitgebers bei jederzeit möglicher Beendigung des Dienstverhältnisses überhaupt von einem "Erfüllungsrückstand" gesprochen werden könne. Selbst in § 198 Abs 8 Z 3 HGB sei eine Ausnahme von der Passivierungspflicht bei Beträgen von untergeordneter Bedeutung vorgesehen.

8.2. Diesbezüglich verweist der Verfassungsgerichtshof zunächst auf seine Ausführungen unter Pkt. 6.2.2.

Rechtsverbindlich zugesagte Jubiläumsgelder unterscheiden sich eben in nichts von sonstigen ungewissen Verbindlichkeiten, daran vermag auch die relative oder absolute Höhe des Zuweisungsbetrages nichts zu ändern. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß mangels Fälligkeit bei Beendigung des Dienstverhältnisses die Bezahlung der Jubiläumsgelder zur Gänze unterbleibt; in diesem Fall ist eben die Rückstellung gewinnerhöhend aufzulösen.

Die Erläuterungen zu § 198 HGB (1270 BlgNR 17. GP) führen aus:

"In Abs 8 wird klargestellt, daß den Unternehmern kein Wahlrecht eingeräumt wird, ob sie Rückstellungen bilden wollen oder nicht. Die Aufzählung ist bloß demonstrativ. Nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung sind insbesondere Rückstellungen zu bilden ... für Jubiläumsgelder, ... . ... Wegen der praktischen Schwierigkeit, alle rückzustellenden Risken vollständig zu erfassen, wird von einer Passivierungspflicht für unwesentliche Rückstellungen abgesehen. Diese Ausnahme ist entsprechend dem Vorsichtsprinzip eng zu sehen. ..."

Damit bringt der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck, daß Rückstellungen für Jubiläumsgelder in keinem Fall unwesentlich sind, vielmehr sind Jubiläumsgeldrückstellungen (handelsrechtlich) zwingend zu bilden. Der Einwand der Bundesregierung, daß Jubiläumsgelder wegen Geringfügigkeit auch im Handelsrecht nicht berücksichtigt werden, trifft nicht zu. Daher kann daraus die unterschiedliche steuerrechtliche Behandlung gegenüber anderen ungewissen Verbindlichkeiten nicht gerechtfertigt werden.

9. Die Bedenken haben sich somit als zutreffend erwiesen. Der generelle Ausschluß von steuerwirksamen Zuweisungen für Rückstellungen von Jubiläumsgeldern ist überschießend und daher sachlich nicht gerechtfertigt. Er verstößt sohin gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Die in Prüfung gezogene Wortfolge in § 9 Abs 4 EStG wird daher als verfassungswidrig aufgehoben.

10. Die Bestimmung der Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Wortfolge gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG, um dem Gesetzgeber die Möglichkeit für eine allfällige differenzierte Regelung zu geben.

11. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

12. Die Kundmachungspflicht des Bundeskanzlers erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und aus § 64 Abs 2 VerfGG.

13. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.